Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.549/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1B_549/2017  
 
 
Urteil vom 16. Februar 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Schoch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Prof. Dr. Niklaus Ruckstuhl, 
 
gegen  
 
Lucius Hagemann, Schützenmattstrasse 20, 4009 Basel, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons
Basel-Stadt, Einzelgericht, vom 27. November 2017 (DG.2017.35). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am Strafgericht Basel-Stadt ist ein Verfahren wegen mehrfacher
Urkundenfälschung sowie mehrfachem Erschleichen einer falschen Beurkundung
gegen A.________ hängig. Die Hauptverhandlung war auf den 14. November 2017
angesetzt. Mit Instruktionsverfügung vom 12. September 2017 wies der
verfahrensleitende Strafgerichtspräsident, Lucius Hagemann, den Antrag von
A.________ ab, diverse Personen seien als Zeugen einzuvernehmen. Am 25.
September 2017 beantragte A.________, Lucius Hagemann habe in den Ausstand zu
treten, da er sich mit dieser Beweisverfügung in Bezug auf die Echtheit der
umstrittenen Dokumente festgelegt habe. Mit Verfügung vom 26. September 2017
wies dieser das Ausstandsbegehren ab und überwies den Fall an das
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt zur Beurteilung. Gleichzeitig nahm
er die Vorladung für die Hauptverhandlung ab. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 16. Oktober 2017 an das Berufungsgericht hielt A.________ am
Ausstandsgesuch fest. Am 27. November 2017 wies das Appellationsgericht das
Gesuch ab. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 21. Dezember 2017 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an
das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts sei
aufzuheben und es sei festzustellen, dass Lucius Hagemann in den Ausstand zu
treten habe. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht er um aufschiebende
Wirkung. 
Das Strafgericht verzichtete auf eine Stellungnahme. 
Das Appellationsgericht beantragt gestützt auf den angefochtenen Entscheid die
Abweisung der Beschwerde. 
Mit Verfügung vom 5. Januar 2018 hiess der Präsident der I.
öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung gut. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen selbständig
eröffneten Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren in einer Strafsache (
Art. 78 Abs. 1 und Art. 92 BGG). Das Appellationsgericht hat als letzte und
einzige kantonale Instanz entschieden (Art. 80 BGG i.V.m. Art. 59 Abs. 1 StPO).
Als beschuldigte Person ist der Beschwerdeführer gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a
und lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde befugt. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf das Rechtsmittel einzutreten.
 
 
1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft
die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf
Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und
begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die
Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten gerügt wird (Art. 106
Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen). Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (
Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder
beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1
und Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf,
dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen
Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Art. 30 Abs. 1 BV
soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des
Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen.
Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei
objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der
Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen.
Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden
Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und
organisatorischer Natur begründet sein. Eine gewisse Besorgnis der
Voreingenommenheit und damit Misstrauen in die Unabhängigkeit des Gerichts kann
bei den Parteien insbesondere dann entstehen, wenn ein Richter in einem
anderen, die gleiche Streitsache betreffenden Verfahren oder in einem früheren
Stadium desselben Verfahrens bereits tätig war. In diesen Fällen stellt sich
die Frage, ob sich der Richter durch seine frühere Mitwirkung in einzelnen
Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, das ihn nicht mehr als
unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren als nicht mehr offen
erscheinen lässt (BGE 140 I 326 E. 5.1 S. 328 f.; 133 I 1 E. 6.2 S. 6 mit
Hinweisen). 
Die Verfassungsbestimmung von Art. 30 Abs. 1 BV wird in Art. 56 StPO
konkretisiert. Nach dieser Bestimmung tritt eine in einer Strafbehörde tätige
Person insbesondere dann in den Ausstand, wenn sie in einer anderen Stellung in
der gleichen Sache tätig war (lit. b) oder aus anderen Gründen befangen sein
könnte (lit. f). Ist die Gerichtsperson in derselben Stellung mit der gleichen
Sache mehrfach befasst, liegt kein Fall der Vorbefassung im Sinne von Art. 56
lit. b StPO vor. Eine Mehrfachbefassung in diesem Sinn kann aber im Rahmen von 
Art. 56 lit. f StPO massgeblich werden (Urteil 1B_97/2017 vom 7. Juni 2017 E.
2.1 f.). 
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung begründet grundsätzlich keine
Voreingenommenheit, wenn ein Richter schon vor dem eigentlichen Sachentscheid
prozessuale Anordnungen trifft, auch wenn dabei bereits gewisse materielle
Gesichtspunkte zu würdigen sind. Damit eine unzulässige Vorbefassung gegeben
ist, müssen zusätzlich tatsächliche Gegebenheiten hinzutreten, welche
ihrerseits den Anschein der Befangenheit zu erwecken vermögen (BGE 131 I 113 E.
3.7 S. 123 f.; Urteil 1B_434/2017 vom 4. Januar 2018 E. 4.4). Dem Richter ist
es nicht verwehrt, sich aufgrund der Akten eine vorläufige Meinung zu bilden,
solange er innerlich frei ist, aufgrund der in der Verhandlung vorgetragenen
Argumente zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Die Garantie der
Unvoreingenommenheit ist erst verletzt, wenn der Anschein erweckt wird, der
Richter habe sich bereits so festgelegt, dass daran die Argumente der
Verteidigung nichts mehr zu ändern vermöchten (vgl. zum Ganzen Urteil 1B_151/
2017 vom 14. Juni 2017 E. 2 mit weiteren Hinweisen). Dementsprechend stellt die
Ablehnung eines Beweisantrags durch das verfahrensleitende Gerichtsmitglied für
sich allein keinen Ausstandsgrund dar, zumal solche gemäss Art. 331 Abs. 3 StPO
an der Hauptverhandlung erneut gestellt werden können (vgl. BGE 116 Ia 135 E.
3b S. 139 ff.; Urteile 1B_1/2017 vom 7. März 2017 E. 2.1; 1B_703/2011 vom 3.
Februar 2012 E. 2.6). 
 
Das Richteramt erfordert, rasch Entscheidungen über bestrittene und schwierige
Fragen zu treffen. Werden dabei Verfahrensfehler begangen, sind diese von den
zuständigen Rechtsmittelinstanzen zu korrigieren. Es ist nicht der Zweck des
Ausstandsverfahrens, den Parteien zu erlauben, die von der Verfahrensführung
getroffenen Zwischenentscheide in Frage zu stellen (BGE 143 IV 69 E. 3.2 S.
75). Die Beschränkung der selbständigen Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden
kann nicht dadurch umgangen werden, dass die analogen Rügen in einem
Ablehnungsverfahren erhoben werden (Urteil 1B_181/2017 vom 2. Juni 2017 E.
3.2). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer erachtet den Beschwerdegegner als befangen, weil
durch die Art, wie dieser die Ablehnung seiner Beweisanträge zur Echtheit der
Attestation des Gesundheitsministeriums vom 22. März 2014 begründet habe, der
Anschein der Befangenheit entstehe. So habe er mit unhaltbarer Begründung und
unter unzulässiger Antizipation des Beweisergebnisses sämtliche gestellten
Beweisanträge abgelehnt, insbesondere jene zur Frage, ob die oben erwähnte
Attestation gefälscht sei. Daraus gehe hervor, dass er bereits vor der
Hauptverhandlung davon überzeugt sei, es handle sich um eine Fälschung.  
 
3.2. Die in der Verfügung vom 12. September 2017 gewählte Formulierung, die
Attestation "könne nicht echt sein" erscheint auf den ersten Blick tatsächlich
unumstösslich und kann daher isoliert betrachtet den Anschein erwecken, der
Beschwerdegegner habe sich bereits festgelegt. Wie die Vorinstanz zutreffend
erwägt, ist diese aber im Gesamtzusammenhang zu beurteilen. Dabei ist
insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verfügung, mit welcher die
Beweisanträge abgewiesen werden, schon in der Einleitung den Hinweis enthält,
die Prüfung der Beweismittel erfolge lediglich summarisch und andere
Erkenntnisse in der Hauptverhandlung nach Anhörung der Parteien und vertiefter
Beweiswürdigung ausdrücklich vorbehält. Dadurch wird gerade vorweggenommen,
dass der Richter sich noch nicht definitiv festgelegt hat und sich weiterhin
als frei erachtet, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Daran vermag es
nichts zu ändern, wenn er den Beweisantrag mit etwas bestimmten Worten ablehnt.
Im Weiteren sind keine tatsächlichen Gegebenheiten ersichtlich, die den
Beschwerdegegner als befangen erscheinen lassen.  
 
Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente, weshalb die entsprechende
Begründung des kantonalen Gerichts nicht überzeuge, vermögen diese nicht zu
entkräften. 
Nur weil schon zwei ausführliche Einvernahmen des Beschwerdeführers in den
Akten sind, heisst dies nicht, dass aus seinen Aussagen keine weiteren
Erkenntnisse zu gewinnen sind. Die Möglichkeit, die beschuldigte Person
mehrmals einzuvernehmen, ist im Gesetz vorgesehen (vgl. z.B. Art. 157 Abs. 1
und Art. 158 Abs. 1 StPO). In der Praxis wird diese in der Regel zuerst im
polizeilichen Ermittlungsverfahren verhört und anschliessend auch im
staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren befragt. Dabei darf die
Staatsanwaltschaft sich nicht darauf beschränken, die polizeilichen
Einvernahmen zusammenfassend zu bestätigen, sondern muss sich wegen des in Art.
6 Abs. 2 StPO verankerten Gebots der sorgfältigen Untersuchungsführung selbst
ein Bild über die Glaubhaftigkeit der Angaben der beschuldigten Person machen
(vgl. NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 157; GUNHILD GODENZI, in:
Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 9
zu Art. 157). Somit finden normalerweise bereits vor der Hauptverhandlung zwei
umfassende Befragungen des Beschwerdeführers statt. Trotzdem ist die
beschuldigte Person gemäss Art. 341 Abs. 3 StPO in deren Rahmen eingehend zu
ihrer Person, zur Anklage und zu den Ergebnissen des Vorverfahrens zu befragen.
In Bezug auf die Befragung der beschuldigten Person ist diese Bestimmung
zwingend (BGE 143 IV 408 E. 6.2.2 S. 415 mit weiteren Hinweisen). Die
eingehende Befragung dient dem Zweck, dem Gericht einen persönlichen Eindruck
von der beschuldigten Person zu verschaffen. Ihr kommt beweisrechtlich in aller
Regel entscheidrelevante Bedeutung zu (BGE 143 IV 288 E. 1.4.2 S. 291). Aus
diesen Gründen ist nicht unerfindlich, inwiefern aus der Hauptverhandlung
zusätzliche Erkenntnisse bezüglich der Echtheit der Attestation gewonnen werden
können. 
Nicht stichhaltig ist sodann das Vorbringen, der Beschwerdegegner habe nicht
nur eine summarische Prüfung der beantragten Beweismittel vorgenommen, da er
auf einer halben Seite detailliert begründet habe, weshalb er eine Befragung
eines der Zeugen ablehne. Es ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen,
dass der Beschwerdeführer mit einer sechs Seiten umfassenden Eingabe
beantragte, vier Personen bezüglich der Echtheit von drei Dokumenten
einzuvernehmen und der Beschwerdegegner sämtliche seiner Anträge auf einer
halben Seite abwies. Daher kann aus der Länge der Ablehnungsverfügung nicht
abgeleitet werden, er habe diese mit voller Kognition geprüft. 
Soweit der Beschwerdeführer sich im Übrigen mit der Begründung der Abweisung
der Beweisanträge auseinandersetzt und insbesondere die darin vorgenommene
antizipierte Beweiswürdigung in Frage stellt sowie daraus Schlüsse zieht, sind
seine Rügen im Ausstandsverfahren verfehlt. Denn auf diese Weise würde er die
Beschränkung der selbständigen Anfechtbarkeit prozessualer Zwischenentscheide
umgehen. 
Nach dem Gesagten mag zwar die Art, wie der Beschwerdegegner die Abweisung der
Beweisanträge begründete, in der Wortwahl etwas unglücklich sein. Er wies sie
aber, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, nur aufgrund einer
summarischen Prüfung ab. Demgegenüber sind in der Hauptverhandlung noch
weitere, umfassende Beweiserhebungen sowie eine vertiefte Beweiswürdigung
ausstehend. Zudem kann in dieser die Abnahme derselben Beweise erneut beantragt
werden. Gesamthaft betrachtet entsteht daher nicht der Anschein, der
Beschwerdegegner habe sich bereits auf eine Weise festgelegt, dass er innerlich
nicht mehr frei ist, aufgrund der in der Verhandlung vorgetragenen Argumente zu
einem anderen Ergebnis zu gelangen. 
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem
Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 und Art. 65 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Februar 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Schoch 

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