Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.772/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_772/2016   {T 0/2}     

Urteil vom 23. Januar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. September 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die 1957 geborene A.________ meldete sich im Oktober 2008 erstmals bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Namentlich gestützt auf ein
bidisziplinäres Gutachten der Dres. med. B.________, Psychiatrie und
Psychotherapie FMH, und C.________, Fachärztin für Rheumatologie, Klinik
D.________, vom 26. Mai 2009 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich mit
Verfügung vom 16. November 2009 einen Anspruch auf eine Invalidenrente. Diese
Verfügung bestätigte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
rechtskräftig gewordenem Entscheid vom 25. Juli 2011.
Nach erneuter Anmeldung bei der Invalidenversicherung am 15. Juni 2010 holte
die IV-Stelle ein Verlaufsgutachten bei Dr. med. B.________ vom 24. Januar 2012
ein. Mit Verfügung vom 2. Juli 2012 verneinte sie bei einem Invaliditätsgrad
von 10 % wiederum einen Rentenanspruch. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess
das Sozialversicherungsgericht in dem Sinne gut, als es die angefochtene
Verfügung vom 2. Juli 2012 aufhob und die Sache an die IV-Stelle zur erneuten
psychiatrischen Begutachtung zurückwies (Entscheid vom 21. Februar 2014).
Der daraufhin mit einer Begutachtung beauftragte Dr. med. E.________, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie, ging in seiner Expertise vom 20. Februar
2015 (samt ergänzender Stellungnahme vom 15. August 2015) von einer
besserungsfähigen, bisher nicht chronifizierten rezidivierenden depressiven
Störung, gegenwärtig leichte Episode, einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung sowie akzentuierten Persönlichkeitszügen mit passiv-aggressiven
und histrionisch-unreifen Anteilen aus. Eine Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht.
Nach einer versicherungsmedizinischen Beurteilung durch den Regionalen
Ärztlichen Dienst (RAD) vom 20. November 2015 verneinte die IV-Stelle abermals
einen Leistungsanspruch (Verfügung vom 3. Dezember 2015).

B. 
Das Sozialversicherungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit
Entscheid vom 30. September 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, nach Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die
Sache zur Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens an die IV-Stelle
zurückzuweisen. Ferner sei ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen.
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Da die Streitsache ohne Schriftenwechsel entschieden werden kann, ist der
Antrag, es sei ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen, gegenstandslos (Art.
102 Abs. 1 und 3 BGG; Urteil 8C_596/2013 vom 24. Januar 2014 E. 2).

3. 
Die Vorinstanz hat die Rechtsgrundlagen zur Erwerbsfähigkeit (Art. 7 ATSG) und
zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) wie auch die bei der Neuanmeldung analog
anwendbaren Revisionsregeln (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132,
117 V 198 E. 3a) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.

4.

4.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung
und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche
Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu
nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte
Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351    E. 3a S. 352 mit Hinweis).
Geht es um eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder ein damit
vergleichbares psychosomatisches Leiden (vgl. BGE 140 V 8   E. 2.2.1.3 S. 13
f.), sind für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit systematisierte Indikatoren
beachtlich, die - unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer
Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen)
anderseits - erlauben, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen
einzuschätzen (BGE 141 V 281E. 2 S. 285 ff., E. 3.4-3.6 und 4.1 S. 291 ff.).
Gemäss altem Verfahrensstandard (BGE 130 V 352) eingeholte Gutachten verlieren
nicht per se ihren Beweiswert. Vielmehr ist im Rahmen einer gesamthaften
Prüfung des Einzelfalls mit seinen spezifischen Gegebenheiten und den erhobenen
Rügen entscheidend, ob ein abschliessendes Abstellen auf die vorhandenen
Beweisgrundlagen vor Bundesrecht standhält (BGE 141 V 281 E. 8 S. 309).

4.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1). Die konkrete
Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung
des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln Rechtsfrage (BGE
132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4
mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden
Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE
133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1
BGG).

5. 
Die Vorinstanz setzte sich eingehend sowohl mit den vor der Neuanmeldung
datierenden wie auch mit den nachfolgend erstellten medizinischen Akten
auseinander. Sie stellte insbesondere fest, mit Blick auf ihren rechtskräftigen
Entscheid vom 25. Juli 2011 habe bis zur damaligen Verfügung vom 16. November
2009 keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden. Im Gutachten der
Klinik D.________ vom   26. Mai 2009 sei eine Anpassungsstörung mit leichter
depressiver Reaktion sowie eine chronifizierte Schmerzstörung ohne organische
Grundlage bei einem zervikozephalen Schmerzsyndrom bei vollständiger
Arbeitsfähigkeit festgehalten worden. Gestützt auf das psychiatrische Gutachten
des Dr. med. E.________ vom 20. Februar 2015 habe sich der Gesundheitszustand
der Versicherten insoweit verändert, als neu von einer rezidivierenden
depressiven Symptomatik, gegenwärtig leichte Episode, sowie einer anhaltenden
somatoformen Schmerzstörung auszugehen sei. Keine dieser Diagnosen würden aber
nach überzeugender Einschätzung des Experten die Arbeitsfähigkeit einschränken,
weshalb keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vorliege,
die geeignet sei, den Rentenanspruch zu beeinflussen.

6.

6.1. Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen zum Gesundheitszustand und
dessen Veränderung sind im Rahmen der bundesgerichtlichen Überprüfungsbefugnis
(vgl. E. 1 hievor) nicht zu beanstanden. Die dagegen vorgebrachten Einwände der
Beschwerdeführerin beschränken sich im Kern auf die Darlegung ihrer eigenen,
von der Vorinstanz abweichenden Beweiswürdigung und Einschätzung ihrer
gesundheitlichen Verhältnisse, was nicht genügt. Insbesondere vermag die
Beschwerdeführerin nicht zu begründen, inwiefern das Gutachten des Dr. med.
E.________ vom 20. Februar 2015 hinsichtlich der Einordnung der geltend
gemachten Symptome von Vergesslichkeit oder Gedächtnisstörungen nicht
beweiskräftig und die darauf basierende Beweiswürdigung der Vorinstanz
willkürlich sein soll. Der psychiatrische Experte grenzte die depressive
Störung von diesen Symptomen ab und beschrieb sie als wechselhaft und
inkonsistent. Die Verweigerung von anamnestischen Angaben sah er im
Zusammenhang mit den passiv-aggressiven und histrionisch-unreifen
Persönlichkeitszügen der Versicherten oder mit Tendenzen zu manipulativem
Verhalten, wenn sie nicht gar als über aggravierendes Verhalten deutlich
hinausgehendes täuschendes Verhalten einzuordnen seien. Das kantonale Gericht
durfte diese Ausführungen, ohne Bundesrecht zu verletzen, als überzeugend und
schlüssig ansehen. Ferner kann nicht auf Befangenheit des Gutachters aufgrund
dieser teilweise kritischen Äusserungen geschlossen werden. Ebenso wenig
verfängt die Kritik am gutachterlichen Testverfahren (Verwendung der
Hamilton-Depressionsskala) zur Validierung einer Depression. Einem solchen
Verfahren kommt im Rahmen psychiatrischer Begutachtungen höchstens ergänzende
Funktion zu, während die klinische Untersuchung mit Anamneseerhebung,
Symptomerfassung und Verhaltensbeobachtung entscheidend bleibt (Urteil 8C_578/
2014 vom 17. Oktober 2014 E. 4.2.7). Die Einstufung einer Depression als
schwer, mittelschwer oder leicht obliegt dem Facharzt, wogegen es dem Laien
nicht möglich sein dürfte, die entsprechenden Testresultate und
Untersuchungsergebnisse schlüssig zu interpretieren. Dr. med. E.________ legte,
u. a. aufgrund der Anamnese und der von ihm klinisch erhobenen Befunde,
ausführlich und nachvollziehbar dar, weshalb er einzig eine rezidivierende
depressive Störung mit gegenwärtig leichter depressiver Episode
diagnostizierte.

6.2. Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin schliesslich soweit sie
rügt, das Gutachten des Dr. med. E.________ erlaube keine rechtsgenügliche
Beurteilung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung gemäss der mit BGE 141
V 281 geänderten Rechtsprechung. Das Gericht befasste sich in nicht zu
beanstandender Weise mit den rechtserheblichen Standardindikatoren nach BGE 141
V 281 E. 4.1.3 S. 297 f. Es zeigte auf, dass, gemäss gutachterlicher
Einschätzung, aufgrund einer subjektiven Krankheitsüberzeugung über nicht
objektivierbare Einschränkungen geklagt werde. Laut Gutachter bestehe ein
dysfunktionales Verhaltensmuster mit passiv-aggressiven und
histrionisch-unreifen Persönlichkeitszügen, worauf bisher in der Psychotherapie
nicht angemessen eingegangen worden sei. Eine schwerwiegende körperliche
Begleiterkrankung mit Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sei nicht auszumachen,
ebensowenig eine erhebliche psychische Komorbidität. Weiter habe der Experte
auf eine ambivalente Motivation für eine adäquate
psychiatrisch-psychotherapeutische (stationäre) Behandlung hingewiesen.
Diesbezüglich ist anzufügen, dass - entgegen den Einwendungen in der Beschwerde
- der Gutachter nachvollziehbar darlegte, weshalb er die Therapiemöglichkeiten
als noch nicht optimal ausgeschöpft erachtete. Die Vorinstanz führte weiter
aus, der Experte habe auch gute persönliche Ressourcen und positive
Alltagsaktivitäten festgestellt. So sei die Beschwerdeführerin in der Lage,
täglich Spaziergänge zu machen, halte regelmässigen Kontakt zu ihren vier
Kindern und pflege verschiedene weitere positive Aktivitäten mit
Familienangehörigen. Aus psychiatrischer Sicht des Gutachters wäre es ihr zudem
möglich, mehr im eigenen Haushalt zu arbeiten. Es bestehe ein erheblicher
sekundärer Krankheitsgewinn. Das Gericht hat vor diesem Hintergrund zu Recht
nicht auf eine schwere Ausprägung der Schmerzstörung geschlossen (vgl. Urteil
9C_154/2016 vom 19. Oktober 2016          E. 5.3.1). Es zeigte vielmehr in
Würdigung der Aktenlage auf, dass kein stimmiges Gesamtbild vorliegt, das auf
eine therapeutisch nicht angehbare erhebliche funktionelle Behinderung
schliessen liesse (Konsistenz; BGE 141 V 281 E. 4.4 S. 303; SVR 2016 IV Nr. 29
S. 88 E. 4.3, 9C_340/2015).

6.3. Es steht demnach in Einklang mit Bundesrecht, wenn das kantonale Gericht
dem psychiatrischen Gutachten des Dr. med. E.________ vollen Beweiswert
zuerkannte und dessen Befund und Einschätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit
folgte. Weitere medizinische Abklärungen erübrigen sich daher, was zur
Bestätigung des angefochtenen Entscheids führt.

7. 
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Entsprechend dem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Januar 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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