Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.85/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_85/2016

Urteil vom 26. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Krapf,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. Dezember 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1957 geborene A.________ war als selbstständiger Architekt tätig. Am
20. Mai 2003 meldete er sich bei der IV-Stelle des Kantons Aargau zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 26. April 2005 sprach ihm diese ab 1. Juni
2003 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad 100 %). Die dagegen
erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 25. August 2005 ab. Am 6. Juli
2006 bestätigte die IV-Stelle diesen Rentenanspruch revisionsweise.

A.b. Am 19. Juni 2008 leitete die IV-Stelle erneut eine Rentenrevision ein. Sie
holte ein interdisziplinäres (internistisches, psychiatrisches und
orthopädisches) Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts (ABI) GmbH,
Basel, vom 30. August 2009 ein. Mit Vorbescheid vom 16. September 2009 zeigte
die IV-Stelle dem Versicherten die von ihr erwogene Rentenaufhebung an. Am 21.
Dezember 2009 reichte sie gegen den Versicherten Strafanzeige wegen
unrechtmässigen Bezugs von IV-Leistungen, eventuell Betrugs ein. Weiter holte
sie ein Gutachten des ABI-Arztes Dr. med. B.________, FMH Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 12. Oktober 2010 ein. Mit Verfügung vom 18. März 2011
sistierte die IV-Stelle die Rente ab sofort. Mit Verfügung vom 29. März 2011
hob sie die Rente rückwirkend per 1. Juni 2003 auf und forderte vom
Versicherten die in der Zeit vom 1. März 2004 bis 31. März 2011 zu Unrecht
ausgezahlten IV-Leistungen in Höhe von total Fr. 159'754.80 zurück. Mit
Verfügung vom 9. Mai 2011 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf berufliche
Massnahmen. Gleichentags verfügte sie die Rentenaufhebung rückwirkend ab 1.
Juni 2003, da der Invaliditätsgrad lediglich 30 % betrage; für die Zeit vom 1.
Juni 2003 bis 31. März 2011 liege eine Meldepflichtverletzung vor.

B. 
Der Versicherte erhob gegen die Verfügungen vom 29. März 2011 und 9. Mai 2011
beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau separate Beschwerden. Am 10. Juni
2011 vereinigte dieses die Verfahren. Am 14. Oktober 2014 teilte der
Versicherte der Vorinstanz mit, das Bezirksgericht als Strafgericht habe ihn
mit Entscheid vom 9. Juli 2014 von Schuld und Strafe freigesprochen. Am 23.
Januar 2015 zog die Vorinstanz diesen in Rechtskraft erwachsenen Entscheid bei.
Mit Eingabe vom 15. März 2015 hielt der Versicherte an seinen Anträgen fest. Am
11. November 2015 reichte er Berichte der Psychiater Dres. med. C.________ vom
30. Oktober 2015 und D.________ vom 5. November 2015 (betreffend seine Ehefrau)
ein. In teilweiser Gutheissung der gegen die Verfügung vom 29. März 2011
erhobenen Beschwerde änderte das Versicherungsgericht des Kantons Aargau diese
bezüglich der Rückforderung von Fr. 159'754.80 dahingehend ab, als es den
Rückforderungsbetrag auf Fr. 135'723.- (Rentenbezüge von März 2006 bis März
2011) reduzierte (Dispositiv-Ziff. 1); die Beschwerde gegen die beiden
Verfügungen vom 9. Mai 2011 wies die Vorinstanz ab (Dispositiv-Ziff. 2;
Entscheid vom 15. Dezember 2015).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei Dispositiv-Ziff. 1
insofern abzuändern, als festzustellen sei, dass er nicht verpflichtet sei, die
ausgerichteten IV-Renten (Haupt- und Kinderrenten) zurückzuzahlen; eventuell
sei er zu verpflichten, den Betrag von Fr. 6'438.- zurückzuzahlen; subeventuell
sei er zu verpflichten, den Betrag von Fr. 113'937.- zurückzuzahlen.
Dispositiv-Ziff. 2 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er über den
31. März 2011 hinaus Anspruch auf eine ganze Invalidenrente (zuzüglich
Kinderrenten) habe; eventuell sei festzustellen, dass er ab 1. Juli bzw. 1.
April 2011 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente habe; subeventuell sei die
ganze Invalidenrente auf den 30. Juni 2011 (Haupt- und Kinderrenten)
aufzuheben. Für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche
Prozessführung zu gewähren.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung, wobei Erstere auf Beschwerdeabweisung schliesst.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1
S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art.
97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige
Feststellung erheblicher Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes
bzw. der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen
an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232) sowie
Abklärungsberichten an Ort und Stelle (BGE 140 V 543 E. 3.2.1 S. 547). Die
gestützt auf diese Berichte erfolgten Feststellungen über gesundheitsbedingte
Einschränkungen betreffen Tatfragen; Gleiches gilt für die konkrete
Beweiswürdigung (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 135 V 306; SVR 2009 IV Nr. 30
S. 85 E. 3.2 [9C_431/2008]; Urteil 8C_461/2015 vom 2. November 2015 E. 1).

2. 
Die Vorinstanz legt die rechtlichen Grundlagen der Invalidität (Art. 7 f. ATSG;
Art. 4 Abs. 1 IVG) sowie die gesetzlichen Voraussetzungen des Rentenanspruchs
(Art. 28 Abs. 2 IVG), der Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E.
3 S. 132; vgl. auch BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 11) und der Rückerstattung
unrechtmässig bezogener Leistungen (Art. 25 ATSG; Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV;
vgl. BGE 130 V 380 E. 2.3.1 S. 384, 318 E. 5.2 in fine S. 319, 129 V 110 E.
1.1) richtig dar. Gleiches gilt betreffend den Beweiswert von Arztberichten
(siehe E. 1 hievor), den im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und die Frage der
Bindung des Sozialversicherungsgerichts an strafgerichtliche Feststellungen (
BGE 125 V 237 E. 6a S. 242; SVR 2012 IV Nr. 2 S. 4 E. 7.2.1 [9C_785/2010]; vgl.
auch BGE 138 V 74 E. 7 S. 81, 134 V 315 E. 4.5.3 S. 322). Darauf wird
verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass die rückwirkende Korrektur eines unrechtmässigen
Leistungsbezugs mittels Rückforderung auch im Bereich der IV eines
entsprechenden Titels bedarf. Im Einzelnen braucht es dazu einen
Rückkommenstitel im Sinne von Art. 53 Abs. 1 oder 2 ATSG (Wiedererwägung oder
Revision). In Frage kommt jedoch auch eine Revision nach Art. 17 ATSG, falls
sie gemäss Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV rückwirkend erfolgt (vgl. Urteil 9C_245
/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 5.1.1 mit Hinweisen; zum Ganzen vgl. ferner 
MEYER/    REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Aufl.
2014, N. 151 zu Art. 30-31 IVG).

3. 
Die Verneinung des Anspruchs auf berufliche Massnahmen wird in der Beschwerde
nicht thematisiert, weder im Rahmen der Anträge noch in der nachfolgenden
Begründung. Insoweit hat es mit dem vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.
Streitig und zu prüfen sind somit die Rentenaufhebung und -rückerstattung.

4.

4.1. Die Vorinstanz nimmt eine revisionsrechtliche Prüfung vor, und zwar
bezogen auf den ursprünglich leistungszusprechenden Einspracheentscheid vom 25.
August 2005. Damals erfolgte die Rentenzusprache im Wesentlichen gestützt auf
die Einschätzung des behandelnden Psychiaters Dr. med. E.________ vom 19.
September 2003, 25. September 2004 und 17. November 2004 sowie die
Stellungnahme der Ärzte des Regionalen Ärztlichen Dienstes der IV-Stelle (RAD)
vom 14. Dezember 2004. Den Revisionsgrund erblickt das kantonale Gericht im
Wegfall der für die Berentung ausschlaggebenden Depression, dies gestützt auf
das ABI-Gutachten vom 30. August 2009; der Zeitpunkt der Besserung des
Gesundheitszustandes mit voller Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit
als Architekt und in jeglichen leichten bis mittelschweren Tätigkeiten wurde in
diesem Gutachten auf denjenigen der aktuellen Begutachtung bezogen.

4.2. Danach fand bis zum Zeitpunkt der Revisionsverfügung vom 9. Mai 2011
wieder eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes statt, wie
sich insbesondere aus dem psychiatrischen ABI-Verlaufsgutachten des Dr. med.
B.________ vom 12. Oktober 2010 ergibt. Dieser schätzte die Arbeitsunfähigkeit
auf 30 % wegen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leicht
bis mittelgradige Episode (ICD-10 F33.0, F33.1). Einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung
(ICD-10 F60) mass er keine Bedeutung für die Arbeitsunfähigkeit zu. Zur
Begründung verwies er unter anderem darauf, dass keine ausgeprägte
psychiatrische Komorbidität vorliege. Auch die Persönlichkeitsstörung habe
keine Relevanz für die Arbeitsunfähigkeit. Die depressive Störung gründe im
Wesentlichen in den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, entstanden durch die
Rentenaufhebung, und einer ausgeprägten subjektiven Krankheitsüberzeugung.
Die Verneinung der Arbeitsunfähigkeit hinsichtlich der anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung durch Dr. med. B.________ erfolgte damit vor allem vor dem
Hintergrund der alten sog. Schmerzrechtsprechung (BGE 130 V 352). Davon
abgesehen fällt auf, dass eine Auseinandersetzung mit dem ABI-Gutachten vom 30.
August 2009 nicht stattfand, das Dr. med. B.________ aber vorgelegen hatte. Die
Vorinstanz misst der von Dr. med. B.________ angenommenen Arbeitsunfähigkeit
von 30 % keine Relevanz zu, da sie erstens auf psychosozialen Faktoren beruhe
und zweitens - selbst wenn dies nicht zuträfe - auch nicht vom Umfang her
anspruchsbegründend wäre. Einen Bericht des behandelnden Psychiaters Dr. med.
C.________ vom 30. Oktober 2015 erachtet die Vorinstanz als irrelevant, da sich
dieser nicht auf den Zeitpunkt der strittigen Verfügung vom 9. Mai 2011 bezogen
habe. Zur von Dr. med. B.________ ebenfalls diagnostizierten anhaltenden
somatoformen Schmerzstörung äussert sich die Vorinstanz nicht, ebenso wenig zur
neuen Rechtsprechung nach BGE 141 V 281 (zur Anwendbarkeit auf laufende
Verfahren vgl. E. 8 desselben) und deren Relevanz für den Fall des
Beschwerdeführers.

5.

5.1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das ABI-Gutachten vom 30. August
2009 wendet, dringt er damit nicht durch. Weder legt er begründet dar, dass das
kantonale Gericht in diesem Zusammenhang den Sachverhalt offensichtlich
unrichtig festgestellt hätte, indem es gestützt darauf auf eine bedeutsame
Verbesserung des Gesundheitszustandes geschlossen hat. Ebenso wenig vermag er
eine Verletzung von Bundesrecht darzutun, indem die Vorinstanz diesem Gutachten
Beweiswert zuerkannt hat. Fehl geht dabei namentlich sein Einwand, das
Gutachten sei schon deshalb unbrauchbar, da es Dr. med. B.________ nur kurze
Zeit später mit seinem Verlaufsgutachten vom 12. Oktober 2010 wesentlich
korrigiert habe. Denn Dr. med. B.________ erhob ein Wiederaufleben der
depressiven Störung, das er explizit in Zusammenhang mit der schon mit
Vorbescheid vom 16. September 2009 angekündigten Rentenaufhebung stellte.
Insofern lag ein veränderter Sachverhalt vor, was keine Rückschlüsse auf die
Qualität des früheren ABI-Gutachtens erlaubt. Der Beweiswert des ABI-Gutachtens
vom 30. August 2009 wird auch nicht durch die weiteren Vorbringen in der
Beschwerde erschüttert, sei es hinsichtlich der Bewertung der
Kränkungserlebnisse, sei es hinsichtlich Verkennung der besonderen
Anforderungen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Davon abgesehen befasst
sich der Beschwerdeführer in keiner Weise mit der Rechtsprechung zur Bedeutung
von leicht- bis höchstens mittelgradig schweren depressiven Störungen, die in
der Regel therapierbar sind und invalidenversicherungsrechtlich zu keiner
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit führen (vgl. BGE 140 V 193 E. 3.3 S. 197;
Urteil 8C_119/2016 vom 20. Mai 2016 E. 3.2).

5.2. Der Beschwerdeführer rügt jedoch, dass dem Ergänzungsgutachten des Dr.
med. B.________ vom 12. Oktober 2010 die veralteten "Überwindungskriterien" (
BGE 130 V 352) zugrunde lägen; die Anspruchsindikatoren gemäss der neuen
Rechtsprechung BGE 141 V 281 würden damit nicht berücksichtigt.
Dr. med. B.________ setzte sich mit dem Schmerzgeschehen nicht näher
auseinander. Er hielt bloss fest, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten
seit der Rentenreduktion massiv zugenommen hätten und der Beschwerdeführer auch
an depressiven Störungen leide; auf diesem Hintergrund sei die psychische
Überlagerung der Schmerzen zu sehen, es könne eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung diagnostiziert werden. Das genügt den Anforderungen an diese
Diagnose im Lichte der neuen Rechtsprechung nicht, zumal eine entsprechende
Diagnose im vorliegenden Fall weder vom behandelnden Psychiater Dr. med.
C.________ in den Berichten vom 18. April 2010 und 30. Oktober 2015 noch in
einem anderen Arztbericht (vgl. insbes. denjenigen der Klinik F.________ vom
18. Dezember 2009, wo der Versicherte 2 Monate hospitalisiert war), je gestellt
wurde. Einerseits mangelt es an jeglichen Ausführungen des Dr. med. B.________
zum diagnoseinhärenten Schweregrad (BGE 141 V 281 E. 2.1.1 S. 285). Zum andern
fehlt eine nachvollziehbare Begründung dafür, dass sich die Reaktion auf die
gegebene psychosoziale Problematik (Rentenaufhebung) tatsächlich zu einer
eigenständigen psychiatrischen Krankheit - bestehend nebst der ebenfalls
diagnostizierten depressiven Störung - verdichtet hätte.

5.3. Trotz dieser Mängel braucht es keine erneute medizinische Begutachtung
(vgl. BGE 141 V 281 E. 8 S. 309). Denn nebst der bereits erwähnten Singularität
der Diagnose bestehen Divergenzen und eine kaum vorhandene Motivation des
Versicherten, die bestehenden Schwierigkeiten anzugehen. Zudem zeigte er ein
nicht unbeachtliches alltägliches Funktionsniveau mit Einkaufen, Kochen,
gemeinsamen Abendessen mit der Familie, Mitarbeit im Haushalt, Erledigung der
Post und regelmässigen langen Spaziergängen. Vom Beschwerdeführer angegebene
Konzentrationsstörungen waren in der Begutachtung nicht zu bestätigen. Eine
schmerzbezogene Therapie erfolgte bislang nicht. Unter diesen Umständen ist im
vorliegenden Fall tatsächlich nicht von einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als
30 % auszugehen, wie im Gutachten des Dr. med. B.________ vom 12. Oktober 2010
bestätigt wurde.

6.

6.1. Den Invaliditätsgrad des Versicherten ermittelte die IV-Stelle wie folgt:
Als Valideneinkommen veranschlagte sie sein Einkommen als Architekt gemäss dem
Abklärungsbericht für Selbstständigerwerbende vom 9. September 2004,
nominallohnindexiert auf das Jahr 2009, was Fr. 105'011.- ergab. Das
Invalideneinkommen bestimmte sie aufgrund einer zumutbaren vollzeitlichen
Tätigkeit als Architekt (Einkommen analog Valideneinkommen) im Rahmen von 70 %,
was Fr. 73'508.- bzw. verglichen mit dem Valideneinkommen einen
Invaliditätsgrad von 30 % ergab. Hierauf stellte auch die Vorinstanz ab.
Diese Berechnung hat der Versicherte vorinstanzlich in keiner Weise
beanstandet, weshalb er mit seinen nunmehr dagegen erhobenen Einwänden
tatsächlicher Natur nicht zu hören ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. E. 5.1 hievor;
betreffend die Unzulässigkeit echter Noven siehe BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S.
123; Urteil 8C_776/2015 vom 22. März 2016 E. 3).

6.2. Daraus folgt als Zwischenergebnis, dass die Vorinstanz aufgrund einer
wesentlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes mit Auswirkung auf den
Rentenanspruch einen Revisionsgrund nach Art. 17 ATSG zu Recht bejaht hat.
Weder hat sie den Sachverhalt hinsichtlich des Gesundheitszustandes in
unhaltbarer Weise festgestellt, noch sind in Zusammenhang mit der Frage des
Beweiswerts und der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers
Bundesrechtsverletzungen dargetan. Daher besteht jedenfalls spätestens ab Juli
2011 kein Rentenanspruch mehr (vgl. Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV).

7.

7.1. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Rentenaufhebung bzw. des Beginns der
Rückerstattung erkannte das kantonale Gericht auf eine Meldepflichtverletzung,
weil der Beschwerdeführer trotz Rentenbezugs mit seinem Architekturbüro Fr.
642'236.05.- erwirtschaftet habe, ohne dies der IV-Stelle zu melden. Die
Vorinstanz ging davon aus, die Rückforderung könne nur innerhalb der absoluten
fünfjährigen Verwirkungsfrist vor Erlass der Rückforderungsverfügung vom 29.
März 2011 erfolgen, mithin ab März 2006. Sie ermittelte bis März 2011 einen
Rückforderungsbetrag von Fr. 135'723.-.

7.2. Betreffend Meldepflichtverletzung kann entgegen dem Beschwerdeführer weder
von offensichtlich unrichtigen Tatsachenfeststellungen noch von einer
Bundesrechtsverletzung ausgegangen werden. Obwohl er am 26. April (bzw. 25.
August) 2005 eine Invalidenrente auf der Grundlage vollständiger Arbeits- und
Erwerbsunfähigkeit zugesprochen erhalten hatte, war er durchaus erwerblich
tätig gewesen, ohne dies der IV-Stelle je gemeldet zu haben. Gegenteiliges
macht er selbst nicht geltend. Damit liegt eine Verletzung der Meldepflicht vor
(vgl. Urteil 8C_626/2014 vom 6. Januar 2015 E. 3.3).

7.3.

7.3.1. Was die vorinstanzliche Feststellung anbelangt, er habe in seinem
Betrieb einen Umsatz von Fr. 642'236.05 erzielt, wendet der Beschwerdeführer
ein, in der Zeit von 2006 bis 2011 selbst kein Einkommen erwirtschaftet zu
haben. Der Umsatz sei fast ausschliesslich auf die Arbeitsleistung seiner
Ehefrau zurückzuführen.

7.3.2. Zur Begründung beruft er sich unter anderem auf Arbeitsverträge zwischen
ihm und seiner Ehefrau, auf Tabellen mit den erfassten Arbeitsstunden für die
Jahre 2001 bis 2006, auf Handnotizen über Bauprojekte sowie auf
Einvernahmeprotokolle der Zeugen F.________ und G.________. All diese
Unterlagen legt er im Verfahren vor Bundesgericht erstmals auf, womit es sich
um sogenannte unechte Noven handelt, die nur im Rahmen von Art. 99 Abs. 1 BGG
zugelassen werden. Die diesbezüglichen Voraussetzungen (vgl. dazu die nicht
publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ Nr. 3 S. 7 [8C_690/
2011]; Urteil 8C_761/2015 vom 8. Januar 2016 E. 4.2) sind im Fall des
Beschwerdeführers nicht erfüllt, wie im mit Urteil von heute erledigten
Parallelverfahren 8C_78/2016, betreffend seine Ehefrau, im Einzelnen gezeigt
wird. Die dortigen Erwägungen gelten auch für den Beschwerdeführer, weshalb an
dieser Stelle darauf verwiesen werden kann.

7.3.3. Auch in der Sache selbst ist der Einwand des Beschwerdeführers nicht
stichhaltig. Denn im erwähnten Parallelverfahren hat sich ergeben, dass die
Ehefrau in seiner Einzelfirma bzw. später in der zusammen mit ihm am 24. Juni
2004 gegründeten H.________ GmbH nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein
mehr als 20 % betragendes Erwerbspensum geleistet hatte (E. 8). Dass er andere
Mitarbeiter angestellt gehabt hätte, macht er letztinstanzlich nicht geltend.
Wer sonst die betreffenden Einkünfte erwirtschaftet haben sollte, ist nicht
ersichtlich. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht substanziiert, dass er
in den strittigen Rückforderungsjahren bloss ein Einkommen erzielt habe, das
nicht rentenausschliessend gewesen sei.

7.3.4. Damit kann die Frage offenbleiben, ob die Rentenzusprache ab Beginn
fehlerhaft war oder ob sich im weiteren Verlauf eine nach Art. 17 ATSG
bedeutsame Veränderung in den erwerblichen Verhältnissen ergab. Insofern dringt
der Beschwerdeführer auch mit seinen Rügen betreffend Gehörsverletzung in
Zusammenhang mit der Frage nach dem Rückkommenstitel nicht durch. Dass er zur
sachgerechten Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheides nicht in der Lage
gewesen sein sollte (vgl. BGE 142 II 49 E. 9.2 S. 65 mit Hinweisen), ist
jedenfalls nicht dargetan.

7.4. Der Beschwerdeführer macht geltend, die IV-Stelle habe mit der Verfügung
vom 29. März 2011 die einjährige relative Verwirkungsfrist für die
Rückforderung (Art. 25 Abs. 2 ATSG) verpasst, da sie von dem zur Rückforderung
berechtigenden Sachverhalt bereits am 8. Juli 2008 und 7. Oktober 2009
(Besprechungen mit I.________), am 4. November 2009 (Besprechung mit der
Versicherung J.________) oder am 21. Dezember 2009 (Strafanzeige) Kenntnis
gehabt habe. Mit diesem pauschalen Vorbringen belegt der Beschwerdeführer
nicht, dass die einjährige relative Verwirkungsfrist bereits damals ausgelöst
wurde. Denn das Bundesgericht hat schon wiederholt erkannt, es sei nicht
bundesrechtswidrig, zuverlässige Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des
Leistungsbezugs erst nach Eintritt der Rechtskraft der Rentenaufhebung
anzunehmen (Urteil 8C_642/2014 vom 23. März 2015 E. 3.2 mit Hinweisen). Weshalb
dies im vorliegenden Fall nicht gelten sollte, ist nicht begründet dargetan.

7.5. Der Beschwerdeführer bringt schliesslich vor, seine Invalidenrente sei ab
Juli 2010 an die Gemeinde ausbezahlt worden, weshalb er ab diesem Zeitpunkt
nicht zu deren Rückerstattung verpflichtet werden könne (vgl. Art. 2 Abs. 1
lit. b ATSV; SVR 2010 IV Nr. 45 S. 141 E. 6.5 [9C_564/2009]; Ueli Kieser,
ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 34 zu Art. 25). Da diese Tatsache im
kantonalen Verfahren nicht behauptet wurde, ist sie als unzulässiges Novum
ebenfalls nicht zu hören (Art. 99 Abs. 1 BGG).

8. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm gewährt werden (Art. 64 BGG). Er
hat der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu in der Lage
ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Dr. Markus Krapf wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. August 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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