Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.99/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_99/2016

Urteil vom 24. Mai 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Beatrice Gurzeler,
Rechtsdienst Inclusion Handicap,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Valideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 15. Dezember 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (Jg. 1981) erhielt mit Verfügung vom 24. September 2004 von der
IV-Stelle Bern rückwirkend ab 1. März 2002 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung zugesprochen, was mit Mitteilungen vom 8. Januar 2009 und
19. April 2010 bestätigt wurde. Im Rahmen eines im Februar 2012 eingeleiteten
Revisionsverfahrens hob die IV-Stelle diese Rente bei einem Invaliditätsgrad
von noch 38 % mit Verfügung vom 5. Oktober 2012 auf. Nach Aufhebung dieser
Verfügung durch das Verwaltungsgericht des Kantons Bern - mit Rückweisung der
Sache an die IV-Stelle zur Durchführung einer psychiatrischen
Verlaufsbegutachtung (Entscheid vom 4. Februar 2013) - setzte diese die bisher
gewährte Rente nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom 24.
März 2014 auf eine Viertelsrente herab (Invaliditätsgrad: 40 %).

B. 
In teilweiser Gutheissung der dagegen gerichteten Beschwerde hob das
Verwaltungsgericht auch die Verfügung vom 24. März 2014 mit Entscheid vom 15.
Dezember 2015 auf und stellte fest, dass die Versicherte ab Januar bis Juli
2013 Anspruch auf eine ganze und ab August 2013 noch auf eine halbe Rente der
Invalidenversicherung habe. Soweit weitergehend wies es die Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt mit Beschwerde ans Bundesgericht die Aufhebung des kantonalen
Entscheides vom 15. Dezember 2015 und die Gewährung mindestens einer
Dreiviertelsrente auch ab August 2013 beantragen.
Das kantonale Gericht und die IV-Stelle - Letztere unter Hinweis auf den
angefochtenen Entscheid - sehen von Ausführungen zur erhobenen Beschwerde ab
und schliessen - das kantonale Gericht sinngemäss - auf deren Abweisung. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens
entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen -
unter Beachtung der allgemeinen Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art.
42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern
allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden Fragen
zu untersuchen, also auch solche, die letztinstanzlich nicht (mehr) aufgeworfen
werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 
Aufgrund der Vorbringen in der Beschwerdeschrift ist zu prüfen, ob ab August
2013 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente statt auf die von der Vorinstanz
zugesprochene halbe Rente der Invalidenversicherung besteht.

2.1. Die für die Beurteilung dieser Streitfrage massgebenden gesetzlichen
Bestimmungen wie auch die hiezu ergangene Rechtsprechung sind im angefochtenen
Entscheid zutreffend dargelegt worden. Darauf wird verwiesen.

2.2. Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, ist
- mit der im vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid vom 4. Februar 2013
verlangten psychiatrischen Begutachtung betraut - in seiner Expertise vom 22.
November 2013, welcher unbestrittenermassen voller Beweiswert beizumessen ist,
zum Schluss gelangt, dass der Beschwerdeführerin ab Mitte April 2013 eine
fortbestehende Arbeitsunfähigkeit von 60 % attestiert werden kann. Die offenbar
eingetretene Veränderung der gesundheitlichen Beeinträchtigung resp. ihrer
Auswirkungen auf das Leistungsvermögen hat das kantonale Gericht als
Revisionsgrund im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG gewertet, was unbeanstandet
geblieben ist. Bestritten wird der unter Zuhilfenahme der in der
Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik für das Jahr 2012 (LSE 2012)
ausgewiesenen Lohnwerte ermittelte Verdienst, den die Beschwerdeführerin
mutmasslich erzielen würde, wäre sie nicht invalid geworden (Valideneinkommen).
Während das kantonale Gericht das Valideneinkommen nach Massgabe von Art. 26
Abs. 2 IVV aufgrund der eingeschlagenen Berufswahl sowie auf der Basis der
Tabellenlöhne gemäss LSE hypothetisch bestimmt, hält die Beschwerdeführerin
dafür, dass sie als Frühinvalide gelte und deshalb Art. 26 Abs. 1 IVV zur
Anwendung gelange.

3.

3.1. Entgegen der Argumentation in der Beschwerdeschrift besteht kein Anlass,
die Beschwerdeführerin als Versicherte zu betrachten, welche, wie in Art. 26
Abs. 1 IVV vorgesehen, wegen ihrer Invalidität keine zureichenden beruflichen
Kenntnisse erwerben konnte. Vielmehr entspricht ihr beruflicher Werdegang eher
dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 2 IVV, wo von Versicherten die Rede ist, welche
eine begonnene berufliche Ausbildung wegen ihrer Invalidität nicht abschliessen
konnten.

3.2. So konnte die Beschwerdeführerin die obligatorische Schulzeit während der
ersten neun Jahre offenbar noch ohne grössere, auf gesundheitliche Umstände
zurückzuführende Schwierigkeiten sogar mit guten Zeugnissen hinter sich
bringen. Erst als sie das 10. Schuljahr in einer Weiterbildungsklasse (WBK)
absolvieren wollte, in der sich Realschülerinnen auf eine Berufsausbildung mit
erhöhten Anforderungen vorbereiten, traten psychische Probleme zu Tage, die
sich vorwiegend in Ängsten beim Schulbesuch manifestierten. Sie brach deshalb
dieses Unterfangen schon nach dem ersten Schultag wieder ab. Im August 1998
nahm sie tatsächlich eine berufliche Ausbildung in Angriff, indem sie eine
Lehrstelle als Verkäuferin in einem Eisenwaren- und Haushaltgeschäft antrat.
Auch diese brach sie jedoch noch im selben Monat aus Angst vor dem damit
unabdingbar verbundenen Besuch der Gewerbeschule noch vor dem ersten Schultag
ab, um fortan im Sinne eines Praktikums als Verkaufshilfe vorerst bis August
2000 im ursprünglich vorgesehenen Lehrbetrieb weiterzuarbeiten. Anschliessend
nahm sie im September 2000 halbtags eine Tätigkeit als Hilfsverkäuferin in
einem Schuhgeschäft auf, welche sie bis April 2005 beibehalten konnte. In der
Folge war sie ab Juni 2005 im elterlichen Schreinereibetrieb als
Büromitarbeiterin mit flexiblen Arbeitszeiten angestellt. Daneben erwarb sie am
25. September 2009 nebenberuflich ein höheres Handelsdiplom mit dem Prädikat
"ausgezeichnet".

3.3. Angesichts der 1998 in Angriff genommenen Lehre (E. 3.2 hievor) ist die
vorinstanzliche Auffassung, wonach nicht ersichtlich sei, dass die nach
Abschluss der obligatorischen Schulzeit erstmals manifest gewordene - und
insoweit unbestrittene - gesundheitliche Beeinträchtigung ursächlich für die
getroffene Berufswahl als Verkäuferin zeichnete, nicht als bundesrechtswidrig
zu beanstanden - auch wenn die damals begonnene Lehre schon nach kurzer Zeit
abgebrochen wurde. Ebenso wenig beruht sie auf einer offensichtlich unrichtigen
Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs - wie
geltend gemacht - ist ebenfalls nicht ersichtlich. Entsprechend hat das
kantonale Gericht mit Recht gestützt auf Abs. 2 von Art. 26 IVV den Verdienst
eines Erwerbstätigen im Beruf, für den die Ausbildung begonnen wurde, als
Valideneinkommen betrachtet. Daran vermögen sämtliche Vorbringen in der
Beschwerdeschrift nichts zu ändern.

3.3.1. Der Psychiater Dr. med. B.________ äusserte sich in seiner Expertise vom
22. November 2013 - unter Bekräftigung der Berichte der Dres. med. C.________
vom 13. August 2012 und D.________ vom 18. April 2004 - dahingehend, dass die
Beschwerdeführerin infolge der zunehmenden Angst- und parallel dazu sich
entwickelnden Zwangs- sowie depressiven Symptomatik nicht in der Lage gewesen
sei, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren. Nach Ansicht der Vorinstanz
besagt dies lediglich, dass sie gesundheitsbedingt nicht in der Lage war, eine
ordentliche Verkaufslehre zu absolvieren. Sie bezieht die Aussage des Dr. med.
B.________ also spezifisch auf die effektiv begonnene Lehre im Verkaufsbereich
und nicht generell auf die in Art. 26 Abs. 1 IVV angesprochene Möglichkeit des
Erwerbs zureichender beruflicher Kenntnisse (vgl. Rz. 3037 des Kreisschreibens
des Bundesamtes für Sozialversicherungen über Invalidität und Hilflosigkeit in
der Invalidenversicherung [KSIH]). Diese Auslegung ist in Würdigung
medizinischer Beweisunterlagen erfolgt und schon deshalb einer
bundesgerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt - nämlich auf
Bundesrechtswidrigkeit oder offensichtlich unrichtig festgestellte
sachverhaltliche Grundlage hin - zugänglich (E. 1 hievor). Entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin ist sie nicht als "aktenwidrig und daher
willkürlich" zu bezeichnen. Ebenso wenig ist darin eine Rechtswidigkeit oder
eine offensichtlich fehlerhafte Tatsachengrundlage zu erblicken. Mit dem
vorinstanzlichen Verständnis der Aussage des Dr. med. B.________ muss es daher
sein Bewenden haben. Bei dieser Betrachtungsweise des kantonalen Gerichts aber
müssen die hinsichtlich einer Ausbildung der Beschwerdeführerin angeblich
vorhanden gewesenen Schwierigkeiten nicht allgemein für jeden beruflichen
Werdegang als invaliditätsbedingt angesehen werden. Mangels
invaliditätsbedingter Ursächlichkeit sind denn auch die in der
Beschwerdeschrift erwähnten Voraussetzungen für die Annahme einer
Frühinvalidität von vornherein nicht gegeben. Mit Recht hat daher das kantonale
Gericht Abs. 1 von Art. 26 IVV für die Beschwerdeführerin die Anwendung
versagt.

3.3.2. Ebenso wenig kann aus dem abgebrochenen Besuch der WBK (E. 3.2 hievor)
geschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin ohne gesundheitliche
Beeinträchtigung eine berufliche Ausbildung mit erhöhten Ansprüchen sowie
besseren Verdienstmöglichkeiten nicht nur beabsichtigt, sondern auch
tatsächlich realisiert hätte. Vielmehr ist mit der Vorinstanz davon auszugehen,
dass die eingeschlagene Berufsrichtung (Verkaufsbereich, Détailhandel) aus
freien Stücken und nicht etwa gesundheitlich motiviert gewählt wurde. Nicht mit
ausreichender Zuverlässigkeit ausgewiesen ist sodann, dass sie im gewählten
Wirkungsbereich ohne Behinderung einen bestimmten beruflichen Aufstieg
(Karriereschritt) hätte verwirklichen können.

3.3.3. Aufgrund der 2005 erfolgten Aufnahme einer Bürotätigkeit im elterlichen
Schreinereibetrieb (E. 3.2 hievor) schliesslich kann ebenfalls nicht mit
hinreichender Gewissheit angenommen werden, sie hätte diesen beruflichen Wandel
mit der damit verbundenen höheren Entlöhnung ohne ihre psychische
Beeinträchtigung andernorts ebenso umsetzen können. Etwas Derartiges kann auch
aus dem Erwerb eines Handelsdiploms (E. 3.2 hievor) nicht abgeleitet werden.
Bei der Arbeit im elterlichen Betrieb stand der Beschwerdeführerin immerhin
eine Bürostelle zur Verfügung, welche ihre Eltern wegen anhaltender
Verschlechterung des psychischen Zustandes und persistierender Instabilität
speziell für sie geschaffen hatten und wo sie - bei einem 50%igen Arbeitspensum
- mit viel Toleranz und Unterstützung rechnen konnte. Dass sie im
Gesundheitsfall solche Verhältnisse auch andernorts vorgefunden - oder ihrer
allenfalls gar nicht bedurft - hätte, ist in keiner Weise erstellt. Es kann
insoweit im Übrigen vollumfänglich auf die vorinstanzlichen Überlegungen
verwiesen werden, welchen seitens des Bundesgerichts nichts beizufügen bleibt.

3.4. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der angefochtene vorinstanzliche
Entscheid weder Abs. 1 noch Abs. 2 von Art. 26 IVV verletzt. Dass die
Ermittlung des Invaliditätsgrades rein rechnerisch unrichtig wäre oder die
dabei angenommenen Lohnwerte nicht den Angaben in der LSE 2012 entsprechen
würden, wird des Weiteren nicht geltend gemacht. Ebenso wenig wird die
Abstufung der Rentenberechtigung nach Massgabe der von Dr. med. B.________
jeweils bescheinigten Arbeitsfähigkeit und unter Berücksichtigung von Art. 88a
Abs. 2 IVV in Frage gestellt.

4. 
Die Beschwerde ist damit als unbegründet abzuweisen. Dem Verfahrensausgang
entsprechend sind die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) von
der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. Mai 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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