Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.49/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_49/2017

Urteil vom 30. Mai 2017

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, als Einzelrichter,
Gerichtsschreiberin Pedretti.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Selig,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn.

Gegenstand
Strafverfahren; Verfahrenstrennung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 11. Januar 2017
des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt gegen A.________ eine
Strafuntersuchung wegen des Verdachts auf Geldwäscherei, mehrfachen
Pfändungsbetrugs und Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz betreffend die
Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (LG; SR 935.5). Am 2. Juni 2016
verfügte sie gestützt auf Art. 30 StPO die Abtrennung des Verfahrens wegen
Widerhandlungen gegen das LG und dessen Überführung in ein separates
Übertretungsstrafverfahren. Diesen Entscheid focht A.________ beim Obergericht
des Kantons Solothurn an, das mangels genügender Begründung bzw. mangels
offensichtlichen Vorliegens der Beschwerdebefugnis auf das Rechtsmittel nicht
eintrat. Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom
17. November 2016 gut, soweit es darauf eintrat. Es hob den Beschluss des
Obergerichts auf und wies die Angelegenheit an dieses zurück, damit es über die
Begründetheit des Rechtsmittels befinde (Verfahren 1B_339/2016).
Nachdem im Neubeurteilungsverfahren keine neuen Anträge mehr gestellt worden
waren, wies das Obergericht die Beschwerde von A.________ mit Urteil vom 11.
Januar 2017 ab (Dispositiv Ziff. 1). Desgleichen wies es das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ab und auferlegte ihm die Kosten für das
Beschwerdeverfahren (Ziff. 2).

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 13. Februar 2017 gelangt A.________ an das
Bundesgericht und beantragt, die Ziffern 1 und 2 des obergerichtlichen Urteils
seien aufzuheben. Es sei keine Verfahrenstrennung anzuordnen und kein separates
Übertretungsstrafverfahren zu eröffnen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft
beantragt, die Beschwerde sei als erledigt vom Protokoll abzuschreiben,
eventualiter sei auf diese nicht einzutreten. In ihrer Vernehmlassung vom 6.
März 2017 führt sie dazu aus, die Verjährung der Übertretungen (mehrfache
Widerhandlungen gegen das LG und gewerbsmässige Wetten), die spätestens am 15.
April 2017 eintrete, sei unter den jetzigen prozessualen Umständen nicht mehr
zu vermeiden. Da die Abtrennungsverfügung vom 2. Juni 2016 demnach ihren Zweck
eingebüsst habe, werde sie mit Verfügung vom 6. März 2017 widerrufen.
Hinsichtlich des abgetrennten Verfahrensteils werde beabsichtigt, eine
Teileinstellung des ursprünglichen Strafverfahrens zu erlassen. Der
Beschwerdeführer beantragt in der Replik, auf die Beschwerde sei einzutreten.

Erwägungen:

1.

1.1. Nach dem Widerruf der am 2. Juni 2016 verfügten Verfahrensabtrennung durch
die Staatsanwaltschaft hat der Beschwerdeführer kein aktuelles Interesse mehr
an der Behandlung seiner Beschwerde in Strafsachen. Mit Blick auf den
Kostenentscheid der Vorinstanz beantragt er zwar dessen Aufhebung; dieser
Sachantrag wird aber nicht in rechtsgenüglicher Weise begründet. Die in der
Beschwerde gemachten Ausführungen zur unentgeltlichen Rechtspflege beziehen
sich auf das bundesgerichtliche Verfahren. Auch setzt sich der Beschwerdeführer
nicht mit den Erwägungen des Obergerichts auseinander, die es dazu bewog, ihm
die Kosten für das Beschwerdeverfahren aufzuerlegen. Insofern ist er seiner
Substanziierungspflicht nicht nachgekommen (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106
Abs. 2 BGG). Er macht indes geltend, auf die Beschwerde sei trotz Wegfalls des
aktuellen praktischen Interesses ausnahmsweise einzutreten.

1.2. Gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde berechtigt, wer vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an
der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Das Interesse
muss aktuell sein, mithin auch im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch bestehen.
Fällt das aktuelle Interesse - wie hier - im Verlaufe des Verfahrens dahin,
wird die Sache als erledigt erklärt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143; 136 III 497
E. 2.1 S. 500; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht verzichtet lediglich
ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, so wenn
sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit
wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je
möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im
öffentliche Interesse liegt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 S. 143; 139 I 206 E. 1.1 S.
208).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die mit der Beschwerde
aufgeworfene Frage der Verfahrenstrennung wegen drohender Verjährung stellt
sich selten unter gleichen oder ähnlichen Umständen, hängt sie doch stark von
den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Da ausserdem davon auszugehen
ist, dass die Verfahrenstrennung in solchen Situationen - auch im Hinblick auf
ein allfälliges Beschwerdeverfahren - frühzeitig verfügt wird, kann sie im
Normalfall nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs rechtzeitig durch
Beschwerde in Strafsachen einer Überprüfung durch das Bundesgericht zugeführt
werden. Schliesslich ist weder ersichtlich noch legt der Beschwerdeführer dar,
dass hier durch die EMRK geschützte Ansprüche zur Diskussion stehen (vgl. BGE
139 I 206 E. 1.2.1 S. 208 f.). Das vorliegende Verfahren ist daher mit
einzelrichtlichem Entscheid vom Geschäftsverzeichnis abzuschreiben (Art. 32
Abs. 2 BGG).

1.3. Erklärt das Bundesgericht einen Rechtsstreit als erledigt, entscheidet es
mit summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor
Eintritt des Erledigungsgrunds (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP [SR 273]). Dabei
ist in erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen.
Dem Bundesgericht steht diesbezüglich ein weites Ermessen zu. Nach ständiger
Praxis kann es nicht darum gehen, bei der Beurteilung des Kostenpunkts über die
materielle Begründetheit der Beschwerde abschliessend zu befinden (BGE 125 V
373 E. 2a S. 374 f.; 118 Ia 488 E. 4a S. 494 f.). Im Folgenden sind die
Erfolgsaussichten der Beschwerde summarisch zu prüfen.

2.

2.1. Art. 29 StPO verankert, gemäss der ausdrücklichen Marginalie der
Bestimmung, den Grundsatz der Verfahrenseinheit. Dieser besagt unter anderem,
dass mehrere Straftaten einer einzelnen Person in der Regel in einem einzigen
Verfahren verfolgt und beurteilt werden. Eine Verfahrenstrennung ist nach Art.
30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme
bleiben. Als sachlicher Trennungsgrund gilt etwa die bevorstehende Verjährung
einzelner Straftaten oder die Unerreichbarkeit einzelner Mitbeschuldigter. Die
Beispiele beziehen sich auf Charakteristika des Verfahrens, des Täters oder der
Tat, nicht aber auf organisatorische Aspekte auf Seiten der
Strafverfolgungsbehörden (BGE 138 IV 214 E. 3.2 S. 219; Urteil 1B_339/2016 vom
17. November 2016 E. 2.3).

2.2. Gestützt auf diese Rechtsprechung erwog die Vorinstanz, der Umstand, dass
sich die Strafuntersuchung in den letzten anderthalb Jahren hingezogen habe,
bedeute nicht ohne Weiteres, dass der Eintritt der Verjährung der Übertretungen
hinzunehmen sei. Die "organisatorischen Aspekte auf Seiten der Strafbehörden",
auf die in BGE 138 IV 214 Bezug genommen werde, dürften im Sinne dieses Urteils
interpretiert werden, wenn die zu beurteilenden Sachverhalte nicht eine
Verknüpfung aufwiesen, die eine Beurteilung des einen Sachverhalts ohne den
anderen als nicht gangbar erscheinen liesse. Eine solche Konstellation liege
hier nicht vor. Das Schicksal des in Zusammenhang mit den Übertretungen
beschlagnahmten Betrags hänge primär davon ab, wie diese Vorwürfe beurteilt
würden. Ein gleicher Lebenssachverhalt oder eine Verknüpfung im vorerwähnten
Sinne sei nicht erkennbar und es bestehe auch keine Gefahr von sich
widersprechenden Urteilen. Die drohende Verjährung vermöge daher unter den
Umständen des vorliegenden Falls eine Verfahrenstrennung zu rechtfertigen.

2.3. Eine summarische Prüfung der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen
ergibt, dass sich der mutmassliche Ausgang des Verfahrens nicht ohne Weiteres
feststellen lässt. In solchen Fällen wird in erster Linie jene Partei kosten-
und entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren
veranlasst hat oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens geführt haben (Urteile 1C_545/2016 vom 7.
März 2017 E. 2.1; 1B_452/2016 vom 27. März 2017 E. 2.1; je mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer hat vorliegend zwar gegen die Abtrennungsverfügung vom 2. Juni
2016 Beschwerde geführt. Das Verfahren ist aber erst mit deren Widerruf durch
die Staatsanwaltschaft gegenstandslos geworden, nachdem diese festgestellt
hatte, dass die Verjährung der vorgeworfenen Straftaten beim damaligen
Prozessstand nicht mehr zu vermeiden sei. Da sich die Strafuntersuchung nach
den Darstellungen der Vorinstanz ausserdem in den letzten anderthalb Jahren
hinzog, hat die Staatsanwaltschaft die Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zu
verantworten. Demnach hat der Kanton Solothurn dem Beschwerdeführer eine
angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Von
einer Erhebung der Kosten für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzusehen
(Art. 66 Abs. 4 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ist insoweit gegenstandslos.

 Demnach verfügt der Einzelrichter:

1.
Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden vom Geschäftsverzeichnis
abgeschrieben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Solothurn hat der Vertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin
Stephanie Selig, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von
Fr. 2'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Mai 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Einzelrichter: Kneubühler

Die Gerichtsschreiberin: Pedretti

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