Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.403/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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1C_403/2017            

 
 
 
Urteil vom 21. September 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
D.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Jennifer Rickenbach, 
 
gegen  
 
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Auslieferung an Italien, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 21. Juli 2017 
des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 16. Dezember 2015, ergänzt am 19. Januar 2016, ersuchte die italienische
Botschaft in Bern um die Auslieferung von D.________ wegen der ihm im
Haftbefehl des Gerichts von Reggio Calabria vom 12. November 2014 zur Last
gelegten Beteiligung an einer kriminellen Organisation ('Ndrangheta). 
Am 6. September 2016 bewilligte das Bundesamt für Justiz (BJ) die
Auslieferung. 
Die von D.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht
(Beschwerdekammer) am 21. Juli 2017 ab. 
 
B.  
D.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, die Entscheide des Bundesstrafgerichts und des BJ aufzuheben. Die
Auslieferung sei zu verweigern und er sei umgehend aus der Haft zu entlassen. 
 
C.  
Das Bundesstrafgericht verweist auf seinen Entscheid und hält an dessen
Begründung fest. Auf weitere Bemerkungen hat es verzichtet. 
Das BJ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Es hält dafür, es fehle an der
Eintretensvoraussetzung des besonders bedeutenden Falles. 
D.________ hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn er
unter anderem eine Auslieferung betrifft und es sich um einen besonders
bedeutenden Fall handelt (Abs. 1). Ein besonders bedeutender Fall liegt
insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare
Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere
Mängel aufweist (Abs. 2).  
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Ein besonders
bedeutender Fall ist mit Zurückhaltung anzunehmen (BGE 139 II 340 E. 4 S. 342;
136 IV 139 E. 2.4 S. 144; 134 IV 156 E. 1.3.1 S. 160). 
Ein besonders bedeutender Fall kann auch bei einer Auslieferung nur
ausnahmsweise angenommen werden. In der Regel stellen sich insoweit keine
Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht bedürfen, und kommt den
Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.4 S.
161). 
Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über
Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall
vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet. Es kann ganz oder
teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3). 
 
1.2. Zwar geht es um eine Auslieferung und damit ein Sachgebiet, bei dem die
Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 BGG insoweit möglich ist. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers handelt es sich jedoch um keinen besonders
bedeutenden Fall. Die Vorinstanz hat sich mit den Einwänden des
Beschwerdeführers eingehend auseinandergesetzt. Ihre Erwägungen stützen sich
auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, auf die zurückzukommen kein Anlass
besteht, und lassen keine Bundesrechtsverletzung erkennen.  
Das gilt insbesondere, soweit die Vorinstanz zum Schluss kommt, das
Auslieferungsersuchen genüge den Anforderungen von Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe
(angefochtener Entscheid E. 3 S. 5 ff.). Inwiefern es offensichtliche Fehler,
Lücken oder Widersprüche enthalten soll, die den darin dargelegten Sachverhalt
sofort entkräfteten, ist nicht erkennbar. 
Nicht zu beanstanden ist es auch, wenn die Vorinstanz die beidseitige
Strafbarkeit bejaht (angefochtener Entscheid E. 4 S. 9 ff.). Wie sie zutreffend
ausführt, beschränkt sich der Rechtshilferichter bei der Beurteilung der
Strafbarkeit nach schweizerischem Recht auf eine Prüfung "prima facie" (BGE 142
IV 250 E. 5.2 S. 256 mit Hinweisen). Bei der 'Ndrangheta handelt es sich um den
geradezu typischen Fall einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260ter StGB.
Unter den Begriff der kriminellen Organisation fallen auch die verschiedenen
Zweige, aus denen sich die 'Ndrangheta zusammensetzt (Urteil 1C_129/2017 vom
20. März 2017 E. 1.2). Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB stellt die Beteiligung
an einer derartigen Organisation unter Strafe. Wie das Bundesgericht dazu
jüngst erwogen hat, ist der Begriff der Beteiligung weit zu fassen. An einer
kriminellen Organisation ist nicht nur beteiligt, wer ihrem "harten Kern"
angehört. Auch wer zu ihrem erweiterten Kreis gehört und längerfristig bereit
ist, die ihm erteilten Befehle zu befolgen, ist ungeachtet seiner formellen
Stellung in der Organisation an dieser im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1
StGB beteiligt (Urteil 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 6.2.3, nicht publ. in
BGE 143 IV 145). Der Nachweis der Mitwirkung an Straftaten der kriminellen
Organisation ist nicht erforderlich (BGE 142 IV 175 E. 5.4.1 S. 189). Die
blosse Beteiligung an dieser genügt (Urteil 1C_129/2017 vom 20. März 2017 E.
1.2 mit Hinweisen). Im Lichte dieser Rechtsprechung fällt das dem
Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten jedenfalls "prima facie" unter den
Tatbestand der kriminellen Organisation gemäss Art. 260ter StGB. 
Kein Bundesrecht verletzt es auch, wenn die Vorinstanz zum Schluss kommt, das
BJ habe das ihm insoweit zustehende weite Ermessen nicht überschritten, wenn es
die Auslieferung trotz gegebener schweizerischer Gerichtsbarkeit bewilligte
(angefochtener Entscheid E. 5 S. 17 ff. mit Hinweisen insb. auf BGE 117 Ib 210
E. 3b S. 213 f. und das Urteil 1C_515/2013 vom 19. Juni 2013 E. 1.2). 
Zutreffend erwägt die Vorinstanz sodann, dass selbst dann, wenn der
Beschwerdeführer in Italien unter dem Regime des sog. "carcere duro" inhaftiert
werden sollte, darin im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte keine gegen Art. 3 EMRK verstossende
erniedrigende oder unmenschliche Behandlung läge (angefochtener Entscheid E.
6.3.2 f. S. 22 f. mit Hinweis insb. auf das Urteil des EGMR  Riina gegen
Italien vom 19. März 2013 Ziff. 22 ff.).  
Auf die Erwägungen der Vorinstanz kann, was die Einzelheiten betrifft, gemäss 
Art. 109 Abs. 3 BGG vollumfänglich verwiesen werden. Rechtsfragen von
grundsätzlicher Bedeutung stellen sich nicht. Ernsthafte Anhaltspunkte dafür,
dass das in Italien geführte Strafverfahren schwere Mängel aufweist, bestehen
nicht. Dass dem Beschwerdeführer die Mitgliedschaft in der 'Ndrangheta
vorgeworfen wird, genügt für die Annahme eines besonders bedeutenden Falles
nicht (vgl. Urteil 1C_1/2011 vom 7. Januar 2011 E. 2.5), zumal nichts darauf
hindeutet, dass der Beschwerdeführer in dieser kriminellen Organisation, die
nach den Feststellungen der Vorinstanz eine pyramidale Struktur aufweist, der
höchsten Führungsebene zuzurechnen wäre. 
Liegt demnach kein besonders bedeutender Fall vor, ist die Beschwerde
unzulässig. 
 
1.3. Bleibt es damit bei der Auslieferung, besteht für die beantragte umgehende
Haftentlassung durch das Bundesgericht kein Grund.  
 
2.  
Im Lichte der dargelegten restriktiven Rechtsprechung zur Annahme eines
besonders bedeutenden Falles (oben E. 1.1) war die Beschwerde aussichtslos. Die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gemäss Art. 64 BGG kann daher
nicht bewilligt werden. Der Beschwerdeführer trägt damit die Gerichtskosten (
Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr wird seinen
knappen finanziellen Verhältnissen Rechnung getragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Es
wird deshalb eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- erhoben. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich
Auslieferung, und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. September 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri 

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