Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.487/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

                    
1B_487/2017           

 
 
 
Urteil vom 1. Dezember 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher Oliver Weber, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250,
3001 Bern, 
handelnd durch Staatsanwältin B. Zähner, Regionale Staatsanwaltschaft Berner
Jura-Seeland, Postfach 1180, 2501 Biel. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern,
Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 10. Oktober 2017 (BK 17 377). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Urteil des Regionalgerichts Berner Jura-Seeland vom 1. Februar 2013 wurde
A.________ der sexuellen Handlungen mit Kindern sowie des Versuchs dazu
(mehrfach begangen), der Pornografie (mehrfach begangen) und der sexuellen
Belästigung für schuldig erklärt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zugunsten einer stationären
therapeutischen Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 1 StGB aufgeschoben. 
Mit Verfügung der Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Bern vom
7. September 2012 wurde A.________ zum vorzeitigen Massnahmenantritt gemäss 
Art. 236 StPO in die Therapieabteilung der Justizvollzugsanstalt Thorberg
eingewiesen. Der Vollzugsbeginn wurde auf den 12. September 2012 festgelegt,
womit die fünfjährige Höchstdauer der Massnahme nach Art. 59 StGB am 11.
September 2017 erreicht wurde. Zwischenzeitlich, d.h. am 16. August 2016, wurde
A.________ in die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel verlegt. 
Die Bewährungs- und Vollzugsdienste des Kantons Bern beantragten dem
Regionalgericht Berner Jura-Seeland am 14. Juni 2017 die Verlängerung der
stationären Massnahme für weitere fünf Jahre. Weiter stellten sie den Antrag,
dass durch das zuständige Gericht bei Erreichen der Höchstdauer am 11.
September 2017 Sicherheitshaft oder Ersatzmassnahmen anzuordnen seien und deren
Ausgestaltung den Bewährungs- und Vollzugsdiensten zu übertragen sei. 
Am 23. August 2017 stellte das Regionalgericht Berner Jura-Seeland dem
Regionalen Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland den Antrag auf Anordnung
von Sicherheitshaft für A.________ für die vorläufige Dauer von drei Monaten.
Dieses ordnete mit Entscheid vom 31. August 2017 Sicherheitshaft bis am 30.
November 2017 an und verfügte, dass deren Vollzug nach Möglichkeit in den
Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zu erfolgen habe. 
 
B.   
Diesen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts focht A.________ mit Beschwerde
vom 16. September 2017 beim Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in
Strafsachen, an. 
Mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 hiess das Obergericht die Beschwerde
teilweise gut und stellte fest, dass das rechtliche Gehör von A.________
verletzt worden war. Soweit weitergehend, wies es die Beschwerde ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 13. November 2017 an das Bundesgericht
beantragt A.________ in der Hauptsache, den Beschluss der Vorinstanz aufzuheben
und ihn (eventuell unter Anordnung von Ersatzmassnahmen) umgehend aus der
Sicherheitshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche
Rechtspflege. 
Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft
stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Der Beschwerdeführer verzichtet auf eine
weitere Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid über die
Fortsetzung der Sicherheitshaft im nachträglichen gerichtlichen Verfahren
betreffend Verlängerung der stationären therapeutischen Massnahme (Art. 220
Abs. 2, Art. 221, Art. 229-233 und Art. 363-365 StPO i.V.m. Art. 59 StGB).
Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich gegeben (Art. 78 ff.
BGG).  
Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und hat ein
aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen
Entscheids, da er sich weiterhin in Sicherheitshaft befindet. Er ist nach Art.
81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Er macht die Verletzung von
Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten ist. 
 
1.2. Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (
Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen strafprozessualer Haft erhoben werden, prüft
das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und
Anwendung der StPO frei; Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen
Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 60; 138 IV 186 E.
1.2 S. 189; 137 IV 122 E. 2 S. 125; 340 E. 2.4 S. 346). Soweit jedoch reine
Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind,
greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE
135 I 71 E. 2.5 S. 73 f.).  
 
2.   
Das Verfahren bei selbstständigen nachträglichen Massnahmenentscheiden des
Gerichts (insbesondere Art. 363 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 59 StGB) richtet sich
nach der StPO. Eine spezifische Regelung für die Anordnung und Fortsetzung von
Sicherheitshaft enthalten die Art. 363-365 StPO nicht. Nach Einleitung des
Nachverfahrens bis zur Rechtskraft des neuen Massnahmenurteils basiert die
Anordnung und Fortsetzung von strafprozessualer Sicherheitshaft auf den (analog
anwendbaren) Bestimmungen von Art. 229-233 i.V.m. Art. 221 und Art. 220 Abs. 2
StPO (BGE 139 IV 175 E. 1.1 f. S. 178; 137 IV 333 E. 2.2 f. S. 336 ff.; Urteile
1B_490/2016 vom 24. Januar 2017 E. 2 und 1B_371/2016 vom 11. November 2016 E.
4.6). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 221 StPO und bestreitet
das Vorliegen von Wiederholungsgefahr. Die psychiatrischen Gutachter bewerteten
die Wahrscheinlichkeit, dass er mit einschlägigen Straftaten im Sinne sexueller
Handlungen mit Kindern erneut rückfällig werde, kurz bis mittelfristig als
moderat. Damit fehle es am Erfordernis der ungünstigen Rückfallprognose. Des
Weiteren sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die stationäre Massnahme
vom zuständigen Sachgericht verlängert werde. Schliesslich könne eine
allfällige Wiederholungsgefahr durch Ersatzmassnahmen im Sinne von Art. 237
StPO gebannt werden. Mit der Fortführung der deliktsorientierten Therapie und
der Einnahme einer triebhemmenden Medikation sowie der Kontrolle seiner
Alkoholabstinenz lasse sich dem moderaten Restrisiko wirkungsvoll und
verhältnismässig begegnen.  
 
3.2. Der allgemeine Haftgrund (im Sinne von Art. 221 Abs. 1 Ingress StPO)
bildet hier kein materielles Hafthindernis: Wird die Sicherheitshaft im
selbstständigen gerichtlichen Nachverfahren angeordnet, so entfällt die Prüfung
des dringenden Tatverdachts, da eine rechtskräftige Verurteilung bereits
vorliegt. Hingegen bedarf es gemäss der einschlägigen Praxis für die Anordnung
und die Weiterführung von Sicherheitshaft während des Nachverfahrens eines
besonderen Haftgrunds sowie einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass das
Verfahren zu einer Massnahme führt, welche die Sicherstellung des Betroffenen
erfordert (BGE 137 IV 333 E. 2.3.1 S. 337; Urteile 1B_490/2016 vom 24. Januar
2017 E. 4.1 und 1B_371/2016 vom 11. November 2016 E. 6).  
 
3.3. Der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr, dessen Anwendung
vorliegend in Frage steht, ist gegeben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass
die beschuldigte Person durch Verbrechen oder schwere Vergehen (vgl. dazu BGE
137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.) die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem
sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Art. 221 Abs. 1 lit. c
StPO).  
Sinn und Zweck der Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr ist die
Verhütung von Delikten. Die Haft ist somit überwiegend Präventivhaft. Die
Notwendigkeit, die beschuldigte Person an der Begehung einer strafbaren
Handlung zu hindern, anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als
Haftgrund. Die Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr dient auch dem
strafprozessualen Ziel der Beschleunigung, indem verhindert wird, dass sich das
Verfahren durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Der
Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist restriktiv zu handhaben (BGE 137 IV 84 E.
3.2 S. 85). 
 
3.4. Der Wortlaut von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist auf das ordentliche
Untersuchungs- und Hauptverfahren (mit Vortaten und neu zu untersuchenden
Delikten) zugeschnitten. Im gerichtlichen Nachverfahren mit bereits
rechtskräftig beurteilten Straftaten ist aufgrund einer Rückfallprognose zu
prüfen, ob weitere sicherheitsrelevante Verbrechen oder schwere Vergehen
drohen:  
Bei Sicherheitshaft während nachträglichen richterlichen Massnahmenverfahren
genügt grundsätzlich der (im Sanktionspunkt nochmals hängige) Gegenstand der
bereits erfolgten Verurteilung als Vordelinquenz im Sinne von Art. 221 Abs. 1
lit. c StPO (vgl. BGE 133 IV 333 E. 2.3.3 S. 338; Urteil 1B_126/2013 vom 18.
April 2013 E. 3.5.1, nicht publ. in: BGE 139 IV 175). Ausschlaggebend ist damit
die Frage der potentiellen Gefährlichkeit der im Nachverfahren strafprozessual
inhaftierten Person (vgl. BGE 137 IV 13 E. 3 f. S. 18 ff.; 133 IV 333 E. 2.3.3
S. 338; Urteil 1B_126/2013 vom 18. April 2013 E. 3.5.2, nicht publ. in: BGE 139
IV 175). 
 
3.5. Kriterien bei der Beurteilung der Rückfallprognose sind nach der Praxis
des Bundesgerichts insbesondere die Häufigkeit und Intensität der fraglichen
Delikte. Bei dieser Bewertung sind allfällige Aggravationstendenzen, wie eine
zunehmende Eskalation respektive Gewaltintensität oder eine raschere Kadenz der
Taten, zu berücksichtigen. Zu würdigen sind des Weiteren die persönlichen
Verhältnisse der beschuldigten bzw. verurteilten Person. Liegt ein
psychiatrisches Gutachten vor, kommt diesem massgebliches Gewicht zu.  
In der Regel erscheint die Gefährdung der Sicherheit anderer umso höher, je
schwerer die drohende Tat wiegt. Betreffend die Anforderungen an die
Rückfallgefahr gilt hingegen eine umgekehrte Proportionalität. Dies bedeutet,
je schwerer die drohenden Taten sind und je höher die Gefährdung der Sicherheit
anderer ist, desto geringere Anforderungen sind an die Rückfallgefahr zu
stellen. Liegen die Tatschwere und die Sicherheitsrelevanz am oberen Ende der
Skala, so ist die Messlatte zur Annahme einer rechtserheblichen Rückfallgefahr
tiefer anzusetzen. Zugleich ist daran festzuhalten, dass der Haftgrund der
Wiederholungsgefahr restriktiv zu handhaben ist. Hieraus folgt, dass eine
negative, d.h. eine  ungünstige Rückfallprognose zur Annahme von
Wiederholungsgefahr notwendig, grundsätzlich aber auch ausreichend ist (BGE 143
IV 9 E. 2.9 f. S. 17).  
 
3.6. Die Vorinstanz hat bei ihrer Beurteilung der Rückfallprognose in erster
Linie auf das Forensisch-Psychiatrische Gutachten (Verlaufsgutachten) vom 29.
Juli 2016 abgestellt. Der Beschwerdeführer beanstandet dies zu Recht nicht;
vielmehr stützt er sich zur Begründung seiner Rechtsbegehren auf dieselbe
Expertise.  
Im Gutachten werden die für die Legalprognose günstigen und ungünstigen
Faktoren einander gegenübergestellt. Als ungünstig wird die sehr lange Zeit der
einschlägigen Delinquenz (1982-2011) bewertet. Gleiches gelte für die Tatsache,
dass mit früheren Therapien keine anhaltenden Erfolge in Bezug auf die
zentralen Risiko-Eigenschaften - pädosexuelle Affinität und risikorelevante
Alkoholproblematik - erzielt worden seien. Einschneidende Sanktionen
(Inhaftierungen) hätten den Beschwerdeführer nicht in Richtung Deliktsfreiheit
zu beeinflussen vermocht. Zusätzlich belastend auf die Legalprognose wirke sich
die in der Vergangenheit hinzugetretene allgemeine Delinquenz aus. 
Positiv stuften die Gutachter die aktuelle, allerdings noch junge Problemsicht
des Beschwerdeführers ein, welche erstmals die eigene pädosexuelle
Ansprechbarkeit in den Vordergrund rücke und nicht mehr auf dem während
Jahrzehnten gestützten Motiv einer alkoholbedingten Entgleisung aufbaue. Des
Weitern seien die "Compliance" des Beschwerdeführers bezüglich risikosenkender
Massnahmen (triebdämpfende Medikation und Antabus zur unterstützenden
Entwöhnung von Alkohol), seine moderat bis deutlich ausgeprägten
Kontrollfähigkeiten, seine realistischen Zukunftsvorstellungen sowie der
"prosozial gefärbte soziale Empfangsraum" (Familie) positiv zu bewerten. 
In einer Gesamtschau und unter Gewichtung aller Faktoren bewerteten die
Gutachter die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer mit einschlägigen
Straftaten im Sinne sexueller Handlungen mit Kindern erneut rückfällig werde,
kurz- bis mittelfristig als moderat. Moderat bedeute, dass das Risiko zwar
deutlich geringer sei als 50 %. Verglichen mit dem - naturgemäss sehr geringen
- Risiko der Normalbevölkerung sei das Risiko jedoch deutlich erhöht. Es handle
sich um ein relevantes und nicht um ein vernachlässigbares Risiko. Auch bei
einem moderat ausgeprägten Risiko seien risikosenkende Massnahmen weiterhin
klar indiziert. Die Wahrscheinlichkeit für erneute Delikte im
"Hands-off"-Bereich (sexuelle Belästigung und Pornografie) stuften die
Gutachter als leicht höher ein (moderat bis deutlich). 
 
3.7. Die Vorinstanz hat ausgeführt, der Beschwerdeführer habe eigenen Angaben
zufolge seit nunmehr sechs Jahren keinen Alkohol mehr konsumiert, was auch
mittels Tests regelmässig überprüft worden sei. Daraus lasse sich jedoch
aufgrund des geschlossenen Rahmens kaum etwas für die Situation in Freiheit
ableiten. Die freie Verfügbarkeit von Alkohol sei in der Konstellation des
Beschwerdeführers ein zentraler, spezifischer Risikofaktor. Bei seiner
sofortigen Entlassung aus der Sicherheitshaft respektive aus dem stationären
Rahmen sei aufgrund der sich daraus abrupt erschliessenden Möglichkeit der
Kontaktaufnahme zu Kindern - sei es über das Internet oder durch zufälliges
Antreffen z.B. im Schwimmbad - verbunden mit dem einfachen Zugang zu Alkohol
von einer gesellschaftlich nicht hinnehmbaren Wahrscheinlichkeit der Begehung
erneuter Sexualstraftaten auszugehen. Im (beschränkten) Rahmen der Überprüfung
der Sicherheitshaft sei auf eine ungünstige Rückfallprognose im Sinne von Art.
221 Abs. 1 lit. c StPO zu schliessen.  
 
3.8. Im Haftprüfungsverfahren ist keine umfassende Würdigung des
Forensisch-Psychiatrischen Gutachtens vorzunehmen; diese ist dem Sachgericht
vorbehalten. Die summarische Würdigung des Gutachtens durch die Vorinstanz hält
der bundesgerichtlichen Überprüfung stand.  
Insbesondere hat die Vorinstanz die im Gutachten genannten günstigen und
ungünstigen Prognosefaktoren berücksichtigt und keine einseitige oder gar
willkürliche Würdigung des Gutachtens vorgenommen. Die Vorinstanz hat der
positiven Entwicklung des Beschwerdeführers aufgrund der medikamentösen
Behandlungen und der mehrjährigen deliktsorientierten Therapie Rechnung
getragen. Zugleich durfte die Vorinstanz aber auch gewichten, dass der
Beschwerdeführer nach Auffassung der Gutachter erst seit Kurzem über
Problemeinsicht verfügt. 
Die Tatsache, dass das Rückfallrisiko in Bezug auf sexuelle Handlungen mit
Kindern im Forensisch-Psychiatrischen Gutachten kurz- bis mittelfristig
lediglich als "moderat" eingestuft wird, bedeutet entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nicht, dass die gesetzlich geforderte Erheblichkeit der
Wiederholungsgefahr zu verneinen ist. Zwar ist das Gericht unter dem Vorbehalt
triftiger Gründe an die fachlichen Feststellungen der Gutachter gebunden. Es
stellt jedoch eine Rechtsfrage dar, ab wann die Wahrscheinlichkeit einer
Rückfallgefahr als rechtserheblich zu bewerten ist (BGE 143 IV 9 E. 3.4 S. 19;
Urteile 1B_270/2016 vom 4. August 2016 E. 3.4 und 1B_349/2010 vom 9. November
2010 E. 2.3.3). 
Die Einschätzung der Gutachter, es bestehe ein moderates Rückfallrisiko, ist
vor dem Hintergrund zu würdigen, dass sie ausdrücklich eine kontrollierte und
nur schrittweise Lockerung des Vollzugsregimes empfehlen (vgl. auch E. 3.9
hiernach). Eine sofortige Entlassung wäre für den Beschwerdeführer mit grossen
Herausforderungen für die Bewährung verbunden. Mit der Vorinstanz ist davon
auszugehen, dass insbesondere die freie Verfügbarkeit von Alkohol und die
einfache Möglichkeit, mit Kindern in Kontakt zu treten, gewichtige
Risikofaktoren für einen Rückfall darstellen. 
Wie von der Vorinstanz im Weiteren zutreffend festgehalten, sind die drohenden
Delikte von erheblicher Sicherheitsrelevanz. Kinder sind besonders
schutzbedürftig und das Rechtsgut der Gefährdung der sexuellen Entwicklung
Unmündiger wiegt sehr hoch (BGE 143 IV 9 E. 3.2 S. 18). 
Es ist deshalb in Würdigung der gesamten Umstände von einer ungünstigen
Rückfallprognose auszugehen. 
 
3.9. Zu prüfen ist, ob eine Verlängerung der stationären Massnahme als
wahrscheinlich erscheint.  
Im Forensisch-Psychiatrischen Gutachten vom 29. Juli 2016 wird die Verlegung
des Beschwerdeführers in ein offen geführtes Massnahmenzentrum empfohlen. Es
könne auch in einem offen geführten Regime an den risikorelevanten Themen
weitergearbeitet werden. Allfällige, zunächst begleitete Lockerungsschritte
sollten jedoch sorgfältig vor- und nachbesprochen werden, und die bestehende
Sensibilisierung des Beschwerdeführers für risikorelevante Situationen sollte
weiter vertieft werden. Die aktuelle triebdämpfende Medikation sollte im Sinne
einer weiteren potenten Einflussmöglichkeit auf die Risiko-Eigenschaft der
pädosexuellen Affinität weitergeführt werden. Aus gutachterlicher Sicht seien
erste Vollzugsöffnungen in der Form begleiteter Ausgänge vertretbar. 
Im jüngsten Therapie- und Verlaufsbericht der Universitären Psychiatrischen
Kliniken Basel vom 15. Mai 2017 wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass
die Verlegung des Beschwerdeführers in ein offener geführtes Massnahmenzentrum
respektive eine weitere Lockerung im jetzigen Setting erwogen werden sollte. 
 
3.10. Die Vorinstanz hat erwogen, bei summarischer Prüfung der Aktenlage und
ohne dem erkennenden Sachgericht vorzugreifen, erscheine eine Verlängerung der
stationären Massnahme derzeit als wahrscheinlich. Die abschliessende Würdigung
werde im Verfahren betreffend Verlängerung der stationären Massnahme durch das
Regionalgericht Berner Jura-Seeland vorzunehmen sein. Die vorgeschlagenen
Vollzugslockerungen - wie insbesondere die Verlegung in ein offen geführtes
Massnahmenzentrum - stellten eine Vollzugsfrage dar und seien daher
grundsätzlich von den Vollzugsbehörden zu beurteilen (BGE 142 IV 1 E. 2 S. 2
ff.).  
 
3.11. Der Beschwerdeführer setzt sich in seiner Beschwerde nicht mit den
vorinstanzlichen Erwägungen auseinander. Diese verletzen kein Bundesrecht.  
Die Vorinstanz hat zu Recht gefolgert, die Verlängerung der stationären
Massnahme erscheine gestützt auf die Einschätzungen im
Forensisch-Psychiatrischen Gutachten vom 29. Juli 2016 und im Therapie- und
Verlaufsbericht vom 15. Mai 2017 als wahrscheinlich. Sowohl im Gutachten als
auch im Verlaufsbericht werden zwar Lockerungen des Vollzugsregimes
insbesondere in Form der Verlegung in ein offener geführtes Massnahmenzentrum
empfohlen. Dies setzt indes eine Verlängerung der stationären Massnahme
voraus. 
 
3.12. Zu prüfen bleibt schliesslich, ob der Wiederholungsgefahr mittels
Ersatzmassnahmen wirkungsvoll begegnet werden kann.  
Gemäss Art. 237 StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der Untersuchungs-
oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den
gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Abs. 1). Eine mögliche Ersatzmassnahme
stellt die Auflage dar, sich einer ärztlichen Behandlung oder einer Kontrolle
zu unterziehen (Abs. 2 lit. f StPO). 
 
3.13. Die Vorinstanz hat erwogen, Ersatzmassnahmen, welche in gleicher Weise
geeignet wären wie die Fortführung des aktuell geschlossenen Settings, um die
vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die Sicherheit Dritter zu bannen,
seien momentan nicht ersichtlich. Die im Raum stehende Frage einer möglichen
künftigen Verlegung in ein offener geführtes Massnahmenzentrum sei, wie
dargelegt, eine Vollzugsfrage.  
 
3.14. Der Auffassung der Vorinstanz ist zuzustimmen. Wie ausgeführt (vgl.
insbesondere E. 3.8 hiervor), erscheint gestützt auf die gutachterlichen
Schlussfolgerungen zwar eine schrittweise Lockerung des Vollzugsregimes als
angezeigt. Mit einer umgehenden Entlassung aus der Sicherheitshaft verbunden
mit blossen Ersatzmassnahmen, wie sie der Beschwerdeführer fordert, kann der
Rückfallgefahr für sexuelle Handlungen mit Kindern hingegen nicht wirkungsvoll
begegnet werden. Insbesondere stellen, wie dargelegt, bei einer Haftentlassung
die freie Verfügbarkeit von Alkohol und die einfache Möglichkeit der
Kontaktaufnahme zu Kindern trotz der medikamentösen Behandlung und der
deliktsorientierten Therapie des Beschwerdeführers gewichtige Risikofaktoren
dar. Ersatzmassnahmen sind mithin nicht in gleicher Weise geeignet wie die
Fortführung der Sicherheitshaft, um die Wiederholungsgefahr zu bannen.  
 
3.15. Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten entgegen dem Vorbringen des
Beschwerdeführers weder Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO noch Art. 237 StPO
verletzt. Ebenso wenig liegt ein Verstoss gegen Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK vor
(vgl. hierzu E. 3.3 hiervor).  
 
4.   
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen
ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches
gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht aussichtslos war und die Prozessarmut
des Beschwerdeführers offensichtlich ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen: 
 
2.1.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
2.2.   
Rechtsanwalt Oliver Weber, Biel, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
unentgeltlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Generalstaatsanwaltschaft des
Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in
Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. Dezember 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner 

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