Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.777/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_777/2016

Urteil vom 2. März 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Jaeggi,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Taggeld, Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 26. September 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1970, war bei der B.________ AG beschäftigt und bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) für die Folgen von Berufs-
und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Am 15. Juni 2013
geriet er in eine tätliche Auseinandersetzung. Er zog sich dabei eine Fraktur
an der Halswirbelsäule zu (Facettengelenks-Fraktur HWK 2 im linken
Atlantoaxialgelenk und bis in den Canalis vertebralis, Status nach Dens-Fraktur
Typ D'Alonso II), welche im Spital C.________ operativ versorgt wurde. Die Suva
anerkannte ihre Leistungspflicht dem Grundsatz nach, verfügte wegen Beteiligung
an einer Rauferei und Schlägerei jedoch eine Kürzung um 50 Prozent. Nach der
kreisärztlichen Untersuchung vom 2. Juli 2014 stellte sie die Taggeldleistungen
am 31. Juli 2014 ein. Mit Verfügung vom 20. März 2015 schloss sie den Fall ab.
Sie sprach A.________ eine Integritätsentschädigung bei einer
Integritätseinbusse von 15 Prozent zu. Die Ausrichtung einer Invalidenrente
lehnte sie ab mit der Begründung, dass die angestammte Tätigkeit weiterhin
zumutbar sei. Die über den 31. Juli 2014 hinaus geklagten Beschwerden seien
organisch objektiv nicht ausgewiesen. Die Voraussetzungen der Haftung für
psychisch bedingte Beschwerden seien nicht erfüllt. Mit Verfügung vom 17. Juni
2015 bestätigte sie die Einstellung der Taggeldleistungen am 31. Juli 2014. Die
gegen diese beiden Verfügungen erhobenen Einsprachen wies die Suva mit
Entscheid vom 30. November 2015 ab.

B. 
A.________ erhob dagegen Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
und reichte das zuhanden der Invalidenversicherung erstattete Gutachten des
Universitätsspitals Basel, asim Begutachtung, vom 10. Mai 2016 ein. Mit
Entscheid vom 26. September 2016 wies das Gericht die Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Suva
anzuweisen, die Taggeldleistungen bis zum 1. April 2015 zu erbringen, und es
sei ihm eine Invalidenrente zuzusprechen. Des Weiteren ersucht er um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege.

Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der hier streitigen Ansprüche
auf Taggelder sowie auf eine Invalidenrente massgeblichen Bestimmungen und
Grundsätze zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

3. 
Für die Vorinstanz stand gestützt auf die Berichte der Suva-Kreisärztin vom 2.
Juli 2014 und vom 21. Januar 2015 sowie des behandelnden orthopädischen
Chirurgen des Spitals C.________, PD Dr. med. E.________, vom 3. Januar 2014
und vom 8. Mai 2014 fest, dass die somatischen Unfallfolgen abgeheilt seien und
keiner ärztlichen Behandlung mehr bedürften. Die Verschraubung an der
Halswirbelsäule (C1/2) sei stabil. Die weiterhin geklagten Beschwerden seien
organisch objektiv nicht ausgewiesen. Nach einer gesonderten Prüfung nach den
Grundsätzen zu den psychischen Unfallfolgen verneinte das kantonale Gericht
einen adäquaten Kausalzusammenhang mit dem erlittenen Unfall (BGE 115 V 133 E.
6 und 7 S. 138 ff.). Die im asim-Gutachten erwähnte Bewegungseinschränkung der
Halswirbelsäule sei auch der Kreisärztin bekannt gewesen, verursache ihrer
Ansicht nach jedoch keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit.

4. 
Der Versicherte macht geltend, dass seine Beschwerden insbesondere auch
gestützt auf das asim-Gutachten organisch objektiv ausgewiesen seien, und wehrt
sich gegen die Einstellung der Taggelder am 31. Juli 2014.

5.

5.1. Das kantonale Gericht hat erkannt, dass der Beschwerdeführer im März 2014
wieder ganztägig arbeitsfähig gewesen sei. Der Beschwerdeführer bringt dagegen
vor, dass PD Dr. med. E.________ am 6. Februar 2015 selbst bei
leidensangepassten Tätigkeiten nur noch eine Arbeitsfähigkeit zwischen 25 und
50 Prozent und der orthopädische asim-Gutachter eine Einschränkung von 30
Prozent bescheinigt hätten. Nach den vorinstanzlichen Erwägungen hat PD Dr.
med. E.________ bereits in seinem Bericht vom 3. Januar 2014 angegeben und am
23. Januar 2014 telefonisch bestätigt, dass die dorsale Fusion C1/2 ausgeheilt
und die Halswirbelsäule mechanisch stabil sei, sodass körperlich keine
Einschränkungen mehr bestünden. Das kantonale Gericht hat weiter
berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitsfähigkeit bis Mitte
Februar 2014 auf 100 Prozent gesteigert hatte und dabei nach den Angaben des
Arbeitgebers eine volle Arbeitsleistung erbrachte. Die in der Bäckerei
ausgeübte Tätigkeit habe dem von der Suva-Kreisärztin erstellten
Zumutbarkeitsprofil einer ganztägigen leichten und wechselbelastenden Tätigkeit
ohne häufige Kopfrotation, Arbeiten über Kopf sowie allgemein Zwangspositionen
für den Kopf entsprochen. Auch im Mai 2014 habe PD Dr. med. E.________ auf die
konsolidierte Fraktur und intaktes Osteosynthesematerial, gleichzeitig aber
auch auf chronifizierende Schmerzen ohne klares organisches Korrelat
hingewiesen. Das kantonale Gericht hat es als ausschlaggebend erachtet, dass
der behandelnde orthopädische Chirurg bei seinen späteren Bescheinigungen einer
nur noch teilweisen Arbeitsunfähigkeit auf die anamnestischen Angaben des
Beschwerdeführers abgestellt habe. Zudem habe er die Ergebnisse der
psychiatrischen und der Abklärung in der Schmerzsprechstunde des Spitals
C.________ berücksichtigt, wo eine chronische Schmerzstörung beziehungsweise
ein cervicospondylogenes Schmerzsyndrom ohne Hinweise auf eine radikuläre
Symptomatik diagnostiziert worden waren. Schliesslich hat die Vorinstanz
erwogen, dass die (beträchtliche) Bewegungseinschränkung PD Dr. med. E.________
und der Suva-Kreisärztin bekannt gewesen sei. Der asim-Gutachter habe bei
seiner Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf 70 Prozent zusätzlich unfallfremde
(nach den Ergebnissen der Laboruntersuchung als muskuloskelettär
interpretierte) Faktoren mitberücksichtigt. Auch leuchte nicht ein, weshalb
eine 30-prozentige Arbeitsfähigkeit allein zufolge der eingeschränkten
Kopfrotation bestehen sollte, wenn diese doch nach Angaben des Experten durch
Körperrotation grösstenteils kompensiert werden könne.

5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Angaben der Suva-Kreisärztin
widersprüchlich seien. Diesbezüglich hat die Vorinstanz zutreffend erwogen,
dass es sich bei der Notiz des zuständigen Sachbearbeiters vom 2. Juli 2014
über die Besprechung nach der kreisärztlichen Untersuchung, wonach eine
Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent zumutbar wäre, um ein offensichtliches Versehen
handle, habe die Kreisärztin doch nach ihrer eigenen Untersuchung vom gleichen
Tag eine ganztägige Arbeitsfähigkeit bei leichten bis mittelschweren
wechselbelastenden Tätigkeiten attestiert.

5.3. Der Versicherte beruft sich darauf, dass die Suva mit der Zusprache einer
Integritätsentschädigung die Organizität und Kausalität der Restbeschwerden
anerkannt habe. Die Suva-Kreisärztin hat den Integritätsschaden nach
Suva-Tabelle 7 (Integritätsschäden bei Wirbelsäulenaffektionen) auf 15 Prozent
geschätzt, entsprechend den vorgegebenen Werten bei Frakturen, inklusive
Spondylodese, unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkung und der
Schmerzen. Ausschlaggebend sind dabei die genannten Kriterien. Für den
Rentenanspruch massgeblich ist hingegen, dass der Beschwerdeführer nach den
vorinstanzlichen Feststellungen auch mit Blick auf diese Einschränkungen in
einer dem somatischen Leiden angepassten (und insbesondere auch in der
angestammten) Tätigkeit ab März 2014 vollzeitlich arbeitsfähig war. Soweit der
behandelnde Arzt PD Dr. med. E.________ und der asim-Gutachter später eine
Arbeitsunfähigkeit bescheinigten, war darauf nach den dargelegten Erwägungen
des kantonalen Gerichts (oben E. 5.1) nicht abzustellen. Dem ist
beizupflichten.

5.4. Der Beschwerdeführer beantragt, es seien ihm Taggeldleistungen bis zum 1.
April 2015 zuzusprechen. Soweit er sich auch diesbezüglich auf die späteren
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des PD Dr. med. E.________ und der
asim-Gutachter beruft, kann ihm nicht gefolgt werden. Das kantonale Gericht hat
mit schlüssiger Begründung erkannt, dass die unfallbedingt beeinträchtigte
Arbeitsfähigkeit im März 2014 wieder hergestellt gewesen sei (BGE 134 V 109 E.
4.3 S. 115). Es ist daher mit der Vorinstanz, welche sich dazu ausdrücklich
geäussert hat, nicht zu beanstanden, dass die Suva die Taggeldleistungen am 31.
Juli 2014 eingestellt hat (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E. 4 S. 113 ff.;
SVR 2010 UV Nr. 30 S. 120, 8C_537/2009 E. 6; Urteil 8C_29/2010 vom 27. Mai 2010
E. 4.1).

5.5. Die vorinstanzliche Prüfung der Adäquanz wird beschwerdeweise nicht
beanstandet und gibt keinen Anlass zu Weiterungen.

5.6. Zusammengefasst kann den Einwänden des Versicherten, dass auch nach der
Einstellung der Taggeldleistungen durch die Suva am 31. Juli 2014 noch
organisch objektiv ausgewiesene Beschwerden und eine dadurch bedingte
Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, aus den dargelegten Gründen nicht gefolgt
werden. Sie vermögen keine auch nur geringen Zweifel an der Zuverlässigkeit der
versicherungsinternen Berichte zu begründen, auf welche Verwaltung und
Vorinstanz - unter Einbezug der Stellungnahmen des behandelnden Arztes -
abgestellt haben (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f.; 125
V 351 E. 3b/ee S. 353 f.). Mit dem kantonalen Gericht ist davon auszugehen,
dass ab dem 1. August 2014 eine volle Arbeitsfähigkeit in der angestammten
Tätigkeit bestand. Weiterungen hinsichtlich der erwerblichen Auswirkungen
erübrigen sich.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die
unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den
Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs.
2 BGG) kann gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Christian Jaeggi wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. März 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Frésard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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