Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.855/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_855/2016

Urteil vom 13. Februar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Benedikt Schneider,
Beschwerdeführer,

gegen

Ersatzkasse UVG,
Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
vertreten durch Fürsprecher René W. Schleifer,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern
vom 10. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1987 geborene A.________ zog sich bei einer Auffahrkollision am 29. Januar
2010 ein kraniozervikales Beschleunigungstrauma zu. Als zuständiger
Unfallversicherer richtete die Ersatzkasse UVG Leistungen aus. Sie veranlasste
Gutachten von Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und
Psychotherapie an der Klinik C.________ vom 31. März 2011, von Dr. med.
D.________, Facharzt FMH für Neurologie, vom 17. April 2011 und vom
arbeitsmedizinischen Zentrum E.________ vom 29. Juni 2011 ein. Darüber hinaus
zog sie ein im Auftrag der IV-Stelle Luzern erstattetes polydisziplinäres
Gutachten der ASIM (Academy of Swiss Insurance Medicine, Universitätsspital
Basel) vom 24. Mai 2012 bei. Mit Verfügung vom 27. August 2015 stellte die
Ersatzkasse UVG ihre Leistungen per 31. März 2010 ein. Ein Anspruch auf eine
Invalidenrente oder eine Integritätsentschädigung bestehe mangels natürlichen
Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und den geltend gemachten Beschwerden
nicht. Daran hielt die Unfallversicherung auch auf Einsprache hin fest
(Entscheid vom 3. November 2015).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid
vom 10. November 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien ihm weitere
Versicherungsleistungen wie Taggeld, Rente und Integritätsentschädigung
auszurichten. Es sei ein Gutachten hinsichtlich der Kausalität einzuholen oder
es sei die Sache zwecks Vervollständigung des rechtserheblichen Sachverhalts an
die Vorinstanz oder die Unfallversicherung zurückzuweisen. Darüber hinaus sei
ihm die unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verwaltungsverfahren zu
gewähren. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege für das
letztinstanzliche Verfahren.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im
Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der
Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den
übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Es wendet das
Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter
Beachtung der Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2
BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen
Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden Fragen zu untersuchen, wenn diese
vor Bundesgericht nicht mehr aufgeworfen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S.
254).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der streitigen
Leistungsansprüche massgebenden gesetzlichen und von der Rechtsprechung weiter
konkretisierten Grundlagen, soweit hier von Belang, sowohl in materiell- als
auch in formell-, namentlich beweisrechtlicher Hinsicht zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Gemäss kantonalem Entscheid ist das Vorliegen objektivierbarer organischer
Unfallfolgen zu verneinen. Für die vom Versicherten beklagten Beschwerden lasse
sich in den Akten kein organisches Korrelat finden. Dem stellt der
Beschwerdeführer seine Sichtweise gegenüber, ohne dass es ihm überzeugend
aufzuzeigen gelänge, inwiefern das kantonale Gericht hier unrichtige
Feststellungen getroffen haben sollte, welche vom Bundesgericht zu korrigieren
wären (vgl. E. 1 hievor; Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

3.1.1. Der Versicherte begab sich zwei Tage nach dem Unfall erstmals in
ärztliche Behandlung. Am Spital F.________ fand man einen wachen, allseits
orientierten Patienten. Der Glasgow Coma Score (GCS) betrug maximale 15 Punkte.
Es wurden keine objektivierbaren Befunde erhoben. Es zeigte sich einzig eine
gewisse Druckdolenz der Halswirbelsäule. Weitere Beschwerden wurden nicht
angegeben. Auch die bildgebenden Untersuchungen (Computertomographie [CT] und
Magnetresonanztomographie [MRI]) zeigten keine Auffälligkeiten. Dr. med.
G.________, Fachärztin für Neurologie, fand am 9. April 2010 ausser einem
nuchealen Hardspann keine neurologischen Befunde. In der Beurteilung führte sie
an, die gravierenden Schmerzen und die deutliche Bewegungseinschränkung lasse
sich anhand der Befunde nicht erklären. Der Hausarzt des Versicherten, Dr. med.
H.________, Facharzt FMH für allgemeine Innere Medizin, schlug bereits in einem
Bericht vom 27. April 2010 bei einem therapierefraktären Verlauf und ohne einen
objektivierbaren Befund eine stationäre Rehabilitation mit psychologischer
Abklärung und Betreuung vor. Im Bericht vom 18. Januar 2011 begründete dieser
Arzt die seines Erachtens nicht vorhandene Arbeitsfähigkeit mit der Entwicklung
einer Depression. Dr. med. I.________, orthopädische Chirurgie FMH, hielt in
seinem konsiliarischen Untersuchungsbericht vom 14. Mai 2010 fest, es handle
sich um eine unklare Situation und einen ungewöhnlichen Verlauf. Es bestehe ein
ungelöster Arbeitskonflikt, welcher die Sache beträchtlich verkompliziere. Die
psychologisch-psychiatrische Seite stehe dabei fast im Vordergrund. Nach
Einsicht in eine biomechanische Analyse des Unfalls bekräftigte der Arzt,
organische Unfallfolgen hätten sich nicht nachweisen lassen (Bericht vom 11.
September 2010). Die Gutachter des arbeitsmedizinischen Zentrums E.________
hielten in ihrer Expertise vom 29. Juni 2011 zusammenfassend fest, dass aus
rheumatologisch-ortopädischer Sicht, angesichts einer nicht
HWS-Trauma-typischen Beschwerdeanamnese zu Beginn, den unauffälligen
bildgebenden und neurologischen Abkärungen und dem bei der Begutachtung
gezeigten Verhalten nicht mit der mindest notwendigen Wahrscheinlichkeit eine
somatische Unfallfolge gefunden wurde. Das vorgegebene Beschwerdebild lasse
sich nicht validieren.

3.1.2. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf verschiedene Zeugnisse des
behandelnden Hausarztes, und des Dr. med. J.________, Facharzt FMH für
Neurologie, vom 16. September 2011 - ohne aufzuzeigen, inwiefern deren
Würdigung durch die Vorinstanz unrichtig sein soll - vermag die vorinstanzliche
Feststellung, es liessen sich keine objektivierbaren organischen Unfallfolgen
nachweisen, nicht zu widerlegen. Die angeführten Arztberichte lassen an den dem
Einspracheentscheid und den dem kantonalen Entscheid zugrunde liegenden
ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen keine auch nur geringen Zweifel
aufkommen. Weitere gutachterliche Abklärungen sind daher nicht notwendig.
Entscheidend ist dabei einerseits, dass seit der Erstbehandlung keinerlei
objektivierbaren somatischen Befunde erhoben wurden. Das gilt auch für den
Bericht des Dr. med. J.________ vom 16. September 2011. Paravertebrale
Muskelverspannungen, welche als einzige Befunde angeführt werden, gelten
rechtsprechungsgemäss nicht als organische Unfallfolgen (Urteil U 326/06 vom
25. Juli 2007 E. 5.2 mit zahlreichen Hinweisen, veröffentlicht in SVR 2008 UV
Nr. 2 S. 3). Andererseits berichteten verschiedene Ärzte, inklusive des
Hausarztes Dr. med. H.________, schon kurz nach dem Unfall über psychische und
psychosoziale Schwierigkeiten, die offenbar stark im Vordergrund standen (vgl.
E. 3.1.1 hievor).

3.2. Kann nicht von einer organisch ausgewiesenen Verletzung ausgegangen
werden, bleibt zu prüfen, ob allenfalls nicht objektivierbare Schäden nach
Schleudertraumata oder eine psychische Fehlentwicklung nach dem erlittenen
Unfall vorliegen, welche als adäquat unfallkausal anerkannt werden können.

3.2.1. Für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs im Einzelfall ist zu
verlangen, dass dem Unfall eine massgebende Bedeutung für die Entstehung einer
Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit zukommt. Dies trifft dann zu, wenn er eine
gewisse Schwere aufweist. Für die Beurteilung dieser Frage ist an das
Unfallereignis anzuknüpfen, wobei - ausgehend vom augenfälligen
Geschehensablauf - zwischen banalen bzw. leichten Unfällen einerseits, schweren
Unfällen anderseits und schliesslich dem dazwischen liegenden Bereich
unterschieden wird. Bei leichten Unfällen kann die Adäquanz in der Regel
verneint werden (BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126).

3.2.2. Im kantonalen Entscheid wird detailliert ausgeführt, in welchen Fällen
eine Auffahrkollision auf ein (haltendes) Fahrzeug als leichter Unfall im Sinne
der Rechtsprechung zu betrachten ist. Darauf wird verwiesen. Entgegen der
Darstellung des Beschwerdeführers wurde der Unfall als solcher gutachterlich
untersucht. Die Arbeitsgruppe für Unfallmechanik erstellte am 7. September 2010
eine technische Kurzbeurteilung. Demnach kann von einer kollisionsbedingten
Geschwindigkeitsänderung von rund 7,5 km/h ausgegangen werden. Die Vorinstanz
hat das Ereignis vom 29. Januar 2010 zu Recht als leichten Unfall qualifiziert.
Damit erübrigt sich die Prüfung weiterer Adäquanzkritieren. Es fehlt an den
Voraussetzungen für die Weiterausrichtung von gesetzlichen Leistungen der
obligatorischen Unfallversicherung.

4. 
Strittig ist weiter die Nichtgewährung der unentgeltlichen anwaltlichen
Verbeiständung im Verwaltungsverfahren.

4.1. Die Vorinstanz legte die kumulativen Voraussetzungen für die Bejahung der
unentgeltlichen Verbeiständung im sozialversicherungsrechtlichen
Verwaltungsverfahren (sachliche Gebotenheit, Bedürftigkeit der Partei, fehlende
Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren) richtig dar (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 37
Abs. 4 ATSG; BGE 132 V 200 E. 4.1).
Die Vorinstanz verneinte die Erforderlichkeit der unentgeltlichen anwaltlichen
Vertretung im Verwaltungsverfahren mit der Begründung, in Anbetracht der
organisch nicht ausgewiesenen Unfallfolgen und des Unfallgeschehens hätten sich
keine besonders schwierigen rechtlichen oder tatsächlichen Fragen gestellt. Es
sei von einem normalen Durchschnittsfall im Sachgebiet der Unfallversicherung
auszugehen. Dieser gebiete keine Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung.
Dass der Beschwerdeführer im Rahmen der von Amtes wegen durchgeführten
Abklärungen ausnahmsweise einer anwaltlichen Verbeiständung bedurft hätte, sei
nicht ersichtlich, weshalb mindestens eine der geforderten drei Voraussetzungen
nicht erfüllt sei.

4.2. Die Einwände des Versicherten sind nicht geeignet, ein abweichendes
Ergebnis zu begründen. Zwar sind für das Erkennen von Schwachstellen einer
ärztlichen Expertise aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung (BGE 134 V 231
E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a S. 352) gewisse medizinische Kenntnisse und
juristischer Sachverstand erforderlich. Von einer komplexen Fragestellung kann
hier gleichwohl nicht gesprochen werden. Denn die gegenteilige Auffassung liefe
darauf hinaus, dass in praktisch allen Verwaltungsverfahren der Anspruch auf
unentgeltliche Rechtsverbeiständung bejaht werden müsste, in denen ein
medizinisches Gutachten zur Diskussion steht, was der Konzeption von Art. 37
Abs. 4 ATSG als einer Ausnahmeregelung widerspräche. Fehlende Rechtskenntnisse
vermögen sodann die Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung bzw. einen
"Ausnahmefall" im Sinne der Rechtsprechung nicht zu begründen (Urteil 8C_676/
2015 vom 7. Juli 2016 E. 7.2). Das vom Beschwerdeführer angerufene Prinzip der
Chancengleichheit führt angesichts der Offizialmaxime (Art. 43 ATSG) zu keinem
anderen Schluss. Zwar wird die sachliche Notwendigkeit einer anwaltlichen
Verbeiständung durch den Umstand allein, dass die zuständigen Behörden gehalten
sind, an der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts massgeblich
mitzuwirken, nicht generell ausgeschlossen. Die Geltung des
Untersuchungsgrundsatzes rechtfertigt es jedoch, an die Voraussetzungen, unter
denen eine rechtsanwaltliche Verbeiständung sachlich geboten ist, einen
strengen Massstab anzulegen (Urteil 8C_323/2013 vom 15. Januar 2014 E. 5.2.3).
Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK vermag der Versicherte ebenfalls nichts zu seinen
Gunsten abzuleiten (vgl. auch Urteil 8C_559/2014 E. 7.3).

5. 
Die Beschwerde wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 BGG als
offensichtlich unbegründet (Abs. 2 lit. a) mit summarischer Begründung und
unter Verweis auf den vorinstanzlichen Entscheid (Abs. 3) ohne Durchführung
eines Schriftenwechsels (Art. 102 Abs. 1 BGG) erledigt. Da sie von Anfang an
aussichtslos war, ist eine der gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG für die beantragte
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege erforderlichen Voraussetzungen nicht
erfüllt, weshalb diesem Begehren nicht entsprochen werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend vom
Beschwerdeführer als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. Februar 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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