Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.353/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1C_353/2017  
 
 
Urteil vom 10. Januar 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Schoch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Würsch, 
 
gegen  
 
Erbengemeinschaft 
B. und C. D.-E.________, 
bestehend aus: 
 
1. F D.________, 
2. G.D.________, 
3. H. I.-D.________, 
4. J.D.________, 
Beschwerdegegner, 
 
Gemeinderat Ruswil, 
Schwerzistrasse 7, 6017 Ruswil, 
Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement des Kantons Luzern, Dienststelle Raum
und Wirtschaft, 
Murbacherstrasse 21, Postfach, 6002 Luzern. 
 
Gegenstand 
Bau- und Planungsrecht (Gestaltungsplan), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 23.
Mai 2017 (7H 17 38). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Erben der Eheleute B. und C. D.-E.________, namentlich G. D.________, F.
D.________, H. I.-D.________ und J. D.________, sind Eigentümer des Grundstücks
Nr. 488 in Ruswil. Am 22. März 2016 unterbreiteten sie dem Gemeinderat Ruswil
die Unterlagen des Gestaltungsplans "Heimat 2" und beantragten dessen
Genehmigung. Die A.________ AG ist Eigentümerin der angrenzenden Grundstücke
Nr. 726, 489 und 2287. Am 9. Mai 2016 erhob die A.________ AG Einsprache gegen
den Gestaltungsplan. Am 23. Juli 2016 zogen K.________ und L.________,
Verwaltungsräte der A.________ AG, die Einsprache gegen den Gestaltungsplan
gestützt auf einen Verwaltungsratsbeschluss vom 22. Juli 2016 zurück. An der
ausserordentlichen Generalversammlung vom 25. Juli 2016 wurden die beiden als
Verwaltungsräte abberufen. Mit Eingabe vom 13. August 2016 machte die
A.________ AG geltend, sie halte an ihrer Eingabe fest. Der Gemeinderat Ruswil
erklärte die Einsprache mit Entscheid vom 30. Januar 2017 als erledigt. 
 
B.   
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 21. Februar 2017 gelangte die A.________
AG ans Kantonsgericht Luzern und beantragte, der Entscheid des Gemeinderats
Ruswil sei aufzuheben. Die Sache sei zur materiellen Neubeurteilung an den
Gemeinderat zurückzuweisen. Dabei sei dieser anzuweisen, sich mit den
einspracheweise vorgebrachten Rügen auseinanderzusetzen. Die A.________ AG
stellte zudem den Eventualantrag, den Entscheid des Gemeinderates aufzuheben
und den Gestaltungsplan "Heimat 2" nicht zu genehmigen. Mit Urteil vom 23. Mai
2017 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab. 
 
C.   
Am 29. Juni 2017 erhob die A.________ AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ans Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des
Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz,
eventuell an die erste Instanz zurückzuweisen. Die Dienststelle Raum und
Wirtschaft (rawi) des Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartements des Kantons
Luzern hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Kantonsgericht Luzern
beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils die
Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegner haben sich vernehmen lassen und
beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Die Gemeinde Ruswil hat eine
Stellungnahme eingerereicht und beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2017 hat der Instruktionsrichter der I.
öffentlich-rechtlichen Abteilung ein Sistierungsgesuch der A.________ AG
abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Gemäss Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden in
Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Dieses Rechtsmittel steht auch auf dem
Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts zur Verfügung. Das Bundesgerichtsgesetz
enthält dazu keinen Ausschlussgrund. Nach Art. 34 Abs. 1 RPG gelten für die
Rechtsmittel an die Bundesbehörden die allgemeinen Bestimmungen über die
Bundesrechtspflege (BGE 133 II 249 E. 1.2 S. 251). Beim angefochtenen Entscheid
handelt es sich um einen anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Endentscheid
(vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). 
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin von drei unmittelbar an das vom
Gestaltungsplan "Heimat 2" erfasste Gebiet angrenzenden Grundstücken und
direkte Adressatin des angefochtenen Entscheids. Daher ist sie gemäss Art. 89
Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. 
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten sind erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist somit einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Mit dem Rückzug eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs entfällt das
Rechtsschutzinteresse, weshalb das Verfahren gegenstandslos wird und das
Gericht einen Abschreibungsbeschluss zu fällen hat. Abschreibungsbeschlüsse
können mit den ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden (Urteil 2C_110/
2017 vom 15. Februar 2017 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Bei der behördlichen Pflicht, das Verfahren bei entfallenem
Rechtsschutzinteresse abzuschreiben, handelt es sich um ein allgemeines
verfahrensrechtliches Prinzip. Im hier massgebenden Verwaltungsrecht des
Kantons Luzern findet dieses seine Grundlage in § 109 des Gesetzes vom 3. Juli
1972 über die Verwaltungsrechtspflege (VRG/LU; SRL 40). Danach erklärt die
Behörde das Verfahren als erledigt, wenn in dessen Verlauf das rechtserhebliche
Interesse an einem Sachentscheid wegfällt, namentlich infolge Rückzuges der
Parteibegehren.  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Rückzug der Einsprache durch
ihre beiden ehemaligen Verwaltungsräte sei nicht zu schützen, da er
offensichtlich rechtsmissbräuchlich erfolgt und mit einem Willensmangel
behaftet sei. Die Vorinstanz habe sich nicht mit diesen Vorbringen
auseinandergesetzt und damit ihren verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches
Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV sowie die mit diesem einhergehende
Begründungspflicht verletzt.  
 
3.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt von der Behörde, dass sie die
Vorbringen der Betroffenen tatsächlich hört, ernsthaft prüft und in ihrer
Entscheidfindung angemessen berücksichtigt. Nicht erforderlich ist, dass sich
die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und
jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Im angefochtenen Entscheid
werden die entscheidwesentlichen Faktoren ausreichend festgestellt und
gewürdigt, so dass die Beschwerdeführerin sich über dessen Tragweite ein Bild
machen und diesen sachgerecht anfechten konnte. Insbesondere hat die Vorinstanz
sich darin hinreichend mit dem Verhalten der beiden Verwaltungsräte
auseinandergesetzt und hat geschlossen, der Verwaltungsratsbeschluss, die
Einsprache zurückzuziehen, sei in Übereinstimmung mit Gesetz und Statuten und
somit rechtsgültig zustande gekommen. Der Umstand, dass sie sich dabei nicht
ausdrücklich zu den Vorwürfen des Rechtsmissbrauchs und des Willensmangels
äusserte, begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (zum Ganzen: BGE
142 II 49 E. 9.2 S. 65; 137 II 266 E. 3.2 S. 270; 134 I 83 E. 4.1 S. 88).  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, der Gemeinderat Ruswil habe ihre
Einsprache in rechtsmissbräuchlicher Weise als erledigt erklärt. Er habe sie
nach dem Rückzug der Einsprache weiterhin als Partei behandelt und damit klar
zum Ausdruck gebracht, dass dieser unbeachtlich sei. Darauf habe sie vertrauen
dürfen. Es sei widersprüchlich und treuwidrig, dass er die Einsprache in
Anwendung von § 109 VRG/LU nachträglich abgeschrieben habe.  
 
4.2. Nach Art. 5 Abs. 3 BV haben staatliche Organe und Private nach Treu und
Glauben zu handeln. Diesem allgemeinen Gebot handelt zuwider, wer sich
missbräuchlich verhält (Urteil 1C_128/2013 vom 17. Juni 2014 E. 9 mit Hinweis
auf GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
2007, N. 23 zu Art. 5 BV; vgl. auch BGE 110 Ib 332 E. 3a S. 336). Soweit sich
das Gebot von Treu und Glauben an die Behörden richtet und namentlich den
Schutz des Vertrauens in staatliches Handeln schützt, ist es in Art. 9 BV als
eigenständiges Grundrecht verankert (BGE 138 I 49 E. 8.3.1 S. 53 mit Hinweisen;
Urteil 1C_440/2015 vom 21. Januar 2016 E. 5.1).  
Vorliegend ist zu beurteilen, ob die Luzerner Behörden § 109 VRG/LU
rechtsmissbräuchlich angewendet haben. Das Bundesgericht prüft kantonales
Prozessrecht grundsätzlich nur unter dem Blickwinkel des Willkürverbots. Soweit
die Beschwerdeführerin sich in diesem Zusammenhang auf das
Rechtsmissbrauchsverbot und den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und
Glauben beruft, fällt diese Rüge mit der Willkürrüge zusammen (vgl. Urteil
1C_440/2015 vom 21. Januar 2016 E. 5.1; 1C_302/2008 vom 18. März 2009 E.
2.3.1). Streitig und zu prüfen ist daher zunächst, ob die Vorinstanz haltbar
angenommen hat, die Beschwerdeführerin habe die am 9. Mai 2016 gegen den
Gestaltungsplan erhobene Einsprache rechtsgültig zurückgezogen. 
 
4.3. Das Bundesgericht entschied in einem anderen, die Beschwerdeführerin
betreffenden Verfahren, dass die beiden Verwaltungsräte bis zu ihrer Abwahl
befugt waren, die Geschäfte der Beschwerdeführerin zu führen, und die
Entscheidung über die Erhebung oder den Rückzug eines Rechtsmittels oder
Rechtsbehelfs in die Zuständigkeit des Verwaltungsrats fällt (Urteil 2C_110/
2017 vom 15. Februar 2017 E. 3). Die Vorinstanz hat mit Hinweis auf diesen
Entscheid erwogen, der dreiköpfige Verwaltungsrat habe mit den Stimmen der
beiden später abgewählten Mitglieder gültig den Mehrheitsbeschluss gefasst, die
Einsprache zurückzuziehen und diesen Beschluss noch vor ihrer Abwahl und somit
wirksam vollzogen. Es besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, von dieser
Rechtsprechung abzuweichen; statt weiterer Ausführungen kann auf das genannte
bundesgerichtliche Urteil verwiesen werden. Unter diesen Umständen erscheint
der Rückzug der Einsprache nicht rechtsmissbräuchlich, weshalb die Vorinstanz
diese in Anwendung von § 109 VGR/LU willkürfrei als erledigt erklären durfte.  
 
4.4. Zu prüfen ist noch, ob die Beschwerdeführerin darauf vertrauen durfte,
dass der Rückzug der Einsprache unbeachtlich sei.  
Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben verleiht einer
Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in das Verhalten einer
staatlichen Behörde. Vorausgesetzt ist indes, dass die Behörde eine Grundlage
schafft, auf welche die Person, die sich auf den Vertrauensschutz beruft,
berechtigterweise vertrauen durfte und gestützt darauf nachteilige
Dispositionen getroffen hat, die sie nicht mehr rückgängig machen kann (BGE 137
I 69 E. 2.5.1 S. 72 f.; 131 II 627 E. 6.1 S. 636 f.; 129 I 161 E. 4.1 S. 170;
je mit Hinweisen). 
Wie die Vorinstanz und der Gemeinderat Ruswil treffend darlegen, ist vorliegend
keine Grundlage gegeben, gestützt auf welche die Beschwerdeführerin auf eine
Heilung des Rückzugs der Einsprache vertrauen durfte. Daraus, dass die
Beschwerdeführerin nach dem Rückzug zunächst weiterhin als Partei behandelt
wurde, kann sie nichts zu ihren Gunsten ableiten, da die Parteistellung ohnehin
fortbesteht, bis das Verfahren als erledigt erklärt wird. Mit Schreiben vom 9.
August 2016 hat das Bauamt Ruswil die Beschwerdeführerin zudem darauf
hingewiesen, die Rechtslage betreffend den Rückzug der Einsprache sei für das
Amt im Moment noch unklar. Schon aufgrund dieses Vorbehalts begründet es keine
Vertrauensbasis, wenn der Gemeinderat das Verfahren nach dem Rückzug nicht
sogleich abgeschrieben hat. Weder aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin
in der Folge erklärte, an der Einsprache festzuhalten, noch aus demjenigen,
dass der Gemeinderat nicht darauf reagierte, kann ein berechtigtes Vertrauen in
den Fortbestand der Einsprache abgeleitet werden. Schliesslich sind auch die
von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Kosten wie die Einreichung
weiterer Stellungnahmen und die Teilnahme des Rechtsvertreters an der
Einspracheverhandlung keine Dispositionen, welche den oben erwähnten
Anforderungen an eine Vertrauensbetätigung genügen. 
Zusammenfassend kann die Beschwerdeführerin sich mangels Vertrauensgrundlage
und Vertrauensbetätigung nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes
berufen. 
 
5.   
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem
Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Den nicht anwaltlich vertretenen
Beschwerdegegnern steht keine Entschädigung zu, da ihnen durch den Rechtsstreit
keine im Sinne von Art. 68 Abs. 2 BGG notwendigen Kosten verursacht wurden. Dem
Gemeinderat Ruswil, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, ist keine
Entschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 3'000.-- werden der
Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gemeinderat Ruswil, dem Bau-, Umwelt- und
Wirtschaftsdepartement, Dienststelle Raum und Wirtschaft, und dem
Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. Januar 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Schoch 

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