Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.78/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_78/2016

Urteil vom 26. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Krapf,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. Dezember 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1962 geborene A.________ arbeitete als Architektin. Am 8. Juli 2005 fiel
sie zu Hause auf den Boden und verdrehte sich den Rücken. Am 14. August 2006
meldete sie sich bei der IV-Stelle des Kantons Aargau zum Leistungsbezug an. Am
17. November 2006 stürzte sie beim Einkaufen auf das Steissbein. Die IV-Stelle
holte diverse Arztberichte, ein Gutachten des Zentrums für medizinische
Begutachtung (ZMB), Basel, vom 21. Dezember 2007 und einen
Haushalt-Abklärungsbericht vom 17. April 2009 ein. Mit Verfügung vom 15. Januar
2010 verneinte sie einen Rentenanspruch der Versicherten, da der
Invaliditätsgrad lediglich 15 % betrage; sie ermittelte diesen anhand der
gemischten Methode mit Anteilen von 20 % Erwerb und 80 % Haushalt.

B. 
Hiegegen erhob A.________ am 18. Februar 2010 Beschwerde beim
Versicherungsgericht des Kantons Aargau. Diesem teilte die IV-Stelle am 21. Mai
2010 mit, sie habe gegen die Versicherte Strafanzeige wegen Betrugs und
unrechtmässigen Bezugs von IV-Leistungen eingereicht. Am 9. Juli 2014 sprach
das Bezirksgericht die Versicherte von Schuld und Strafe frei. Am 10. März 2015
hielt A.________ an ihrer Beschwerde fest. Am 11. November 2015 reichte sie
Berichte der Psychiater Dres. med. B.________ vom 30. Oktober 2015 (betreffend
ihren Ehemann) und C.________ vom 5. November 2015 ein. Mit Entscheid vom 15.
Dezember 2015 wies das Versicherungsgericht die Beschwerde ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihr ab 1. August 2006
eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese weitere Abklärungen treffe und hernach
über die Beschwerde neu entscheide; für das bundesgerichtliche Verfahren sei
ihr die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung, wobei Erstere auf Beschwerdeabweisung schliesst.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1
S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art.
97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz legt die rechtlichen Grundlagen der Invaliditätsbemessung bei
erwerbstätigen Versicherten nach dem Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG; Art.
28a Abs. 1 IVG; BGE 131 V 51; 130 V 343 E. 3.4 S. 348) und bei teilweise
erwerbstätigen Versicherten nach der gemischten Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG;
BGE 137 V 334; 133 V 504; 125 V 146; vgl. auch BGE 141 V 15 E. 3 S. 20)
zutreffend dar. Gleiches gilt betreffend die Voraussetzungen des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG), den Beweiswert von Abklärungsberichten an
Ort und Stelle (vgl. E. 1 hievor), den im Sozialversicherungsrecht üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und
die Frage der Bindung des Sozialversicherungsgerichts an strafgerichtliche
Feststellungen (BGE 125 V 237 E. 6a S. 242; SVR 2012 IV Nr. 2 S. 4 E. 7.2.1
[9C_785/2010]; vgl. auch BGE 138 V 74 E. 7 S. 81, 134 V 315 E. 4.5.3 S. 322).
Darauf wird verwiesen.

3. 
Strittig ist der Rentenanspruch der Beschwerdeführerin und dabei insbesondere
die Statusfrage. Verwaltung und Vorinstanz gehen von einem Anteil Haushalt von
80 % und einem Anteil Erwerb von 20 % aus.

3.1. Bei der Beurteilung setzt sich die Vorinstanz insbesondere mit dem
Strafurteil des Bezirksgerichts vom 9. Juli 2014 auseinander, das die
Beschwerdeführerin nach einlässlicher Beweiserhebung und -würdigung von Schuld
und Strafe freigesprochen hatte. Dabei hatte das Bezirksgericht unter anderem
festgehalten, dass sämtliche Zeugen die quantitative Arbeitsbelastung der
Beschwerdeführerin im Innenverhältnis der Einzelfirma ihres Mannes bzw. in der
mit diesem am 24. Juni 2004 gegründeten und betriebenen D.________ GmbH nicht
zu beurteilen vermocht hätten. Anderseits wies es die Ausführungen der Anklage
zurück, wonach einzig der Ehemann der Beschwerdeführerin zwischen 2000 und 2007
einen Ertrag erwirtschaftet habe. Dabei hielt es unter anderem fest, die
Anklage habe die nach Auffassung des Bezirksgerichts evidenten
Erwerbsbemühungen der Beschwerdeführerin in keiner Weise gewürdigt (E. 3.7.3).
Das Bezirksgericht schloss, dass im Zweifel - entgegen der Darstellung der
Anklage - bezüglich der Arbeitspensen von der Sachverhaltsdarstellung der
Beschwerdeführerin und ihres (als Auskunftsperson beteiligten) Ehemannes
auszugehen sei.

3.2. Dieser Freispruch erfolgte nach der strafrechtlichen Maxime "im Zweifel zu
Gunsten des Angeklagten" ("in dubio pro reo"), welche im
Sozialversicherungsrecht nicht gilt. Darauf beruhende strafgerichtliche Urteile
sind für die Sozialversicherungsgerichte denn auch nicht verbindlich (BGE 134 V
315 E. 4.5.3 S. 322; 125 V 237 E. 6a S. 242; Urteile 8C_242/2015 vom 19. Januar
2016 E. 4.3 und 8C_579/2010 vom 10. März 2011 E. 3.1).

4.

4.1. Die Vorinstanz erwog nach eigener Würdigung, dass kein Zeuge ein mehr als
20%iges Erwerbspensum der Beschwerdeführerin habe bestätigen können und für die
Annahme eines höheren Ewerbspensums keine anderen Belege aktenkundig seien. Als
Mindestmass des Erwerbspensums seien 20 % unbestritten. Allein aufgrund der
Aussagen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes (sowie derjenigen der
Zeugen) könne nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden,
Erstere sei in einem grösseren Ausmass erwerbstätig gewesen. Zudem lägen
diverse Ungereimtheiten vor, die ebenfalls gegen die Annahme eines mehr als nur
unbedeutenden Kleinstpensums sprächen.

4.2. Hierbei handelt es sich um Feststellungen tatsächlicher Art, die für das
Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind. Rechtsfrage ist hingegen, ob die
Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz und die Beweiswürdigungsregeln verletzt
hat (Art. 61 lit. c ATSG). Gleiches gilt für die Frage, ob die Prüfung der
Statusfrage nach den massgeblichen Gesichtspunkten erfolgte (vgl. zu diesen:
BGE 125 V 146 E. 2c S. 150 und seitherige; vgl. ferner Ulrich Meyer/Marco
Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl., N. 7 f.
zu Art. 28a IVG).

5.

5.1. Bei der Bestimmung der im konkreten Fall anwendbaren
Invaliditätsbemessungsmethode und damit der Beantwortung der entscheidenden
Statusfrage handelt es sich zwangsläufig um eine hypothetische Beurteilung, die
auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person
berücksichtigen muss, welche indessen als innere Tatsachen einer direkten
Beweisführung nicht zugänglich sind und in aller Regel aus äusseren Indizien
erschlossen werden müssen. Die Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe ist
eine Tatfrage, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht, selbst wenn darin auch
Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung mitberücksichtigt
werden. Die auf einer Würdigung konkreter Umstände basierende Festsetzung des
hypothetischen Umfanges der Erwerbstätigkeit ist für das Bundesgericht daher
verbindlich, ausser wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung beruht. Rechtsfragen sind hingegen Folgerungen, die
ausschliesslich - losgelöst vom konkreten Sachverhalt - auf die allgemeine
Lebenserfahrung gestützt werden oder die Frage, ob aus festgestellten Indizien
mit Recht auf bestimmte Rechtsfolgen geschlossen worden ist (BGE 133 V 477 E.
6.1 S. 485 mit Hinweisen; Urteile 9C_645/2015 vom 3. Februar 2016 E. 2.4,
9C_287/2013 vom 8. November 2013 E. 3.5 und 8C_35/2011 vom 24. Mai 2011 E. 3.4
f.).

5.2. Im angefochtenen Entscheid wurden die massgeblichen
Beurteilungsgesichtspunkte - wie gesagt (E. 2 hievor) - richtig wiedergegeben.
Eine explizite Rüge, dass die Vorinstanz die Statusfrage in Verkennung der
rechtlich massgeblichen Grundlagen und Leitsätze vorgenommen hätte, erhebt die
Beschwerdeführerin nicht. Sie macht aber geltend, in der Firma ihres Mannes
bzw. der Mitte 2004 gegründeten GmbH bereits ab 2003 ein volles Pensum
geleistet zu haben. In dieser Hinsicht habe die Vorinstanz den massgeblichen
Sachverhalt ungenügend abgeklärt und zu Unrecht nicht auf die Erkenntnisse des
Strafverfahrens abgestellt.
Im Strafverfahren musste im Sinne einer Vermutung von der Unschuld der
Beschwerdeführerin ausgegangen werden (Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 2 EMRK);
zudem waren die Beweise zu ihren Gunsten zu würdigen (zur "Doppelnatur" der
Unschuldsvermutung vgl. Urteil 2C_242/2013 vom 25. Oktober 2013 E. 3.1 und
dortige Hinweise, zusammengefasst in ASA 82 S. 370). Wenn dabei festgestellt
wurde, dass die Aussagen bestimmter Zeugen zur Entkräftung der Darstellung der
Beschwerdeführerin nicht geeignet waren, kann daraus mit Blick auf ihre
Ansprüche gegenüber der Sozialversicherung nichts Zwingendes abgeleitet werden,
wie die Vorinstanz richtig erkannt hat. Insbesondere kann diesbezüglich nicht
ohne Weiteres davon ausgegangen werden, die Darstellung der Beschwerdeführerin
treffe zu.

6.

6.1.

6.1.1. Bei den letztinstanzlich aufgelegten Arbeitsverträgen zwischen der
Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann vom 9. November 2000 und 1. Januar 2003,
den Einvernahmeprotokollen der Zeugen E.________, F.________ und G.________ und
den Handnotizen über Bauprojekte handelt es sich um unechte Noven.
Die Einreichung unechter Noven ist nur im Rahmen von Art. 99 Abs. 1 BGG
zulässig. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen
hinreichenden Anlass für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im
Verwaltungsverfahren oder im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten
vorgebracht werden können (nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR
2012 FZ Nr. 3 S. 7 [8C_690/2011]; Urteil 8C_761/2015 vom 8. Januar 2016 E.
4.2).

6.1.2. Das kantonale Gericht hat nicht die ganzen Strafakten beigezogen,
sondern von der IV-Stelle lediglich eine Auswahl davon erhalten. Soweit
ersichtlich, wurde die Beschwerdeführerin darüber nicht einmal in Kenntnis
gesetzt. Lediglich der Beizug des Strafurteils vom 9. Juli 2014 wurde ihr am
18. Februar 2015 angezeigt. Zu diesem äusserte sie sich am 10. März 2015, ohne
dabei den Beizug der gesamten Strafakten zu beantragen. Auch sonst ist nicht
ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin je einen solchen Antrag gestellt
hätte.
Weshalb sie nicht schon früher zur Beibringung der betreffenden Belege (E.
6.1.1 hievor) in der Lage gewesen wäre, legt sie nicht dar. Gerade angesichts
der eingangs erwähnten Aktenlage ist nicht verständlich, wieso die
Beschwerdeführerin ihre Belege nicht schon im Rahmen des vorinstanzlichen
Verfahrens beibrachte oder zumindest deren Edition beantragte. Denn sie konnte
nicht davon ausgehen, dass die Strafakten dem kantonalen Gericht bereits
vorgelegen hätten oder dieses von sich aus den Beizug veranlassen würde.
Strittig war zudem die Statusfrage. Daher kann auch nicht gesagt werden, erst
der angefochtene Entscheid habe Anlass zur Einreichung der neuen Belege
gegeben. Daran ändert der Freispruch im Strafverfahren nichts. Aufgrund der
Unschuldsvermutung zum einen und der sozialversicherungsrechtlichen
Beweisregeln zum andern (siehe E. 2, 3.2 und 5.2 hievor) konnte die anwaltlich
vertretene Beschwerdeführerin nicht einfach davon ausgehen, aus dem
strafgerichtlichen Freispruch ergebe sich zwangsläufig der Nachweis eines von
ihr geleisteten Vollzeitpensums. Gerade das Beispiel der Würdigung der Aussagen
der Entlastungszeugen E.________ und F.________ durch das Strafgericht zeigt im
Übrigen, dass die Beschwerdeführerin, die weit mehr aus deren Aussagen ableiten
wollte, gehalten gewesen wäre, die betreffenden Einvernahmeprotokolle schon in
das kantonale Verfahren einzubringen bzw. deren Beizug zu verlangen. Die in E.
6.1.1 hievor aufgeführten Aktenstücke sind somit unbeachtlich.

6.2. Die Tabellen mit den erfassten Arbeitsstunden für die Jahre 2001-2006
werden ebenfalls neu aufgelegt; die darin enthaltenen wesentlichen
Informationen sind jedoch bereits im Bezirksgerichtsurteil vom 9. Juli 2014
enthalten und darum im vorliegend Verfahren zu berücksichtigen (hierzu vgl. E.
7.2.2 hiernach).

7.

7.1. Die vorinstanzliche Feststellung, dass kein Zeuge mehr als ein 20%iges
Erwerbspensum der Beschwerdeführerin habe bestätigen können, erweist sich nicht
als offensichtlich unrichtig. Ein Zeugenbeweis in diesem Sinn kann aufgrund des
Strafurteils nicht als erbracht gelten, woran die Beschwerde nichts zu ändern
vermag. Dies gilt insbesondere auch für die von der Versicherten erwähnten
Zeugnisse H.________/I.________. Selbst die Aussagen der Zeugen E.________/
F.________ - sofern sie denn zu hören wären - änderten nichts daran. Daraus
ergeben sich insgesamt zwar Hinweise auf gewisse erwerbliche Aktivitäten der
Beschwerdeführerin, aber es kann nicht auf ein bestimmtes quantifizierbares
Pensum oder eine bestimmende "Rolle" im Betrieb geschlossen werden. Aus dem
beschwerdeweise erwähnten Zeugnis J.________ (und den in diesem Zusammenhang
angeführten E. 3.5.1.2 und 3.5.2.1 des Bezirksgerichtsurteils vom 9. Juli 2014)
kann die Beschwerdeführerin ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten. Ein
Nachweis eines bestimmten Arbeitspensums ergibt sich daraus nicht. Anderseits
kann mit der Beschwerdeführerin zwar festgehalten werden, dass aufgrund der
Zeugenaussagen im Strafverfahren ihre eigene Darstellung auch nicht entkräftet
wurde, was insbesondere für den Zeugen J.________ zutrifft (vgl. E. 3.5.2.1 des
Bezirksgerichtsurteils vom 9. Juli 2014). Für die sozialversicherungsrechtliche
Relevanz dieser Feststellung kann indessen wiederum auf das eingangs zur
Unschuldsvermutung Gesagte verwiesen werden (E. 3.2 und 5.2 hievor).
Die Vorinstanz hat weiter festgehalten, dass für die Annahme eines
Erwerbspensums der Beschwerdeführerin von mehr als 20 % auch keine anderen
Belege aktenkundig seien. Diese Feststellung tatsächlicher Art ist nicht mit
dem pauschalen Hinweis darauf als offensichtlich unrichtig oder unvollständig
zu entkräften, dass die Strafakten nur unvollständig oder selektiv beigezogen
worden seien.

7.2. Die Beschwerdeführerin wirft dem kantonalen Gericht indessen auch vor,
weder die IK-Auszüge noch ihren Arbeitsvertrag noch die schriftlichen
Arbeitsrapporte berücksichtigt zu haben. Zudem habe es jene Zeugen ignoriert,
die ihre Angaben bestätigt hätten.

7.2.1. Arbeitsverträge lagen nicht bei den Akten und wurden von der
Beschwerdeführerin nicht in das Verfahren eingebracht. Die Zeugenaussagen
wurden - wie schon gezeigt - von der Vorinstanz ausreichend gewürdigt. Was
daraus zusätzlich zu Gunsten der Beschwerdeführerin abzuleiten gewesen wäre,
ist nicht erkennbar.

7.2.2. Hingegen fehlt eine explizite vorinstanzliche Würdigung der im
Bezirksgerichtsurteil vom 9. Juli 2014 erwähnten Arbeitsstunden der
Versicherten für die Jahre 2003-2005 und der IK-Auszüge für die Jahre
2001-2004, die bei den Akten lagen. Inwiefern dies für den Verfahrensausgang
relevant wäre (Art. 97 Abs. 1 BGG in fine), ist jedoch nicht dargetan.

7.2.2.1. Mit den Arbeitsstunden (2003: 354, 2004: 331, 2005: 273) werden zwar
erwerbliche Aktivitäten der Beschwerdeführerin belegt, aber nicht in einem
Umfang von mehr als 20 %. Deshalb kann offenbleiben, ob die betreffenden
Angaben überhaupt glaubwürdig sind.

7.2.2.2. In den IK-Auszügen wurden für die Jahre 2003 und 2004 Jahreseinkommen
von Fr. 70'000.- bzw. Fr. 150'000.- ausgewiesen. Auf den letzteren Betrag nimmt
die Vorinstanz zumindest indirekt Bezug, und zwar im Zusammenhang mit der
Aussage des Treuhänders, er habe alles auf die Beschwerdeführerin gebucht, weil
ihr Ehemann gemäss seinen Aussagen und den Unterlagen IV-Rentner sei. Ein
effektiver Nachweis, dass die Beschwerdeführerin in entsprechendem Umfang
erwerbstätig gewesen wäre, ist damit nicht erbracht.

8. 
Das kantonale Gericht hat einlässlich gewürdigt und nicht offensichtlich
unrichtig festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in der Einzelfirma ihres
Mannes bzw. später in der zusammen mit ihm am 24. Juni 2004 gegründeten
D.________ GmbH nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein mehr als 20 %
betragendes Erwerbspensum geleistet hat. Wird zudem in Betracht gezogen, dass
es hinsichtlich des Erwerbspensums an jeglicher Drittwahrnehmung fehlte, mithin
kein einziger Zeuge eine konkrete Aussage in diese Richtung machen konnte, hält
der angefochtene Gerichtsentscheid auch in dieser Hinsicht stand.
Von einer vorinstanzlichen Verletzung der aus dem Anspruch auf rechtliches
Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) fliessenden Begründungspflicht kann in diesem
Zusammenhang keine Rede sein (vgl. BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237).

9. 
Weiter wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz sinngemäss vor, bei der
Annahme eines Erwerbsanteils von bloss 20 % im Rahmen der gemischten Methode
verkannt zu haben, dass sie ohne gesundheitliche Probleme wegen der Krankheit
des Ehemannes ohnehin zur Aufnahme einer Vollzeitstelle gehalten gewesen wäre.
Es fehlt eine vorinstanzliche Würdigung der Gesamtsituation der
Beschwerdeführerin bezüglich der im Gesundheitsfall (mithin hypothetisch)
ausgeübten erwerblichen Tätigkeit aufgrund der konkreten (persönlichen,
familiären, sozialen und erwerblichen) Umstände im Lichte der allgemeinen
Lebenserfahrung (vgl. BGE 125 V 146 E. 2c S. 150; Urteile 9C_645/2015 E. 2.3
f., I 52/90 vom 23. August 1990 E. 4a), und zwar insbesondere mit Blick auch
auf den weiteren Verlauf bis zum massgeblichen Zeitpunkt der Verfügung vom 15.
Januar 2010(BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 320). Eine Rückweisung zur weiteren
Abklärung dieser Frage erübrigt sich indessen, wie folgende Erwägungen zeigen.
Der Ehemann der Beschwerdeführerin meldete sich am 20. Mai 2003 bei der
IV-Stelle zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 26. April 2005 sprach ihm
diese ab 1. Juni 2003 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad 100 %),
was sie mit Einspracheentscheid vom 25. August 2005 bestätigte. In diesem
Lichte hätte sich die Ausweitung der Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin
aus finanziellen Gründen bereits vor dem ersten Unfall (8. Juli 2005)
aufgedrängt. Im letztgenannten Zeitpunkt waren ihre beiden Kinder 12 und 14
Jahre alt, so dass sie der intensivsten Betreuungsphase entwachsen und
weitgehend selbstständig waren. Bei Kindern dieses Alters ist es nicht
ungewöhnlich, dass Mütter bereits wieder ganztags erwerbstätig sind und für die
Betreuung der Kinder, soweit sie nicht durch den Schulbesuch beschäftigt sind,
allenfalls die Dienste einer Drittperson in Anspruch nehmen (vgl. auch Urteil I
373/02 vom 2. September 2003 E. 7.1). Wenn die Beschwerdeführerin gemäss den
nicht offensichtlich unrichtigen vorinstanzlichen Feststellungen nicht bereits
damals ihre 20%ige Erwerbstätigkeit ausweitete, erscheint es nicht als
überwiegend wahrscheinlich, dass sie es später getan hätte. Im Ergebnis ist es
somit nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz davon ausging, dass die
Versicherte im Gesundheitsfall eine 20%ige Erwerbstätigkeit und eine 80%ige
Haushaltstätigkeit ausgeübt hätte und dementsprechend für die Ermittlung des
Invaliditätsgrades die gemischte Methode zur Anwendung brachte. Darüber hinaus
ist der von der Vorinstanz gestützt hierauf ermittelte rentenausschliessende
Invaliditätsgrad von 28 % unbestritten, weshalb es damit sein Bewenden hat.

10. 
Die unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihr gewährt werden (Art. 64 BGG). Sie hat
der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage ist
(Art. 64 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Dr. Markus Krapf wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. August 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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