Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.129/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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1B_129/2017            

 
 
 
Urteil vom 18. Oktober 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Karlen, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter, 
 
gegen  
 
Strafgerichtspräsidentin Basel-Landschaft, Grenzacherstrasse 8, Postfach 810,
4132 Muttenz 1, 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Allgemeine Hauptabteilung,
Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz, 
 
B.________, Advokat. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Wechsel des amtlichen Verteidigers; rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Strafrecht, vom 10. Januar 2017 (470 16 233 [D 181] MU1 2015 3208 / 300 16
313). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft führte ein Strafverfahren gegen
A.________. Am 18. April 2016 setzte sie Advokat B.________ als amtlichen
Verteidiger ein. 
Am 7. September 2016 ersuchte A.________ um die Entlassung von Advokat
B.________ und Einsetzung von Rechtsanwalt Julian Burkhalter als amtlichen
Verteidiger. 
Mit Verfügung vom 14. September 2016 wies die Präsidentin des Strafgerichts
Basel-Landschaft das Gesuch ab. 
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft (Abteilung Strafrecht) mit Beschluss vom 10. Januar 2017 ab. 
 
B.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des
Kantonsgerichts aufzuheben, und weiteren Anträgen. 
 
C.  
Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen. Sie beantragt die Abweisung
der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Kantonsgericht beantragt
unter Hinweis auf seinen Beschluss die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Die Strafgerichtspräsidentin hat Gegenbemerkungen eingereicht.
Sie beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei diese
abzuweisen. Advokat B.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
A.________ hat eine Replik eingereicht, Advokat B.________ eine Duplik. 
 
D.  
Mit Verfügung vom 10. Mai 2017 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen
Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den kantonsgerichtlichen Beschluss ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die
Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur
Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Der
Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur
Beschwerde befugt.  
Der kantonsgerichtliche Beschluss schliesst das Strafverfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab. Er stellt einen Zwischenentscheid dar. Dieser
betrifft weder die Zuständigkeit noch den Ausstand. Es geht somit um einen
"anderen" Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Dagegen ist die
Beschwerde nach Absatz 1 lit. a dieser Bestimmung zulässig, wenn der
Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann.
Dies trifft bei Ablehnung eines Gesuchs um Wechsel des amtlichen Verteidigers
insbesondere zu, wenn eine wirksame Verteidigung nicht mehr gewährleistet ist (
BGE 139 IV 113 E. 1.1 S. 115 f.; Urteil 1B_259/2016 vom 11. Januar 2017 E. 1.2;
je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer legt im Einzelnen dar, weshalb dies
nach seiner Auffassung hier der Fall ist. Die Beschwerde ist somit nach Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG zulässig. 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu
keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist somit grundsätzlich
einzutreten. 
 
1.2. Mit Urteil vom 25. November 2016 stellte die Strafgerichtspräsidentin im
Verfahren nach Art. 374 f. StPO fest, dass der Beschwerdeführer
tatbestandsmässig und rechtswidrig eine versuchte einfache Körperverletzung,
eine versuchte Drohung, mehrfache Drohungen, eine Tätlichkeit, mehrfache
Sachbeschädigungen, eine Beschimpfung sowie Widerhandlungen gegen das
Strassenverkehrs- und das Betäubungsmittelgesetz begangen hat. Zufolge
Schuldunfähigkeit (Art. 19 Abs. 1 StGB) sprach sie ihn frei und wies ihn in
eine geeignete psychiatrische Einrichtung oder Massnahmenvollzugseinrichtung
ein. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.  
Das Urteil der Strafgerichtspräsidentin vom 25. November 2016 ist hier nicht
Gegenstand des Verfahrens. Soweit der Beschwerdeführer seine Aufhebung
beantragt, kann auf die Beschwerde daher nicht eingetreten werden. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches
Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 107 StPO). Die Strafgerichtspräsidentin habe die
Verfügung vom 14. September 2016 nicht begründet. Die Vorinstanz nehme an,
dieser Mangel sei im Beschwerdeverfahren geheilt worden. Dies verletze
Bundesrecht. Die Voraussetzungen der Heilung seien nicht erfüllt.  
 
2.2. Mit Schreiben vom 13. September 2016 an die Strafgerichtspräsidentin nahm
Advokat B.________ zum Gesuch um Wechsel des amtlichen Verteidigers Stellung.
Advokat B.________ beantragte die Abweisung des Gesuchs. Auf diesem Schreiben
vermerkte die Strafgerichtspräsidentin am 14. September 2016 handschriftlich,
der Antrag auf Wechsel des Verteidigers werde abgewiesen. Eine Begründung für
die Verfügung gab sie nicht.  
Zu Recht nimmt die Vorinstanz an, dass es sich bei der Verfügung vom 14.
September 2016 um keine einfache verfahrensleitende nach Art. 80 Abs. 3 StPO
handelt und sie daher gemäss Art. 80 Abs. 2 StPO hätte begründet werden müssen.
Die Vorinstanz erwägt, der Begründungsmangel sei im Beschwerdeverfahren, in
welchem sich der Beschwerdeführer umfassend habe äussern können, geheilt
worden. 
 
2.3. Nach der Rechtsprechung kann ein Mangel der Begründung im
Rechtsmittelverfahren durch das Nachreichen einer rechtsgenüglichen Begründung
geheilt werden, wenn die betroffene Partei dazu in einer Beschwerdeergänzung
bzw. im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels Stellung nehmen und damit ihre
Rechte wahrnehmen kann (BGE 107 Ia 1; Urteile 1C_603/2014 vom 22. Juli 2015 E.
4.3; 1P.13/2006 vom 24. Januar 2006 E. 2.1; je mit Hinweisen; vgl. ebenso
LORENZ KNEUBÜHLER, in: Auer und andere [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über
das Verwaltungsverfahren, 2008, N. 21 zu Art. 35 VwVG; MICHELE ALBERTINI, Der
verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des
modernen Staates, 2000, S. 460).  
 
2.4. Der Beschwerdeführer erhob am 26. September 2016 gegen die Verfügung vom
14. September 2016 Beschwerde. Am 10. Oktober 2016 nahm die
Strafgerichtspräsidentin dazu eingehend Stellung und begründete damit ihre
Verfügung nachträglich. Am 17. Oktober 2017 liess sich Advokat B.________ zur
Beschwerde vernehmen. Die Eingabe von Advokat B.________ ging bei der
Vorinstanz am 18. Oktober 2016 ein. Mit Verfügung vom 20. Oktober 2016 stellte
die Vorinstanz die Vernehmlassungen der Strafgerichtspräsidentin und von
Advokat B.________ dem Beschwerdeführer zur Kenntnisnahme zu (Ziff. 1) und
erklärte den Schriftenwechsel als geschlossen (Ziff. 4).  
Die Vorinstanz gab dem Beschwerdeführer demnach keine Gelegenheit, zur
Vernehmlassung der Strafgerichtspräsidentin vom 10. Oktober 2016 und der darin
nachgeschobenen Begründung im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels Stellung
zu nehmen. Die Erwägung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe sich im
Rahmen des Beschwerdeverfahrens umfassend äussern können, trifft daher nicht
zu. Unter diesen Umständen kann keine Heilung des Verfahrensmangels angenommen
werden. Die Heilung hätte vorausgesetzt, dass die Vorinstanz einen zweiten
Schriftenwechsel angeordnet und dem Beschwerdeführer damit Gelegenheit gegeben
hätte, sich mit Replik zur Vernehmlassung der Strafgerichtspräsidentin vom 10.
Oktober 2016 zu äussern. Da die Vorinstanz mit Verfügung vom 20. Oktober 2016
den Schriftenwechsel schloss, schnitt sie dem Beschwerdeführer die Möglichkeit
zur Replik ab (BGE 132 I 42 E. 3.3.2 am Schluss mit Hinweisen). 
 
2.5. Die Beschwerde ist deshalb, soweit darauf eingetreten werden kann,
gutzuheissen, der Beschluss des Kantonsgerichts vom 10. Januar 2017 aufzuheben
und die Sache an dieses zurückzuweisen. Das Kantonsgericht wird dem
Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben haben, zu den Vernehmlassungen der
Strafgerichtspräsidentin vom 10. Oktober 2016 und von Advokat B.________ vom
17. Oktober 2016 Stellung zu nehmen und alsdann neu zu entscheiden haben.  
Über die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers braucht nicht mehr befunden
zu werden. Anzumerken bleibt, dass dann, wenn - was hier in keiner Weise
präjudiziert werden darf - die Vorinstanz die Beschwerde erneut abweisen
sollte, sie den Umstand, dass der Beschwerdeführer Beschwerde erheben musste,
um die Gründe für die Verfügung vom 14. September 2016 zu erfahren, beim
Kostenentscheid zu berücksichtigen hätte (BGE 107 Ia 1 E. 1 S. 3; Urteil 1P.13/
2006 vom 24. Januar 2006 E. 2.1; KNEUBÜHLER, a.a.O.). 
 
3.  
Der Beschwerdeführer obsiegt zur Hauptsache. Es werden ihm deshalb keine
Gerichtskosten auferlegt; ebenso wenig Advokat B.________, da er den
Verfahrensmangel nicht zu verantworten hat, und dem Kanton (Art. 66 Abs. 1 und
4 BGG). Letzterer hat dem Vertreter des Beschwerdeführers eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit hinfällig. Die
Zusprechung einer Parteientschädigung an Advokat B.________ rechtfertigt sich
nicht, da er zur Hauptsache unterliegt. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird, soweit darauf eingetreten werden kann, gutgeheissen, der
Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 10. Januar 2017 aufgehoben
und die Sache an dieses zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Vertreter des Beschwerdeführers,
Rechtsanwalt Julian Burkhalter, eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu
bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Strafgerichtspräsidentin
Basel-Landschaft, der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, und Advokat B.________ schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. Oktober 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Karlen 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri 

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