Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 9F.9/2016
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 2016
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9F_9/2016

Urteil vom 20. März 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Meyer,
nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiber Furrer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann,
Gesuchsteller,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Gesuchsgegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Revisionsgesuch gegen das Urteil des
Schweizerischen Bundesgerichts 9C_680/2014
vom 15. Mai 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1952 geborene A.________ bezog eine ganze Invalidenrente mit Wirkung ab 1.
August 2010 und eine Entschädigung für Hilflosigkeit leichten Grades ab 1.
Januar 2011 resp. eine solche für Hilflosigkeit mittleren Grades ab 1. April
2011. Gestützt auf diverse Abklärungen ordnete die IV-Stelle Bern (fortan:
IV-Stelle) mit Verfügungen vom 20. September und 23. Oktober 2013 die Aufhebung
der Hilflosenentschädigung und der Invalidenrente rückwirkend per 31. Dezember
2011 an. Zudem verpflichtete sie A.________ am 31. Oktober 2013 zur
Rückerstattung eines Betrages von Fr. 54'672.- für die seit Januar 2012
unrechtmässig bezogenen Leistungen.
Die gegen die Verfügungen vom 20. September, 23. und 31. Oktober 2013 erhobenen
Beschwerden wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern - nach Vereinigung der
drei Beschwerdeverfahren - mit Entscheid vom 7. August 2014 ab.

B. 
Mit Urteil 9C_680/2014 vom 15. Mai 2015 wies das Bundesgericht die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des A.________ ab.

C. 
Mit Eingabe vom 30. September 2016 (Postaufgabe) ersucht A.________ um Revision
des Urteils 9C_680/2014 und beantragt im Wesentlichen, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 7. August 2014 und die damit
beurteilten Verfügungen der IV-Stelle vom 20. September, 23. und 31. Oktober
2013 seien aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz (recte: IV-Stelle)
zurückzuweisen, damit diese über die Leistungsansprüche rückwirkend ab 31.
Oktober (recte wohl: 31. Dezember) 2011 neu befinde und verfüge.

Erwägungen:

1.

1.1. Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in
Rechtskraft (Art. 61 BGG). Eine nochmalige Überprüfung der einem Urteil des
Bundesgerichts zugrunde liegenden Streitsache ist grundsätzlich ausgeschlossen.
Das Gericht kann auf seine Urteile nur zurückkommen, wenn einer der in den Art.
121 ff. BGG aufgeführten Revisionsgründe vorliegt. Ein solcher Revisionsgrund
ist ausdrücklich geltend zu machen, wobei es nicht genügt, dessen Vorliegen zu
behaupten. Der geltend gemachte Revisionsgrund ist im Revisionsgesuch unter
Angabe der Beweismittel anzugeben und es ist aufzuzeigen, weshalb er gegeben
und inwiefern deswegen das Dispositiv des früheren Urteils abzuändern sein soll
(Urteil 9F_6/2016 vom 29. November 2016 E. 1).

1.2. Gemäss Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG kann die Revision in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten verlangt werden, wenn die ersuchende
Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende
Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte,
unter Ausschluss der Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid -
mithin dem Urteil, um dessen Revision ersucht wird - entstanden sind.

1.3. Neue Tatsachen sind solche, die sich bis zum Zeitpunkt, da im
Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren,
verwirklicht haben, jedoch dem Revisionsgesuchsteller trotz hinreichender
Sorgfalt nicht bekannt waren; es handelt sich somit um unechte Noven. Die
Geltendmachung echter Noven, also von Tatsachen, die sich erst nach Ausfällung
des Urteils, das revidiert werden soll, zugetragen haben, ist ausgeschlossen.
Die neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein, das heisst, sie müssen
geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu
verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer andern
Entscheidung zu führen (Urteil 8F_14/2013 vom 11. Februar 2014 E. 1.2, publ.
in: SVR 2014 UV Nr. 22 S. 70).
Neue Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen
erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im
früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil des Gesuchstellers
unbewiesen geblieben sind. Erheblich ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist,
es hätte zu einem anderen Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren
davon Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht
bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient
(statt vieler: Urteil 8F_15/2015 vom 7. Dezember 2015 E. 1.1 mit zahlreichen
Hinweisen, publ. in: SVR 2016 IV Nr. 7 S. 21). Es genügt z. B. nicht, dass ein
neues Gutachten den Sachverhalt anders wertet; vielmehr bedarf es neuer
Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidungsgrundlagen als objektiv
mangelhaft erscheinen lassen (Urteil 8F_9/2013 vom 15. Oktober 2013 E. 1.2 mit
Hinweis auf BGE 127 V 353 E. 5b S. 358 mit Hinweisen).

1.4. Das Revisionsgesuch ist gemäss Art. 124 Abs. 1 lit. d BGG innert 90 Tagen
nach der Entdeckung des Revisionsgrundes, frühestens nach der Eröffnung der
vollständigen Ausfertigung des Entscheids einzureichen.

2.

2.1. Das Bundesgericht hat im Urteil 9C_680/2014 vom 15. Mai 2015, dessen
Revision verlangt wird, die Rechtmässigkeit der zuvor von der Gesuchsgegnerin
mit Verfügungen vom 20. September und 23. Oktober 2013 erfolgten Aufhebung der
Hilflosenentschädigung und der Invalidenrente rückwirkend per 31. Dezember 2011
bestätigt.

2.2. Massgebend für die Beurteilung der Leistungsansprüche des Gesuchstellers
war im Verfahren 9C_680/2014 der Sachverhalt, wie er sich im Zeitpunkt des
Verfügungserlasses präsentierte, das heisst am 20. September und 23. Oktober
2013 (BGE 130 V 138 E. 2.1 S. 140). Entsprechend könnte nur von einem
Revisionsgrund der erheblichen Tatsache oder des entscheidenden Beweismittels
ausgegangen werden, wenn der Gesuchsteller mit dem im Sozialversicherungsrecht
massgeblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E.
6 S. 221 mit Hinweisen) Tatsachen nachwiese, die am 20. September und 23.
Oktober 2013 bereits vorgelegen haben (vgl. Urteil 8F_1/2013 vom 25. Juni 2013
E. 4 am Anfang).
Die vom Gesuchsteller aufgelegten Berichte der Dr. med. B.________, Fachärztin
für Neurologie, vom 24. Mai und vom 9. Juni 2016 und der MRI-Bericht des
Röntgeninstituts C.________ vom 1. Juni 2016 über die gleichentags
durchgeführte Untersuchung des Schädels vermögen den eben genannten
Voraussetzungen nicht zu genügen. Denn es ist nicht mit dem erforderlichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass die im Juni 2016
bildgebend festgestellten bzw. die klinisch-neurologisch erhobenen Befunde
schon im September oder Oktober 2013 vorgelegen hatten, zumal sich im Zeitraum
von September bzw. Oktober 2013 bis Juni 2016 ohne Weiteres auch eine
Veränderung des Gesundheitszustandes des Gesuchsteller eingestellt haben kann.
Schon aus diesem Grund ist dem Gesuch kein Erfolg beschieden.

2.3. Soweit das Gesuch nicht ausschliesslich auf Befunden basiert, die
allenfalls erst nach Verfügungserlass einstanden sind (E. 2.2 hievor), ist
festzuhalten, dass mit der nachträglichen Berücksichtigung von Tatsachen und
Beweisen allenfalls der Sachverhalt korrigiert werden kann. Vorliegend will
jedoch der Gesuchsteller mit den von ihm vorgelegten Berichten der Dr. med.
B.________ erreichen, dass der Schluss der RAD-Expertin Dr. med. D.________,
Fachärztin für Neurologie, vom 12. Februar 2013 in Frage gestellt wird. Diese
hatte das Vorliegen einer Demenz - eine solche stand bereits damals als
Verdachtsdiagnose im Raum - gestützt auf die Akten sowie die von ihr
durchgeführte klinische Untersuchung als "sehr unwahrscheinlich" eingestuft.
Eine Revision dient jedoch nie dazu, die Würdigung damaliger Vorbringen erneut
zu überprüfen. Mithin ist bei einer Revision unbeachtlich, ob ein neuer Experte
nunmehr zu einem anderen Ergebnis gelangt (ELISABETH ESCHER, in: Basler
Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 7 zu Art. 123 BGG).

2.4. Schliesslich fehlt es auch an der revisionsrechtlichen Erheblichkeit der
angerufenen Tatsachen oder Beweismittel. Rechtsprechungsgemäss bildet ein neues
Gutachten - in concreto die neuen ärztlichen Berichte - noch keinen
Revisionsgrund, soweit es lediglich eine von der früheren Expertise bzw.
Beweisgrundlage abweichende Meinung vertritt. Es muss vielmehr den Fehler in
der früheren Beweisgrundlage eindeutig ("indiscutable") oder mit "überlegenen
Gründen" aufzeigen, damit es einen Revisionsgrund bilden könnte (Urteil 8F_9/
2012 vom 6. November 2012 E. 3). Dies wäre - selbst wenn von der von Dr. med.
B.________ postulierten Diagnose einer frontotemporalen Demenz auszugehen wäre
und diese schon im massgebenden Zeitraum bestanden hätte - nicht der Fall.
Entscheidend ist nicht die Diagnose (zur fehlenden Korrelation von Diagnose und
Arbeitsunfähigkeit: BGE 140 V 193 E. 3.1 S. 195), sondern deren Auswirkungen
auf die Erwerbsfähigkeit (bezüglich des Rentenanspruchs; Art. 7 und 8 ATSG)
respektive auf das Bedürfnis auf Hilfe Dritter für alltägliche
Lebensverrichtungen oder auf persönliche Überwachung (bezüglich der
Hilflosigkeit; Art. 9 ATSG). Die im Urteil 9C_680/2014 geschützte Annahme der
Vorinstanz, wonach eine erhebliche Verbesserung des Gesundheitszustands des
Beschwerdeführers eingetreten sei, stützte sich nicht zuletzt auf eine
Beweissicherung vor Ort. Diese zeigte eindrücklich auf, dass der
Beschwerdeführer - entgegen seinen wiederholt gemachten, wahrheitswidrigen
Angaben gegenüber der IV-Stelle - in der Lage war, zahlreiche Aktivitäten
auszuüben und er auch anspruchsvolle Fähigkeiten beherrschte, welche das
Bundesgericht mit der Diagnose einer mittelschweren Demenz mit vollständiger
Invalidisierung und Unfähigkeit, im täglichen Leben bzw. bei den
Alltagsverrichtungen ohne Hilfe zurecht zu kommen, als schlechtweg unvereinbar
erachtete. Die neu aufgelegten Berichte bzw. die postulierte Diagnose einer
frontotemporalen Demenz vermöchten hieran nichts zu ändern bzw. keinen Fehler
in der früheren Beweisgrundlage darzutun.

2.5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich mit den in den neu
aufgelegten Berichten festgestellten Befunden bzw. postulierten Diagnosen eine
Revision des Urteils vom 15. Mai 2015 nicht rechtfertigen lässt. Bei diesem
Ergebnis kann die Frage der Rechtzeitigkeit des Revisionsgesuches (E. 1.4
hievor) offenbleiben.

3. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Gesuchsteller
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Gesuchsteller auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. März 2017
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Furrer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben