Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.202/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
1B_202/2017        

Urteil vom 27. Juli 2017

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz, Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Ott,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, II. Abteilung,
An der Aa 4, Postfach 1356, 6301 Zug.

Gegenstand
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 31. März 2017 des Obergerichts des Kantons Zug,
I. Beschwerdeabteilung.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führt gegen A.________ ein
Strafverfahren wegen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage,
eventuell ungetreuer Geschäftsbesorgung und Geldwäscherei. Er soll am 22. Juli
2016 unter Verwendung der Logindaten seiner ehemaligen Lebensgefährtin
B.________, Geschäftsführerin und einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrätin
der C.________ GmbH, unrechtmässig Fr. 20'000.-- vom Firmenkonto auf sein Konto
bei der Bank D.________ überwiesen und das Geld umgehend abgehoben haben.
B.________ hat sich als Privatklägerin konstituiert.
Am 9. Januar 2017 beantragte A.________, ihm Rechtsanwalt Dominik Ott, Zürich,
als amtlichen Verteidiger beizugeben.
Am 3. Februar 2017 wies die Staatsanwaltschaft das Gesuch um amtliche
Verteidigung ab.
Am 31. März 2017 wies das Obergericht des Kantons Zug die Beschwerde von
A.________ gegen diese Verfügung der Staatsanwaltschaft ab.

B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das angefochtene Urteil
aufzuheben und ihm rückwirkend per 9. Januar 2017 Rechtsanwalt Dominik Ott als
amtlichen Verteidiger beizugeben; eventuell sei die Sache zu neuem Entscheid an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Für das Verfahren vor Bundesgericht ersucht er
zudem um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

C. 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem das
Obergericht die Abweisung des Gesuchs des Beschuldigten um Einsetzung eines
amtlichen Verteidigers schützte; dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen
zulässig (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 BGG). Er schliesst das Verfahren indessen
nicht ab; es handelt sich mithin um einen Zwischenentscheid, gegen den die
Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig ist, wenn er einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken
könnte. Das ist bei der Verweigerung der amtlichen Verteidigung der Fall (BGE
133 IV 335 E. 4 mit Hinweisen; Urteil 1B_436/2011 vom 21. September 2011, E.
1). Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird und dessen
Gesuch um amtliche Verteidigung abgelehnt wurde, ist zur Beschwerde befugt
(Art. 81 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.

2.1. Die Verteidigung ist in den Art. 128 ff. StPO geregelt. In besonders
schwer wiegenden Straffällen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen - etwa
wenn die Untersuchungshaft mehr als 10 Tage gedauert hat oder eine
Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr in Aussicht steht (Art. 130 lit. a und
b StPO) - notwendig, d.h. der beschuldigten Person muss auf jeden Fall ein
Verteidiger zur Seite gestellt werden. In Bagatellfällen - etwa wenn für den
Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe bis zu 4 Monaten, eine Geldstrafe
bis zu 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit bis zu 480 Stunden in Aussicht
steht - besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf amtliche Verteidigung
(Art. 132 Abs. 2 StPO), sondern nur ausnahmsweise, etwa wenn der Fall besondere
Schwierigkeiten bietet, denen der Beschuldigte nicht gewachsen ist, oder der
Ausgang des Verfahrens eine besondere Tragweite aufweist, etwa weil ihm der
Entzug einer Berufsausübungsbewilligung droht (Urteile 1B_217/2015 vom 20.
August 2015 E. 2.2; 1B_169/2014 vom 16. Juli 2014 E. 2.3). In den dazwischen
liegenden Fällen relativer Schwere ist eine amtliche Verteidigung anzuordnen,
wenn der Beschuldigte nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die
Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen geboten erscheint (Art. 132 Abs. 1
lit. b StPO). Letzteres ist dann der Fall, wenn der Straffall in tatsächlicher
oder rechtlicher Hinsicht Probleme aufwirft, denen der Beschuldigte allein
nicht gewachsen ist (Art. 132 Abs. 2 StPO).

2.2. Für die Staatsanwaltschaft und das Obergericht liegt die Angelegenheit
unter bzw. höchstens knapp über der Bagatellfallgrenze. Das erscheint plausibel
und wird auch nicht substantiell bestritten. Zu prüfen bleibt somit, ob das
Obergericht ohne Verletzung von Bundesrecht davon ausgehen konnte, dass das
Verfahren weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten
bietet, denen der Beschwerdeführer ohne Rechtsbeistand nicht gewachsen wäre.
Der Gegenstand des Strafverfahrens bildende Sachverhalt ist einfach: der
Beschwerdeführer soll unter Verwendung der Logindaten der Privatklägerin ohne
Berechtigung Fr. 20'000.-- vom Firmenkonto auf sein Privatkonto überwiesen und
das Geld umgehend abgehoben haben. Als Informatiker und Geschäftsmann - die
C.________ GmbH wurde 2009 von der Privatklägerin in seinem Auftrag
treuhänderisch gegründet - muss der Beschwerdeführer in der Lage sein, diesen
Vorwurf zu verstehen und sich dagegen sachgerecht zur Wehr zu setzen. Dazu sind
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers weder die Beherrschung der
deutschen Sprache erforderlich noch vertiefte Kenntnisse des vom
angelsächsischen stark abweichenden schweizerischen Rechtssystems, über die er
als Brite nicht verfüge. Es sind jedenfalls keine Anhaltspunkte ersichtlich,
dass er nicht mithilfe eines Übersetzers in der Lage wäre, einer Einvernahme zu
folgen und seinen Standpunkt sowohl im Straf- als auch im Zivilpunkt angemessen
zu vertreten. Das ist, jedenfalls in einem Verfahren an der Bagatellfallgrenze,
ausreichend, auch wenn die Privatklägerin anwaltlich vertreten ist, da die
Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, entlastende und belastende Umstände
gleichermassen zu untersuchen (Urteil 1B_2019/2016 vom 1. September 2016 E.
2.4). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Privatklägerin im
vorliegenden Fall durch den Beizug eines privaten Anwalts einen erheblichen
Vorteil verschafft hat, der erheischen würde, dem Beschuldigten zur Wahrung der
Waffengleichheit einen amtlichen Verteidiger zu bestellen. Das Obergericht hat
kein Bundesrecht verletzt, indem es die Weigerung der Staatsanwaltschaft
schützte, dem Beschwerdeführer einen amtlichen Verteidiger zu bestellen. Die
Beschwerde erweist sich als unbegründet.

3. 
Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Demzufolge trägt der Beschwerdeführer die
Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen nach
Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG abzuweisen ist: Der Beschwerdeführer weist in der
Beschwerdeschrift seine Prozessarmut nicht schlüssig nach. Er begnügt sich
vielmehr unter Verletzung seiner gesetzlichen Begründungspflicht (Art. 42 Abs.
1 und 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1; 133 II 396 E. 3.2; Urteil 1C_486/2014 vom
27. April 2014 E. 1.4) mit dem unzulässigen Verweis, seine Bedürftigkeit sei
"in den Vorakten belegt und ausgewiesen" (Beschwerde S. 6 Ziff. III. 7.).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zug, II. Abteilung, und dem Obergericht des Kantons Zug, I.
Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Juli 2017

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Störi

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