Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.758/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_758/2016

Urteil vom 4. Januar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Daniel Tschopp,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft,
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 9. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1974 geborene A.________ war ab 1. Januar 2000 bis 31. Mai 2005 als
Bauwerktrenner bei der B.________ GmbH angestellt. Am 1. Februar 2001 stürzte
er von einem ca. 2 m hohen Gerüst auf den Rücken. Er erlitt eine LWS-Kontusion
und eine Traumatisierung einer Diskusläsion L4/L5. Am 28. November 2004 meldete
er sich bei der IV-Stelle Basel-Landschaft zum Leistungsbezug an. Diese zog
u.a. einen Bericht des Psychiaters Dr. med. C.________,
Versicherungspsychiatrischer Dienst der SUVA, vom 3. Juni 2008 bei. Weiter
veranlasste sie ein psychiatrisches, orthopädisches und internistisches
Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts (ABI) GmbH, Basel, vom 6. Juli
2009. Mit Verfügung vom 14. Oktober 2010 verneinte die IV-Stelle den
Rentenanspruch. In Gutheissung der Beschwerde des Versicherten hob das
Kantonsgericht Basel-Landschaft die Verfügung auf und wies die Sache an die
IV-Stelle zurück, damit sie weitere Abklärungen zum psychischen
Gesundheitszustand vornehme und hernach über den Rentenanspruch neu verfüge
(Entscheid vom 14. April 2011). Die Verwaltung holte ein Gutachten des
Psychiaters Dr. med. Dipl. Psych. D.________ vom 4. April 2012 ein. Mit
Zwischenverfügung vom 9. Januar 2014 ordnete sie eine weitere psychiatrische
Begutachtung an. Auf Beschwerde des Versicherten hin hob das Kantonsgericht
diese Verfügung auf und stellte fest, die Einholung eines weiteren Gutachtens
sei weder notwendig noch geboten (Entscheid vom 10. April 2014). Mit Verfügung
vom 11. Februar 2016 sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. Mai 2008 eine
ganze Invalidenrente zu.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht mit Entscheid vom 9.
Juni 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm ab Juni 2005 eine
ganze Rente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zwecks weiterer Abklärungen
und zum Erlass einer neuen Verfügung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1
S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art.
97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige
Feststellung erheblicher Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes
bzw. der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen
an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Die aufgrund
dieser Berichte gerichtlich festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit
und die konkrete Beweiswürdigung sind Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des
Urteils BGE 141 V 585).

2. 
Das Kantonsgericht hat die rechtlichen Grundlagen der Arbeitsunfähigkeit (Art.
6 ATSG), der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) und der Invaliditätsbemessung nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) richtig dargelegt.
Gleiches gilt für die Rechtsprechung zum Beweiswert von Arztberichten (siehe E.
1 hievor; BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) und zum massgebenden Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221). Darauf wird
verwiesen.

3.

3.1. Unbestritten ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine ganze
Invalidenrente ab 1. Mai 2008.

3.2. Zu prüfen ist, ob er entgegen der vorinstanzlichen Beurteilung bereits ab
1. Juni 2005 einen Rentenanspruch hat. Er hatte sich am 28. November 2004 bei
der IV-Stelle zum Leistungsbezug angemeldet. Er macht geltend, er sei seit Juni
2004 in der Arbeits- und Leistungsfähigkeit wesentlich eingeschränkt, weshalb
ihm nach Ablauf des gesetzlich statuierten Wartejahres ab Juni 2005
IV-Leistungen zustünden (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 IVG in der bis
31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung).

4.

4.1. In somatischer Hinsicht stellte die Vorinstanz gestützt auf die Berichte
der SUVA-Kreisärzte Dr. med. E.________, Facharzt für Orthopädie/Sportmedizin/
Chirotherapie, vom 1. September 2004, und Dr. med. F.________, Facharzt für
Allgemeinmedizin FMH, vom 19. Januar 2005 und 26. September 2007 sowie das
orthopädische ABI-Teilgutachten vom 18. Mai 2009 fest, dem Beschwerdeführer sei
spätestens ab 1. Oktober 2005 eine angepasste körperliche leichte bis
mittelschwere Tätigkeit mit zusätzlichen Pausen zu 100 % zumutbar.

4.2. Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass Frau Dr. med.
G.________, Innere Medizin FMH, im Bericht vom 12. Juli 2004 von 100%iger
Arbeitsunfähigkeit seit 7. Juni 2004 ausging und Dr. med. E.________ am 1.
September 2004 eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit angab. Hieraus kann er indes
nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn gemäss dem orthopädischen
ABI-Teilgutachten vom 18. Mai 2009 war er bereits seit Juni 2004 in
leidensangepassten, körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeiten zu 100 %
arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer zeigt nicht substanziiert konkrete Indizien
auf, die gegen die Zuverlässigkeit dieser Expertise sprechen (vgl. BGE 135 V
465 E. 4.4 S. 470). Er legt insbesondere nicht dar und es ist auch nicht
ersichtlich, dass Frau Dr. med. G.________ und Dr. med. E.________ wichtige
Aspekte benannt hätten, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt
geblieben sind (vgl. nicht publ. E. 6.2 des Urteils BGE 142 V 342)

5. 
Streitig und zu prüfen bleibt der psychische Gesundheitsschaden.

5.1. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, die Rentenzusprache ab 1. Mai 2008
beruhe auf dem Gutachten des Psychiaters Dr. med. D.________ vom 4. April 2012.
Laut ihm sei sicher im Zeitpunkt der psychiatrischen Untersuchung durch Dr.
med. C.________ am 27. Mai 2008 eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit ausgewiesen.
Eine verlässliche Einschätzung der Arbeitsfähigkeit vor diesem Zeitpunkt sei
Dr. med. D.________ nicht möglich gewesen. Zu prüfen sei somit, ob anhand der
echtzeitlichen Unterlagen eine wesentliche Beeinträchtigung der
Arbeitsfähigkeit aus psychischen Gründen vor 27. Mai 2008 vorgelegen habe.
Erstmals habe Frau lic. phil. H.________, Fachpsychologin für Psychotherapie
FSP, am 29. Juni 2007 eine psychiatrische Diagnose - chronische Schmerzstörung
(ICD-10 F45.4), dysthyme Störung (ICD-10 F34.1) und Verdacht auf
posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) - gestellt. Dr. med.
D.________ habe jedoch überzeugend dargelegt, weshalb die chronische
Schmerzstörung die Arbeitsfähigkeit nicht einschränke und keine
posttraumatischen Belastungsstörung vorliege. Damit bleibe einzig die
Dysthymie, die aber praxisgemäss keine Invalidität zu begründen vermöge. Ohne
Zweifel habe sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers seit Juni 2007
bis zur Untersuchung durch Dr. med. C.________ im Mai 2008 verschlechtert. Ob
aber in dieser Zeitspanne eine rentenrelevante Beeinträchtigung der
Arbeitsfähigkeit eingetreten sei und bejahendenfalls wann, lasse sich anhand
der echtzeitlichen Unterlagen nicht überwiegend wahrscheinlich eruieren.
Ausreichend bewiesen sei eine massgebende Arbeitsunfähigkeit erst ab der
Begutachtung durch Dr. med. C.________ im Mai 2008. Zu diesem Ergebnis sei auch
der Gutachter Dr. med. D.________ gekommen. Weitere Beweiserhebungen seien
nicht zielführend. Hieran änderten die Berichte der Gesellschaft I.________ vom
31. März 2006 und der Stiftung J.________ vom 13. September 2006 nichts.

5.2. Der Beschwerdeführer vermag mit seinen Rügen weder eine
Bundesrechtsverletzung noch eine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung darzutun. Insbesondere zeigt er auch nicht auf, dass
diese das Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder sonst wie
rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG wäre. Im Einzelnen ist dazu Folgendes
festzuhalten:

5.2.1. Der Beschwerdeführer absolvierte vom 27. September 2005 bis 26. März
2006 auf Anordnung der IV-Stelle eine berufliche Abklärung bei der Gesellschaft
I.________. Diese hielt im Abschlussbericht vom 31. März 2006 fest, der
Abklärungsverlauf habe gezeigt, dass er bei einem vollen Pensum eine
Leistungsfähigkeit von rund 40 % erbringe. Dr. med. C.________ legte im Bericht
vom 3. Juni 2008 dar, die von der IV-Stelle festgestellte Leistungseinbusse von
60 % im Rahmen der Massnahme der Gesellschaft I.________ sei nachvollziehbar.
Hieraus kann der Beschwerdeführer jedoch nichts zu seinen Gunsten ableiten.
Denn für die Zeit vor 27. September 2005 sowie ab 26. März 2006 bis zur
Rentenzusprache ab Mai 2008 fehlen - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat -
echtzeitliche fachärztliche Berichte über seine psychisch bedingte Arbeits (un)
fähigkeit. Eine retrospektive Beurteilung (hierzu vgl. Urteile 9C_391/2015 vom
28. Januar 2016 E. 6.1 und 9C_377/2013 vom 28. Juni 2013 E. 2) derselben für
diesen Zeitraum konnte der Gutachter Dr. med. D.________ nicht abgeben.
Auch aus den Berichten der Stiftung J.________ vom 13. September 2006 und der
Psychologin Frau lic. phil. H.________ vom 29. Juni 2007 kann nicht auf eine
rechtlich beudeutsame Arbeitsunfähigkeit in diesem Zeitraum geschlossen werden,
da die Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nicht allein gestützt auf Aussagen von
nicht-medizinischen Personen festgelegt werden kann (Urteil 8C_516/2014 vom 6.
Januar 2015 E. 9.2). Hievon abgesehen machte Frau lic. phil. H.________ keine
Angaben zum Grad der Arbeits (un) fähigkeit. Soweit sie ausführte, kulturelle
und sprachliche Unterschiede sowie solche der Sozialisierung erschwerten den
therapeutischen Prozess, handelt es sich um invaliditätsfremde Faktoren, für
welche die IV nicht einzustehen hat (Urteil 9C_503/2015 vom 9. März 2016 E.
5.2).
Unbehelflich ist auch die Berufung des Beschwerdeführers auf den Bericht des
SUVA-Kreisarztes Dr. med. F.________ vom 26. September 2007, wonach er aufgrund
der gestörten Schmerzverarbeitung und der psychiatrischen Diagnosen nicht mehr
leisten könne als bei der Gesellschaft I.________. Denn Dr. med. F.________
fehlt in psychiatrischer Hinsicht die Fachkompetenz.

5.2.2. Die Beweislosigkeit hinsichtlich der Arbeits (un) fähigkeit für die Zeit
bis September 2005 und ab 26. März 2006 bis zur Rentenzusprache ab Mai 2008
wirkt sich zu Lasten des Beschwerdeführers aus (vgl. auch BGE 140 V 290 E. 4.2
S. 299). Da von weiteren Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse zu
erwarten sind, verzichtete die Vorinstanz darauf zu Recht. Dies verstösst weder
gegen den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) noch gegen den Anspruch
auf rechtliches Gehör bzw. auf Beweisabnahme (Art. 29 Abs. 2 BV; antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; Urteil 8C_595/2016 vom 2.
November 2016 E. 8).

6. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Januar 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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