Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.584/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1C_584/2017  
 
 
Urteil vom 1. Juni 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. Verein B.________, 
3. C.________, 
Beschwerdeführer, 
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Rolf W. Rempfler, 
 
gegen  
 
Beamte der Stadtpolizei St. Gallen, 
Beschwerdegegner, 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, 
Untersuchungsamt Gossau. 
 
Gegenstand 
Ermächtigung zur Strafverfolgung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 16.
August 2017 (AK.2017.159). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am Samstag, 20. Dezember 2014 ab 14.20 Uhr, verteilte A.________, Präsident des
Vereins B.________, in St. Gallen auf dem Trottoir vor einem Modegeschäft
Flugblätter gegen "Pelz-Tierquälerei". Auf Verlangen von Polizeibeamten hin
wies er sich mit seiner Schweizer Identitätskarte aus. Die Polizei beobachtete
das Geschehen während ca. 40 Minuten und führte mit dem anwesenden Rechtsanwalt
von A.________, Rolf W. Rempfler, Verhandlungen. Nach Aufforderung, das
Verteilen der Flugblätter zu unterlassen, verbrachten Polizeibeamte A.________
gegen seinen Willen in ein Polizeifahrzeug und darauf in das Polizeigebäude.
Vor der Abführung nahm ihm die Polizei die verbliebenen Flugblätter weg. Nach
einer Besprechung im Polizeigebäude, bei der auch Rechtsanwalt Rempfler
anwesend war, entliess die Polizei A.________ nach ca. einer halben Stunde
wieder. 
 
B.  
Am 13. März 2015 erstatteten A.________, der Verein B.________ und der
Journalist C.________ Strafanzeige gegen "die noch zu ermittelnden Funktionäre
der Stadtpolizei St. Gallen" wegen Amtsmissbrauchs, Sachentziehung,
Tätlichkeiten, Freiheitsberaubung und Nötigung. 
Am 19. März 2015 übermittelte die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
(Untersuchungsamt St. Gallen) die Strafanzeige der Anklagekammer des Kantons
St. Gallen zur Durchführung eines Ermächtigungsverfahrens. 
Am 9. Juni 2015 erteilte die Anklagekammer die Ermächtigung zur Eröffnung eines
Strafverfahrens gegen Unbekannt. Sie erwog, insgesamt seien Hinweise auf
möglicherweise strafbares Verhalten durch Mitarbeitende der Stadtpolizei
gegeben. Bezüglich des angezeigten Sachverhalts bestehe in strafrechtlicher
Hinsicht Abklärungsbedarf. Die entsprechenden Abklärungen seien im Rahmen eines
Vorverfahrens gemäss Art. 299 ff. StPO und nicht im Ermächtigungsverfahren
vorzunehmen. Ergäben sich konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten,
habe die Staatsanwaltschaft vorläufige Ermittlungen nach möglichen
beschuldigten Personen (Art. 111 StPO) vorzunehmen und der Anklagekammer ein
erneutes Ermächtigungsgesuch einzureichen. 
 
C.  
Ab November 2016 nahm die Staatsanwaltschaft (Untersuchungsamt Gossau) die
Ermittlungen auf. Im Mai 2017 befragte sie folgende am Einsatz beteiligte
Polizeibeamte als Auskunftspersonen: 
 
- Wm D.________ und Pol E.________. Diese waren als erste in Zivilkleidung vor
Ort, um die Lage zu sondieren. Wm D.________ sprach als erster Polizeibeamter
A.________ an. 
- Den Zivilangestellten (ZA) F.________, Leiter Abteilung Gewerbe- und
Verkehrsbewilligungen bei der Stadtpolizei. Er verhandelte vor Ort mit
Rechtsanwalt Rempfler. 
- Fw G.________ und Wm mbA H.________. Diese befanden sich auf Fusspatrouille
und gelangten an den Einsatzort, nachdem sie im Funk von der Flugblattaktion
gehört hatten. 
- Pol I.________ und den inzwischen aus dem Polizeidienst ausgetretenen Kpl
J.________. Pol I.________ war Fahrerin und Kpl J.________ Beifahrer des
Polizeibusses, mit dem A.________ zum Polizeigebäude verbracht wurde. 
- Pol K.________ und die inzwischen aus dem Polizeidienst ausgetretene
Sicherheitsassistentin (SiAs) L.________. Diese kontrollierten C.________ auf
der gegenüberliegenden Strassenseite. 
 
D.  
Am 22. Mai 2017 ersuchte die Staatsanwaltschaft die Anklagekammer, darüber zu
entscheiden, ob gegen bestimmte Personen die Ermächtigung zur Strafverfolgung
zu erteilen sei. 
Am 16. August 2017 erteilte die Anklagekammer die Ermächtigung zur Eröffnung
eines Strafverfahrens gegen Wm D.________ und ZA F.________ in Bezug auf die
zwangsweise Verbringung von A.________ zum Polizeigebäude. In Bezug auf weitere
Beamte und Sachverhalte lehnte die Anklagekammer die Ermächtigung ab. 
 
E.  
A.________, der Verein B.________ und C.________ führen Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, die Ermächtigung zur
Strafverfolgung auf im Einzelnen bezeichnete weitere Beamte und Sachverhalte
auszudehnen. 
 
F.  
Die Staatsanwaltschaft (Untersuchungsamt Gossau) und das Kommado der
Stadtpolizei St. Gallen haben auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die
Anklagekammer hat sich vernehmen lassen, ohne einen förmlichen Antrag zu
stellen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 82 lit. a BGG die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S.
272). Die von der Strafanzeige betroffenen Polizeibeamten gehören nicht den
obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden an. Der Ausschlussgrund
von Art. 83 lit. e BGG kommt daher nicht zur Anwendung (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2
S. 272 f.). Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die
Beschwerde ist nach Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG zulässig. Die
Beschwerdeführer, deren Strafanzeige aufgrund des angefochtenen Entscheids
nicht mehr vollumfänglich weiterbehandelt werden kann, sind gemäss Art. 89 Abs.
1 BGG zur Beschwerde befugt (Urteil 1C_427/2017 vom 15. Dezember 2017 E. 1.3).
Soweit die Vorinstanz die Ermächtigung zur Strafverfolgung abgelehnt hat,
handelt es sich um einen nach Art. 90 BGG anfechtbaren Endentscheid (Urteil
1C_427/2017 vom 15. Dezember 2017 E. 1.3). 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Auf die
Beschwerde ist - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten. 
 
2.  
Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die
Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen
im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht
richterlichen Behörde abhängt. Nach der Rechtsprechung können die Kantone auch
eine richterliche Behörde als Ermächtigungsbehörde einsetzen (BGE 137 IV 269 E.
2.2 S. 276). 
Von dieser Befugnis hat der Kanton St. Gallen Gebrauch gemacht. Gemäss Art. 17
Abs. 2 lit. b des kantonalen Einführungsgesetzes vom 3. August 2010 zur
Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung (EG-StPO; sGS 962.1)
entscheidet die Anklagekammer über die Ermächtigung zur Eröffnung des
Strafverfahrens gegen Behördenmitglieder oder Mitarbeitende des Kantons und der
Gemeinden wegen Verbrechen und Vergehen, die deren Amtsführung betreffen,
soweit nicht der Kantonsrat zuständig ist. Die Zuständigkeit des Kantonsrats
ist hier nicht gegeben (Art. 23 Abs. 2 EG-StPO). 
Mit Art. 17 Abs. 2 lit. b EG-StPO sollen Staatsbedienstete vor mutwilliger
Strafverfolgung geschützt werden. Das Strafverfahren soll daher erst
durchgeführt werden können, wenn die Anklagekammer vorher ihre Zustimmung dazu
erteilt hat. Alsdann kann die Staatsanwaltschaft die Untersuchung eröffnen. Der
förmliche Entscheid über die Eröffnung oder Nichtanhandnahme obliegt kraft
ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung (Art. 309 f. StPO) in jedem Fall ihr
(vgl. BGE 137 IV 269 E. 2.3 S. 277). 
Da es sich bei den von der Strafanzeige betroffenen Polizeibeamten nicht um
Mitglieder der obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden handelt, dürfen im
Ermächtigungsverfahren keine politischen, sondern einzig strafrechtliche
Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Für die
Erteilung der Ermächtigung müssen minimale Hinweise auf ein strafrechtlich
relevantes Verhalten vorliegen. Nicht jeder behördliche Fehler begründet die
Pflicht zur Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung. Vielmehr muss ein
strafrechtlich relevantes Verhalten in minimaler Weise glaubhaft erscheinen
(Urteil 1C_63/2017 vom 22. Mai 2017 E. 2.2 mit Hinweis). In Zweifelsfällen ist
die Ermächtigung zu erteilen. Es gilt der Grundsatz "in dubio pro duriore". Ist
zum Zeitpunkt des Ermächtigungsentscheids die Sach- oder Rechtslage nicht von
vornherein klar, darf die zuständige Behörde die Ermächtigung zur
Strafverfolgung nicht mit der Begründung verweigern, es fehle an einem
hinreichenden Tatverdacht (Urteil 1C_96/2013 vom 17. Juni 2013 E. 4.2). 
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, im Zusammenhang mit der zwangsweisen
Verbringung des Beschwerdeführers 1 in das Polizeigebäude bestünden
hinreichende Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten nicht nur von Wm
D.________ und ZA F.________, sondern auch der weiteren beteiligten
Polizeibeamten. Insoweit seien Hinweise auf Amtsmissbrauch, Freiheitsberaubung
und Tätlichkeiten gegeben.  
 
3.2. Art. 312 StGB regelt den Amtsmissbrauch. Danach machen sich Mitglieder
einer Behörde oder Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich
oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem
andern einen Nachteil zuzufügen. Nach der Rechtsprechung missbraucht die
Amtsgewalt, wer die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig
anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht
geschehen dürfte. Amtsmissbrauch ist der zweckentfremdete Einsatz staatlicher
Macht. Art. 312 StGB schützt einerseits das Interesse des Staates an
zuverlässigen Beamten, welche mit der ihnen anvertrauten Machtposition
pflichtbewusst umgehen, und anderseits das Interesse der Bürger, nicht
unkontrollierter und willkürlicher staatlicher Machtentfaltung ausgesetzt zu
werden (BGE 127 IV 209 E. 1 a und b S. 211 f. mit Hinweisen).  
Gemäss Art. 183 Ziff. 1 StGB macht sich wegen Freiheitsberaubung strafbar, wer
jemanden unrechtmässig festnimmt oder gefangen hält oder jemandem in anderer
Weise unrechtmässig die Freiheit entzieht. Unrechtmässig ist eine
Freiheitsentziehung, wenn rechtfertigende Umstände fehlen (BGE 141 IV 10 E.
4.4.1 S. 13 mit Hinweisen). Eine ungerechtfertigte Verhaftung stellt eine
Freiheitsberaubung dar (Urteil 6B_391/2013 vom 27. Juni 2013 E. 1.4). 
Nach Art. 126 Abs. 1 StGB wird auf Antrag bestraft, wer gegen jemanden
Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur
Folge haben. Tätlichkeiten sind körperliche Beeinträchtigungen, die das sozial
Tolerierte überschreiten und weder Körperverletzungen noch gesundheitliche
Schäden zur Folge haben. Eine derartige Beeinträchtigung kann gegeben sein,
auch wenn sie keinerlei körperlichen Schmerz verursacht hat (BGE 134 IV 189 E.
1.2 S. 191 mit Hinweisen). 
 
3.3.  
 
3.3.1. Der Beschwerdeführer 1 verteilte die Flugblätter, mit denen er einen
ideellen Zweck verfolgte, auf öffentlichem Grund. Dafür brauchte er
grundsätzlich keine Bewilligung (BGE 96 I 586). Damit ist nicht von vornherein
klar, dass die zwangsweise Verbringung des Beschwerdeführers 1 zum
Polizeigebäude rechtmässig war. Es bestehen zumindest minimale Anhaltspunkte
für unzulässigen Zwang und damit Amtsmissbrauch sowie eine ungerechtfertigte
Verhaftung und damit Freiheitsberaubung. Um den Beschwerdeführer 1 in das
Polizeifahrzeug zu schieben, mussten die Beamten unstreitig körperlich auf ihn
einwirken. Auf in den Akten liegenden Fotos (Beilage zur Strafanzeige act. 9.4
f.) ist zu sehen, wie ein Polizeibeamter durch Zerren an der Mütze des
Beschwerdeführers dessen Kopf nach hinten zieht. Damit sind ebenso Hinweise auf
Tätlichkeiten gegeben. Die Frage ist, ob die Polizeibeamten rechtmässig
handelten und damit der Rechtfertigungsgrund nach Art. 14 StGB gegeben war.
Eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage für die Anwendung von Zwang
gegen den Beschwerdeführer 1 besteht, wie die Vorinstanz ausdrücklich einräumt
(angefochtener Beschluss E. 4.3 f. S. 5), jedoch nicht.  
 
3.3.2. Die Vorinstanz bejaht minimale Hinweise auf ein strafbares Verhalten im
Zusammenhang mit der Verbringung des Beschwerdeführers 1 in das Polizeigebäude
lediglich in Bezug auf Wm D.________ und ZA F.________. Sie erwägt, ein klarer
Befehl zur zwangsweisen Verbringung des Beschwerdeführers 1 in das
Polizeigebäude scheine nicht erfolgt zu sein. Diese erscheine eher als Ergebnis
eines ungenügend koordinierten Einsatzes. Eine eigentliche Einsatzleitung habe
offenbar nicht bestanden. Die beteiligten Beamten hätten offenbar ZA F.________
und (allerdings nur teilweise) Wm D.________ als entscheidkompetent erachtet.
Nach den Angaben von ZA F.________ sei die Zuständigkeit arbeitsteilig bei ihm
und Wm E.________ gelegen, wobei er (ZA F.________) von den Anwesenden wohl als
federführend angesehen worden sei. Die Vorinstanz führt dazu aus, es hätte
demnach gemäss der Verdachtslage möglicherweise an ZA F.________ und Wm
D.________ gelegen, dafür zu sorgen, dass gegen den Beschwerdeführer 1 kein
Zwang angewendet werde. Die weiteren Abklärungen seien daher in Bezug auf diese
beiden Personen zu führen. Gegen sie sei die Ermächtigung zur Eröffnung eines
Strafverfahrens zu erteilen. Die übrigen Beamten schienen aufgrund der unklaren
Befehlslage und der unterbliebenen Intervention der (wohl nicht vorhandenen)
Einsatzleitung vor Ort davon ausgegangen zu sein, dass der Transport des
Beschwerdeführers 1 auch gegen dessen Willen zu vollziehen sei. Ihnen könne
insofern kein Vorsatz auf Amtsmissbrauch oder Freiheitsberaubung vorgeworfen
werden. Gegen sie sei daher keine Ermächtigung zu erteilen.  
 
3.3.3. Diese Erwägungen überzeugen nicht. Wie sich daraus ergibt, ist die Sach-
und Rechtslage im Zusammenhang mit der Verbringung des Beschwerdeführers 1 in
das Polizeigebäude unklar. Dies bestätigt die Vorinstanz mit ihren
Formulierungen indirekt selber ("  scheint nicht erfolgt zu sein"; " erscheint
eher als Ergebnis"; "bestand  offenbar nicht"; "erachteten  offenbar "; "von
den Anwesenden  wohl als federführend angesehen"; "  scheinen aufgrund der
unklaren Befehlslage davon ausgegangen zu sein"). Ist die Sach- und Rechtslage
aber unklar, ist nach der dargelegten Rechtsprechung die Ermächtigung zu
erteilen ("in dubio pro duriore"). Es ist nicht Sache der Ermächtigungsbehörde,
darüber zu mutmassen, wer wohl wen als befehlskompetent angesehen hat und wer
bei der festgestellten unklaren Befehlslage subjektiv wovon ausgegangen ist.
Dies ist in einer Strafuntersuchung abzuklären.  
Zu Recht verweisen die Beschwerdeführer auch auf den Grundsatz der
Verfahrenseinheit. Danach werden Straftaten gemeinsam verfolgt und beurteilt,
wenn Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegt (Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO). Im
vorliegenden Fall ist beim derzeitigen Verfahrensstand, bei dem bisher
lediglich die Polizeibeamten befragt worden sind, noch nicht näher geklärt,
welcher Polizeibeamte im Zusammenhang mit der Verbringung des Beschwerdeführers
1 in das Polizeigebäude was im Einzelnen gemacht hat und wieweit insoweit
Mittäterschaft oder Teilnahme (Art. 24 f. StGB) in Betracht kommt. Auch deshalb
ist die Ermächtigung zur Strafverfolgung aller beteiligten Beamten zu erteilen.
Sonst könnte die Situation eintreten, dass im Laufe der Ermittlungen einzelne
Polizeibeamte entlastet und andere belastet werden, Letztere aber mangels
Ermächtigung nicht in das Strafverfahren einbezogen sind. 
In Bezug auf die zwangsweise Verbringung des Beschwerdeführers 1 zum
Polizeigebäude ist demnach die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht nur in
Bezug auf ZA F.________ und Wm D.________ zu erteilen, sondern in Bezug auf
sämtliche beteiligten Polizeibeamten, d.h. auch in Bezug auf Pol E.________, Fw
G.________, Wm H.________, Pol I.________, Kpl J.________, Pol K.________ und
SiAs L.________. Zu untersuchen ist, wer sich inwiefern des Amtsmissbrauchs,
der Freiheitsberaubung oder der Tätlichkeit bzw. der Teilnahme dazu schuldig
gemacht haben könnte. 
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, Polizeibeamte hätten dem
Beschwerdeführer 1 vor dessen Verbringung in das Polizeigebäude die noch nicht
verteilten Flugblätter weggenommen. Insoweit komme der Tatbestand der
Sachentziehung - mutmasslich begangen durch Wm D.________, ZA F.________ und
Pol E.________ - in Betracht. Die Vorinstanz hätte auch in Bezug auf diesen
Vorwurf die Ermächtigung erteilen müssen.  
 
4.2. Gemäss Art. 141 StGB wird auf Antrag wegen Sachentziehung bestraft, wer
dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm
dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt.  
Eine geringfügige Beeinträchtigung stellt keinen erheblichen Nachteil dar
(Urteil 6S.597/1998 vom 25. November 1998 E. 1c). Mit dem Erfordernis der
Erheblichkeit des erlittenen Nachteils sollen Bagatellfälle ausgeschlossen
werden. Unerheblich ist etwa das Beseitigen eines Blatts mit Notizen, die ohne
nennenswerten Aufwand neu erstellt werden können (PHILIPPE WEISSENBERGER, in:
Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, N. 25 und 29 zu Art. 141 StGB
). 
 
4.3. Die Polizei nahm dem Beschwerdeführer 1 die noch nicht verteilten
Flugblätter weg. Nach den Darlegungen der Vorinstanz gelangten sie im Verlaufe
der Verbringung des Beschwerdeführers 1 in das Polizeigebäude in die Hände von
Wm D.________ und von diesem irgendwie auf das Pult des dortigen
Besprechungszimmers. Während seiner Verbringung zum Polizeigebäude und in
diesem hatte der Beschwerdeführer 1 keine Möglichkeit, die Flugblätter weiter
zu verteilen. Insoweit entstand ihm durch die Wegnahme kein erheblicher
Nachteil. Ob der Beschwerdeführer 1 - was er bestreitet - bei Verlassen des
Polizeigebäudes die Flugblätter wieder hätte mitnehmen können, kann
dahingestellt bleiben. Selbst wenn das nicht der Fall gewsen sein sollte,
könnte kein erheblicher Nachteil angenommen werden, da der Beschwerdeführer 1
gleiche Flugblätter - wenn er solche überhaupt noch hätte verteilen wollen -
mit geringem Aufwand wieder hätte herstellen können. Wenn die Vorinstanz
hinreichende Anhaltspunkte auf Sachentziehung verneint und deshalb die
Ermächtigung insoweit abgelehnt hat, verletzt das daher kein Bundesrecht.  
Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt unbegründet. 
 
5.  
 
5.1. Die Beschwerdeführer legen dar, Kpl J.________ habe sich vor die Kamera
eines Journalisten des Ostschweizer Fernsehens (TVO) gestellt, "damit die nicht
alles aufnehmen konnten". Zwar habe Kpl J.________ den Journalisten am Filmen
letztlich nicht hindern können. Insoweit komme aber der Versuch einer Nötigung
in Betracht. Auch insoweit hätte die Vorinstanz die Ermächtigung zur
Strafverfolgung erteilen müssen.  
 
5.2. Art. 181 StGB regelt den Tatbestand der Nötigung. Danach wird mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer jemanden durch
Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung
seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden.  
 
 Schutzobjekt von Art. 181 StGB ist die Freiheit der Willensbildung und
Willensbetätigung. Diese ist strafrechtlich unabhängig von der Art der
(legalen) Tätigkeit geschützt, welche der Betroffene nach seinem frei
gebildeten Willen verrichten will. Der Tatbestand ist ein Erfolgsdelikt. Die
Anwendung des Nötigungsmittels muss den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit
beeinträchtigen. Eine Nötigung ist unrechtmässig, wenn das Mittel oder der
Zweck unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum angestrebten Zweck nicht im
richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich
zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder
sittenwidrig ist (BGE 141 IV 437 E. 3.2.1 S. 440 f. mit Hinweisen). 
Die Nötigung stellt ein Vergehen dar (Art. 10 Abs. 3 StGB). Führt der Täter,
nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat,
die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat
gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das
Gericht nach Art. 22 Abs. 1 StGB die Strafe mildern. 
 
5.3. Kpl J.________ hat sich unstreitig vor die Kamera des TVO-Journalisten
gestellt, um diesen am Filmen zu hindern. Zwar gelang Kpl J.________ Letzteres
nicht. Nach den zutreffenden Darlegungen der Beschwerdeführer kommt insoweit
jedoch der Versuch einer Nötigung gemäss Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB in
Betracht. Beim (vollendeten) Versuch tritt der zur Vollendung der Tat gehörende
Nötigungserfolg nicht ein. Dass es Kpl J.________ nicht gelang, den
Journalisten am Filmen zu hindern, steht einer allfälligen Strafbarkeit daher
nicht entgegen. Die Vorinstanz legt nicht dar, das Filmen durch den
Journalisten sei illegal gewesen. Dafür spricht mit Blick auf die
Medienfreiheit (Art. 17 BV) und den Umstand, dass sich die Festnahme des
Beschwerdeführers 1 in der Öffentlichkeit abspielte, wenig. Unter diesen
Umständen bestehen zumindest minimale Hinweise auf eine versuchte Nötigung
durch Kpl J.________. Wenn die Vorinstanz insoweit die Ermächtigung zur
Strafverfolgung abgelehnt hat, verletzt das daher Bundesrecht. Die Beschwerde
ist in diesem Punkt begründet.  
 
6.  
 
6.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, es bestünden klare Anhaltspunkte dafür,
dass Pol K.________ oder SiAs L.________ die Kamera des Beschwerdeführers 3
zugeklappt hätten, um diesen am Filmen der Flugblattverteilung und der
unmittelbar bevorstehenden Festnahme des Beschwerdeführers 1 zu hindern.
Insoweit komme der Tatbestand der Nötigung in Betracht.  
 
6.2. Nach den Feststellungen der Vorinstanz filmte der Beschwerdeführer 3, der
Journalist ist, das Geschehen von der gegenüber liegenden Strassenseite aus.
Pol K.________ und SiAs L.________ kontrollierten ihn. Sie forderten ihn auf,
die Kamera zu schliessen ("mached Sie d'Kamera zue"). Die Beschwerdeführer
machen geltend, einer der beiden Polizeibeamten habe in der Folge die Kamera
zugeklappt. Pol K.________ bestreitet dies. SiAs L.________ kann sich daran
nicht erinnern. Die Vorinstanz erwägt, ob es sich bei der im Video ganz am
Schluss kurz sichtbaren Hand um jene von Pol K.________ handle, sei entgegen
der Darstellung der Beschwerdeführer nicht zu erkennen. Ein Verschliessen der
Kamera durch Pol K.________ werde daher von vornherein nicht anklagebegründend
zu belegen sein, weshalb eine Verurteilung ausgeschlossen erscheine.  
Dem kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn auf dem Video nicht erkennbar sein
sollte, um wessen Hand es sich handelt, bedeutet dies nicht, dass insoweit in
einer Strafuntersuchung keine Klarheit geschaffen werden könnte. Nach der von
der Vorinstanz in anderem Zusammenhang getroffenen Feststellung (dazu unten
E.7) haben mehrere Kameraleute das gesamte Geschehen gefilmt und dieses - was
nicht erstaunt, da es sich an einem Samstagnachmittag kurz vor Weihnachten in
der Innenstadt in unmittelbarer Nähe eines Warenhauses ereignete - zahlreiche
Zeugen beobachtet. Es ist daher möglich, dass in einer der Filmaufnahmen zu
sehen ist bzw. ein Zeuge beobachtet hat, wer die Kamera zugeklappt hat. Dass
sich Pol K.________ oder SiAs L.________ insoweit wegen Nötigung strafbar
gemacht haben könnten, kann nicht eindeutig ausgeschlossen werden. Die
Ermächtigung zur Strafverfolgung ist daher insoweit zu erteilen. Das gilt
ebenso für ZA F.________ und Wm D.________. Es wird zu untersuchen sein, ob -
wie die Beschwerdeführer geltend machen - einer der beiden allenfalls Pol
K.________ oder SiAs L.________ dazu angehalten hat, das Filmen durch den
Beschwerdeführer 3 zu unterbinden. 
 
7.  
 
7.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, Pol E.________ habe mit seinem
Dienst-Handy über den Vorfall ein Video erstellt. Wm D.________ und Pol
E.________ hätten dieses vernichtet, was einen Amtsmissbrauch darstelle.  
 
7.2. Nach den erwähnten Feststellungen der Vorinstanz wurde die ganze Aktion -
auch während des Erstellens des Videos durch Pol E.________ - erkennbar durch
mehrere Kameraleute gefilmt und durch zahlreiche Zeugen beobachtet. Die
Vorinstanz erwägt, das von Pol E.________ erstellte Video sei damit
beweisrechtlich belanglos gewesen. Dies ist nicht zu beanstanden. Wurde das
gesamte Geschehen - auch für Wm D.________ und Pol E.________ erkennbar - von
mehreren Kameraleuten gefilmt, war es damit lückenlos dokumentiert und haben es
überdies zahlreiche Zeugen beobachtet, spricht jedenfalls nichts dafür, dass Wm
D.________ und Pol E.________ mit der Vernichtung des Videos gemäss Art. 312
StGB sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil verschaffen oder
einem andern einen Nachteil zufügen wollten. Amtsmissbrauch scheidet damit aus.
Erst recht ist nicht erkennbar, inwiefern sich Pol E.________ durch das
Erstellen des Videos des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht haben sollte. Das
Löschen des Videos stellt im Übrigen auch keine Unterdrückung von Urkunden
gemäss Art. 254 StGB dar, da Videoaufnahmen nicht unter den Urkundenbegriff
fallen (MARKUS BOOG, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Aufl. 2013, N. 93
zu Art. 110 Abs. 4 StGB). Wenn die Vorinstanz insoweit die Ermächtigung zur
Strafverfolgung abgelehnt hat, hält das deshalb vor Bundesrecht stand.  
 
8.  
 
8.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, das Ermächtigungsverfahren stelle ein
verwaltungsrechtliches Verfahren dar. Die Entschädigung der Parteien richte
sich daher nicht nach der Strafprozessordnung, sondern nach dem Gesetz vom 16.
Mai 1965 des Kantons St. Gallen über die Verwaltungsrechtspflege
(Verwaltungsrechtspflegegesetz; sGS 951.1). Die Vorinstanz habe keine
Parteientschädigung zugesprochen. Dies begründe sie allein mit der bisherigen
Praxis. Dafür finde sich im Gesetz jedoch keine Grundlage.  
 
8.2. Die Beschwerdeführer können hier keine Verletzung von einfachem kantonalem
Gesetzesrecht geltend machen (Art. 95 BGG). Sie hätten allenfalls eine
willkürliche und damit gegen Art. 9 BV verstossende Anwendung des St. Galler
Verwaltungsrechtspflegegesetzes rügen können. Das tun sie jedoch nicht in einer
den qualifizierten Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden
Weise (dazu BGE 143 II 283 E. 1.2.2 S. 286 mit Hinweisen). Sie setzten sich mit
dem Verwaltungsrechtspflegegesetz nicht näher auseinander. Es ist nicht Sache
des Bundesgerichts, von Amtes wegen zu prüfen, inwiefern die Verweigerung einer
Parteientschädigung allenfalls in willkürlicher Weise gegen welche Bestimmung
dieses Gesetzes verstossen haben könnte. Auf die Beschwerde kann daher im
vorliegenden Punkt nicht eingetreten werden.  
 
9.  
 
9.1. Die Beschwerde ist demnach, soweit darauf einzutreten ist, teilweise
gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben, soweit die Vorinstanz
die Ermächtigung zur Strafverfolgung in Bezug auf weitere Beamte (über ZA
F.________ und Wm D.________ hinaus) und Sachverhalte (über die Verbringung des
Beschwerdeführers 1 zum Polizeigebäude hinaus) abgelehnt hat. Die Ermächtigung
zur Strafverfolgung wird im Sinne der vorstehenden Erwägungen erteilt.  
 
9.2. Damit ist keine Vorverurteilung verbunden. Die beteiligten Polizeibeamten
stehen unter dem Schutz der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV). Es geht
lediglich darum, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe im dargelegten Umfang
näher abgeklärt werden.  
 
9.3. Soweit die Beschwerdeführer unterliegen, tragen sie die Gerichtskosten (
Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Soweit sie obsiegen, hat ihnen der Kanton eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 f. BGG).  
Für eine Änderung des vorinstanzlichen Entscheids im Kosten- und
Entschädigungspunkt (E. 11 S. 9) nach Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG besteht
kein Anlass. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird, soweit darauf eingetreten werden kann, teilweise
gutgeheissen und der Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 16.
August 2017 aufgehoben, soweit diese die Ermächtigung zur Strafverfolgung in
Bezug auf weitere Beamte und Sachverhalte abgelehnt hat. Die Ermächtigung zur
Strafverfolgung wird im Sinne der Erwägungen erteilt. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit für den gesamten Betrag zu gleichen Teilen
auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführern eine Parteientschädigung von je
Fr. 700.--, insgesamt Fr. 2'100.--, zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
Untersuchungsamt Gossau, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. Juni 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri 

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