Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.282/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1C_282/2017  
 
 
Urteil vom 2. März 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, 
Bundesrichter Eusebio, 
Gerichtsschreiber Gelzer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Fritz Frey, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Fritzsche, 
 
Baukommission Russikon, 8332 Russikon. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1.
Abteilung, 1. Kammer, 
vom 23. März 2017 (VB.2016.00510). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Beschluss vom 11. November 2015 erteilte die Baukommission der Gemeinde
Russikon (nachstehend: Baukommission) B.________ (nachstehend: Bauherrin) unter
Auflagen und Bedingungen die Bewilligung für den Bau von zwei
Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 17 Wohnungen auf dem Grundstück Kat.-Nr. 1564
in Russikon. Die beiden Mehrfamilienhäuser werden gemäss den Bauplänen über
zwei Tiefgaragen mit 27 Parkplätzen und einer Zufahrtsrampe zur Zelglistrasse
erschlossen. Die Bauparzelle liegt in der Kernzone K2. Südöstlich daran grenzt
das Grundstück Kat.-Nr. 1559, das im Miteigentum von A.________ (nachstehend:
Nachbar) steht. 
 
B.  
Den vom Nachbar gegen die Baubewilligung erhobenen Rekurs hiess das
Baurekursgericht des Kantons Zürich insoweit gut, als es die Baubewilligung mit
der Nebenbestimmung ergänzte, dass die Zelglistrasse im Bereich des
Baugrundstücks auf 4,6 m zu verbreitern sei. Im Übrigen wies es den Rekurs ab.
Der Nachbar focht diesen Entscheid mit Beschwerde an, die das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 23. März 2017 abwies. 
 
C.  
Der Nachbar (Beschwerdeführer) erhob mit Eingabe vom 23. Mai 2017 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 23. März 2017 aufzuheben und die Baubewilligung zu
verweigern. Eventuell sei die Sache zur Ergänzung der Sachverhaltsermittlung
und zum Neuentscheid an die Baukommission zurückzuweisen. 
Sein Gesuch, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen, wurde mit
Präsidialverfügung vom 4. Juli 2017 abgewiesen. 
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Die Bauherrin (Beschwerdegegnerin) stellt die Anträge, auf die
Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. 
Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik zu den Beschwerdeantworten an seinen
Anträgen fest. Die Beschwerdegegnerin reichte dazu eine Duplik ein. 
Das BAFU kommt in seiner Stellungnahme zum Ergebnis, es könne die Frage, ob
vorsorgliche Lärmschutzmassnahmen angezeigt sind, mangels der nötigen
Kostenschätzungen nicht abschliessend beurteilen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid im
Bereich des Baurechts steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten grundsätzlich offen (Art. 82 ff. BGG; BGE 133 II 353 E. 2 S.
356). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde
legitimiert, da er am vorinstanzlichen Verfahren teilnahm, er als Miteigentümer
einer Nachbarparzelle zum Bauprojekt eine spezifische Beziehungsnähe und er an
der Abänderung des angefochtenen Entscheids ein schützenswertes Interesse hat.
Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.  
 
1.2. Der Beschwerdeführer kann als Nachbar die Überprüfung des Bauvorhabens im
Lichte all jener Rechtssätze verlangen, die sich rechtlich oder tatsächlich in
dem Sinne auf seine Stellung auswirken, dass ihm im Falle des Obsiegens ein
praktischer Nutzen entsteht (BGE 141 II 50 E. 2.1 S. 5.2 mit Hinweisen). Ein
solcher Nutzen ist zu bejahen, wenn das Durchdringen von Rügen dazu führen
würde, dass das Bauvorhaben im den Beschwerdeführer belastenden Bereich nicht
oder anders realisiert würde als geplant (BGE 139 II 499 E. 2.2 S. 504 mit
Hinweisen).  
 
1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann geltend
gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundes- oder Völkerrecht (
Art. 95 lit. a und b BGG). Zulässig ist auch die Rüge der Verletzung von
kantonalen verfassungsmässigen Rechten sowie von kantonalen Bestimmungen über
die politische Stimmberechtigung der Bürger und über Volkswahlen- und
Abstimmungen (Art. 95 lit. c und d BGG). Abgesehen davon überprüft das
Bundesgericht die Anwendung des kantonalen Rechts nicht als solche. Jedoch kann
gerügt werden, diese Anwendung widerspreche dem Bundesrecht, namentlich dem
Willkürverbot gemäss Art. 9 BV (BGE 142 II 369 E. 2.1 S. 372 mit Hinweisen).
Nach der Praxis des Bundesgerichts verstösst ein Entscheid gegen dieses Verbot,
wenn er im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, weil er zum Beispiel eine
Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt (BGE 141 I 70 E.
2.2 S. 72 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Die Allgemeine Bauverordnung des Kantons Zürich vom 22. Juni 1977 (ABV)
bestimmt in der bis zum 28. Februar 2017 geltenden und vorliegend anwendbaren
Version, dass zur Fassadenlänge oberirdische Vorsprünge über mehr als einem
Geschoss hinzugerechnet werden, wenn sie in der Richtung der betreffenden
Fassade eine geschlossene Höhe von mehr als 1,3 m aufweisen (§ 27 Abs. 1 AVB).
Als Gebäudelänge gilt die längere Seite des flächenkleinsten Rechtecks, welches
die senkrecht auf den Erdboden projizierte grösste, durch die massgebliche
Fassadenlänge gebildete Gebäudeumfassung umschreibt. Als Gebäudebreite gilt die
kürzere Seite dieses Rechtecks (§ 28 Abs. 1 ABV).  
 
2.2. Der Beschwerdeführer machte im vorinstanzlichen Verfahren geltend, das
Haus A überschreite die maximale Gebäudebreite von 18 m, d a die Lauben (gegen
Süden) der Fassade nicht vorgelagert, sondern fassadenbildend seien. Angesichts
der Pläne und der kernzonengerechten Materialisierung könne entgegen der
Meinung des Baurekursgerichts von offenen Geländern keine Rede sein. Zudem
führe das Steildach über den Lauben dazu, dass eine geschlossene Höhe im Sinne
von § 27 Abs. 1 ABV vorliege. Auch die massiven Mauern an beiden Enden der
Lauben auf einer Länge von rund einem Meter seien fassadenbildend.  
 
2.3. Die Vorinstanz führte dazu aus, gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. j der Bau- und
Zonenordnung der Gemeinde Russikon (BZO) betrage für das Haus A die maximale
Gebäudetiefe 18 m. Gemäss § 28 Abs. 1 in Verbindung mit § 27 Abs. 1 ABV würden
oberirdische Vorsprünge über mehr als ein Geschoss bei der Bestimmung der
Gebäudebreite nur berücksichtigt, sofern sie in der Richtung der betreffenden
Fassade eine geschlossene Höhe von mehr als 1,3 m aufweisen. Hier ergebe sich
aus den Fassadenansichten gemäss act. 7/11/9, dass die Balkongeländer offen
ausgestaltet werden; jedenfalls eine geschlossene Höhe von klar weniger als 1,3
m aufwiesen. Der Beschwerdeführer lege nicht dar und es sei auch nicht
nachvollziehbar, weshalb er aufgrund der Gebäudepläne zu einem anderen Schluss
kommen wolle. Soweit er die Anrechenbarkeit der Lauben daraus ableite, dass
diese durch das Steildach des Gebäudes überdeckt werden, verkenne er, dass für
die Gebäudebreite gemäss § 28 Abs. 1 ABV die Länge der Fassaden und nicht die
Länge des Dachvorsprungs massgebend sei.  
 
2.4. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe § 27 Abs. 1 ABV in
unhaltbarer Weise angewendet, weil sie nicht berücksichtigt habe, dass die
Balkone auf der Südseite des Hauses A auf dem Boden abgestützt, beidseitig mit
Mauerscheiben eingefasst und mit einem geschlossenen Schrägdach überdeckt
seien, weshalb das Haus A von Osten oder Westen her betrachtet bis zum
südlichen Abschluss der Balkone reiche.  
 
2.5. Der Begriff des "oberirdischen Vorsprungs", wird namentlich in § 256 Abs.
2 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975
verwendet. Aus dem Adjektiv "oberirdisch" leiten Rechtsprechung und Lehre ab,
dass die Vorsprünge bzw. Balkone nicht auf den Boden abgestützt werden dürfen,
sondern frei auskragend ausgestaltet sein müssen (Urteil 1C_459/2017 vom 12.
Januar 2018 E. 3.2 und 3.3 mit Hinweisen). Entsprechend kommt auch dem Begriff
des oberirdischen Vorsprungs gemäss § 27 Abs. 1 ABV die Bedeutung zu, dass der
Vorsprung nicht auf dem Boden abgestützt werden darf (FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF,
Zürcher Planungs- und Baurecht, Bd. 2, 5. Aufl. 2011, S. 846). Dies wird
dadurch bestätigt, dass in der entsprechenden Skizze bzw. Figur 7.12 des
Anhangs der ABV die oberirdischen Vorsprünge als aus der Fassade hervorragende
und nicht auf dem Boden abgestützte Balkone dargestellt werden. Die Vorinstanz
verstiess daher gegen das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV, wenn sie die auf der
Südseite des Hauses A vorgesehenen Balkone als oberirdische Vorsprünge im Sinne
von § 27 Abs. 1 ABV qualifizierte, obwohl sie gemäss den Bauplänen auf beiden
Seiten mit massiven ca. 1 m breiten vom Boden bis zum Dach reichenden Mauern
abgestützt werden sollen. Insoweit können die Feststellungen der Vorinstanz,
die sich zu den Stützmauern nicht äusserte, vom Bundesgericht aufgrund der
Akten ergänzt werden (Art. 105 Abs. 2 BGG). Werden die Stützmauern
berücksichtigt, weist das Haus A entsprechend den Angaben in der Baubewilligung
und in den Bauplänen eine Breite von 19,05 m auf und überschreitet damit die
maximal zulässige Gebäudebreite von 18 m um mehr als einen Meter. Dieser Mangel
kann nicht durch Auflagen oder Bedingungen in der Baubewilligung behoben
werden, da dessen Behebung durch einen Verzicht auf die Stützmauern, sollten
sie aus statischen Gründen nicht erforderlich sein, oder die Rückversetzung der
Balkone verschiedene planerische Anpassungen bzw. eine Neukonzeption des
südlichen Teils des Hauses A erfordert (Vgl. Urteile 1C_433/2016 vom 6. April
2017 E. 2.6; 1C_169/2016 18. August 2016 E. 2.5). Demnach kann die
Baubewilligung für die Errichtung des Hauses A nicht erteilt werden. Dies führt
dazu, dass auch die Bewilligung für das Haus B zu verweigern ist, weil die
beiden Häuser mit einer gemeinsamen Tiefgaragenzufahrt eine bauliche Einheit
bilden, die ohne wesentliche Anpassung des Bauprojekts nicht getrennt werden
kann (vgl. Urteil 1C_163/2016 vom 8. Juli 2016 E. 2.6 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die strittige Baubewilligung zu verweigern (Art. 107 Abs. 2 BGG;
Urteile 1C_433/2016 vom 6. April 2017 E. 3; 1C_310/2011 vom 10. November 2011
E. 3). Die Sache ist zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 67 und Art. 68
Abs. 5 BGG).  
 
3.2. Bei diesem Verfahrensausgang kann offenbleiben, ob die weiteren in der
Beschwerde gegen das angefochtene Urteil erhobenen Rügen begründet sind (Urteil
1C_163/2016 vom 8. Juli 2016 E. 3). Nicht behandelt zu werden braucht
namentlich die Frage, ob bezüglich der Zufahrt zu den Tiefgaragen
Schallschutzmassnahmen erforderlich sind. Diese Frage wird die Baubehörde bei
der Prüfung einer neuen Baueingabe zu beantworten haben, wobei sie nach der
Gewährung des rechtlichen Gehörs die vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) im
vorliegenden Verfahren eingereichte Stellungnahme zu berücksichtigen haben
wird.  
 
3.3. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind der unterliegenden
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat zudem dem
Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
1 und 2 BGG).  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich vom 23. März 2017 aufgehoben und die Baubewilligung für das
strittige Bauvorhaben auf dem Grundstück Kat.-Nr. 1564 in Russikon verweigert.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Baukommission Russikon, dem BAFU und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. März 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Gelzer 

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