Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.833/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_833/2016        

Urteil vom 14. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 12. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die 1978 geborene A.________ war als Verkaufsmitarbeiterin bei der ELVIA
Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (heute: Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft AG, nachstehend: Allianz) gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als sie am 15. November 1997 einen Autounfall erlitt. Die
ELVIA anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses. Nach
Vorliegen des Gutachtens der MEDAS vom 2. Juni 2002 führte die Allianz mit der
Versicherten Vergleichsverhandlungen. Mit Verfügung vom 22. Dezember 2003
bestätigte die Allianz einen Vergleich, wonach sie der Versicherten ab 1. Juni
2002 eine Rente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 35 % und eine
Integritätsentschädigung auf der Basis eines Integritätsschadens von 30 %
zusprach.
Eine von der IV-Stelle des Kantons Solothurn beim Ärztlichen
Begutachtungsinstitut (nachstehend: ABI) eingeholte Expertise (Gutachten vom
20. Mai 2009) kam zum Schluss, dass schwere und mittelschwere Tätigkeiten der
Versicherten nicht mehr zuzumuten sind. Für körperlich leichte Tätigkeiten in
weitgehend lärmfreier Umgebung bestehe eine zumutbare Arbeitsfähigkeit von 50
%. Sämtliche aktuellen Leiden seien als unfallfremd zu werten. In Kenntnis
dieses Gutachtens stellte die Allianz A.________ mit Schreiben vom 21. Oktober
2009 die Einstellung der Versicherungsleistungen per 31. Oktober 2009 in
Aussicht. Diese Leistungseinstellung bestätigte sie in der Folge mit Verfügung
vom 19. Dezember 2009 und Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010. Die von
A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn mit Entscheid vom 29. August 2011 in dem Sinne gut, als es
den Einspracheentscheid der Allianz mit der Feststellung aufhob, es bestünden
weiterhin unfallkausale Leiden, und die Sache zur Festsetzung der über den 31.
Oktober 2009 hinausgehenden Leistungen an die Versicherung zurückwies. Eine von
der Allianz hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil
8C_739/2011 vom 20. August 2012 gut und wies die Sache unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheides an die Vorinstanz zurück, damit diese nach
Einholen eines Gerichtsgutachtens entscheide, ob und in welchem Umfang die
bestehenden Beschwerden noch auf das Ereignis vom 15. November 1997
zurückzuführen sind.

In Nachachtung dieses Urteils holte das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn bei der MEDAS Zentralschweiz ein Gerichtsgutachten ein (Expertise vom
18. Juni 2014). Daraufhin hiess es die Beschwerde der Versicherten mit
Entscheid vom 1. April 2015 erneut gut, hob den Einspracheentscheid vom 20. Mai
2010 auf und stellte fest, dass A.________ auch über den 31. Oktober 2009
hinaus Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung habe. Eine von der
Allianz hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil 8C_321/
2015 vom 10. November 2015 gut und wies die Sache unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheides an die Vorinstanz zu einem neuen Entscheid im
Sinne der Erwägungen zurück.

B. 
Mit Entscheid vom 12. November 2016 hiess das kantonale Gericht die Beschwerde
der Versicherten ein weiteres Mal gut, hob den Einspracheentscheid vom 20. Mai
2010 auf und stellte fest, dass A.________ auch über den 31. Oktober 2009
hinaus Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung habe. Gleichzeitig wies
es die Sache an die Beschwerdegegnerin zurück, damit diese im Sinne der
Erwägungen verfahre und hierauf über den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin
ab 1. November 2009 neu entscheide.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Allianz, es sei unter Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010 zu bestätigen.
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde, soweit auf diese einzutreten
sei, schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine
Vernehmlassung.

D. 
Das Bundesgericht hat am 14. Juni 2017 eine öffentliche Beratung durchgeführt.

Erwägungen:

1.

1.1. Das BGG unterscheidet in Art. 90 bis 93 zwischen End-, Teil- sowie Vor-
und Zwischenentscheiden und schafft damit eine für alle Verfahren einheitliche
Terminologie. Ein Endentscheid ist ein Entscheid, der das Verfahren prozessual
abschliesst (Art. 90 BGG), sei dies mit einem materiellen Entscheid oder
Nichteintreten, z.B. mangels Zuständigkeit. Der Teilentscheid ist eine Variante
des Endentscheids. Mit ihm wird über eines oder einige von mehreren
Rechtsbegehren (objektive und subjektive Klagehäufung) abschliessend befunden.
Es handelt sich dabei nicht um verschiedene materiellrechtliche Teilfragen
eines Rechtsbegehrens, sondern um verschiedene Rechtsbegehren. Vor- und
Zwischenentscheide sind alle Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen
und daher weder End- noch Teilentscheid sind; sie können formell- und
materiellrechtlicher Natur sein. Voraussetzung für die selbstständige
Anfechtbarkeit materiellrechtlicher Zwischenentscheide ist gemäss Art. 93 Abs.
1 BGG zunächst, dass sie selbstständig eröffnet worden sind. Erforderlich ist
sodann alternativ, dass der angefochtene Entscheid einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde
(lit. b).

1.2. Der angefochtene kantonale Entscheid vom 12. November 2016 stellt als
Rückweisungsentscheid einen Zwischenentscheid dar. Da in ihm für die
Beschwerdeführerin verbindlich festgehalten wurde, dass die Versicherte über
den 31. Oktober 2009 hinaus Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung hat,
wäre die Allianz - könnte sie diesen Entscheid nicht vor Bundesgericht
anfechten - unter Umständen gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige,
leistungszusprechende Verfügung zu erlassen. Diese könnte sie in der Folge
nicht selber anfechten; da die Gegenpartei in der Regel kein Interesse haben
wird, den allenfalls zu ihren Gunsten rechtswidrigen Endentscheid anzufechten,
könnte der kantonale Vorentscheid nicht mehr korrigiert werden und würde zu
einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil für den Versicherer führen (vgl. BGE
133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Auf die Beschwerde der Allianz ist somit
einzutreten.

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

2.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht einen Rentenanspruch der
Versicherten in der Zeit ab 1. November 2009 bejahte.

4.

4.1. Die Zusprechung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung
setzt grundsätzlich das Vorliegen eines Berufsunfalles, eines
Nichtberufsunfalles oder einer Berufskrankheit voraus (Art. 6 Abs. 1 UVG). Der
Unfallversicherer haftet jedoch für einen Gesundheitsschaden nur insoweit, als
dieser nicht nur in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten
Kausalzusammenhang zum versicherten Ereignis steht (BGE 129 V 177 E. 3 S. 181).
Dabei spielt die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem
natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im
Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da
sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 134
V 109 E. 2 S. 111 f.; 127 V 102 E. 5b/bb S. 103). Objektivierbar sind
Untersuchungsergebnisse, die reproduzierbar sind und von der Person des
Untersuchenden und den Angaben des Patienten unabhängig sind. Von organisch
objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen kann somit erst dann gesprochen werden,
wenn die erhobenen Befunde mit apparativen/bildgebenden Abklärungen bestätigt
wurden und die hiebei angewendeten Untersuchungsmethoden wissenschaftlich
anerkannt sind (BGE 138 V 248 E. 5.1 S. 251; 134 V 109 E. 7 ff. S. 118 ff.;
vgl. auch BGE 117 V 359 E. 5 S. 361 ff.). Sind die geklagten Beschwerden
natürlich unfallkausal, nicht aber in diesem Sinne objektiv ausgewiesen, so ist
bei der Beurteilung der Adäquanz vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen,
und es sind gegebenenfalls weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen (BGE
134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.).

4.2. Ist eine versicherte Person infolge des Unfalles mindestens zu 10 %
invalid, so hat sie gemäss Art. 18 Abs. 1 UVG Anspruch auf eine Invalidenrente.
Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines
Rentenbezügers erheblich, so wird gemäss Art. 17 Abs. 1 ATSG die Rente von
Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht,
herabgesetzt oder aufgehoben. Liegt ein Revisionsgrund vor, ist der
Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend
("allseitig") zu prüfen, wobei keine Bindung an frühere Beurteilungen besteht (
BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit weiteren Hinweisen).

5.

5.1. In dem in vorliegender Sache ergangenen Urteil 8C_739/2011 vom 20. August
2012 hat das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass sich der
Gesundheitszustand der Versicherten im hier interessierenden Zeitraum erheblich
verbessert hat. Das Bundesgericht bejahte damit sinngemäss einen Revisionsgrund
(vgl. auch Urteil 8C_321/2015 vom 10. November 2015). Steht damit ein
Revisionsgrund fest, so muss nicht näher geprüft werden, ob bezüglich der
rentenzusprechenden Verfügung vom 22. Dezember 2003 zusätzlich auch ein
Wiedererwägungsgrund vorliegen würde (vgl. zur Wiedererwägung wegen fehlender
Adäquanzprüfung bei der Rentenzusprache durch die Unfallversicherung: SVR 2017
UV Nr. 8 S. 27, 8C_193/2016 E. 4.3). So oder anders ist der Rentenanspruch für
die Zukunft, mithin für die Zeit ab 1. November 2009, in rechtlicher und
tatsächlicher Hinsicht umfassend ("allseitig") zu prüfen, wobei keine Bindung
an frühere Beurteilungen besteht (vgl. E. 4.2 hievor). Entgegen den
Ausführungen der Beschwerdegegnerin besteht kein Grund, bezüglich der Frage der
Adäquanz von diesem Grundsatz abzuweichen. Dies gilt umso mehr, als einem
wesentlichen Teil der Adäquanzkriterien nach BGE 134 V 109 E. 10.3 S. 130 ein
gewisses zeitliches, dynamisches Element zukommt, so dass diese sich durch
Zeitablauf ändern können. Damit ist zugleich gesagt, dass die Prüfung der
Adäquanzkriterien aufgrund der im Zeitpunkt der erwogenen revisionsweisen
Leistungsanpassung gegebenen tatsächlichen Verhältnisse zu erfolgen hat. Eine
Leistungspflicht der Unfallversicherung für die Zeit ab 1. November 2009
besteht nur insoweit, als über dieses Datum hinaus noch ein natürlich und
adäquat kausal durch den Unfall vom 15. November 1997 verursachter
Gesundheitsschaden bestand. Dabei ist sowohl die natürliche als auch die
adäquate Kausalität grundsätzlich frei und ohne Bindung an frühere
Beurteilungen zu prüfen.

5.2. Da eine Leistungspflicht der Unfallversicherung stets kumulativ einen
natürlichen und einen adäquaten Kausalzusammenhang voraussetzt, kann die Frage
nach dem Bestand der natürlichen Kausalität offenbleiben, wenn feststeht, dass
der adäquate Kausalzusammenhang nicht bejaht werden kann (vgl. BGE 135 V 465 E.
5 S. 472). Desgleichen erübrigen sich Weiterungen zur adäquaten Kausalität,
wenn die natürliche zu verneinen ist. Somit musste die Beschwerdeführerin in
ihrem Einspracheentscheid vom 20. Mai 2010, indem sie den Bestand eines
natürlichen Kausalzusammenhanges in Abrede stellte, sich nicht zwingend zur
adäquaten Kausalität äusseren. Demgegenüber hätte die Vorinstanz, da in der
Zeit ab 1. November 2009 unbestrittenermassen kein im Sinne der Rechtsprechung
objektiv nachweisbarer Gesundheitsschaden bestand, in ihrem Entscheid vom 29.
August 2011 die Unfallversicherung nicht unter Bejahung eines Revisionsgrundes
zu Leistungen verpflichten dürfen, ohne zunächst die Adäquanz des
Kausalzusammenhanges speziell zu prüfen. Da die Frage nach der Adäquanz eines
natürlichen Kausalzusammenhanges eine Rechtsfrage ist (vgl. Urteil 8C_522/2007
vom 1. September 2008 E. 4.3.2), hätte das Bundesgericht diese in der Tat
bereits im Verfahren 8C_739/2011 prüfen können; indessen war es damals nicht
gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen
Fragen zu untersuchen (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Da es zudem zur
Prüfung der Adäquanz gewisser tatsächlicher Grundlagen bedarf, kann es in
komplexeren Fällen nicht Aufgabe der letzten Instanz sein, die Adäquanz als
erstes und einziges Gericht zu beurteilen. Dass sich das Bundesgericht im
Urteil 8C_739/2011 vom 20. August 2012 nicht zur Adäquanz geäussert hat, ändert
entgegen den Erwägungen des kantonalen Gerichts nichts daran, dass es auch im
hier angefochtenen Entscheid verpflichtet war, eine Adäquanzprüfung
vorzunehmen. Da die Vorinstanz jedoch die Adäquanz des Kausalzusammenhanges im
Sinne einer Eventualbegründung bejahte, erübrigt sich in diesem Punkt eine
Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht.

6.

6.1. Die bei der Adäquanzbeurteilung zu berücksichtigende Schwere des Unfalles
(vgl. E. 4.1 hievor) ist aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs mit den
sich dabei entwickelnden Kräften zu beurteilen (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2/07
E. 3.1). Dabei werden einfache Auffahrkollisionen auf ein haltendes Fahrzeug in
der Regel als mittelschwerer Unfall im Grenzbereich zu den leichten Unfällen
betrachtet (RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236, U 380/04 E. 5.1.2). Am 15. November
1997 wurde die angeschnallte Versicherte in einen Auffahrunfall verwickelt.
Während ihr Fahrzeug stand, fuhr der Unfallgegner von hinten auf. An ihrem
Fahrzeug entstand ein Sachschaden von rund Fr. 1'500.-. Die vorinstanzliche
Qualifikation des Ereignisses als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten
Unfällen ist somit nicht zu beanstanden. Die Adäquanz eines
Kausalzusammenhanges wäre somit nur dann zu bejahen, wenn vier der
massgeblichen Kriterien (oder eines der Kriterien ausgeprägt) erfüllt wären
(vgl. Urteil 8C_899/2013 vom 14. Mai 2014 E. 5.1 mit Hinweis auf das Urteil
8C_487/2009 vom 7. Dezember 2009 E. 5)
Der Katalog dieser Kriterien lautet (vgl. BGE 134 V 109 E. 10.3 S. 130) :

-       besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Eindrücklichkeit
des Unfalls;
-       die Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen;
-       fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche Behandlung;
-       erhebliche Beschwerden;
-       ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich
ver-              schlimmert;
-       schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen;
-       erhebliche Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen.

6.2. Der Berücksichtigung des Kriteriums der besonders dramatischen
Begleitumstände oder besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls liegt der Gedanke
zugrunde, dass solche Umstände geeignet sind, bei der betroffenen Person
während des Unfallgeschehens oder nachher psychische Abläufe in Bewegung zu
setzen, die an den nachfolgenden psychischen Fehlentwicklungen mitbeteiligt
sein können. Dabei sind objektive Massstäbe anzuwenden. Nicht was im einzelnen
Betroffenen beim Unfall psychisch vorgeht - sofern sich dies überhaupt
zuverlässig feststellen liesse - soll entscheidend sein, sondern die objektive
Eignung solcher Begleitumstände, bei Betroffenen psychische Vorgänge der
genannten Art auszulösen. Zu beachten ist zudem, dass jedem mindestens
mittelschweren Unfall eine gewisse Eindrücklichkeit eigen ist (Urteil 8C_584/
2010 vom 11. März 2011 E. 4.3.2 mit weiteren Hinweisen). Vor diesem Hintergrund
erfüllt das Geschehen vom 15. November 1997 das Kriterium nicht.

6.3. Das Bundesgericht hat im Urteil BGE 134 V 109, E. 10.2.2 S. 127 f. seine
Rechtsprechung bestätigt, wonach die Diagnose einer HWS-Distorsion für sich
allein nicht zur Bejahung des Kriteriums der Schwere und besonderen Art der
erlittenen Verletzung genügt. Es bedarf hiezu einer besonderen Schwere der für
das Schleudertrauma typischen Beschwerden oder besonderer Umstände, welche das
Beschwerdebild beeinflussen können (SVR 2007 UV Nr. 26 S. 86, U 339/06 E. 5.3;
RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236, U 380/04 E. 5.2.3 mit Hinweisen). Diese können
beispielsweise in einer beim Unfall eingenommenen besonderen Körperhaltung und
den dadurch bewirkten Komplikationen bestehen (SVR 2007 UV Nr. 26 S. 86, U 339/
06 E. 5.3; RKUV 2003 Nr. U 489 S. 357, U 193/01 E. 4.3 mit Hinweisen). Daneben
gilt es zu beachten, dass eine HWS-Distorsion, welche eine bereits erheblich
vorgeschädigte Wirbelsäule trifft, speziell geeignet ist, die "typischen"
Symptome hervorzurufen, weshalb sie als Verletzung besonderer Art zu
qualifizieren ist (vgl. SVR 2007 UV Nr. 1 S. 1, U 39/04 E. 3.4 und Urteil
8C_785/2007 vom 11. Juni 2008, E. 4.4). Dabei ist allerdings in der Regel
vorausgesetzt, dass die versicherte Person aufgrund der Vorschädigung
unmittelbar vor dem Unfall mindestens teilweise arbeitsunfähig war (Urteile
8C_783/2015 vom 22. Februar 2016 E. 4.4, 8C_352/2012 vom 27. Dezember 2012 E.
6.4 und 8C_759/2007 vom 14. August 2008 E. 5.3).
Die Versicherte macht geltend, bereits vor dem Ereignis vom 15. November 1997
zwei Auffahrunfälle erlitten zu haben; die Wirbelsäule sei demgemäss in jenem
Zeitpunkt bereits vorgeschädigt gewesen. Echtzeitliche Akten zu diesen geltend
gemachten Unfällen fehlen. Im Gutachten der MEDAS vom 2. Juni 2002 wird zwar
eine "Beeinträchtigung" der Arbeitsfähigkeit ab einem Auffahrunfall im Jahre
1993 postuliert; worauf sich diese Annahme stützt, ist allerdings nicht
ersichtlich. Gemäss der Liste der von den Experten verwendeten Dokumente haben
auch den damaligen Gutachtern keine echtzeitlichen Arztberichte zu allfälligen
Vorunfällen vorgelegen. In der Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn
vom 15. Juli 2003 wird demgegenüber festgehalten, dass die Versicherte ihre
Ausbildung zur zahnmedizinischen Assistentin (ohne Abschluss) in der Zeit vom
1. August 1995 bis 31. Juli 1997 ohne längerdauernde Absenzen absolvieren
konnte. Somit ist nicht erstellt, dass der Unfall vom 15. November 1997 auf
eine im Sinne der Rechtsprechung erheblich vorgeschädigte Wirbelsäule traf; das
Kriterium ist zu verneinen.

6.4. Zur Bejahung des Kriteriums der fortgesetzten spezifischen, belastenden
ärztlichen Behandlung ist erforderlich, dass eine entsprechende Behandlung nach
dem Unfall bis zu jenem Zeitpunkt notwendig war, auf den hin die
Adäquanzprüfung erfolgt (vgl. Urteil 8C_970/2008 vom 30. April 2009 E. 5.4),
hier also in der Zeit zwischen dem 15. November 1997 und dem 31. Oktober 2009.
Gemäss der unbestritten gebliebenen Zusammenstellung der Beschwerdeführerin
wurde die Versicherte in der Zeit zwischen November 1997 und Juni 2002 vier Mal
stationär behandelt, wobei der kürzeste Aufenthalt drei Tage, der längste fünf
Wochen dauerte. Selbst wenn man alle diese Aufenthalte als unfallkausal
erachten würde, erscheint das Kriterium der fortgesetzt spezifischen,
belastenden ärztlichen Behandlung als nicht gegeben.

6.5. Das Kriterium der erheblichen Beschwerden beurteilt sich nach den
glaubhaften Schmerzen und nach der Beeinträchtigung, welche die verunfallte
Person durch die Beschwerden im Lebensalltag erfährt (BGE 134 V 109 E. 10.2.4
S. 128). Aufgrund der gemäss ärztlicher Einschätzung auch über den 31. Oktober
2009 hinaus bestehenden Beschwerden und der dadurch bedingten Einschränkungen
in der Berufsausübung kann dieses Kriterium als erfüllt betrachtet werden. In
besonders ausgeprägter Weise liegt es aber nicht vor, eine entsprechende
Qualifikation käme nur bei einem deutlich einschränkenderen Beschwerdebild in
Frage (vgl. etwa Urteil 8C_990/2008 vom 6. März 2009 E. 6.2.1).

6.6. Die Versicherte macht zu Recht nicht geltend, das Kriterium der ärztlichen
Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert habe, sei
erfüllt.

6.7. Zur Bejahung des Kriteriums des schwierigen Heilungsverlaufs und der
erheblichen Komplikationen bedarf es besonderer Gründe, die die Heilung
beeinträchtigt haben (Urteil 8C_825/2008 vom 9. April 2009 E. 4.8). Entgegen
den Ausführungen der Versicherten und des kantonalen Gerichts ist nicht
ersichtlich, dass die Anorexie die Heilung der nach HWS-Distorsionen typischen
Beschwerden massgeblich beeinträchtigt hätte. Auch dieses Kriterium ist daher
nicht erfüllt.

6.8. Das Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener
Anstrengungen erfüllt nur, wer bis zum Zeitpunkt, auf den hin die
Adäquanzprüfung vorgenommen wird, in erheblichem Masse arbeitsunfähig ist und
konkrete Anstrengungen, etwa in Form ernsthafter Arbeitsversuche, vorweisen
kann. Vorliegend wurde der Versicherten für die Zeit ab 1. Juni 2002 eine Rente
bei einem Invaliditätsgrad von 35 % zugesprochen, so dass eine entsprechende
Arbeitsunfähigkeit für die Zeit zwischen dem 1. Juni 2002 und dem 31. Oktober
2009 als ausgewiesen zu gelten hat. Selbst wenn man jedoch gestützt darauf das
Kriterium bejahen würde, läge es jedenfalls nicht in ausgeprägter Weise vor.
Insbesondere ist daran zu erinnern, dass der Versicherten von den behandelnden
Ärzten nach dem Unfall vom 15. November 1997 zunächst keine längerdauernde
volle Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde.

6.9. Keines der massgeblichen Kriterien liegt somit besonders ausgeprägt vor
und selbst dann, wenn man zugunsten der Versicherten die beiden Kriterien der
erheblichen Beschwerden und der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz
ausgewiesener Anstrengungen als erfüllt erachten würde, sind keine vier
Kriterien erfüllt. Die Adäquanz eines allfälligen natürlichen
Kausalzusammenhanges zwischen dem Unfallereignis vom 15. November 1997 und den
geklagten, im Sinne der Rechtsprechung organisch nicht hinreichend
nachweisbaren Beschwerden ist somit zu verneinen. Damit kann die Frage nach dem
Bestand des natürlichen Kausalzusammenhanges offenbleiben; ab dem 1. November
2009 besteht keine Leistungspflicht der Unfallversicherung mehr. Deren
Beschwerde ist daher gutzuheissen, Dispositivziffern 1 und 2 des
vorinstanzlichen Entscheides sind aufzuheben und der Einspracheentscheid vom
20. Mai 2010 ist zu bestätigen.

7. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositivziffern 1 und 2 des Entscheids des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 12. November 2016 werden
aufgehoben und der Einspracheentscheid der Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft AG vom 20. Mai 2010 wird bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Juni 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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