Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 1C.136/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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1C_136/2017            

 
 
 
Urteil vom 13. Dezember 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz, Eusebio, Chaix, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Dünner, 
 
gegen  
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau, 
Moosweg 7a, Postfach 971, 8501 Frauenfeld, 
Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau, 
Löwenstrasse 12, 8280 Kreuzlingen. 
 
Gegenstand 
Warnungsentzug des Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
18. Januar 2017 (VG.2016.114). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geb. 1993, lenkte am 1. März 2012 mit einem Führerausweis auf Probe
einen Personenwagen unter Drogeneinfluss, was zu einem dreimonatigen
Führerausweisentzug führte. Am 26. April 2013 überschritt er innerorts die
zulässige Geschwindigkeit um 23 km/h. Deswegen wurde ihm der Ausweis auf Probe
definitiv entzogen. Nach Ablauf einer Karenzfrist sowie gestützt auf ein
entsprechendes verkehrspsychologisches Gutachten erhielt er einen neuen
Lernfahrausweis und in der Folge am 9. Februar 2015 erneut einen Führerausweis
auf Probe (aller Kategorien und Unterkategorien sowie der Spezialkategorie F).
Zusätzlich erwarb er einen Lernfahrausweis der Kategorie BE. Während der neuen
Probezeit verursachte er am 24. Januar 2016 unter dem Einfluss einer
Blutalkoholkonzentration von mindestens 1.14 Gewichtspromillen einen
Selbstunfall. Am 7. März 2016 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons
Thurgau A.________ den Führerausweis auf Probe sowie den Lernfahrausweis der
Kategorie BE für zwölf Monate. Zur Begründung verwies es auf das frühere
Fahrzeuglenken unter Drogeneinfluss sowie auf das neu begangene Fahren im
angetrunkenen Zustand. Aufgrund der erneuten schweren Widerhandlung gegen die
Strassenverkehrsvorschriften betrage die Entzugsdauer mindestens zwölf Monate;
diese Dauer sei in seinem Fall auch angemessen. Mit Entscheid vom 23. Juni 2016
wies die Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau einen
dagegen erhobenen Rekurs ab. 
 
B.   
A.________ führte dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau, das diese am 18. Januar 2017 abwies. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht
beantragt A.________, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und ihm
den Führerausweis auf Probe aller Kategorien und Unterkategorien sowie der
Spezialkategorie F und den Lernfahrausweis der Kategorie BE lediglich für drei
Monate, unter Anrechnung des bereits erfolgten Entzugs vom 24. Januar 2016 bis
zum 23. April 2016, zu entziehen. Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend
gemacht, das Strassenverkehrsgesetz enthalte für den Warnungsentzug beim
Führerausweis auf Probe eine spezialgesetzliche Regelung, weshalb die für die
übrigen Fahrausweise geltende Kaskadenordnung bei der Mindestentzugsdauer
entgegen der Auffassung der kantonalen Instanzen keine Anwendung finde. Das
Urteil des Verwaltungsgerichts verstosse daher gegen Bundesrecht. 
Das Strassenverkehrsamt reichte innert Frist keine Vernehmlassung ein. Die
Rekurskommission verzichtete in einer ersten Eingabe an das Bundesgericht auf
eine Stellungnahme und einen Antrag zur Sache. Das Verwaltungsgericht schliesst
ohne weitere Ausführungen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Strassen ASTRA stellt in seiner Vernehmlassung den Antrag, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur Festlegung der Entzugsdauer an
das Strassenverkehrsamt zurückzuweisen. Die Rekurskommission äusserte sich dazu
in einer zweiten Eingabe. 
A.________ nahm am 14. September 2017 nochmals zur Sache Stellung. 
 
D.   
Mit verfahrensleitender Verfügung vom 3. April 2017 erteilte der Präsident der
I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gemäss Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden in
Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Dieses Rechtsmittel steht auch gegen
Entscheide über administrative Massnahmen im Strassenverkehrsrecht offen. Ein
Ausnahmetatbestand liegt nicht vor (vgl. Art. 83 f. BGG). Beim angefochtenen
Urteil handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid einer
gerichtlichen Behörde (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 und Art. 90 BGG).
 
 
1.2. Der Beschwerdeführer nahm am vorinstanzlichen Verfahren teil und ist als
Inhaber der entzogenen Führerausweise sowie als direkter Adressat des
angefochtenen Entscheids gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert.
 
 
1.3. Der Beschwerdeführer erhebt einzig rechtliche Rügen. Die tatsächlichen
Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind unbestritten. Mit der Beschwerde an
das Bundesgericht kann, von hier nicht interessierenden Möglichkeiten
abgesehen, nur die Verletzung von Bundesrecht (vgl. Art. 95 lit. a BGG) gerügt
werden.  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt einen Verstoss gegen das Strassenverkehrsrecht
des Bundes.  
 
2.2. Nach Art. 15a des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR
741.01) wird der erstmals erworbene Führerausweis für Motorräder und Motorwagen
zunächst auf Probe erteilt bei einer Probezeit von drei Jahren (Abs. 1);
Voraussetzungen der Erteilung sind der Besuch der vorgeschriebenen Ausbildung
sowie das Bestehen der praktischen Führerprüfung (Abs. 2); vorgeschrieben ist
der Besuch von Weiterbildungskursen (Abs. 2bis); wird dem Inhaber der Ausweis
auf Probe wegen einer Widerhandlung entzogen, so wird die Probezeit um ein Jahr
verlängert (Abs. 3; vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 1C_95/2017 vom 24. Mai
2017, wird demnächst publiziert in BGE 143 II 495); der Führerausweis auf Probe
verfällt mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt
(Abs. 4; sog. Annullierung, vgl. Art. 35a der Verordnung vom 27. Oktober 1976
über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr,
Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.51); ein neuer Lernfahrausweis kann
frühestens ein Jahr nach Begehung der Widerhandlung und nur auf Grund eines
verkehrspsychologischen Gutachtens erteilt werden, das die Eignung bejaht,
wobei die Frist um ein Jahr verlängert wird, wenn die betroffene Person während
dieser Zeit ein Motorrad oder einen Motorwagen geführt hat (Abs. 5); nach
erneutem Bestehen der Führerprüfung wird ein neuer Führerausweis auf Probe
erteilt (Abs. 6). Für Inhaber des Führerausweises auf Probe wird der definitive
Führerausweis erteilt, wenn die Probezeit abgelaufen ist und die
vorgeschriebenen Weiterbilungskurse besucht wurden (Art. 15b Abs. 2 SVG).  
 
2.3. Nach Art. 16 Abs. 2 SVG wird nach Widerhandlungen gegen die
Strassenverkehrsvorschriften, bei denen das Verfahren nach dem
Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 (SR 741.03) ausgeschlossen ist, der
Lernfahr- oder Führerausweis entzogen oder eine Verwarnung ausgesprochen. Bei
der Festsetzung der Dauer des Entzugs sind gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG die
Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der
Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie
die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen; die
Mindestentzugsdauer darf jedoch, von einer hier nicht interessierenden Ausnahme
abgesehen, nicht unterschritten werden.  
Art. 16a SVG definiert die leichten Widerhandlungen gegen das
Strassenverkehrsrecht und deren Rechtsfolgen. Art. 16b SVG enthält dieselbe
Regelung für mittelschwere und Art. 16c SVG für schwere Widerhandlungen. Nach 
Art. 16c Abs. 1 SVG begeht insbesondere eine schwere Widerhandlung, wer in
angetrunkenem Zustand mit einer qualifizierten Alkohol- oder
Blutalkoholkonzentration ein Motorfahrzeug lenkt (lit. b) oder wegen
Betäubungs- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen fahrunfähig ist
und in diesem Zustand ein Motorfahrzeug lenkt (lit. c). 
Art. 16c Abs. 2 SVG sieht eine Kaskadenfolge bei der gesetzlichen Mindestdauer
des Entzugs eines Ausweises bei einer schweren Widerhandlung vor. Als mildeste
Massnahme wird er, wenn kein qualifizierter Tatbestand vorliegt, für mindestens
drei Monate entzogen (lit. a); die Dauer beträgt mindestens sechs Monate, wenn
in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis einmal wegen einer
mittelschweren Widerhandlung entzogen war (lit. b), und zwölf Monate, wenn in
den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis einmal wegen einer schweren
Widerhandlung oder zweimal wegen mittelschweren Widerhandlungen entzogen war
(lit. c); bei noch schwereren Vortaten ist der Ausweis für unbestimmte Zeit,
mindestens aber für zwei Jahre, bzw. für immer zu entziehen (lit. d und e). 
 
2.4. Es ist hier nicht strittig, dass der Beschwerdeführer wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand eine schwere Widerhandlung gemäss Art. 16c Abs. 1 lit. b
SVG begangen hat. Umstritten sind einzig die Rechtsfolgen im Hinblick auf den
Ausweisentzug, die daran zu knüpfen sind.  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanzen stützten den angefochtenen Ausweisentzug in erster Linie
auf Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG, wonach die Entzugsdauer mindestens zwölf Monate
beträgt, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis einmal wegen einer
schweren Widerhandlung oder zweimal wegen mittelschweren Widerhandlungen
entzogen war. Diese Voraussetzungen erachteten die Vorinstanzen als erfüllt, da
der Beschwerdeführer am 1. März 2012 einen Personenwagen unter dem Einfluss von
Drogen gelenkt hatte und ihm der Ausweis auf Probe deswegen bereits einmal
entzogen worden war. Auf die am 26. April 2013 begangene
Geschwindigkeitsüberschreitung, die auf eine mittelschwere Widerhandlung gegen
das Strassenverkehrsgesetz hinauslief, berufen sich die Vorinstanzen insofern
nicht. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, Art. 15a SVG
enthalte für den Entzug des Ausweises auf Probe eine Spezialbestimmung, die der
Kaskadenregelung von Art. 16c Abs. 2 SVG vorgehe, weshalb für ihn die
Mindestentzugsdauer von drei Monaten gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG und
nicht diejenige von zwölf Monaten nach Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG zur Anwendung
gelange. Eine analoge Auffassung vertritt das Bundesamt für Strassen ASTRA, das
der Regelung von Art. 15a SVG ebenfalls den Vorrang einräumt. Danach sind
Verwarnungen oder Führerausweisentzüge wegen Widerhandlungen, die ein Inhaber
eines ersten Führerausweises auf Probe begangen hat, bei der Festlegung der
Dauer eines erneuten Ausweisentzugs wegen Widerhandlungen nicht mehr zu
berücksichtigen, welche die gleiche Person mit einem zweiten Führerausweis auf
Probe begeht.  
 
3.2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelangt das Kaskadensystem der
Mindestentzugsdauern nach einer schweren Widerhandlung (Art. 16c Abs. 2 SVG)
unabhängig von der Art des vorangegangenen Führerausweisentzugs zur Anwendung.
Namentlich gilt Art. 16c SVG sowohl für Warnungs- als auch Sicherungsentzüge (
BGE 141 II 220 E. 3.2 S. 224 f. und E. 3.3.6 S. 227). Zu prüfen ist, ob dies
gleichermassen auch für Führerausweise auf Probe gilt. Dies ist durch Auslegung
zu ermitteln.  
 
3.3. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen
Bestimmungen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene
Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden
unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente (sog. Methodenpluralismus),
wobei die einzelnen Auslegungselemente keiner hierarchischen Prioritätsordnung
unterstehen. Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text
zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm
steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient
aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 141 II 220 E. 3.3.1
S. 225; 138 IV 232 E. 3 S. 234 f.; je mit Hinweisen).  
 
3.4. Die Auffassung des Beschwerdeführers und des Bundesamts für Strassen
beruht auf der Argumentation, dass der Führerausweis auf Probe ein
selbständiges gesetzgeberisches Konstrukt darstelle. Nach der Annullierung
eines solchen Ausweises werde der Inhaber so behandelt, als hätte er diesen nie
besessen. Nachteilige Folge davon sei, dass sämtliche Ausbildungen und
Prüfungen unter Einschluss der vorgeschriebenen Weiterbildungstage zu
wiederholen seien. Als Ausgleich dazu seien Widerhandlungen aus der ersten
Phase gerade nicht mehr zu berücksichtigen; es gälten die gleichen Pflichten
und Rechte wie beim erstmaligen Erwerb eines Führerausweises auf Probe. Die
Widerhandlungen, die zur Annullierung des Ausweises geführt hätten, würden
registertechnisch auch gar nicht erfasst. Im Übrigen ergebe sich zwar in
bestimmten Konstellationen eine Privilegierung der Inhaber eines Ausweises auf
Probe im Vergleich zu einem solchen eines definitiven Führerausweises; in
anderen sei es aber gerade umgekehrt. Die Vorinstanzen stehen demgegenüber auf
dem Standpunkt, die allgemeinen Regeln zum Führerausweisentzug gälten auch für
den Entzug eines Ausweises auf Probe. Im Übrigen sei der Gesetzgeber daran,
Korrekturen vorzunehmen, welche verschiedene Argumente des Beschwerdeführers
und des Bundesamtes entkräften würden.  
 
3.5. Das Gesetz spricht sich zur zu beantwortenden Rechtsfrage nicht eindeutig
aus.  
 
3.5.1. Insbesondere hilft der Wortlaut dafür nicht weiter. Eine nur geringe
Bedeutung kommt insofern dem Gebrauch des Wortes "verfällt" in Art. 15a Abs. 4
SVG zu. Das muss nicht unbedingt heissen, dass danach eine völlig neue, vom
früheren Geschehen unabhängige Phase eingeleitet wird. Das Bundesamt macht
jedoch geltend, der Gesetzgeber habe eine entsprechende Spezialordnung schaffen
wollen. Entsprechende Belege, insbesondere in den Materialien, ruft das
Bundesamt allerdings nicht an.  
 
3.5.2. Unbestrittener Zweck des Führerausweises auf Probe ist, dass sich dessen
Inhaber während der Probezeit bewähren soll. In der wissenschaftlichen
Literatur wird festgehalten, der Führerausweis auf Probe verfalle zwingend mit
der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt, und es verhalte
sich hernach so, wie wenn gar nie ein Führerausweis erteilt worden wäre
(PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz und
Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl., 2015 N. 19 zu Art. 15a SVG). Daraus wird
geschlossen, es handle sich um eine vorwiegend oder sogar rein sichernde
Massnahme (CÉDRIC MIZEL, Droit et pratique illustré du retrait du permis de
conduire, 2015, S. 640 f.; WEISSENBERGER, a.a.O., N. 21 zu Art. 15a SVG). Das
Schrifttum, unter Einschluss der vom Beschwerdeführer und vom Bundesamt
insoweit angerufenen Literaturstellen, äussert sich allerdings, soweit
ersichtlich, nicht ausdrücklich dazu, ob die Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2
SVG für die Führerausweise auf Probe anwendbar ist oder nicht.  
 
3.5.3. Der Inhaber eines Führerausweises auf Probe muss sich während einer
Probezeit von drei Jahren bewähren. Begeht er während dieser Probezeit das
zweite Mal eine Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt, gilt die
Probezeit als nicht bestanden und der Ausweis verfällt (Art. 15a Abs. 1 und 4
SVG). Mit der Annullierung geht die zwingende Anordnung einer Karenz- bzw.
Sperrfrist von einem Jahr einher, welche die Behörden nicht verkürzen, wohl
aber in Ausnahmefällen verlängern können. Lenkt die betroffene Person während
der Sperrfrist wieder ein Fahrzeug, so wird die Sperrfrist auf zwei Jahre
verlängert. Ein erneuter Lernausweis setzt ein verkehrspsychologisches
Gutachten voraus (Art. 15a Abs. 5 SVG). Überdies muss die gesamte Ausbildung
von vorne neu absolviert werden (vgl. JÜRG BICKEL, in: Niggli/Probst/Waldmann
[Hrsg.], Strassenverkehrsgesetz, Basler Kommentar, 2015, N. 55 zu Art. 15a SVG;
MIZEL, a.a.O., S. 647; WEISSENBERGER, a.a.O., N. 32 zu Art. 15a SVG; Urteil des
Bundesgerichts 1C_559/2008 vom 15. Mai 2009). Nach erneutem Bestehen der
Führerprüfung wird vorerst wiederum lediglich ein Führerausweis auf Probe
erteilt (Art. 15a Abs. 6 SVG). Insgesamt handelt es sich um ein recht strenges,
in sich weitgehend geschlossenes System (vgl. dazu auch MIZEL, a.a.O., S. 638
ff.). Trotz der weit reichenden Folgen hat der Ausweisentzug nicht nur
sichernden Charakter, sondern verfügt mit Blick auf die Zielsetzung, dass sich
der Inhaber bewähren soll, und die damit verbundene subjektive Komponente auch
über warnende Funktion. Es ist mithin von einem Doppelcharakter beim Entzug des
Ausweises auf Probe mit Verfallwirkung in Anwendung von Art. 15a Abs. 4 SVG
auszugehen.  
 
3.5.4. Kaum ins Gewicht fallen registertechnische Gesichtspunkte. Zwar wird die
der Annullierung zugrunde liegende Widerhandlung bisher nicht im einschlägigen
Register eingetragen (vgl. Art. 7 lit. d der Verordnung vom 18. Oktober 2000
über das automatisierte Administrativmassnahmen-Register,
ADMAS-Register-Verordnung; SR 741.55). Das liesse sich durch eine Anpassung der
Verordnung jedoch korrigieren. Abgesehen davon wird das vom Gesetzgeber bereits
beschlossene künftige "Informationssystem Verkehrszulassung" diese Lücke
ohnehin schliessen (vgl. die noch nicht in Kraft getretenen Art. 89a Abs. 1 und
Art. 89c lit. d Ziff. 1 SVG; AS 2012 6291).  
 
3.5.5. Die Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 SVG greift nur bei schweren und
mittelschweren Widerhandlungen. Leichte Widerhandlungen werden darin nicht
genannt. So muss ein definitiver Führerausweis nach einer mittelschweren und
einer leichten Widerhandlung nur mindestens für einen Monat entzogen werden (
Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG), während ein Führerausweis auf Probe im gleichen
Fall bereits zu annullieren ist (vgl. Art. 15a Abs. 4 i.V.m. Art. 16b Abs. 2
lit. a und Art. 16a Abs. 2 SVG; BGE 136 I 345; MIZEL, a.a.O., S. 639). Diese
uneinheitliche Rechtslage sollte immerhin in absehbarer Zeit durch den
Gesetzgeber etwas ausgeglichen werden, nachdem eine entsprechende Motion an den
Bundesrat überwiesen worden ist (vgl. Curia Vista 15.3574). Umgekehrt wird der
Inhaber eines Ausweises auf Probe gegenüber einem solchen eines definitiven
Ausweises milder sanktioniert, wenn die früheren Widerhandlungen während einer
ersten Probezeit im Fall eines zweiten Ausweises auf Probe nicht mehr
berücksichtigt werden, wofür es keine einleuchtende Rechtfertigung gibt.
Insbesondere dieser letzte Umstand hat die Vorinstanzen dazu bewegt, die
Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 SVG auch auf den Ausweis auf Probe
anzuwenden. Hingegen erscheint es wenig überzeugend, derjenigen Widerhandlung,
die zum Verfall des ersten Ausweises auf Probe geführt hat, also der zweiten
massgeblichen Widerhandlung während der ersten Probezeit, überhaupt keine
Bedeutung mehr für die Entzugsdauer zuzuschreiben, wohl aber der früheren
ersten Widerhandlung, die in der ersten Probezeit begangen wurde (vgl. lit. A
hiervor). Diese Lösung des Strassenverkehrsamts versucht zwar, einen Ausgleich
zwischen den verschiedenen gesetzlichen Regelungen zu schaffen, lässt aber
unter Rückgriff auf älteres Fehlverhalten jüngeres ausser Acht und führt im
Ergebnis zu einer unvollständigen Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse.  
 
3.5.6. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise legt durchaus nahe, Art. 15a SVG
eine gewisse selbständige Bedeutung zuzumessen. Es ist nicht von der Hand zu
weisen, dass der Gesetzgeber damit eine weitgehend eigene, spezifische Ordnung
des Entzugs des Führerausweises auf Probe geschaffen hat. Unter den
Verfahrensbeteiligten ist nicht strittig, dass dem Beschwerdeführer der Ausweis
auf Probe gestützt auf Art. 15a Abs. 3 SVG lediglich befristet entzogen und
nicht mit Blick auf die Vortaten wegen der erneuten einmaligen Widerhandlung
gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG bereits wieder annulliert werden soll. Abgestellt
werden soll mithin für die Frage des Entzuges als solchen lediglich auf die in
der zweiten Probezeit begangene Widerhandlung und nicht auch auf die Vorfälle
der ersten Probezeit. Daran ist das Bundesgericht nicht nur wegen des
Verschlechterungsverbots gebunden, sondern diese Auslegung erscheint aufgrund
der Gesetzesordnung auch sinnvoll. Insofern erhält der Inhaber des Ausweises
auf Probe eine zweite Chance, und die Voraussetzungen einer erneuten
Annullierung nach Art. 15a Abs. 4 SVG müssen in der zweiten Probezeit
eingetreten sein. Etwas anderes müsste sich deutlich aus dem Gesetz ergeben,
was nicht zutrifft.  
 
3.5.7. Anders verhält es sich für die Frage der Entzugsdauer. Die Regelung von 
Art. 15a SVG ist insofern nicht abschliessend. Selbst der Beschwerdeführer
erachtet die Mindestentzugsdauer von Art. 16c Abs. 2 lit. a SVG von drei
Monaten als einschlägig, und auch das Bundesamt bestreitet die Anwendbarkeit
von Art. 16 ff. SVG auf den Ausweis auf Probe nicht ausnahmslos. Eine alle
massgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigende Auslegung führt daher zum
Schluss, dass Art. 15a SVG nur eine teilweise spezifische Regelung enthält. Sie
geht in diesem Sinne zwar der Kaskadenfolge von Art. 16c Abs. 2 lit. b-e SVG
vor, nicht aber den übrigen Bestimmungen von Art. 16 ff. SVG. Das heisst, dass
mit Ausnahme von Art. 16c Abs. 2 lit. a und a bis SVG einzig die verschiedenen
Mindestentzugsdauern für den Ausweis auf Probe nicht vorbehaltlos gelten.
Analoges mag für Art. 16a Abs. 2 sowie Art. 16b Abs. 2 SVG zutreffen, ohne dass
hier darüber abschliessend zu befinden ist. Im Übrigen sind die Art. 16 ff. SVG
jedoch auch auf die Ausweise auf Probe anwendbar. Das bedeutet insbesondere,
dass die Kriterien für die Festsetzung der Entzugsdauer gemäss Art. 16 Abs. 3
SVG mit Ausnahme der insofern nicht massgeblichen Mindestentzugsdauer
uneingeschränkt Anwendung finden. Dazu zählen ohne Ausnahme auch die
Widerhandlungen aus einer früheren Probezeit. Sie sind für die Bemessung der
Entzugsdauer in eine Gesamtbeurteilung einzubeziehen, welche die
rechtsstaatlichen Anforderungen an eine verwaltungsrechtliche Massnahme,
insbesondere den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, wahrt. Diese Auslegung
erlaubt es, dem Einzelfall mit all seinen Facetten gerecht zu werden. Selbst
das Bundesamt erachtet es, allerdings unter anderen Vorzeichen und mit anderer
Folgerung daraus, als widersprüchlich, nicht alle Widerhandlungen aus den
verschiedenen Probezeiten zu berücksichtigen, wenn schon alle Probezeiten als
massgeblich beurteilt würden.  
 
3.5.8. Der Beschwerdeführer wendet gegen eine Gesamtsicht mit Blick auf eine
mögliche künftige Annullierung des zweiten Ausweises auf Probe zwar ein, es sei
kaum mehr möglich, eine positive verkehrspsychologische Begutachtung zu
erreichen, wenn alle früheren Vorfälle weiterhin massgeblich blieben. Gerade
der sichernde Charakter der Annullierung eines Ausweises auf Probe legt eine
ganzheitliche Würdigung aber nahe. Der auch warnenden Funktion kann bei der
Begutachtung in dem Sinne Rechnung getragen werden, dass ein massgeblicher
Gesichtspunkt dabei sein muss, ob die betroffene Person die Lehren aus den
bisherigen Ereignissen gezogen hat und dies auch überzeugend darzutun vermag.
Nur wenn sie weiterhin keine Gewähr für ein korrektes Verhalten bietet,
erscheint diesfalls die Wiedererteilung eines Lernfahrausweises ausgeschlossen.
In diesem Stadium befindet sich der Beschwerdeführer allerdings (noch) nicht.
Vielmehr geht es um den lediglich vorübergehenden Entzug des zweiten Ausweises
auf Probe gemäss Art. 15a Abs. 3 SVG.  
 
3.5.9. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass dem Beschwerdeführer nicht nur
der Führerausweis auf Probe für mehrere Fahrzeugkategorien, sondern auch der
Lernfahrausweis BE (im Wesentlichen für Motorwagen mit einem Gesamtgewicht von
nicht mehr als 3'500 kg und nicht mehr als acht Sitzplätzen in Kombination mit
einem Anhänger von mehr als 750 kg Gesamtgewicht) entzogen wurde. Soweit
möglich, rechtfertigt es sich, die beiden Entzüge zu koordinieren (vgl. dazu 
Art. 33 VZV). Auch dies verlangt nach einer harmonisierenden integralen
Auslegung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen.  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat somit zwar zu Unrecht die Mindestentzugsdauer von zwölf
Monaten gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG als anwendbar beurteilt, ihr Urteil
aber ergänzend auch auf Art. 16 Abs. 3 SVG gestützt. Sie hat dabei die gesamten
Umstände des Einzelfalles gewürdigt.  
 
4.2. In der ersten Probezeit lenkte der Beschwerdeführer am 1. März 2012 einen
Personenwagen unter Drogeneinfluss, was zu einem dreimonatigen
Führerausweisentzug führte. Am 26. April 2013 beging er eine erhebliche
Geschwindigkeitsübertretung von 23 km/h innerorts. Aufgrund dieser beiden vom
Strassenverkehrsamt als schwer bzw. mittelschwer beurteilten Widerhandlungen
gegen das Strassenverkehrsgesetz wurde ihm der damalige Ausweis auf Probe
gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG mit Verfallwirkung entzogen. Nach Ablauf der
gesetzlichen Karenzfrist sowie gestützt auf ein entsprechendes
verkehrspsychologisches Gutachten erhielt er einen neuen Lernfahrausweis und
erwarb in der Folge am 9. Februar 2015 erneut einen Führerausweis auf Probe.
Während der entsprechenden zweiten Probezeit verursachte er am 24. Januar 2016
unter dem Einfluss einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1.14
Gewichtspromillen einen Selbstunfall. Dies führte zum hier strittigen
Ausweisentzug für zwölf Monate.  
 
4.3. Die drei Vorfälle fanden innert der relativ kurzen Zeitspanne von nicht
ganz vier Jahren statt. Überdies liess sich der Beschwerdeführer von der
Annullierung seines ersten Führerausweises auf Probe nicht von einer erneuten
schweren Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz abhalten. Sein
Fehlverhalten wiegt insgesamt schwer. Dagegen bringt er vor, bei der
Alkoholfahrt keine allzu hohe Alkoholkonzentration ausgewiesen und keine
konkrete Gefahr für andere geschaffen zu haben sowie beruflich auf ein Fahrzeug
angewiesen zu sein. Die festgestellte Blutalkoholkonzentration von mindestens
1.14 Gewichtspromillen ist indessen unabhängig von der konkreten Gefahrenlage
nicht unbedeutend, insbesondere da Inhabern eines Führerausweises auf Probe das
Fahren unter Alkoholeinfluss ganz verboten ist (vgl. Art. 31 Abs. 2bis lit. f
SVG i.V.m. Art. 2a Abs. 1 lit. h der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November
1962, VRV; SR 741.11). Sodann besteht beim Beschwerdeführer keine besondere
berufsbedingte Abhängigkeit vom Fahrzeug. Nach seinen eigenen Angaben arbeitet
er als Zimmermann im selbständigen Zweimannbetrieb seines Vaters. Bereits
während des Führerausweisentzugs von drei Monaten in der ersten Probezeit sowie
während der Karenzfrist nach der Annullierung des ersten Ausweises auf Probe
und der daran anschliessenden erneuten Zeit, in der er lediglich über einen
Lernausweis verfügte, musste er sich entsprechend organisieren. Weshalb dies
heute nicht möglich sein sollte, wird nicht dargetan. Andere Gründe, die
allenfalls zugunsten des Beschwerdeführers sprechen, sind nicht ersichtlich.
Angesichts all dieser Umstände erweist sich eine Entzugsdauer von zwölf Monaten
unabhängig davon, dass für den Ausweis auf Probe keine zwölfmonatige
Mindestentzugsdauer, sondern nur eine solche von drei Monaten gemäss Art. 16c
Abs. 2 lit. a SVG zwingend vorgeschrieben ist, als sachgerecht und
verhältnismässig. Analoges gilt unter dem Gesichtspunkt von Art. 16 Abs. 3 SVG
für den Entzug des Lernfahrausweises BE.  
 
4.4. Der angefochtene Entscheid verletzt im Ergebnis Bundesrecht demnach nicht.
 
 
5.   
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 65 BGG). Eine Parteientschädigung ist
nicht auszusprechen (vgl. Art. 68 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons
Thurgau, der Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau,
dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Strassen
ASTRA, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Dezember 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax 

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