Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.50/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_50/2017

Urteil vom 27. Februar 2017

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Ernst Reber,

gegen

Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, Wildischachenstrasse 14, 5200 Brugg.

Gegenstand
Verlängerung der Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 25. Januar 2017 des Obergerichts des Kantons
Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach führt gegen A.________ ein Strafverfahren
wegen mehrfacher versuchter sexueller Handlungen mit einem Kind sowie
versuchter Pornografie. Sie wirft ihm im Wesentlichen vor, mehrfach
Chatteilnehmerinnen und -teilnehmer, bei denen er davon habe ausgehen müssen,
dass sie jünger als 16 Jahre alt seien, zu sexuellen Handlungen verleitet zu
haben. Einer Chatpartnerin habe er ein Bild seines Penis geschickt.

A.________ wurde am 18. Juli 2016 verhaftet. Das Zwangsmassnahmengericht des
Kantons Aargau versetzte ihn am 21. Juli 2016 in Untersuchungshaft. Mit
Verfügung vom 19. Oktober 2016 verlängerte es die Haft bis zum 18. Januar 2017.
Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte die Haftverlängerung mit
Entscheid vom 16. November 2016. Eine von A.________ dagegen erhobene
Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 4. Januar 2017 ab (Verfahren
1B_468/2016).

Am 23. Dezember 2016 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die
Untersuchungshaft auf Antrag der Staatsanwaltschaft um drei Monate bis zum 18.
April 2017 und wies gleichzeitig ein von A.________ gestelltes
Haftentlassungsgesuch ab. Eine von diesem daraufhin erhobene Beschwerde wies
das Obergericht mit Entscheid vom 25. Januar 2017 ab.

B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 10. Februar 2017 beantragt
A.________, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und anstelle der
Untersuchungshaft sei eine ambulante therapeutische Massnahme anzuordnen.

Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft
beantragt die Abweisung der Beschwerde und weist darauf hin, dass sie in der
Zwischenzeit Anklage erhoben habe. Der Beschwerdeführer hat dazu Stellung
genommen.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts betrifft die Verlängerung der
Untersuchungshaft. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff.
BGG gegeben. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und
befindet sich nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur
Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Untersuchungshaft ist unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person
eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu
befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit
anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten
verübt hat (Wiederholungsgefahr, Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO).

Der Beschwerdeführer bestreitet weder den dringenden Tatverdacht noch die
Wiederholungsgefahr. Indessen ist er der Auffassung, mit einer ambulanten
Therapie könne die bestehende Wiederholungsgefahr hinreichend eingedämmt
werden. Zudem macht er Überhaft geltend.

3.

3.1. Gemäss Art. 237 StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der
Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an,
wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Abs. 1). Untersuchungshaft
ist somit "ultima ratio". Kann der damit verfolgte Zweck - die Verhinderung von
Flucht-, Kollusions-, Wiederholungs- oder Ausführungsgefahr - mit milderen
Massnahmen erreicht werden, sind diese anzuordnen (Art. 212 Abs. 2 lit. c
StPO). Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV;
Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO; zum Ganzen: BGE 142 IV 29 E. 3.2 S. 30 f.;
140 IV 74 E. 2.2 S. 78; je mit Hinweis).

3.2. Das Bundesgericht hat sich bereits im Urteil 1B_468/2016 vom 4. Januar
2017 mit der vom Beschwerdeführer ausgehenden Wiederholungsgefahr und der
möglichen Ersatzmassnahme einer ambulanten Therapie auseinandergesetzt.
Gestützt unter anderem auf eine psychiatrische Vorabstellungnahme von Dr. med.
Fürstenau kam es zum Schluss, es sei nicht erstellt, dass die Ersatzmassnahme
die Wiederholungsgefahr innert vertretbarer Frist massgeblich zu senken
vermöchte (a.a.O., E. 3.5).

3.3. In der Zwischenzeit hat Dr. med. Fürstenau ein vom 3. Januar 2017
datierendes, umfassendes psychiatrisches Gutachten vorgelegt. Der
Beschwerdeführer macht geltend, gestützt darauf sei eine ambulante Therapie als
ausreichend zu betrachten. Er verfüge über eine klare Einsicht in seine
psychische Störung. Die Psychiaterin bestätige seine Behandlungsmotivation und
die zuverlässige Unterstützung durch seine Angehörigen. Sie stelle fest, dass
eine Massnahme dringend angezeigt sei. Zudem sei bei einem forensischen
Psychiater mit langjähriger Erfahrung ein ambulanter Therapieplatz frei. Die
Behandlungsintensität bei einer ambulanten Therapie sei gemäss dem Gutachten
vergleichbar mit der Therapie in einem Massnahmenzentrum. Eine zusätzliche
Stütze würde ihm die Arbeit in seiner eigenen Bäckerei bieten. Diese sei seit
seiner Inhaftierung geschlossen. Eine definitive Schliessung würde den Verlust
seiner Existenz bedeuten und die Resozialisierung erschweren.

3.4. Bezüglich der Risikoeinschätzung kommt die Psychiaterin in ihrem Gutachten
im Wesentlichen zum gleichen Schluss wie bereits in der Vorabstellungnahme. Es
seien mit einem hohen Risiko Verhaltensweisen denkbar, wie die, wegen denen der
Beschwerdeführer in der Vergangenheit bestraft worden bzw. mit denen er aktuell
aufgefallen sei: Kontaktaufnahme mit Mädchen über soziale Medien zum Zwecke der
Befriedigung sexueller Bedürfnisse, z.B. über verbalen Austausch über sexuelle
Inhalte oder Versenden entsprechender Bilder und Vollzug sexueller Handlungen
vor der Kamera. Im Vergleich dazu sei es zwar weniger wahrscheinlich, dass der
Beschwerdeführer "hands-on-Delikte" (mit körperlichem Kontakt) begehe. Da sein
Verhalten jedoch eine Progression erkennen lasse, müsse man auch diesbezüglich
von einem mittelgradigen Risiko ausgehen.

Gestützt auf diese Risikoeinschätzung hält die Psychiaterin eine
strafrechtliche Massnahme für dringend angezeigt. Der Beschwerdeführer scheine
intrinsisch motiviert, zukünftige Delikte zu vermeiden. Aus
forensisch-psychiatrischer Sicht sei deshalb zu diskutieren, ob die Massnahme
auch ambulant durchgeführt werden könnte, was den Vorteil hätte, dass das
soziale Gefüge (Freunde, Bekannte, Geschäft) vermutlich weniger Schaden nehmen
würde. Für die langfristige Legalprognose sei dies sicherlich günstig.
Andererseits gehöre der Beschwerdeführer allein aufgrund der Vorgeschichte und
der diagnostizierten psychischen Störung zu einer Tätergruppe, die auch
langfristig ein nicht zu unterschätzendes Rückfallrisiko habe. Auch im Fall
einer stationären Massnahme wäre daher eine langfristige ambulante Nachsorge
klar indiziert.

3.5. Angesichts dieser Ausführungen scheint die Auffassung des
Beschwerdeführers, dass eine ambulante Therapie in Bezug auf die langfristige
Resozialisierung gewisse Vorteile aufweise, zutreffend. Die vorliegend zu
beantwortende Frage, ob eine Haftentlassung angezeigt ist, beurteilt sich
jedoch einzig danach, ob der bestehenden Wiederholungsgefahr mit einer
Ersatzmassnahme hinreichend begegnet werden kann. Dies ist nach wie vor zu
verneinen. Die Ausführungen im psychiatrischen Gutachten, wonach auch
langfristig von einem nicht zu unterschätzenden Rückfallrisiko auszugehen sei,
bestätigen die Annahme im bundesgerichtlichen Urteil vom 4. Januar 2017, dass
die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Ersatzmassnahme die Wiederholungsgefahr
voraussichtlich nicht innert vertretbarer Frist massgeblich zu senken
vermöchte. Wenn die Vorinstanz auch in Berücksichtigung des Gutachtens vom 3.
Januar 2017 daran festhält, dass eine ambulante Therapie angesichts des (je
nach Deliktsart) mittelgradigen bis hohen Rückfallrisikos keine Alternative
darstelle, ist dies nicht zu beanstanden. Die Rüge des Beschwerdeführers ist
somit unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer macht, wie bereits im bundesgerichtlichen Verfahren 1B_468
/2016, Überhaft geltend und wiederholt im Wesentlichen seine damals schon
vorgebrachten Argumente. Insofern kann auf die betreffenden Erwägungen im
bundesgerichtlichen Urteil vom 4. Januar 2017 verwiesen werden (a.a.O., E. 4).
Auch bei einer Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum 18. April 2017 droht
danach noch keine Überhaft.

5. 
Die Beschwerde ist aus den genannten Erwägungen abzuweisen.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann
dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2. Rechtsanwalt Ernst Reber wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt
und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr.
1'500.-- entschädigt.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach
und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Februar 2017

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Dold

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