Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.544/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
1B_544/2017  
 
 
Urteil vom 16. Januar 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Denis Giovannelli, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Allgemeine Hauptabteilung,
Grenzacherstrasse 8, Postfach, 4132 Muttenz. 
 
Gegenstand 
Anordnung Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 7. November 2017 des Kantonsgerichts 
Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht (470 17 192). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Strafgericht Basel-Landschaft erklärte A.________ mit Urteil vom 15.
September 2017 des bandenmässigen Raubs, des gewerbs- und bandenmässigen
Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs,
der fahrlässigen einfachen Körperverletzung sowie der groben Verletzung von
Verkehrsregeln schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von fünf
Jahren und einem Monat, unter Anrechnung von zwei Tagen Haft, und verwies ihn
gestützt auf Art. 66a bis StGB für fünf Jahre des Landes. Mit Beschluss vom
gleichen Datum ordnete es für die Dauer von sechs Monaten, d.h. bis zum 15.
März 2018, Sicherheitshaft an. 
Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft mit Beschluss vom 7. November 2017 ab. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 20. Dezember 2017 beantragt
A.________, Ziff. 1 (Abweisung der Beschwerde) und Ziff. 2 (Auferlegung der
Verfahrenskosten) des Beschlusses des Kantonsgerichts seien aufzuheben und er
selbst sei unverzüglich aus der Sicherheitshaft zu entlassen. 
Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das
Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid betrifft die Anordnung der Sicherheitshaft (Art. 220
Abs. 2 StPO). Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG
gegeben. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und
befindet sich nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur
Beschwerde berechtigt. 
 
2.   
Nach Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft unter anderem
zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens
dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch
Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1
lit. a). An ihrer Stelle sind Ersatzmassnahmen anzuordnen, wenn sie den
gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 212 Abs. 2 lit. c und Art. 237 ff.
StPO). 
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts
nicht. Er ist jedoch der Auffassung, dass keine Fluchtgefahr bestehe bzw. dass
einer allfälligen Fluchtgefahr mit Ersatzmassnahmen begegnet werden könnte. 
 
3.  
 
3.1. Das Kantonsgericht legte dar, die erstinstanzliche Verurteilung stelle
einen gewichtigen Fluchtanreiz dar. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung sei
zudem mit der Verweigerung der Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung zu
rechnen. Der Beschwerdeführer habe starke Bezüge zum Ausland. Er sei 1984 in
Albanien geboren worden und besitze die albanische Staatsangehörigkeit. Bis zum
Alter von 13,5 Jahren sei er in Albanien aufgewachsen. Danach habe er ca. vier
Jahre bei seinem Onkel in Griechenland in der Landwirtschaft gearbeitet, sei im
Jahr 2000 nach Albanien zurückgekehrt und habe sich zwischen 2001 und 2012 in
Italien aufgehalten. Er habe seine Eltern nach Italien geholt, wo er während
acht Jahren für sein eigenes Bauunternehmen tätig gewesen sei. Daraufhin sei er
nach Albanien zurückgekehrt, wohin ihm vier Jahre später auch seine Eltern
gefolgt seien. Gegenwärtig wohnten seine Schwester, Eltern, Tanten und Onkel in
Albanien, sein Bruder wohne in Italien. In die Schweiz sei er gemäss eigenen
Angaben erst 2013 eingereist. Er beherrsche die deutsche Sprache nur wenig und
habe hier keine Freunde. In der Schweiz sei er bislang lediglich in
Gelegenheitsstellen im Bau tätig gewesen. Zwar habe er einen Arbeitsvertrag für
eine Festanstellung als Bauarbeiter per 1. September 2017 vorgelegt, doch mache
er weder geltend noch sei ersichtlich, dass er diese Stelle tatsächlich
angetreten habe.  
Weiter führt das Kantonsgericht aus, es sei davon auszugehen, dass die Ehe mit
einer Schweizerin, die der Beschwerdeführer am 10. März 2014 eingegangen sei,
nicht fluchthemmend wirke. Anlässlich einer polizeilichen Kontrolle vom 15.
Dezember 2014 in ihrer Wohnung habe die Ehefrau erklärt, dass am Wochenende
jeweils ein Cousin des Beschwerdeführers in ihrer Wohnung übernachte und die
beiden die ganze Nacht unterwegs seien. Ihr Ehemann habe sich einen BMW
gekauft. Sie wisse nicht, woher er das Geld habe, vermute aber, dass die beiden
mit Drogen handelten. Sie habe angekündigt, die Scheidung einreichen zu wollen,
weil sie sich schlecht behandelt und ausgenützt fühle. Der Beschwerdeführer
selbst habe anlässlich einer Einvernahme eingeräumt, er habe bis April 2017
drei Monate getrennt von seiner Ehefrau gelebt. Sein Vorbringen, er lebe seit
Frühling 2017 wieder mit ihr zusammen, sei nicht glaubhaft, da dies im
Widerspruch zu einer Aussage anlässlich der Befragung vom 9. Mai 2017 stehe,
wonach er bei einem Kollegen in Basel wohne. Zudem sei seit dem 9. Dezember
2016 ein Strafverfahren wegen Vergewaltigung seiner Ehefrau hängig, welches
allerdings einstweilen sistiert worden sei. Auf eine mögliche Landesverweisung
hin angesprochen, habe der Beschwerdeführer bloss angegeben, er würde diesfalls
nach Hause zu seinen Eltern gehen, was nicht so schlimm für ihn wäre. Seine
Ehefrau habe er mit keinem Wort erwähnt. Schliesslich sei auch festzuhalten,
dass sich der Beschwerdeführer zwar an der Untersuchung beteiligt, jedoch
offenbar auch mit einem Freispruch gerechnet habe. Daran vermöge auch nichts zu
ändern, dass er anscheinend eine gepackte Tasche mit zur Urteilseröffnung
gebracht habe. 
 
3.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe die
Unschuldsvermutung verletzt, indem sie das laufende und später sistierte
Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt zu seinen Ungunsten berücksichtigt und
als Indiz für eine nicht intakte Ehe herangezogen habe. Im Übrigen sei das
Strafverfahren inzwischen eingestellt worden. Unberücksichtigt sei geblieben,
dass seine Ehefrau psychisch krank sei und sich hinsichtlich der Ehe stark
wechselhaft geäussert habe, weshalb auf ihre Aussagen nicht abgestellt werden
könne. Der Schluss, dass seine Ehe ihn nicht von der Flucht abhalten würde, sei
willkürlich. Es wäre an der Verfahrensleitung gelegen, ihn ausführlicher zu
seinen persönlichen Verhältnissen zu befragen. Wenn das Kantonsgericht davon
ausgehe, seine Ehe habe eher zweckgebundenen als innigen Charakter, mische es
sich unzulässigerweise in sein Eheleben ein. Er und seine Ehefrau dürften ihre
Beziehung so gestalten, wie sie wollten. Zudem seien Zweckehen nicht weniger
stabil als Liebesehen.  
Das Kantonsgericht erachte als nicht klar, dass er seine Arbeitsstelle
tatsächlich angetreten habe, da er dies mündlich nicht erwähnt habe. Das könne
allerdings nicht ausschlaggebend sein, weshalb die Schlussfolgerung willkürlich
erscheine. Unberücksichtigt sei geblieben, dass er einen wesentlichen Beitrag
an die Einnahmen der Ehegatten geleistet habe. Bei einer Haftentlassung könnte
er jene Stelle problemlos wieder antreten. 
Ein wesentliches Indiz gegen Fluchtgefahr sei, dass er während des gesamten
Verfahrens trotz entsprechender Möglichkeit keinen Fluchtversuch unternommen
habe. Indessen sei er sich der Möglichkeit einer Verurteilung durchaus bewusst
gewesen, auch wenn er sich auf seine Unschuld berufen habe. Deshalb sei er an
der Urteilseröffnung auch mit einer gepackten Tasche erschienen. 
Um einer allfälligen latenten Fluchtgefahr zu begegnen, würde eine
Schriftensperre oder eine Meldepflicht ausreichen. Es sei Aufgabe des
Kantonsgerichts gewesen, sämtliche denkbaren Ersatzmassnahmen zu prüfen. 
 
3.3. Die Annahme von Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus,
dass die beschuldigte Person sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu
erwartenden Sanktion entziehen könnte. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche
Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der
Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu
berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als
möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der
drohenden Strafe ist zwar ein Indiz für Fluchtgefahr, genügt jedoch für sich
allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Miteinzubeziehen sind die familiären
und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die
Kontakte zum Ausland. Selbst bei einer befürchteten Reise in ein Land, welches
die beschuldigte Person grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw.
stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht
ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit
zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Dauer des
allenfalls noch abzusitzenden strafrechtlichen Freiheitsentzugs mit der bereits
geleisteten prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe
anzurechnen wäre (Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (zum Ganzen: BGE 143
IV 160 E. 4.3 S. 166 f. mit Hinweisen).  
 
3.4. Aufgrund der erstinstanzlichen Verurteilung hat der Beschwerdeführer, der
zudem erst wenige Monate Haft erstanden hat, noch mit einem mehrjährigen
Freiheitsentzug zu rechnen. Dies ist als gewichtiges Fluchtindiz einzustufen
(Urteil 1B_158/2017 vom 5. Mai 2017 E. 3.5 mit Hinweis). Hinzu kommt die
erstinstanzliche Landesverweisung für fünf Jahre und die Wahrscheinlichkeit,
dass seine Aufenthaltsbewilligung bei einer rechtskräftigen Verurteilung nicht
erneuert werden wird (vgl. Urteil 1B_149/2017 vom 5. Mai 2017 E. 4.3 mit
Hinweis).  
Der Beschwerdeführer ist Albaner und hat einen grossen Teil seines Lebens in
seinem Herkunftsland und in Italien verbracht. In beiden Ländern verfügt er
zudem über Verwandte. In der Schweiz lebt er dagegen erst seit 2013. Dass er
die deutsche Sprache nur wenig beherrscht, in der Schweiz keinen Freundeskreis
hat und bislang nur Gelegenheitsarbeiten im Baugewerbe ausführte, bestreitet er
nicht. In Bezug auf die erwähnte Festanstellung bezeichnet er als willkürlich,
dass das Kantonsgericht aus seinem Schweigen darauf schliesse, er habe die
Stelle gar nicht angetreten. Dass er die Stelle im Gegenteil tatsächlich
angetreten habe, behauptet er jedoch auch im bundesgerichtlichen Verfahren
nicht ausdrücklich. Die vorinstanzliche Feststellung erscheint unter diesen
Voraussetzungen jedenfalls nicht als willkürlich (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
Wie es sich mit der ehelichen Situation des Beschwerdeführers verhält, braucht
nicht im Detail erörtert zu werden. Unbestritten ist, dass die Ehefrau des
Beschwerdeführers bereits ein halbes Jahr nach der Heirat anlässlich einer
Polizeikontrolle von einer Scheidung sprach und dass der Beschwerdeführer
ausgesagt hat, bis im April 2017 während drei Monaten getrennt von seiner
Ehefrau gelebt zu haben. Auch den von der Vorinstanz aufgedeckten Widerspruch
zwischen seiner Behauptung, er lebe seit Frühling 2017 wieder mit ihr zusammen,
und einer Aussage anlässlich einer Befragung vom 9. Mai 2017, wonach er bei
einem Kollegen wohne, bestreitet er nicht. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu
beanstanden, dass das Kantonsgericht davon ausging, dass die Ehe den
Beschwerdeführer nicht von einer Flucht abhalten würde. Die in diesem
Zusammenhang vorgebrachte Rüge der Verletzung des Rechts auf Achtung des
Privat- und Familienlebens ist offensichtlich unbegründet. Dieses Recht steht
einer Erörterung der ehelichen Verhältnisse in einem Verfahren, in welchem
diese eine Rolle spielen, nicht entgegen. Ebenfalls unbegründet ist die Rüge
der Verletzung der Unschuldsvermutung. Dem angefochtenen Entscheid lassen sich
keinerlei vorverurteilende Äusserungen entnehmen. Der Hinweis auf ein hängiges
Strafverfahren stellt keine solche dar. 
Ein Indiz gegen die Annahme von Fluchtgefahr liegt grundsätzlich darin, dass
sich der Beschwerdeführer während des gesamten bisherigen Verfahrens zur
Verfügung der Strafbehörden gehalten hat. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass
er bis zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung auch mit der Möglichkeit eines
Freispruchs oder einer milderen Strafe rechnen konnte. Das Unterlassen eines
Fluchtversuchs und der Umstand, dass er angeblich mit einem gepackten Koffer
zur Urteilseröffnung erschien, fallen deshalb kaum ins Gewicht. 
Die hohe zu erwartende Strafe und die Landesverweisung, die Verbundenheit mit
Albanien und Italien sowie die instabile persönliche und wirtschaftliche
Verankerung in der Schweiz lassen insgesamt auf eine ausgeprägte Fluchtgefahr
schliessen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese mit Ersatzmassnahmen
gemäss Art. 237 ff. StPO gebannt werden könnte. 
 
4.   
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Das
Gesuch ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der
finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist durch reduzierte Gerichtskosten
Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
  
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft
Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht,
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Januar 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold 

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