Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.333/2017
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2017
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2017


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

[displayimage]       
1B_333/2017            

 
 
 
Urteil vom 9. Oktober 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Misic. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Philippe Currat, 
 
gegen  
 
Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Beschlagnahme, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. Juni 2017 des Bundesstrafgerichts,
Beschwerdekammer. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 26. Januar 2017 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region
Berner Jura-Seeland, eine Strafuntersuchung gegen A.________ unter anderem
wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen zwischen 2006 und 2016.
Gleichzeitig bestellte sie dem Beschuldigten einen amtlichen Verteidiger.
Anlässlich der gleichentags durchgeführten Hausdurchsuchung stellte die
Kantonspolizei Bern unter anderem Bargeld in verschiedenen Währungen sicher,
das die Staatsanwaltschaft mit Befehl vom 27. Januar 2017 beschlagnahmte. Die
Bundesanwaltschaft (BA) übernahm am 3. Februar 2017 die Strafuntersuchung gegen
A.________. Am 7. Februar 2017 zeigte Rechtsanwalt Philippe Currat der BA an,
dass er von A.________ als Wahlverteidiger beauftragt worden sei. Diese
sistierte in der Folge das Mandat des amtlichen Verteidigers. 
 
B.   
Mit Schreiben vom 9. März 2017 beantragte der Wahlverteidiger bei der BA die
Aufhebung der Beschlagnahme des Bargelds und die Aushändigung der
entsprechenden Geldbeträge. Am 24. April 2017 gelangte er erneut an die BA und
verlangte, dass über seinen Antrag vom 9. März 2017 zu entscheiden sei. Mit
Schreiben vom 28. April 2017 teilte die BA mit, sie sehe sich derzeit nicht
veranlasst, die mit in der Zwischenzeit rechtskräftiger Verfügung
beschlagnahmten Bargeldbeträge freizugeben. 
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde hat die Beschwerdekammer des
Bundesstrafgerichts mit Beschluss vom 28. Juni 2017 abgewiesen. 
 
C.   
A.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt die unverzügliche
Aufhebung der Beschlagnahme des Bargelds. Er ersucht um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung durch Rechtsanwalt Philippe Currat. 
Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts verweist auf den angefochtenen
Beschluss und hält an dessen Begründung fest. Die Bundesanwaltschaft beantragt
die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat sich nicht mehr
geäussert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in Strafsachen ist ausnahmsweise zulässig gegen Entscheide der
Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts, soweit es sich um Entscheide über
strafprozessuale Zwangsmassnahmen i.S.v. Art. 197 StPO handelt (Art. 79 BGG).
Darüber hinaus muss bei strafprozessualen Zwischenentscheiden ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil drohen (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Bei der hier
streitigen Vermögensbeschlagnahme (Art. 263 Abs. 1 Bst. b StPO) handelt es sich
um eine Zwangsmassnahme, welche nach ständiger Praxis einen drohenden nicht
wieder gutzumachenden Rechtsnachteil begründen kann (vgl. BGE 128 I 129 E. 1 S.
131 sowie, statt vieler, Urteile des Bundesgerichts 1B_4/2017 vom 3. März 2017
E. 1 und 1B_405/2016 vom 27. Februar 2017 mit Hinweisen). Als von der
Beschlagnahme direkt Betroffener ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde
berechtigt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen
erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.   
Der Beschwerdeführer führt in französischer Sprache Beschwerde, doch besteht
kein Grund, von der Regel von Art. 54 Abs. 1 BGG abzuweichen, wonach das Urteil
des Bundesgerichts in der Sprache des angefochtenen Entscheids (hier: Deutsch)
ergeht. 
 
3.   
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören auch
Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f.
mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 140
III 115 E. 2 S. 117, 264 E. 2.3 S. 266). Überdies muss die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
Die Bundesanwaltschaft hat am 3. Februar 2017 die Verfahrensleitung übernommen.
Die amtliche Verteidigung wurde im Zusammenhang mit der Übernahme des Mandats
durch den Wahlverteidiger nicht widerrufen, sondern vorderhand sistiert (vgl.
das Schreiben der BA an den amtlichen Verteidiger vom 9. Februar 2017 sowie die
Verfügung der BA vom 3. April 2017). Dies war in den bisherigen Verfahren stets
unbestritten. Die anderslautende Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons
Bern vom 9. März 2017, in der unter anderem das Mandat des amtlichen
Verteidigers widerrufen wurde, ist mangels Zuständigkeit unbeachtlich. Insoweit
erweist sich der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf der willkürlichen
Sachverhaltsfeststellung als offensichtlich unbegründet. Auf seine weiteren in
der Beschwerdeschrift vorgebrachten Argumente, die darauf abstützen, dass die
amtliche Verteidigung widerrufen worden sei, ist daher nicht weiter einzugehen.
Auch wenn die Strafprozessordnung die hier vorliegende "Sistierungslösung"
nicht ausdrücklich vorsieht, kann sie aus Gründen der Verfahrensökonomie sowie
im Sinne einer aus Art. 6 Abs. 1 Bst. c EMRK fliessenden "obligation positive"
geboten sein, damit die Effektivität der Verteidigung der beschuldigten Person
jederzeit gewährleistet bleibt. 
 
4.   
Nach ständiger Rechtsprechung hat das Gericht seinen Entscheid zwar zu
begründen, doch ist nicht erforderlich, dass es sich mit allen
Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt. Vielmehr kann es sich auf die
für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so
abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids
Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz
weiterziehen kann (BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237; BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; je
mit Hinweisen). Die Vorinstanz ist der Auffassung der Bundesanwaltschaft
gefolgt, wonach derzeit keine Veranlassung bestehe, die beschlagnahmten Beträge
freizugeben, zumal bereits jetzt zu erwarten sei, dass die Verfahrenskosten
höher sein werden als die beschlagnahmten Beträge (Art. 263 Abs. 1 Bst. b und 
Art. 268 StPO). Da der Grund für die Beschlagnahme offensichtlich nicht
weggefallen war (Art. 267 Abs. 1 StPO), konnte die Vorinstanz davon absehen,
sich noch ausdrücklich zur Verhältnismässigkeit der Aufrechterhaltung der
Beschlagnahme zu äussern. Im Ergebnis ist sie ihrer Begründungspflicht
nachgekommen. Die Anfechtung des Beschlusses war dem Beschwerdeführer denn auch
ohne Weiteres möglich. Insoweit liegt keine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV
und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vor. 
 
5.   
Der Beschwerdeführer bringt in der Hauptsache vor, aufgrund der Beschlagnahme
könne er die entstandenen Auslagen und Honorare seines Wahlverteidigers nicht
bezahlen. Es werde ihm eine effektive Verteidigung verwehrt und dadurch
insbesondere Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 Bst. c EMRK verletzt. Die
Bundesanwaltschaft missbrauche ihr Ermessen, wenn sie die Beschlagnahme, die
sich formell auf Kann-Bestimmungen stütze (Art. 263 und Art. 268 StPO),
aufrechterhalte. 
Das Bundesgericht hat bereits im Haftverlängerungsverfahren ausgeführt (Urteil
1B_271/2017 vom 16. August 2017 E. 7), dass der Beschwerdeführer in der
effektiven Geltendmachung der ihm zustehenden Verteidigungsrechte in keiner
Weise beeinträchtigt werde. Es sei darauf hinzuweisen, dass der verfassungs-
und konventionsrechtliche Anspruch auf angemessene Verteidigung (Art. 32 Abs. 2
BV und Art. 6 Ziff. 3 Bst. c EMRK) mit einer amtlichen Verteidigung gewahrt
werden könne. Der Umstand, dass es sich beim amtlichen Verteidiger nicht um den
"Wunschanwalt" des Beschwerdeführers handle, schliesse eine wirksame und
ausreichende Verteidigung - jedenfalls im derzeitigen (frühen)
Verfahrensstadium - nicht aus. Dass der amtliche Verteidiger ihn nicht effektiv
verteidigen könne, werde vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht und sei
auch nicht ersichtlich. Es stehe dem Beschwerdeführer deshalb offen, das
derzeit sistierte Mandat des amtlichen Verteidigers wieder zu beanspruchen.
Sein Recht auf eine angemessene Verteidigung bleibe mithin gewahrt. 
An dieser Beurteilung ist weiterhin festzuhalten. Die dagegen vorgebrachten
Einwände des Beschwerdeführers vermögen nicht zu überzeugen. Wie bereits
dargelegt, wurde das Mandat des amtlichen Verteidigers nicht widerrufen.
Deshalb kann er weder aus dem Urteil des Bundesgerichts 1B_410/2015 vom 14.
Juli 2016 noch aus den übrigen von ihm zitierten bundesgerichtlichen
Entscheiden, die hier jedoch nicht einschlägig sind, etwas zu seinen Gunsten
ableiten. Das hat bereits die Vorinstanz zutreffend festgehalten. 
Nach dem Gesagten liegt keine Verletzung des Rechts auf effektive Verteidigung
durch die Nichtfreigabe der beschlagnahmten Bargeldbeträge zur Deckung der
Kosten der Wahlverteidigung vor. Der Vorwurf, die Bundesanwaltschaft habe ihr
Ermessen missbraucht, ist unbegründet. 
 
6.   
Die Beschwerde ist abzuweisen. 
Der Beschwerdeführer ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Wie bereits im
Haftverlängerungsverfahren legt er seine finanziellen Verhältnisse jedoch
weiterhin nicht hinreichend offen, dass beurteilt werden könnte, ob er nicht
über die erforderlichen Mittel verfügt (Art. 64 Abs. 1 BGG). Das Gesuch ist
deshalb abzuweisen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das
bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Kosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 2'000.-- werden dem
Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bundesanwaltschaft und dem
Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Oktober 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Misic 

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben