Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.406/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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1C_406/2017            

 
 
 
Urteil vom 21. September 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
G.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Stössel, 
 
gegen  
 
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, 
Bundesrain 20, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Auslieferung an Italien, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 21. Juli 2017 
des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 16. Februar 2015, ergänzt am 15. April 2015, ersuchte die italienische
Botschaft in Bern um die Auslieferung von G.________ wegen der ihm im
Haftbefehl des Gerichts von Reggio Calabria vom 12. November 2014 zur Last
gelegten Beteiligung an einer kriminellen Organisation ('Ndrangheta). 
Am 19. Dezember 2016 bewilligte das Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung
unter Vorbehalt des Entscheids des Bundesstrafgerichts über die Einrede des
politischen Delikts. 
Die von G.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht
(Beschwerdekammer) am 21. Juli 2017 ab, soweit es darauf eintrat
(Dispositiv-Ziffer 4). Die Einrede des politischen Delikts wies es ab. Es
auferlegte G.________ die Gerichtsgebühr (Dispositiv-Ziffer 6). 
 
B.  
G.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, die Dispositiv-Ziffern 4 und 6 des Entscheids des Bundesstrafgerichts
aufzuheben, sowie weiteren Anträgen. 
 
C.  
Das Bundesstrafgericht verweist auf seinen Entscheid und hält an dessen
Begründung fest. Auf weitere Bemerkungen hat es verzichtet. 
Das BJ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Es hält dafür, es fehle an der
Eintretensvoraussetzung des besonders bedeutenden Falles. 
G.________ hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen. Dem entsprechenden
prozessualen Antrag (2) ist damit Genüge getan. Der Beizug der Akten der
Bundesanwaltschaft ist nicht erforderlich. Die Sache ist spruchreif. 
Das Bundesgericht hat dem Beschwerdeführer die Vernehmlassungen zugestellt.
Auch diesem prozessualen Antrag (3) wurde damit entsprochen. Die Verfügungen,
mit denen die Bundesgerichtskanzlei im Auftrag des Abteilungspräsidenten der
Vorinstanz und dem BJ Frist zur Einreichung einer Vernehmlassung ansetzte bzw.
dem BJ auf dessen Gesuch hin die Frist zur Einreichung der Vernehmlassung
erstreckte, wurden dem Beschwerdeführer praxisgemäss nicht in Kopie zugestellt.
Dies war zur Wahrung seiner Rechte nicht erforderlich. 
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn er
unter anderem eine Auslieferung betrifft und es sich um einen besonders
bedeutenden Fall handelt (Abs. 1). Ein besonders bedeutender Fall liegt
insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare
Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere
Mängel aufweist (Abs. 2).  
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Ein besonders
bedeutender Fall ist mit Zurückhaltung anzunehmen (BGE 139 II 340 E. 4 S. 342;
136 IV 139 E. 2.4 S. 144; 134 IV 156 E. 1.3.1 S. 160). 
Ein besonders bedeutender Fall kann auch bei einer Auslieferung nur
ausnahmsweise angenommen werden. In der Regel stellen sich insoweit keine
Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht bedürfen, und kommt den
Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.4 S.
161). 
Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über
Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall
vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder
teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3). 
 
2.2. Zwar geht es um eine Auslieferung und damit ein Sachgebiet, bei dem die
Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 BGG insoweit möglich ist. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers handelt es sich jedoch um keinen besonders
bedeutenden Fall.  
Offensichtlich unbegründet ist das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe sich
bisher nicht zum Auslieferungsersuchen äussern können, womit sein Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt worden sei. Am 8. März 2016 wurde der
Beschwerdeführer zum Auslieferungsersuchen befragt. Am 10. Mai 2016 nahm der
Rechtsanwalt des Beschwerdeführers - nachdem ihm die Frist dafür zweimal
erstreckt worden war - zum Auslieferungsersuchen schriftlich Stellung. Mit
Beschwerde und Replik an die Vorinstanz äusserte sich der Beschwerdeführer
erneut zum Auslieferungsersuchen. Die Rüge entbehrt somit der Grundlage. 
Die Vorinstanz hat ihren Entscheid einlässlich und hinreichend begründet. Ihre
Erwägungen stützen sich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, auf die
zurückzukommen kein Anlass besteht, und lassen keine Bundesrechtsverletzung
erkennen. 
Das gilt insbesondere, soweit die Vorinstanz zum Schluss kommt, das
Auslieferungsersuchen genüge den Anforderungen von Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe
(angefochtener Entscheid E. 4 S. 6 ff.). Inwiefern es offensichtliche Fehler,
Lücken oder Widersprüche enthalten soll, die den darin dargelegten Sachverhalt
sofort entkräfteten, ist nicht erkennbar. 
Nicht zu beanstanden ist es auch, wenn die Vorinstanz die doppelte Strafbarkeit
bejaht (angefochtener Entscheid E. 5 S. 10 ff.). Wie sie zutreffend ausführt,
beschränkt sich der Rechtshilferichter bei der Beurteilung der Strafbarkeit
nach schweizerischem Recht auf eine Prüfung "prima facie" (BGE 142 IV 250 E.
5.2 S. 256 mit Hinweisen). Bei der 'Ndrangheta handelt es sich um den geradezu
typischen Fall einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260 ^ter StGB. Unter
den Begriff der kriminellen Organisation fallen auch die verschiedenen Zweige,
aus denen sich die 'Ndrangheta zusammensetzt (Urteil 1C_129/2017 vom 20. März
2017 E. 1.2). Art. 260 ^ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB stellt die Beteiligung an einer
derartigen Organisation unter Strafe. Wie das Bundesgericht dazu jüngst erwogen
hat, ist der Begriff der Beteiligung weit zu fassen. An einer kriminellen
Organisation ist nicht nur beteiligt, wer ihrem "harten Kern" angehört. Auch
wer zu ihrem erweiterten Kreis gehört und längerfristig bereit ist, die ihm
erteilten Befehle zu befolgen, ist ungeachtet seiner formellen Stellung in der
Organisation an dieser im Sinne von Art. 260 ^ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB beteiligt
(Urteil 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 6.2.3, nicht publ. in BGE 143 IV 145).
Der Nachweis der Mitwirkung an Straftaten der kriminellen Organisation ist
nicht erforderlich (BGE 142 IV 175 E. 5.4.1 S. 189). Die blosse Beteiligung an
dieser genügt (Urteil 1C_129/2017 vom 20. März 2017 E. 1.2 mit Hinweisen). Im
Lichte dieser Rechtsprechung fällt das dem Beschwerdeführer vorgeworfene
Verhalten jedenfalls "prima facie" unter den Tatbestand der kriminellen
Organisation gemäss Art. 260 ^ter StGB.  
Kein Bundesrecht verletzt es auch, wenn die Vorinstanz zum Schluss kommt, das
BJ habe das ihm insoweit zustehende weite Ermessen nicht überschritten, wenn es
die Auslieferung trotz gegebener schweizerischer Gerichtsbarkeit bewilligte
(angefochtener Entscheid E. 6.3 S. 19 ff. mit Hinweisen insb. auf BGE 117 Ib
210 E. 3b S. 213 f. und das Urteil 1C_515/2013 vom 19. Juni 2013 E. 1.2). 
Auf die Erwägungen der Vorinstanz kann, was die Einzelheiten betrifft, gemäss 
Art. 109 Abs. 3 BGG vollumfänglich verwiesen werden. Rechtsfragen von
grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht. Dass dem Beschwerdeführer die
Mitgliedschaft in der 'Ndrangheta vorgeworfen wird, genügt für die Annahme
eines besonders bedeutenden Falles nicht (vgl. Urteil 1C_1/2011 vom 7. Januar
2011 E. 2.5), zumal nichts darauf hindeutet, dass der Beschwerdeführer in
dieser kriminellen Organisation, die nach den Feststellungen der Vorinstanz
eine pyramidale Struktur aufweist, der höchsten Führungsebene zuzurechnen
wäre. 
Liegt demnach kein besonders bedeutender Fall vor, ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig. 
 
2.3. Auf die vom Beschwerdeführer für diesen Fall erhobene subsidiäre
Verfassungsbeschwerde kann ebenso wenig eingetreten werden. Diese kann gemäss 
Art. 113 BGG nur gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen erhoben werden.
Beim Bundesstrafgericht handelt es sich um keine kantonale Instanz.  
 
3.  
Der Antrag, es sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten, kann
als Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 64 BGG ausgelegt werden. Im
Lichte der dargelegten restriktiven Rechtsprechung zur Annahme eines besonders
bedeutenden Falles (oben E. 2.1) war die Beschwerde aussichtslos. Der
Beschwerdeführer hat zudem seine Bedürftigkeit nicht dargetan. Die
unentgeltliche Rechtspflege kann deshalb nicht bewilligt werden. Der
Beschwerdeführer trägt damit die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich
Auslieferung, und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. September 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri 

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