Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.408/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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1C_408/2017            

 
 
 
Urteil vom 21. September 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
I.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Diego Reto Gfeller, 
 
gegen  
 
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung. 
 
Gegenstand 
Auslieferung an Italien, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 21. Juli 2017 des Bundesstrafgerichts,
Beschwerdekammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 16. März 2015, ergänzt am 14. Mai 2015, ersuchte die italienische Botschaft
in Bern um die Auslieferung von I.________ wegen der ihm im Haftbefehl des
Gerichts von Reggio Calabria vom 12. November 2014 zur Last gelegten
Beteiligung an einer kriminellen Organisation ('Ndrangheta). 
Am 23. November 2016 bewilligte das Bundesamt für Justiz (BJ) die
Auslieferung. 
Die von I.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht
(Beschwerdekammer) am 21. Juli 2017 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
B.  
I.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, den Entscheid des Bundesstrafgerichts aufzuheben und die Auslieferung
zu verweigern, sowie weiteren Anträgen. 
 
C.  
Das Bundesstrafgericht verweist auf seinen Entscheid und hält an dessen
Begründung fest. Auf weitere Bemerkungen hat es verzichtet. 
Das BJ hat sich vernehmen lassen. Es hält dafür, es fehle an der
Eintretensvoraussetzung des besonders bedeutenden Falles. 
I.________ hat auf eine Replik verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Rechtsbegehren 2-4 (Beschwerde S. 2) begründet der Beschwerdeführer nicht,
wozu er gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG verpflichtet gewesen wäre. Schon deshalb kann
auf diese nicht eingetreten werden. 
Das Rechtsbegehren 5 (Beschwerde S. 2) stellt der Beschwerdeführer für den Fall
der Ablehnung der Auslieferung (Beschwerde S. 32 N. 117 ff.). Da es, wie die
folgenden Erwägungen zeigen, bei der Auslieferung bleibt, ist dieses
Rechtsbegehren hinfällig. 
Ein Meinungsaustauschverfahren mit der Strafrechtlichen Abteilung des
Bundesgerichts ist nicht erforderlich. Der Prozessantrag 2 (Beschwerde S. 3)
ist abzulehnen. 
Im vorliegenden Zusammenhang führen acht weitere Verfolgte gegen ihre
Auslieferung an den ersuchenden Staat Beschwerde beim Bundesgericht. Der
Beschwerdeführer beantragt die Vereinigung der Beschwerdeverfahren
(Prozessantrag 3). Dies ist abzulehnen. Da die neun Verfolgten teilweise
unterschiedliche Rügen erheben und voneinander abweichende Anträge stellen,
wäre die Behandlung aller Beschwerden in einem einzigen Urteil unzweckmässig. 
 
2.   
 
2.1. Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn er
unter anderem eine Auslieferung betrifft und es sich um einen besonders
bedeutenden Fall handelt (Abs. 1). Ein besonders bedeutender Fall liegt
insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare
Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere
Mängel aufweist (Abs. 2).  
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Ein besonders
bedeutender Fall ist mit Zurückhaltung anzunehmen (BGE 139 II 340 E. 4 S. 342;
136 IV 139 E. 2.4 S. 144; 134 IV 156 E. 1.3.1 S. 160). 
Ein besonders bedeutender Fall kann auch bei einer Auslieferung nur
ausnahmsweise angenommen werden. In der Regel stellen sich insoweit keine
Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht bedürfen, und kommt den
Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.4 S.
161). 
Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über
Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall
vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder
teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3). 
 
2.2. Zwar geht es um eine Auslieferung und damit ein Sachgebiet, bei dem die
Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 BGG insoweit möglich ist. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers handelt es sich jedoch um keinen besonders
bedeutenden Fall. Die Vorinstanz hat sich einlässlich mit den Einwänden des
Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Ihre Erwägungen stützen sich auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung, auf die zurückzukommen kein Anlass besteht,
und lassen keine Bundesrechtsverletzung erkennen.  
Das gilt insbesondere, soweit die Vorinstanz zum Schluss kommt, das
Auslieferungsersuchen genüge den Anforderungen von Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe
(angefochtener Entscheid E. 3 S. 5 ff.). Inwiefern es offensichtliche Fehler,
Lücken oder Widersprüche enthalten soll, die den darin dargelegten Sachverhalt
sofort entkräfteten, ist nicht erkennbar. 
Nicht zu beanstanden ist es auch, wenn die Vorinstanz die beidseitige
Strafbarkeit bejaht (angefochtener Entscheid E. 4 S. 9 ff.). Wie sie zutreffend
ausführt, beschränkt sich der Rechtshilferichter bei der Beurteilung der
Strafbarkeit nach schweizerischem Recht auf eine Prüfung "prima facie" (BGE 142
IV 250 E. 5.2 S. 256 mit Hinweisen). Bei der 'Ndrangheta handelt es sich um den
geradezu typischen Fall einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260 ^
ter StGB. Unter den Begriff der kriminellen Organisation fallen auch die
verschiedenen Zweige, aus denen sich die 'Ndrangheta zusammensetzt (Urteil
1C_129/2017 vom 20. März 2017 E. 1.2). Art. 260 ^ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB stellt
die Beteiligung an einer derartigen Organisation unter Strafe. Wie das
Bundesgericht dazu jüngst erwogen hat, ist der Begriff der Beteiligung weit zu
fassen. An einer kriminellen Organisation ist nicht nur beteiligt, wer ihrem
"harten Kern" angehört. Auch wer zu ihrem erweiterten Kreis gehört und
längerfristig bereit ist, die ihm erteilten Befehle zu befolgen, ist ungeachtet
seiner formellen Stellung in der Organisation an dieser im Sinne von Art. 260 ^
ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB beteiligt (Urteil 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E.
6.2.3, nicht publ. in BGE 143 IV 145). Der Nachweis der Mitwirkung an
Straftaten der kriminellen Organisation ist nicht erforderlich (BGE 142 IV 175
E. 5.4.1 S. 189). Die blosse Beteiligung an dieser genügt (Urteil 1C_129/2017
vom 20. März 2017 E. 1.2 mit Hinweisen). Im Lichte dieser Rechtsprechung fällt
das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten jedenfalls "prima facie" unter
den Tatbestand der kriminellen Organisation gemäss Art. 260 ^ter StGB.  
Nach der Rechtsprechung, die der Beschwerdeführer übergeht, ist die Auslegung
des Rechts des ersuchenden Staates in erster Linie Sache seiner Behörden. Die
Rechtshilfe darf nur verweigert werden, wenn der ersuchende Staat
offensichtlich unzuständig ist, d.h. dessen Justizbehörden ihre Zuständigkeit
in willkürlicher Weise bejaht haben (BGE 142 IV 250 E. 6.2). Da der
Beschwerdeführer italienischer Staatsangehöriger ist und ihm die Mitgliedschaft
in einer Zelle der 'Ndrangheta - einer italienischen Mafia, die vorwiegend in
Italien tätig ist - vorgeworfen wird, kann nicht gesagt werden, die
italienischen Strafbehörden bejahten ihre Zuständigkeit in offensichtlich
unhaltbarer und damit willkürlicher Weise. 
Kein Bundesrecht verletzt es, wenn die Vorinstanz zum Schluss kommt, das BJ
habe das ihm insoweit zustehende weite Ermessen nicht überschritten, wenn es
die Auslieferung trotz gegebener schweizerischer Gerichtsbarkeit bewilligte
(angefochtener Entscheid E. 5 S. 17 ff. mit Hinweisen insb. auf BGE 117 Ib 210
E. 3b S. 213 f. und das Urteil 1C_515/2013 vom 19. Juni 2013 E. 1.2). 
Selbst wenn der Beschwerdeführer in Italien unter dem Regime des sog. "carcere
duro" inhaftiert werden sollte, läge darin im Lichte der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte keine gegen Art. 3 EMRK
verstossende erniedrigende oder unmenschliche Behandlung (vgl. Urteil des EGMR 
Riina gegen Italien vom 19. März 2013 Ziff. 22 ff.).  
Auf die Erwägungen der Vorinstanz kann, was die Einzelheiten betrifft, gemäss 
Art. 109 Abs. 3 BGG vollumfänglich verwiesen werden. Rechtsfragen von
grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht. Ernsthafte Anhaltspunkte dafür,
dass das italienische Strafverfahren schwere Mängel aufweist, bestehen nicht.
Dass dem Beschwerdeführer die Mitgliedschaft in der 'Ndrangheta vorgeworfen
wird, genügt für die Annahme eines besonders bedeutenden Falles nicht (vgl.
Urteil 1C_1/2011 vom 7. Januar 2011 E. 2.5), zumal nichts darauf hindeutet,
dass der Beschwerdeführer in dieser kriminellen Organisation, die nach den
Feststellungen der Vorinstanz eine pyramidale Struktur aufweist, der höchsten
Führungsebene zuzurechnen wäre. 
Liegt demnach kein besonders bedeutender Fall vor, ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig. 
 
2.3. Auf die vom Beschwerdeführer für diesen Fall erhobene subsidiäre
Verfassungsbeschwerde kann ebenso wenig eingetreten werden. Diese kann gemäss 
Art. 113 BGG nur gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen erhoben werden.
Beim Bundesstrafgericht handelt es sich um keine kantonale Instanz.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer ersucht um Erlass des Kostenvorschusses. Dies kann als
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 64 BGG ausgelegt werden. Im
Lichte der dargelegten restriktiven Rechtsprechung zur Annahme eines besonders
bedeutenden Falles (oben E. 2.1) war die Beschwerde aussichtslos. Der
Beschwerdeführer belegt seine Bedürftigkeit zudem nicht. Im Gegenteil führt er
aus, er lebe in geordneten finanziellen Verhältnissen (Beschwerde S. 23 Ziff.
77). Die unentgeltliche Rechtspflege kann deshalb nicht bewilligt werden. Der
Beschwerdeführer trägt damit die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich
Auslieferung, und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. September 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri 

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