Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.831/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_831/2016

Urteil vom 7. März 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Rückfall; Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 10. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene A.________ war seit Juni 1989 als Forstwart angestellt und
dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch
gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 1. November 1998 meldete die
Arbeitgeberin der Suva, der Versicherte sei seit dem 17. August 1998 wegen der
Folgen eines Zeckenbisses arbeitsunfähig. Laut Gutachten des Kantonsspitals
B.________ vom 27. August 1999 sprachen die neurologischen Befunde mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit für eine Lyme-Erkrankung (Neuroborreliose).
Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld).
Mit Schadenmeldung UVG vom 15. Mai 2013 wurde der Suva mitgeteilt, der
Versicherte leide seit einigen Jahren an der von Zecken übertragenen Krankheit
Borreliose und sei wegen eines erneuten Schubes seit 5. Februar 2013
arbeitsunfähig. Die Suva klärte den Sachverhalt in beruflicher und
medizinischer Hinsicht ab. Laut Beurteilungen des Dr. med. C.________, Facharzt
für Neurologie FMH, Suva Versicherungsmedizin, vom 21. Juli und 24. Oktober
2014 lagen keine plausiblen medizinischen Argumente vor, dass der Versicherte
je an einer Neuroborreliose gelitten habe. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2014
hielt die Suva fest, dass die geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen Unfall (Zeckenbiss)
zurückzuführen seien, weshalb kein Leistungsanspruch bestehe. Eine Einsprache
wies sie ab (Einspracheentscheid vom 12. November 2015).

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn ab (Entscheid vom 10. November 2016).

C. 
Mit Beschwerde lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei die Suva zu verpflichten, ihm die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen; eventualiter habe sie den medizinischen Sachverhalt
mit einem versicherungsexternen Gutachten neu abzuklären. Ferner ersucht er um
Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 132 II 257E. 2.5 S. 262; 130 III 136E. 1.4 S. 140). Gemäss
Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls
wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht
prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie
eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II
249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.

2.1. Das kantonale Gericht hat zutreffend erkannt, dass Streitgegenstand die
Frage bilde, ob der Beschwerdeführer seit der Einstellung der in den Jahren
1998/99 erbrachten Versicherungsleistungen erneut an den Symptomen einer
Borreliose-Erkrankung leide, weshalb der Sachverhalt kausalrechtlich als
Rückfall und damit unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten
sei. Zu diesem Prozessthema ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer
erstmals im vorinstanzlichen Verfahren geltend machte, am 5. Februar 2013
erneut von einer Zecke gebissen worden zu sein, die eine Borreliose hätte
auslösen können. Darum ist wenig nachvollziehbar, weshalb der Versicherte
unmittelbar davor über die angeblich einschlägigen Beschwerden berichtet hätte
und daraus ein neues Unfallereignis herleiten wollte. Ein neuer Unfall ist
daher nicht anzunehmen und im Übrigen auch nicht wahrscheinlich, ansonsten der
Versicherte, der mehrfach festhielt, als Forstwart pro Jahr von hundert Zecken
gebissen worden zu sein, sich deswegen jeweils zum erneuten Leistungsbezug
angemeldet hätte.

2.2. Das kantonale Gericht hat weiter richtig festgehalten, dass der Kontakt
mit dem Borreliose-Erreger mit serologischen Untersuchungen belegt werden kann;
indessen genügen diese nicht für den Schluss auf eine daraus entstandene
Lyme-Borreliose. Deren Diagnose - gleich welchen Stadiums - setzt ein
entsprechendes klinisches Beschwerdebild (Müdigkeit, Malaise, Kopfschmerzen,
Schlafstörungen, Fieber, Arthralgien, Myalgien, Heiserkeit, Nausea, Erbrechen,
Konjunktivitis, Gewichtsverlust, Diarrhöe) und den Ausschluss von
Differentialdiagnosen voraus, wobei je nach Krankheitsstadium ein
pathologischer laborchemischer Test die Wahrscheinlichkeit der Diagnose erhöhen
kann. Ebenso hilfreich können bei rückblickender Einschätzung der Verlauf und
die Ergebnisse einer Therapie sein. Weitere Indizien sind denkbar (SVR 2008 UV
Nr. 3 S. 11, U 155/06 E. 4.3; Urteil 8C_924/2011 vom 7. März 2012 E. 3; NORBERT
SATZ, Klinik der Lyme-Borreliose, 3. Auflage, Bern 2010, S. 189 f. Ziff. 6.1
und S. 525 ff., insbes. S. 529; J. EVISON und Mitautoren, Abklärung und
Therapie der Lyme-Borreliose bei Erwachsenen und Kindern, Empfehlungen der
Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie, Teil 1: Epidemiologie und
Diagnostik, in: Schweizerische Ärztezeitung 2005, S. 2332 ff., S. 2333 Ziff.
3).

3.

3.1. Die Vorinstanz ist nach einlässlicher Darstellung der ins Verwaltungs- und
kantonale Gerichtsverfahren eingebrachten medizinischen Aktenstücke zum Schluss
gelangt, dass an der Schlüssigkeit und Zuverlässigkeit der
versicherungsinternen Beurteilungen des Dr. med. C.________ vom 21. Juli und
24. Oktober 2014 sowie vom 19. Mai 2016 keine auch nur geringen Zweifel im
Sinne von BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470 bestünden.

3.2.

3.2.1. Im Einzelnen hat das kantonale Gericht erwogen, der behandelnde Dr. med.
D.________, Facharzt für Innere Medizin FMH, interpretiere die laborchemischen
Tests im Wesentlichen übereinstimmend mit der Auffassung des Dr. med.
C.________, wonach sich keine akute Erkrankung habe darstellen lassen. Dr. med.
D.________ erwähne zwar die Diagnose "Lyme-Borreliose Stadium II mit
ausgeprägten Allgemeinsymptomen", was angesichts der vom Versicherten
geschilderten gesundheitlichen Einschränkungen einleuchte, indessen habe er die
Befunde als nicht eindeutig gesichert bezeichnet. Ferner habe er sich mit der
Frage, weshalb die von ihm angeordnete Therapie mit dem Medikament Rocephin
erfolglos verlaufen sei, was gegen eine Lyme-Borreliose spreche, nicht
auseinandergesetzt. Daher vermöchten die Berichte des Dr. med. D.________ vom
23. Juli und 11. November 2013 die Beweiskraft der Beurteilungen des Dr. med.
C.________ nicht zu schmälern.

3.2.2. Zur Auffassung des Zentrums E.________, F.________, Naturarzt, und
G.________, Fachärztin Allgemeinmedizin, wonach das Symptomenbild
ausserordentlich charakteristisch für eine "chronische Borreliose" sei (vgl.
Berichte vom 18. April und 27. Juni 2016), hat das kantonale Gericht richtig
festgehalten, die erwähnten Beschwerden seien insgesamt unspezifisch und
könnten auch andere Ursachen haben, weshalb mit ihrer Aufzählung nicht
nachgewiesen sei, der Versicherte leide an einer Lyme-Borreliose. Zur
Aussagekraft der verschiedenen laborchemischen Testungen wird auf die nicht zu
beanstandenden vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen, welchen nichts beizufügen
ist.

3.2.3. Auch was der Beschwerdeführer sonst geltend macht, dringt nicht durch.
Weder aus den medizinischen Akten noch seinen Vorbringen ist ersichtlich,
inwiefern der vom Kantonsspital B.________ (Gutachten vom 27. August 1999)
verwendete Begriff "Neuroborreliose" sich von dem darin auch erwähnten Begriff
"Lyme-Borreliose", soweit es hier um die unumstrittene Übertragung des
"bacterium burgdorferi" geht, unterscheiden soll. Auch aus den im
vorinstanzlichen Verfahren aufgelegten Leitlinien "Diagnostik und Therapie der
Lyme-Borreliose" der Deutschen Borreliose-Gesellschaft e.V., geht nicht hervor,
dass aus neurologischer Sicht ein Unterschied besteht zwischen einer
"Lyme-Borreliose" und einer "Neuroborreliose".

4. 
Dem Gesuch des unterliegenden Beschwerdeführers um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist
stattzugeben, da die Bedürftigkeit aktenkundig, die Beschwerde nicht als
aussichtlos zu bezeichnen und die Verbeiständung durch einen Anwalt notwendig
ist (Art. 64 Abs. 1 - 3 BGG). Er wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hingewiesen; danach hat er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er
später dazu in der Lage ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Daniel Altermatt wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. März 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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