Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.854/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]             
8C_854/2016    {T 0/2}     

Urteil vom 21. April 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Alex Beeler,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 18. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1959 geborene A.________ war seit 1991 bei der B.________ AG vollzeitlich
als Bauarbeiter angestellt und dadurch bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 24. Juli 2015 stürzte er von der Ladebrücke eines Lieferwagens
(vgl. Schadenmeldung UVG vom 28. Juli 2015). Die Ärzte des gleichentags
aufgesuchten Spitals C.________ diagnostizierten eine Kontusion des Hemithorax
bei Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenläsion rechts sowie eine verheilte
laterale Claviculafraktur rechts (Bericht vom 24. Juli 2015). Die Suva
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Wegen des
ausgeprägten Schulter-Arm-Syndroms rechts bei ausgedehnter Defektarthropathie
der Rotatorenmanschette mit Bicepstendinitis und Status nach lateraler
Claviculafraktur, respektive mit Anomalie und Deformität im AC-Gelenk führte
Dr. med. D.________, Facharzt FMH für Chirurgie, Chefarzt, Spital C.________,
am 16. Oktober 2015 eine Arthroskopie durch (Berichte vom 19. und 23. Oktober
2015). Laut kreisärztlichen Auskünften des Dr. med. E.________, Facharzt
Orthopädie und Unfallchirurgie, Suva, vom 27. Januar und 2. Februar 2016 erlitt
der Versicherte beim Sturz vom 24. Juli 2015 überwiegend wahrscheinlich eine
Schulterkontusion, die ausweislich der radiologischen Befunde keine
objektivierbaren strukturellen Schädigungen zur Folge hatte, weshalb angesichts
des erheblichen degenerativen Vorzustandes davon auszugehen war, dass der vor
dem Unfall bestehende Gesundheitszustand nach vier bis sechs Wochen erreicht
gewesen war. Mit Verfügung vom 10. Februar 2016 eröffnete die Suva dem
Versicherten, sie stelle die Versicherungsleistungen auf den 29. Februar 2016
mangels eines weiter bestehenden unfallbedingten Gesundheitsschadens ein. Die
Einsprache wies sie ab (Entscheid vom 6. Mai 2016).

B. 
In Gutheissung der vom Versicherten eingereichten Beschwerde hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz den Einspracheentscheid vom 6. Mai 2016
und die Verfügung vom 10. Februar 2016 auf (Entscheid vom 18. November 2016).

C. 
Die Suva führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben; eventualiter sei die
Sache an sie oder die Vorinstanz zur weiteren Abklärung zurückzuweisen.
A.________ lässt das Rechtsbegehren stellen, die Beschwerde sei abzuweisen. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an    (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es,
unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42
Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige
weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E.
1.6         S. 280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S.
137 f.).

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder
Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung hingegen
ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3
BGG).

2.

2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht den
Einspracheentscheid der Suva vom 6. Mai 2016 und die Verfügung vom 10. Februar
2016 aufgehoben hat, mit welcher die Suva ihre Leistungspflicht für den Unfall
vom 24. Juli 2015 per 29. Februar 2016 eingestellt hatte.

2.2. Die Vorinstanz hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1
UVG) und die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod: BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.3. Zu betonen ist, dass dann, wenn die Unfallkausalität einmal mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, die Leistungspflicht des
Unfallversicherers erst entfällt, sobald der Unfall nicht mehr die natürliche
und adäquate Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur
noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann
zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor
dem Unfall bestanden hat (Status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er
sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch
ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht
ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss das
Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines
Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse
Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles
genügt nicht. Da es sich hiebei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt,
liegt aber die entsprechende Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein
leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim
Versicherten, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 326, U 180
/93         E. 3b). In diesem Zusammenhang hat das kantonale Gericht weiter
richtig festgehalten, dass es im Rahmen der zu prüfenden Frage, ob die
Leistungspflicht dahingefallen sei, für die Bejahung des Kausalzusammenhangs
genügt, wenn der Unfall für die fragliche gesundheitliche Störung immer noch
eine Teilursache darstelle (mit Hinweis auf das Urteil des ehemaligen
Eidgenössischen Versicherungsgerichts [heute: Schweizerisches Bundesgericht] U
287/02 vom 18. Februar 2003 E. 4.4 1 S. 4).

2.4. Weiter ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass im
unfallversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren ergänzende Abklärungen
vorzunehmen sind, wenn auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und
Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen bestehen (BGE
135 V 465 E. 4.4 mit Hinweisen).

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat nach einlässlicher Darstellung der medizinischen
Akten erkannt, es stehe unbestritten fest, dass der Versicherte im Zeitpunkt
des Unfalles vom 24. Juli 2015 an einem relevanten Vorzustand in Form einer
Defektarthropathie der Rotatorenmanschette resp. einer Cuff-Arthropathie sowie
einer Pseudarthrose resp. Verkalkung der lateralen Clavicula rechts gelitten
habe. Dr. med. F.________, Co-Chefarzt Orthopädie, Klinik G.________, habe im
Bericht vom 13. Januar 2016 erwähnt, durch die Traumatisierung des
Schultergelenks sei es möglicherweise zu einem weiteren und endgültigen
Einreissen der Rotatorenmanschette gekommen, wozu sich    Dr. med. E.________
in seiner kreisärztlichen Beurteilung vom 2. Februar 2016 nicht geäussert habe.
Entgegen der Auffassung der Suva sei keine Einschätzung von
versicherungsexternen Fachärzten zu finden, wonach der Gesundheitsschaden im
Zeitpunk der Leistungseinstellung objektiv ausschliesslich dem krankhaften
Vorzustand zuzurechnen sei. Soweit die Suva vorbringe, der Unfallhergang könne
objektiv betrachtet nicht als Ursache des aktuellen Beschwerdebildes betrachtet
werden, übersehe sie, dass auch "inadäquate" Traumata, deren Intensität beim
gesunden und jungen Menschen keinen wesentlichen Schaden verursachen könne, wie
beispielsweise ein direkter Anprall gegen die Schulter, zu einer Ruptur der
Rotatorenmanschette führen könnten, wenn deren Strukturen durch Alterungs- und
Verschleissprozesse bereits vorgeschädigt gewesen seien (mit Hinweisen auf die
medizinische Literatur). Zusammenfassend liessen die vorhandenen medizinischen
Akten keinen klaren Entscheid darüber zu, ob der geltend gemachte
gesundheitliche Schaden ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruhe.
Mangels zuverlässiger medizinischer Beurteilungen zur Frage des Wegfalls der
Unfallkausalität per 29. Februar 2016 habe die Suva zu Unrecht die
Leistungspflicht eingestellt. Daher seien in Gutheissung der Beschwerde der
Einspracheentscheid vom 6. Mai 2016 sowie die Verfügung vom 10. Februar 2016
aufzuheben.

3.2.

3.2.1. Entgegen den Ausführungen der Suva zum Hauptbegehren ihrer Beschwerde
bestehen hinsichtlich des Beweisthemas zumindest geringe Zweifel an der
kreisärztlichen Beurteilung des Dr. med. E.________ vom 2. Februar 2016. Es
kann auf die zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden.
Insbesondere vermag mit dem kantonalen Gericht der Bericht des Dr. med.
F.________ solche Zweifel aufkommen zu lassen. Dieser erachtete es als möglich,
dass es durch die Traumatisierung zu einem weiteren und endgültigen Einreissen
der Rotatorenmanschette gekommen sei. Das Vorbringen, Dr. med. E.________ habe
sich mit der von Dr. med. F.________ nebenbei erwähnten These nicht
auseinandersetzen müssen, ist nicht stichhaltig, zumal die Suva bezogen auf den
konkreten medizinischen Sachverhalt ihre Auffassung, dass definitionsgemäss die
Diagnose einer Defektarthropathie der Rotatorenmanschette vollständige Risse
der Supra- und Infaspinatussehnen beinhalte, nicht mit medizinischen Auskünften
untermauert. Sie übersieht mit ihrer Argumentation, dass sie für den Wegfall
des kausalen Zusammenhangs im gegebenen Fall beweispflichtig ist.

3.2.2. Allerdings trifft zu, dass die Vorinstanz angesichts ihrer Erwägungen
ein versicherungsexternes medizinisches Gutachten zur Frage hätte einholen
müssen, ob die vom Beschwerdegegner über den    29. Februar 2016 hinaus
geklagten gesundheitlichen Einschränkungen noch unfallkausal waren (vgl. BGE
135 V 465 E. 4.4 S. 469 f.). Im Sinne des Eventualbegehrens der Beschwerde der
Suva ist die Sache daher an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Der
Beschwerdegegner übersieht mit seinen Vorbringen, dass die Beweislastverteilung
und die damit verbundenen materiellrechtlichen Folgen erst dann greifen, wenn
es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund
einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (vgl. BGE 138
V 218 E. 6 S. 222). Dies ist hier nicht der Fall, nachdem weitere Abklärungen
noch möglich sind.

4.

4.1. Die Gerichtskosten sind dem unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

4.2. Der Beschwerdegegner hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung für das
bundesgerichtliche Verfahren (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wird
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz,
Kammer I, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. April 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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