Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.90/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_90/2016

Urteil vom 11. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 8, 8510
Frauenfeld Kant. Verwaltung,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Öffentliches Personalrecht,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 25. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1973, war ab 2001 beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des
Kantons Thurgau (AWA) angestellt. Am 1. September 2014 gebar sie ihre Tochter,
welche in der Folge aus medizinischen Gründen bis 31. Oktober 2014
hospitalisiert war. A.________ machte deshalb von der Möglichkeit des Aufschubs
des Mutterschaftsurlaubs Gebrauch und bezog diesen nach Entlassung ihrer
Tochter aus dem Spital ab 1. November 2014. Das AWA regelte mit Verfügung vom
10. September 2014 den Bezug des Mutterschaftsurlaubs neu, indem es festhielt,
bis zur Entlassung des Kindes aus dem Spital habe die Arbeitnehmerin keinen
Anspruch auf Lohnfortzahlung und deshalb unbezahlten Urlaub zu beziehen. Die
Personalrekurskommission des Kantons Thurgau bestätigte dies mit Entscheid vom
20. Februar 2015.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde
am 25. November 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr vom 1.
September bis 31. Oktober 2014 Lohnfortzahlung zu gewähren; eventualiter sei
die Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung der Lohnfortzahlung zurückzuweisen.
Das AWA schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1. 
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, da die Beschwerde unter Einhaltung
der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von einer
durch die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem schutzwürdigen
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG) eingereicht
wurde und sich das Rechtsmittel gegen einen von einer letzten kantonalen
Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in
einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) richtet, keine
der in Art. 83 BGG erwähnten Ausnahmen greift und die Streitwertgrenze von Art.
85 lit. b BGG überschritten ist.
Die Beschwerdeführerin bezeichnet ihr Rechtsmittel auch als subsidiäre
Verfassungsbeschwerde. Da ihre Eingabe die Voraussetzungen der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erfüllt, ist darauf nicht einzutreten
(Art. 113 BGG).

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

3. 
Die Vorinstanz hat die Anordnung des AWA, wonach die Beschwerdeführerin in der
Zeit zwischen der Niederkunft und dem aufgeschobenen Beginn der
Mutterschaftsentschädigung unbezahlten Urlaub zu beziehen habe, bestätigt.
Die Beschwerdeführerin macht hingegen geltend, sie habe während dieser Zeit
Anspruch auf Lohnfortzahlung wegen Krankheit. Die Betrachtungsweise der
Vorinstanz sei geschlechterdiskriminierend, da die männlichen Arbeitnehmer
nicht in eine Situation kämen, in welcher sie trotz ärztlich attestierter
Krankheit ohne Lohnfortzahlung seien. Zudem verstosse diese Anordnung gegen das
auch im öffentlichen Dienstrecht geltende Beschäftigungsverbot in den ersten
acht Wochen nach der Niederkunft.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Lohnersatz für die acht
Wochen und fünf Tage zwischen ihrer Niederkunft und dem Beginn der
Mutterschaftsentschädigung bei Entlassung ihres Kindes aus dem Spital hat.
Nicht streitig ist hingegen, dass sie die Voraussetzungen für den Aufschub der
Mutterschaftsentschädigung erfüllt.

4.

4.1. Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach Art. 49 Abs. 1 BV
schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt,
eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht
nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur Vorschriften erlassen, die
nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht
beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des
Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das
Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem
Bundesrecht im Einklang steht (BGE 138 I 468 E. 2.3.1 S. 470 f.; 356 E. 5.4.2
S. 360 f.; 137 I 31 E. 4.1 S. 41).

4.2. Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 Abs. 1 BV) ist verletzt,
wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche
Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden
Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt,
die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Gleiches muss nach Massgabe
seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit
ungleich behandelt werden. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein
vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu
verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden, je nach den
herrschenden Anschauungen und Verhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen
dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Gestaltungsspielraum (BGE
138 I 225 E. 3.6.1 S. 229; 137 I 167 E. 3.5 S. 175; 136 I 1 E. 4.1 S. 5).

4.3. Nach Art. 16c Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. September 1952 über den
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Erwerbsersatzgesetz,
EOG; SR 834.1) beginnt der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung am Tag der
Niederkunft. Bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen kann die Mutter
beantragen, dass die Mutterschaftsentschädigung erst ausgerichtet wird, wenn
das Kind nach Hause kommt (Art. 16c Abs. 2 EOG). Der Beginn des
Entschädigungsanspruchs wird nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 24.
November 2004 zum Erwerbsersatzgesetz (EOV; SR 834.11) aufgeschoben, wenn die
Mutter den Antrag nach Art. 16c Abs. 2 EOG stellt (lit. a) und durch ein
Arztzeugnis nachgewiesen wird, dass das Neugeborene kurz nach der Geburt
mindestens drei Wochen im Spital verbleiben muss (lit. b). Der Aufschub beginnt
mit dem Tag der Geburt und endet am Tag, an welchem das Neugeborene zur Mutter
zurückkehrt oder stirbt (Art. 24 Abs. 2 EOV).

4.4. Art. 35a Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in
Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) hält fest, dass
Wöchnerinnen während acht Wochen nach der Niederkunft nicht und danach bis zur
16. Woche nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden dürfen.

4.5. Nach § 20 Abs. 1 der Verordnung des Grossen Rates des Kantons Thurgau vom
18. November 1998 über die Besoldung des Staatspersonals (Besoldungsverordnung,
BesVO; RB 177.22) haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Arbeitsunfähigkeit
infolge Krankheit oder Unfall während zwölf Monaten Anspruch auf den vollen
Lohn, anschliessend während weiterer zwölf Monate auf 80 % der bisherigen
Besoldung. Gemäss § 33 Abs. 1 der Verordnung des Thurgauer Regierungsrates vom
21. September 1999 zur Besoldungsverordnung (RRVBesVO; RB 177.223) ist bei
einer Abwesenheit infolge Krankheit und Unfall von mehr als fünf Tagen in der
Regel ein Arztzeugnis vorzulegen.
§ 22 Abs. 1 BesVO statuiert für Mitarbeiterinnen, welche die Voraussetzungen
für die Mutterschaftsentschädigung gemäss EOG erfüllen, den Anspruch auf 16
Wochen Urlaub bei voller Besoldung gemäss dem Beschäftigungsgrad vor der
Niederkunft. Der Urlaub beginnt in der Regel zwei Wochen vor dem ärztlich
bestimmten Niederkunftstermin (Abs. 2). Der Regierungsrat regelt nach Abs. 3
Ziff. 2 den Beginn des Urlaubs in besonderen Fällen, etwa bei Niederkunft vor
oder nach dem errechneten Termin.
Gestützt auf § 22 Abs. 3 BesVO hat der Regierungsrat in § 39a Abs. 3 RRVBesVO
festgehalten, dass der bezahlte Urlaub unterbrochen und für diese Zeit
unbezahlter Urlaub gewährt wird, wenn eine Mitarbeiterin den Anspruch auf
Mutterschaftsentschädigung nach EOG wegen längerem Spitalaufenthalt des
Neugeborenen aufschiebt.

5.

5.1. Sinn und Zweck des Mutterschaftsurlaubs ist es, dass sich die Mutter von
Schwangerschaft und Niederkunft erholen kann und ihr die nötige Zeit eingeräumt
wird, sich in den ersten Monaten intensiv um ihr Kind zu kümmern, ohne dabei in
finanzielle Bedrängnis zu kommen (Bericht der Kommission für soziale Sicherheit
und Gesundheit des Nationalrates vom 3. Oktober 2002 [Bericht Komm. NR], BBl
2002 7522, 7545 Art. 16c sowie Protokoll der Kommission für soziale Sicherheit
und Gesundheit des Nationalrates vom 3. Oktober 2002 S. 6; vgl. auch Stéphanie
Perrenoud, La protection de la maternité, 2015, S. 1113 f. mit Hinweisen).
Zugleich soll damit auch eine Entlastung der Arbeitgeber sowie eine
Verbesserung der Chancen von jungen Frauen auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden
(Perrenoud, a.a.O., S. 1114 mit Hinweis; Streiff/von Kaenel/Rudolph,
Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 16 zu Art. 342a/b OR).

5.2. Nach kantonalem Personalrecht haben Angestellte des Kantons Thurgau
während eines Jahres Anspruch auf vollen Lohnersatz bei ärztlich attestierter
gesundheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, sei dies infolge Unfalls oder infolge
einer Krankheit (vgl. E. 4.5). Gestützt auf die kantonalrechtlichen
Bestimmungen haben hingegen Mütter, welche nach der Niederkunft infolge
Hospitalisation des Neugeborenen den Bezug der Mutterschaftsentschädigung
aufgeschoben haben, keinen Anspruch auf Lohnersatz, sondern sind für die Zeit
zwischen Niederkunft und Entlassung des Neugeborenen aus dem Spital gezwungen,
unbezahlten Urlaub zu beziehen (E. 4.5). Im hier strittigen Fall soll dies auch
gelten, obwohl die Beschwerdeführerin im Rahmen der mehr als zwei Monate vor
dem errechneten Termin erfolgten Geburt für insgesamt 14 Tage hospitalisiert
und danach gemäss ärztlichem Attest während mehrerer Wochen arbeitsunfähig war.
Dadurch werde die gesundheitlich bedingte Arbeitsunfähigkeit mit
Lohnfortzahlungspflicht nicht anerkannt. Dies kommt einer Ungleichbehandlung
mit jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kantons gleich, welche aus
gesundheitlichen Gründen infolge Unfalls oder Krankheit an der Arbeitsleistung
verhindert sind und vollen Lohnersatz erhalten. Zu prüfen ist, ob diese
Ungleichbehandlung vor Bundesrecht standhält.

5.3. Im Allgemeinen tritt die gesundheitliche Arbeitsunfähigkeit als Folge
einer Krankheit oder eines Unfalles ein (§ 20 Abs. 1 BesVO). Bei der
Beschwerdeführerin hingegen war die Niederkunft ursächlich (§ 22 BesVO). Beiden
Konstellationen ist gemeinsam, dass die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung auf
gesundheitlichen Gründen beruht. Es gibt keinen sachlichen Grund, einer
Arbeitnehmerin, welche aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, zu
arbeiten, den Lohnersatz zu verwehren, bloss weil der Grund der gesundheitlich
bedingten Arbeitsunfähigkeit im Nachgang zu einer Geburt und nicht als Folge
einer Krankheit oder eines Unfalles eintritt. Dies muss umso mehr gelten, als
in der Regel von Gesetzes wegen die Arbeitsaufnahme nach der Niederkunft
während acht Wochen verboten ist (Art. 35a Abs. 3 ArG). Ob dies auch im
vorliegenden Fall zutrifft (vgl. Personalhandbuch Kanton Thurgau,
Schwangerschaft und Mutterschaft, S. 1 und S. 10; vgl. E. 4.1 des
vorinstanzlichen Entscheids), kann offen bleiben, da die Ungleichbehandlung so
oder anders unrechtmässig ist.

5.4. Daran ändert auch die Absicht des Bundesgesetzgebers, die Arbeitgeber
durch die Mutterschaftsentschädigung zu entlasten, nichts. Der eigentliche
Zweck der Mutterschaftsentschädigung, den Müttern die Zeit für die Erholung von
der Geburt und die intensive Betreuung des Neugeborenen in den ersten Monaten
finanziell abzusichern, geht vor. Überdies ist die Anzahl Fälle, bei welchen
ein Aufschub und demnach ein Lohnersatz zu Lasten des Arbeitgebers überhaupt in
Frage kommt, angesichts der restriktiven Voraussetzungen von Art. 16c Abs. 2
EOG gering (mindestens dreiwöchiger Spitalaufenthalt des Kindes; vgl. Bericht
des Bundesrates vom 28. April 2016 als Antwort auf die Postulate 10.3523 Maury
Pasquier vom 17. Juni 2010 und 10.4125 Teuscher vom 17. Dezember 2010, S. 15
f.). Weiter ist nicht ausser Acht zu lassen, dass auf Bundesebene Bestrebungen
im Gange sind, die Lohnfortzahlung in Fällen des Aufschubs nach Art. 16c Abs. 2
EOG explizit in jedem Fall sicherzustellen (vgl. Bericht des Bundesrates vom
28. April 2016). Zudem hat die Rechtsprechung in Fällen des Aufschubs nach Art.
16c Abs. 2 EOG bei dem Arbeitsrecht des OR unterstellten Frauen eine
Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (insbesondere gestützt auf die
gesetzliche Pflicht der Eltern zur Betreuung ihres Kindes) bejaht (einlässlich
Roger Rudolph, Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei Aufschub der
Mutterschaftsentschädigung infolge Spitalaufenthalt des neugeborenen Kindes,
ARV 2013 235 ff.; in diesem Sinne auch bereits der Entscheid des Genfer
Appellationsgerichts in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vom 17. Oktober 2008,
publiziert in JAR 2009 S. 522 ff.). Auch ist sich die herrschende Lehre einig,
dass in diesen Fällen ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht (vgl. etwa
Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O., N. 16 zu Art. 324a/b OR; Jürg Brühwiler,
Einzelarbeitsvertrag, 3. Aufl. 2014, N. 22 zu Art. 324a OR S. 185 und N. 3 zu
Art. 329f OR S. 279; Portmann/Rudolph, Basler Kommentar, Obligationenrecht,
Band I, 6. Aufl. 2015, N. 41 zu Art. 324a OR und N. 5 zu Art. 329f OR; Rudolph,
a.a.O., S. 239 mit Hinweisen; Sabine Steiger-Sackmann, in: Steiger-Sackmann/
Mosimann [Hrsg.], Recht der Sozialen Sicherheit, 2014, Rz. 32.73; Perrenoud,
a.a.O., S. 1153 ff. und S. 1349; a.M. wohl Frank Emmel, in: Huguenin/
Müller-Chen [Hrsg.], Handkommentar zum Schweizer Privatrecht,
Vertragsverhältnisse Teil 2, 3. Aufl. 2016, N. 1 zu Art. 329f OR; vgl. auch
Jean-Michel Duc, L'allocation de maternité et la coordination avec les autres
prestations des assurances, AJP 2005 S. 1010 f.). Diese Bestrebungen stehen
denn auch in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Grundlage für die
Mutterschaftsentschädigung (Art. 116 Abs. 3 BV), wonach die wirtschaftlichen
sprich finanziellen Folgen von Mutterschaft abgesichert werden sollen (vgl.
etwa Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016 S. 3 sowie Gächter/Filippo,
Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 22 ff. zu Art. 116 BV).

5.5. Ob diese Ungleichbehandlung allein genügt, um in allen Fällen des
Aufschubs des Mutterschaftsurlaubs nach Art. 16c Abs. 2 EOG einen Anspruch auf
Lohnersatz zu begründen, kann offen bleiben, wie sich aus der nachfolgenden
Erwägung ergibt.

6.

6.1. Die freie Wahl der Mütter, vom bundesrechtlich vorgesehenen Aufschub der
Mutterschaftsentschädigung nach Art. 16c Abs. 2 EOG Gebrauch zu machen, wird
durch die thurgauische Regelung wesentlich beeinträchtigt. Sie könnten aus
finanziellen Gründen gezwungen sein, sich trotz Erfüllung der restriktiven
Voraussetzungen von Art. 16c Abs. 2 EOG gegen einen Aufschub zu entscheiden.
Damit aber wird die Erreichung des von Art. 16c Abs. 2 EOG verfolgten Zwecks,
der Mutter die Möglichkeit zu geben, sich in den ersten Monaten zu Hause selbst
intensiv um das Kind kümmern zu können (vgl. etwa Bericht Komm. NR, BBl 2002
7522, 7545 zu Art. 16c), wesentlich erschwert oder gar aus finanziellen
Überlegungen verunmöglicht. Der kantonalrechtlich vorgesehene zwangsweise Bezug
von unbezahltem Urlaub für die Zeit zwischen Niederkunft und aufgeschobenem
Beginn der Mutterschaftsentschädigung infolge Hospitalisation des Kindes ist
umso stossender, als eine Mutter, auch wenn sie bei bester Gesundheit ist und
arbeiten könnte, dies in der Regel in den ersten acht Wochen nach der Geburt
nicht tun darf (Art. 35a Abs. 3 ArG) und durch eine vorzeitige Arbeitsaufnahme
ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung erst noch verwirkt (Art. 16d Satz
2 EOG; BGE 139 V 250; vgl. auch Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O., N. 7 zu
Art. 329f OR). Eine tatsächlich freie Wahl ist unter diesen Umständen nicht
gewährleistet.

6.2. Damit erweist sich die kantonale Regelung insofern als bundesrechtswidrig,
als sie die Verwirklichung des Bundesrechts übermässig erschwert oder
verhindert (Art. 49 Abs. 1 BV; vgl. auch Bernhard Waldmann, Basler Kommentar,
Bundesverfassung, 2015, N. 20 zu Art. 49 BV und Alexander Ruch, St. Galler
Kommentar, Die schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, N. 17 zu Art. 49
BV). Daran ändert nichts, dass auch andere Kantone eine ähnliche Lösung in
ihrem Personalrecht vorgesehen haben (vgl. dazu den Anhang zum Bericht des
Bundesrates vom 28. April 2016, S. 44 ff.).

7.

7.1. Im vorliegenden Fall ist die Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin
nach ihrer Niederkunft eingetreten und durch ärztliche Atteste ausgewiesen. Im
Rahmen der Gleichbehandlung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kantons,
welche aus gesundheitlichen Gründen infolge eines Unfalles oder einer Krankheit
arbeitsunfähig sind und vollen Lohnersatz erhalten, und unter Beachtung des
Vorranges von Bundesrecht hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf vollen
Lohnersatz zu Lasten ihres Arbeitgebers.

7.2. Da sich die Lohnfortzahlungspflicht bereits aus den genannten Gründen
ergibt, erübrigt sich eine Prüfung des Falles unter dem Aspekt der
Geschlechtergleichbehandlung wie es die Beschwerdeführerin geltend macht.
Ebenfalls braucht nicht geprüft zu werden, ob bei Aufschub der
Mutterschaftsentschädigung auch ohne persönliche Arbeitsunfähigkeit der Mutter
gestützt auf die elterliche Betreuungspflicht Anspruch auf Lohnfortzahlung
besteht (vgl. E. 5.4).

8. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Das unterliegende AWA hat die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird gutgeheissen. Die
Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 25. November 2015
und der Personalrekurskommission des Kantons Thurgau vom 20. Februar 2015 sowie
die Verfügung des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau vom 10.
September 2014 werden aufgehoben und es wird festgestellt, dass die
Beschwerdeführerin Anspruch auf vollen Lohnersatz für die Zeit vom 1. September
bis 31. Oktober 2014 hat.

2. 
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Personalrekurskommission des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. August 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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