Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.582/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1C_582/2017  
 
 
Urteil vom 13. Juni 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Gregor Marcolli, 
 
gegen  
 
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, 
Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Sicherungsentzug des Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Rekurskommission des Kantons Bern für
Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern vom 17. Mai 2017
(RK 020/17). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 2. August 2013, um 13.50 Uhr, fuhr A.________ mit seinem Fahrrad mit
elektrischer Tretunterstützung von B.________ in Richtung C.________. Er verlor
die Kontrolle über das Fahrrad und prallte frontal in einen Zaunpfahl. Seine
Blutalkoholkonzentration betrug mindestens 2,30 und höchstens 3,09
Gewichtspromille. 
Am 23. August 2013 verfügte das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des
Kantons Bern (im Folgenden: Amt) gegen A.________ den vorsorglichen Entzug des
Führerausweises für Motorfahrzeuge und ein Fahrverbot für Fahrräder bis zur
Abklärung der Fahreignung. 
Am 7. Januar 2014 erstattete das Institut für forensische Psychiatrie und
Psychotherapie (IFPP) in Langenthal ein Gutachten über A.________. Es
diagnostizierte eine Alkoholabhängigkeit und verneinte deshalb die
Fahreignung. 
Am 25. Februar 2014 verfügte das Amt den Entzug des Führerausweises und ein
Fahrverbot für Fahrräder auf unbestimmte Zeit. 
 
B.  
Am 6. Juli 2015 erstattete das Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern,
Abteilung Verkehrsmedizin, -psychiatrie und -psychologie (im Folgenden: VMPP),
ein Gutachten über A.________. Das VMPP führte aus, in der Gesamtschau spreche
nichts dagegen, dass A.________ derzeit alkoholabstinent lebe. Es müsse jedoch
davon ausgegangen werden, dass zumindest bis August 2013 ein Alkoholüberkonsum
vorgelegen habe. Dessen Verkehrsrelevanz zeige die Trunkenheitsfahrt im August
2013. 
Mit Verfügung vom 21. Juli 2015 liess das Amt A.________ per sofort wieder zum
Strassenverkehr zu. Es verband dies mit folgenden Auflagen: Strikte
Alkoholabstinenz während 12 Monaten; Nachweis der Abstinenz mit Haaranalysen
alle sechs Monate, d.h. erstmals im Januar 2016, in Absprache mit dem VMPP;
Zustellung von Berichten der Untersuchungsstelle, welche über die Einhaltung
der Abstinenz Auskunft geben und sich ausführlich zur Fahreignung aus
medizinischer Sicht äussern (der erste Bericht sei dem Amt bis Ende Februar
2016 einzureichen). 
Gegen diese Auflagen erhob A.________ Einsprache. Mit Verfügung vom 10.
September 2015 wies das Amt die Einsprache ab. Es bestätigte die Auflagen unter
Anpassung an den inzwischen eingetreten Zeitablauf (Nachweis der
Alkoholabstinenz erstmals im März 2016; erster Bericht der Untersuchungsstelle
bis Ende April 2016). 
Mit Schreiben vom 15. März 2016 teilte das VMPP dem Amt mit, A.________ sei zum
vom VMPP angebotenen Termin am 14. März 2016 nicht erschienen. Auf telefonische
Nachfrage habe er angegeben, nicht gewillt zu sein, die Auflagen zu erfüllen. 
Am 21. März 2016 verfügte das Amt gegen A.________ den vorsorglichen Entzug des
Führerausweises für Motorfahrzeuge bis zur Abklärung der Fahreignung mit
sofortiger Wirkung. 
Mit Verfügung vom 5. Januar 2017 entzog das Amt A.________ den Führerausweis
auf unbestimmte Zeit. 
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies die Rekurskommission des
Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern
am 17. Mai 2017 ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, den Entscheid der Rekurskommission aufzuheben; der Führerausweis sei
ihm per sofort wieder zu erteilen. 
 
D.  
Das Amt und die Rekurskommission haben sich je vernehmen lassen mit dem Antrag,
die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragt unter
Hinweis auf den seines Erachtens zutreffenden Entscheid der Rekurskommission
ebenfalls die Abweisung der Beschwerde. A.________ hat auf eine Stellungnahme
hierzu verzichtet. 
 
E.  
Mit Verfügung vom 16. November 2017 hat der Präsident der I.
öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch von A.________ um aufschiebende
Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 82 lit. a BGG die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben. Ein Ausschlussgrund nach 
Art. 83 BGG besteht nicht. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur
Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG
zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde
befugt. Der angefochtene Entscheid stellt einen nach Art. 90 BGG anfechtbaren
Endentscheid dar (Urteil 1C_6/2015 vom 29. April 2015 E. 1.1). Die weiteren
Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Auf die Beschwerde ist -
unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer legt dar, die Vorinstanz sei auf verschiedene
Vorbringen nicht eingegangen. Dadurch habe sie seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.  
 
2.2. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches
Gehör. Wesentlicher Bestandteil dieses Anspruchs ist die Begründungspflicht.
Diese soll verhindern, dass sich die Behörde von unsachlichen Motiven leiten
lässt, und dem Betroffenen ermöglichen, ihren Entscheid gegebenenfalls
sachgerecht anzufechten. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die
Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheides ein Bild machen
können. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden,
von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf welche sich ihr Entscheid
stützt. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie sich ausdrücklich mit jeder
tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen
muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen
Gesichtspunkte beschränken (BGE 143 III 65 E. 5.2 S. 70 f.; 139 IV 179 E. 2.2
S. 183; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Vorinstanz begründet einlässlich, weshalb sie den neuerlichen
Sicherungsentzug als rechtmässig erachtet (angefochtener Entscheid insb. E. 5
S. 9 ff.). Gestützt darauf war der Beschwerdeführer ohne Weiteres in der Lage,
ihren Entscheid sachgerecht anzufechten. Wenn sich die Vorinstanz nicht mit
jedem tatbeständlichen oder rechtlichen Einwand auseinandergesetzt hat, sondern
sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränkt hat, ist
das nach der dargelegten Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Eine Verletzung
der Begründungspflicht und damit des Anspruchs des Beschwerdeführers auf
rechtliches Gehör ist zu verneinen. Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt
unbegründet.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die kantonalen Instanzen seien ihrer
Pflicht, klare Bedingungen zu formulieren, unter denen der Ausweis wieder
erteilt werden könne, nicht nachgekommen. Darin liege eine formelle
Rechtsverweigerung und somit ein Verstoss gegen Art. 29 BV.  
 
3.2. Das Amt legt im Dispositiv seiner Verfügung vom 5. Januar 2017 (Ziff. 2)
unter Hinweis auf Art. 17 Abs. 3 SVG dar, eine Wiederzulassung zum
motorisierten Strassenverkehr sei möglich, sobald der Beschwerdeführer mittels
eines Gutachtens einer anerkannten Fachstelle den Nachweis der
Wiederherstellung der Fahreignung erbringen könne. Diese Bedingung ist klar.
Mehr verlangt das Amt nicht. Im Anhang zur Verfügung vom 5. Januar 2017 gibt es
dem Beschwerdeführer Empfehlungen für die Wiederzulassung zum motorisierten
Strassenverkehr (strikte Alkoholabstinenz für die Mindestdauer von 12 Monaten;
Nachweis der Abstinenz durch zwei Kopfhaaranalysen in Abständen von sechs
Monaten). Zwar liegt es im Interesse des Beschwerdeführers, diesen Empfehlungen
nachzukommen. Zwingend einhalten muss er sie aber nicht. Wie die Vorinstanz
zutreffend erwägt (angefochtener Entscheid S. 12), kann der Beschwerdeführer
auch ohne Einhaltung der genannten Empfehlungen wieder zum motorisierten
Strassenverkehr zugelassen werden, sofern er mit einem Gutachten einer
anerkannten Fachstelle den Nachweis der Wiederherstellung der Fahreignung
erbringt. Die kantonalen Behörden haben demnach keine unklaren Verhältnisse
geschaffen. Der Beschwerdeführer weiss, unter welcher Voraussetzung er wieder
zum motorisierten Strassenverkehr zugelassen werden kann. Eine formelle
Rechtsverweigerung kann den kantonalen Behörden daher nicht vorgeworfen werden.
Die Rüge ist unbegründet.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Fahreignung sei uneingeschränkt
gegeben, weshalb ihm der Führerausweis mit sofortiger Wirkung wieder zu
erteilen sei.  
 
4.2. Mit Verfügung vom 21. Juli 2015 liess das Amt den Beschwerdeführer per
sofort wieder zum motorisierten Strassenverkehr zu. Damit verband es folgende
Auflagen: Strikte Alkoholabstinenz während 12 Monaten; Nachweis der Abstinenz
mit Haaranalysen in Abständen von sechs Monaten. Die vom Beschwerdeführer gegen
die Auflagen erhobene Einsprache wies das Amt mit Verfügung vom 10. September
2015 ab. Diese ist, was der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht mehr in
Frage stellt, in Rechtskraft erwachsen. Der Beschwerdeführer hielt die Auflagen
nicht ein.  
Missachtet die betroffene Person die Auflagen, so ist gemäss Art. 17 Abs. 5 SVG
der Ausweis wieder zu entziehen. Nach der Rechtsprechung ist der Führerausweis
ohne weitere verkehrsmedizinische Abklärungen über das Bestehen einer
Suchtkrankheit zu entziehen, wenn der Ausweisinhaber eine Auflage wie hier
nicht einhält. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass er die bereits früher
festgestellte Suchtkrankheit nicht erfolgreich überwunden hat und ihm die
Fahreignung weiterhin fehlt (BGE 140 II 334 E. 2 S. 336 f.). 
Die Fahreignung des Beschwerdeführers kann demnach nicht bejaht werden, weshalb
die sofortige Wiedererteilung des Führerausweises ausser Betracht fällt. 
 
4.3. Aus dem Urteil 1C_320/2017 vom 9. Januar 2018, auf das sich der
Beschwerdeführer in der Replik beruft, kann er nichts zu seinen Gunsten
herleiten. Die Fahrzeuglenkerin, um die es dort ging und deren Fahreignung das
Bundesgericht bejahte, hatte im Gegensatz zum Beschwerdeführer nie
(rechtskräftige) Auflagen missachtet. Die Fälle sind nicht vergleichbar.  
 
5.  
Der Beschwerdeführer bringt vor, die verlangte Totalabstinenz von 12 Monaten
sei jedenfalls unverhältnismässig. 
Wie dargelegt, muss der Beschwerdeführer keine Alkoholabstinenz von 12 Monaten
zwingend befolgen (oben E. 3). Die Rüge geht daher an der Sache vorbei. 
 
6.  
Aus dem gleichen Grund gilt dasselbe für den Einwand des Beschwerdeführers, das
Amt verhalte sich widersprüchlich und verletze damit den Grundsatz von Treu und
Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV), wenn es von ihm eine Alkoholabstinenz
von 12 Monaten verlange. 
 
7.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
(Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons Bern, der Rekurskommission des Kantons Bern für
Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern und dem Bundesamt
für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Juni 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri 

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