Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.779/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_779/2016

Urteil vom 3. April 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Molkenstrasse 5/9, 8004 Zürich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Kantonale Sozialversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 30. September 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1947 geborene A.________ bezieht seit Juni 2010 eine Altersrente der
AHV. Am 16. August 2011 meldete er sich beim Amt für Zusatzleistungen zur AHV/
IV der Stadt Zürich (nachfolgend: AZL) zum Bezug von Zusatzleistungen an. Mit
Verfügung vom 11. Oktober 2011 sprach ihm das AZL ab 1. August 2011 monatliche
Ergänzungsleistungen von Fr. 1'076.- zu. Gleichzeitig verneinte es einen
Anspruch auf kantonale Beihilfen und Zuschüsse, woran es auf Einsprache hin
festhielt (Einspracheentscheid vom 19. Januar 2012). Die dagegen erhobene
Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 21. Juni 2013 insofern gut, als es den Einspracheentscheid aufhob
und die Sache zu ergänzenden Abklärungen im Sinne der Erwägungen und
anschliessender neuer Verfügung über den Anspruch auf Beihilfen und
Gemeindezuschüsse ab August 2011 an die Stadt Zürich zurückwies.

Nach Abklärungen und Vergleichsbemühungen wies das AZL den Anspruch auf
kantonale Beihilfen und Zuschüsse mit Einspracheentscheid vom 18. Juli 2014
erneut ab.

Zur Durchführung eines korrekten Verwaltungsverfahrens mit Erlass einer
Verfügung und gegebenenfalls eines Einspracheentscheids wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Sache mit Entscheid vom 31.
Januar 2015 abermals an das AZL zurück. Mit Verfügung vom 23. Februar 2015
sprach dieses A.________ ab 1. August 2011 bis Januar 2015 monatliche
Ergänzungsleistungen von zuletzt Fr. 1'079.- und ab 1. Juni 2013 bis Januar
2015 zudem eine monatliche kantonale Beihilfe von Fr. 202.- zu. Es verneinte
einen Anspruch auf kantonale Beihilfe und Gemeindezuschüsse für die Zeit ab 1.
August 2011. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 2015 fest. Die
von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. September 2015 ab.

A.b. Das Bundesgericht hiess die daraufhin eingereichte Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 8C_522/2015 vom 21. April
2016 teilweise gut und hob den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des
Kantons Zürich vom 30. September 2015 auf. Es wies die Sache an das
Sozialversicherungsgericht zurück, damit es über den Anspruch des A.________
auf kantonale Beihilfe und auf Gemeindezuschüsse unter Einbezug des Umstands,
dass die Stadt Zürich aus steuerrechtlichtlicher Sicht ab dem Jahr 2008 von
einer Wohnsitznahme in ihrer Stadt ausging, neu entscheide. Im Übrigen wies es
die Beschwerde ab.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht wies die Beschwerde, soweit es darauf eintrat,
erneut ab, ohne die Parteien hierzu Stellung nehmen zu lassen (Entscheid vom
30. September 2016).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den
Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihm "a) Fr.
4'840.- zzgl. 5 % Zins seit dem 15. Juli 2012 b) Fr. 600.- zzgl. 5 % Zins seit
dem 15. Juli 2013; und c) Fr. 325.- monatlich rückwirkend seit Juli 2011,
mindestens aber Fr. 15'600.- zzgl. Zins von 5 % ab dem mittleren Verfallstag
von 15. Juli 2013 zuzusprechen.". Eventualiter sei die Sache an das AZL
zurückzuweisen und dieses zu verpflichten, ihm die kantonalen Beihilfen, die
Gemeindezuschüsse der Stadt Zürich und die Einmalzulage gemäss Beschluss des
Stadtrates rückwirkend ab 1. Juni 2011 zu gewähren.
Das AZL schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten ist ein in Anwendung von kantonalem Sozialversicherungsrecht
ergangener, kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer Angelegenheit des
öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG),
welche unter keine der Ausnahmebestimmungen von Art. 83 BGG fällt. Er kann
daher mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten
werden (vgl. Art. 82 ff. BGG).

1.2. Das Bundesgericht kann angefochtene Entscheide nicht uneingeschränkt,
sondern nur hinsichtlich der im Gesetz (Art. 95 ff. BGG) genannten
Beschwerdegründe überprüfen. Ist auf die zu beurteilenden Fragen, wie hier,
ausschliesslich kommunales oder kantonales Recht anwendbar, sind die
Bundesrechtsrügen gemäss Art. 95 lit. a BGG auf Verfassungsrügen beschränkt.
Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht gilt der in Art. 106 Abs. 1 BGG verankerte Grundsatz der
Rechtsanwendung von Amtes wegen nicht; insofern besteht eine qualifizierte
Rügepflicht (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG). Es obliegt den Beschwerdeführenden
namentlich darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid gegen die gerügten
Grundrechte verstossen soll. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert
erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen
und bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am angefochtenen
Entscheid tritt es nicht ein (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262; 129 I 113 E. 2.1 S.
120, je mit Hinweisen).

1.3. In Ergänzung zu den Rügen, die sich auf Art. 95 f. BGG stützen, sind unter
den engen Voraussetzungen von Art. 97 Abs. 1 BGG auch Vorbringen gegen die
Sachverhaltsfeststellung zulässig. Ein solcher Einwand kann nach der
letztgenannten Bestimmung nur erhoben werden, wenn die Feststellung des
Sachverhalts durch die Vorinstanz offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Art. 9 BV (Willkür) und
Art. 29 Abs. 2 BV (rechtliches Gehör) verletzte, indem es ohne Anhörung des
Versicherten zur Frage der Wohnsitznahme und ohne weitere
Sachverhaltsabklärungen erneut, in Bestätigung des Entscheids des AZL, die
Beschwerde abwies.

3.

3.1. Die Vorinstanz stellte fest, gemäss Urteil 8C_522/2015 vom 21. April 2016
sei willkürfrei davon auszugehen, der Beschwerdeführer habe seinen Wohnsitz in
der Schweiz im Frühsommer 2005 aufgegeben und ins Ausland verlegt, indem er in
Argentinien einen neuen Wohnsitz begründet habe. Aufgrund der Ausführungen des
Bundesgerichts sei zu prüfen, ob die einwohneramtliche und steuerrechtliche
Erfassung des Versicherten ab September 2008 in der Stadt Zürich aus
sozialversicherungsrechtlicher Warte die Annahme eines Wohnsitzes in der Stadt
Zürich vor dem 21. Juni 2011 rechtfertige. Dies sei nicht der Fall. Bei seinem
vom 10. Juni bis Ende Oktober 2008 dauernden Aufenthalt in der Schweiz habe er
zwar am 8. September 2008 gegenüber dem Personenmeldeamt der Stadt Zürich
angegeben, bei der Tochter zu wohnen. Daher sei er ab diesem Zeitpunkt
steuerrechtlich erfasst worden und für die Staats- und Gemeindesteuern in
Zürich steuerpflichtig. Die Absicht, in der Schweiz Wohnsitz zu nehmen, sei
aber damit nicht verbunden gewesen. Entsprechend seinen eigenen Angaben stelle
dies einen vorübergehenden, kurzfristigen Unterbruch seines Aufenthalts im
Ausland dar. Mit Blick auf die steuerrechtlichen Faktoren habe er keine
gewichtigen Interessen gehabt, die steuerrechtliche Erfassung im Jahr 2008
anzufechten. In Anbetracht dieser Umstände komme den erwähnten Indizien
(Registrierung beim Personenmeldeamt und Steuerpflicht ab dem Jahr 2008) keine
gewichtige Bedeutung zu, weshalb es bei der Beurteilung gemäss Entscheid vom
30. September 2015 bleibe.

3.2. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, der angefochtene Entscheid sei
willkürlich und verletze das rechtliche Gehör. Die Vorinstanz habe entschieden,
ohne ihn zur relevanten Frage eines möglichen Wohnsitzes ab 1. September 2008
anzuhören und ohne den Sachverhalt weiter abzuklären. Dadurch enthalte der
Entscheid aktenwidrige Sachverhaltsfeststellungen. So entspreche das zentrale
Begründungselement der Vorinstanz, seine Tochter habe damals in einer 1,5
Zimmer-Wohnung gelebt, die gemäss Mietvertrag nur von einer Person habe bewohnt
werden dürfen, weshalb eine Wohnsitznahme zusammen mit seiner Tochter kaum
denkbar gewesen sei, nicht der Aktenlage. Er habe sich damals nicht an der
Strasse B.________ in Zürich bei seiner Tochter wohnend angemeldet, sondern an
der Strasse C.________; seine Tochter sei dort Mieterin einer 3,5
Zimmer-Wohnung gewesen. Dies ergebe sich aus den Angaben zu seiner Erfassung
beim Personenmeldeamt, der Steuererklärung für das Jahr 2008 sowie aus der
Einzugsanzeige vom 14. September 2008. Er sei erst im August 2011 an die
Strasse B.________ gezogen. Dass er davor aber bereits an der Strasse
C.________ gelebt habe, sei überdies den Belegen über Bargeldbezüge an
Bankomaten in Zürich im August 2008 und in den Monaten April bis Oktober 2010
zu entnehmen. Es fehle daher an einer einlässlichen, willkürfreien Begründung,
weshalb für die hier in Frage stehenden Ansprüche auch ab September 2008 von
einem Wohnsitz im Ausland auszugehen sei.

4.

4.1. Nach Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör.
Dieser Anspruch stellt einen wichtigen Aspekt des allgemeinen Gebots des fairen
Verfahrens gemäss Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar (BGE 129 I 85
E. 4.1 S. 88). Er dient einerseits der Sachaufklärung und garantiert anderseits
den Parteien ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht im Verfahren. Sie
sollen sich vor Erlass des Entscheids zur Sache äussern, erhebliche Beweise
beibringen, Einsicht in die Akten nehmen und an der Erhebung von Beweisen
mitwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis äussern können, wenn dieses
geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 140 I 99 E. 3.4 S. 102; 135 II
286 E. 5.1 S. 293; je mit Hinweisen). Der Gehörsanspruch umfasst als
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer
Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam
zur Geltung bringen kann (BGE 135 I 279 E. 2.3 S. 282; 135 II 286 E. 5.1 S.
293; 135 V 465 E. 4.3.2 S. 469; 132 V 368 E. 3.1 S. 370; Urteil 8C_372/2016 vom
29. Dezember 2016 E. 4.1, zur Publikation vorgesehen).

4.2.

4.2.1. Es steht fest, dass das kantonale Gericht anhand der bereits vorhandenen
Akten entschied, ohne dass sich die Parteien zur Sache nochmals äussern
konnten. Eine sorgfältige und ernsthafte Prüfung der Vorbringen des
Beschwerdeführers hätte verlangt, dass ihm das kantonale Gericht - als einzige
Rechtsmittelinstanz mit umfassender Sachverhalts- und Rechtskontrolle - die
Gelegenheit eingeräumt hätte, zu dieser erheblichen Tatsache Stellung zu
nehmen, was es ohne Angabe eines Grundes unterliess. Dieser Umstand, dass es
ohne Anhörung der Parteien zur entscheidrelevanten Frage bezüglich des
Auseinanderfallens von steuerrechtlicher und zivilrechtlicher Wohnsitznahme in
der Stadt Zürich über die im Streit stehenden Ansprüche auf kantonale Beihilfe
und auf Gemeindezuschüsse neu entschied, verletzt daher das Grundrecht auf
rechtliches Gehör.

4.2.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Seine Verletzung
führt - ungeachtet der Frage der materiellrechtlichen Begründetheit der
Beschwerde - zur teilweisen Gutheissung des Rechtsmittels und zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheids. Denn der Entscheid leidet an einem Rechtsmangel, der
letztinstanzlich nicht geheilt werden kann. Das kantonale Gericht wird dem
Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zur im Urteil 8C_522/2015 vom 21. April
2016 umschriebenen Problematik gewähren und über die Beschwerde neu
entscheiden.

5. 
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. September 2016 wird
aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialversicherungsgericht zurückgewiesen,
damit es über die Beschwerde neu entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. April 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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