Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.73/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]         
8C_73/2016 {T 0/2}     

Urteil vom 25. April 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1960 geborene A.________ meldete sich am 24. Februar 2004 wegen einer seit
dem Jahre 1994 bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung (Depression,
Status nach einer Distorsion der Halswirbelsäule) zum Bezug einer Rente bei der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich traf erwerbliche und
medizinische Abklärungen. Sie holte dabei unter anderem bei Dr. med.
B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, ein Gutachten vom
5. Juli 2004 ein. Gestützt darauf sprach sie dem Versicherten eine
Invalidenrente auf Grund eines Invaliditätsgrades von 100 % ab dem 1. Februar
2003 zu (Verfügung vom 19. November 2004).
Im Rahmen eines im Jahre 2009 von Amtes wegen eingeleiteten Revisionsverfahrens
liess die IV-Stelle A.________ durch Dr. med. D.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, begutachten (Expertise vom 5. September
2011). Nachdem gegen eine mit Vorbescheid vom 18. Juni 2012 angekündigte
Aufhebung des Rentenanspruchs Einwände erhoben wurden, veranlasste die
Verwaltung zudem eine polydisziplinäre Begutachtung durch die Medizinische
Abklärungsstelle Bern (nachfolgend: MEDAS; Expertise vom 11. November 2013).
Mit Verfügung vom 22. April 2014 hob die IV-Stelle die Rente des Versicherten
auf.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 30. November 2015 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm die
bisherige Rente weiterhin auszurichten.
Ein Schriftenwechsel wird nicht durchgeführt.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten       (Art. 82
ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den
Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) -
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sind grundsätzlich Tatfragen (BGE 132
V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das Bundesgericht seiner Urteilsfindung
zugrunde zu legen hat (E. 1.1). Ebenfalls Tatfrage ist die konkrete
Beweiswürdigung. Dagegen sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und
der Beweiswürdigungsregeln - im Rahmen der den Parteien obliegenden
Begründungs- bzw. Rügepflicht - frei überprüfbare Rechtsfragen (Art. 106 Abs. 1
BGG; BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die am 22. April 2014 durch die IV-Stelle
verfügte Aufhebung des Anspruchs auf eine Invalidenrente vorinstanzlich zu
Recht bestätigt wurde.
Im angefochtenen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen und die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen zum Begriff der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zum
Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) und zum Beweiswert und zur
Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232;
125 V 351 E. 3a S. 352) richtig dargelegt. Gleiches gilt für die Ausführungen
zur Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132) und zum
revisionsrechtlich massgebenden Vergleichszeitraum (BGE 133 V 108 E. 5.4 S.
114). Darauf wird verwiesen.

3. 
Gemäss angefochtenem Entscheid war bei Verfügungserlass im Jahre 2004 die
schwere depressive Episode Hauptursache für die vom Gutachter Dr. med.
B.________ attestierte vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit. Die damals ebenfalls
diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung hatte, sofern überhaupt von
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit auszugehen war, nur einen geringen
Einfluss. Dies hat zur Folge, dass sich die Rentenaufhebung, entgegen der
Verfügung vom 22. April 2014, nicht auf die am 1. Januar 2012 in Kraft
getretenen Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6.
IV-Revision, erstes Massnahmenpaket) stützen lässt (vgl. dazu BGE 140 V 197 E.
6.2.3 S. 200; Urteil 9C_653/2014 vom 6. März 2015 E. 3.2, in: SVR 2015 IV Nr.
27 S. 82).
Zu Recht hat das kantonale Gericht deshalb geprüft, ob die Rentenaufhebung
mittels substituierter Begründung der Revision zu schützen ist (zur
Motivsubstitution bei fehlgeschlagener Anwendung der genannten
Schlussbestimmungen: Urteil 9C_121/2014 vom 3. September 2014 E. 3.2.2, in: SVR
2014 IV Nr. 39 S. 137). Während die Frage im angefochtenen Entscheid bejaht
wird, vertritt der Versicherte die Auffassung, die Revisionsvoraussetzungen des
Art. 17 Abs. 1 ATSG (vgl. dazu: BGE 133 V 108; Urteil 8C_441/2012 vom 25. Juli
2013 E. 3, in: SVR 2013 IV Nr. 44 S. 134) seien nicht erfüllt.

4. 
Die Vorinstanz erwog, das interdisziplinäre Gutachten vom 11. November 2013
genüge den rechtsprechungsgemässen Kriterien einer beweiskräftigen ärztlichen
Entscheidungsgrundlage. Insbesondere setze es sich auch mit dem Gutachten des
Dr. med. D.________ auseinander. Im MEDAS-Gutachten werde klar ausgeführt,
weshalb der von Dr. med. D.________ gestellten Diagnose einer posttraumatischen
Belastungsstörung nicht gefolgt werden könne. Die entsprechenden Ausführungen
im MEDAS-Gutachten seien einleuchtend und schlüssig. Daran vermöchten auch die
Stellungnahmen des RAD-Arztes dipl. med. C.________ vom 12. November 2012 und
vom 24. Januar 2014 nichts zu ändern. Gemäss der als überzeugend qualifizierten
Expertise vom 11. November 2013 sei beim Versicherten, verglichen mit den
früheren psychiatrischen Berichten und Gutachten aus dem Jahre 2004, eine
eindeutige Verbesserung des Gesundheitszustandes eingetreten. Dieser leide
aktuell nicht mehr an einer Depression. Die Verbesserung sei geeignet, den
Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Eine Überprüfung
der erwerblichen Auswirkungen ergebe, dass der Beschwerdeführer in einer
angepassten Tätigkeit keine Erwerbseinbusse erleide, weshalb er keinen Anspruch
auf eine Invalidenrente mehr habe.

5. 
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht
(Art. 17 ATSG); die von der Vorinstanz angenommene Verbesserung des
Gesundheitszustandes beruhe einzig auf den Ausführungen im MEDAS-Gutachten, auf
welches aber nicht abzustellen sei. Es handle sich dabei nur um eine
revisionsrechtlich unerhebliche andere Wertung der unveränderten tatsächlichen
Verhältnisse.

5.1. Der Beschwerdeführer begnügt sich in weiten Teilen damit, das
psychiatrische Teilgutachten im Rahmen der MEDAS-Expertise als mangelhaft und
nicht überzeugend darzustellen. Damit handelt es sich um eine - sehr
umfangreiche - appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung.
Diese ist im Rahmen der gesetzlichen Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts
unzulässig (E. 1.2 hievor), weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist.
Entgegen seiner Darstellung hat das kantonale Gericht die medizinischen Akten
sehr wohl darauf hin geprüft und gewürdigt, ob sich der Gesundheitszustand des
Versicherten seit der Rentenzusprechung wesentlich verändert hat. Gemäss den
vorinstanzlichen Feststellungen hatte der Gutachter im Jahre 2004 eine schwere
depressive Episode, eine somatoforme Schmerzstörung bei chronischem
rezidivierendem Cervicalsyndrom, einen Reizcolon und eine chronische
rezidivierende Gastritis diagnostiziert. Demgegenüber hätten die begutachtenden
Ärzte der MEDAS chronisch wiederkehrende Zervikalgien und Lumbalgien bei
degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, wiederkehrende Brachialgien rechts
und Ellenbogen-Arthralgie, beidseitige Spreizfüsse, einen Hallux valgus
linksbetont, einen Status nach einer Diskushernienoperation und eine "sonstige
Reaktion auf schwere Belastung" (ICD-10-F43.8) diagnostiziert. Keine dieser
Diagnosen hätte einen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. Die Rente war dem
Beschwerdeführer wegen einer vollumfänglichen Arbeitsunfähigkeit infolge einer
chronifizierten schweren Depression zugesprochen worden. Die MEDAS-Gutachter
fanden keine depressive Entwicklung mehr. Ebensowenig konnten sie eine
chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung oder eine
Persönlichkeitsveränderung feststellen. Damit erwog das kantonale Gericht zu
Recht, dass sich der Gesundheitszustand, verglichen mit demjenigen im Jahre
2004, wesentlich verbessert hat. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde
ist dazu nicht notwendig, dass der Krankheitsverlauf in den Jahren seit Beginn
des Rentenanspruchs untersucht und aufgezeigt wird. Es genügt, dass damals
gestellte Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit heute nicht mehr
gestellt werden.

5.2. Im Weiteren wird gerügt, die IV-Stelle habe die "reale verwertbare
Arbeitsfähigkeit" zu Unrecht nicht im Rahmen von beruflichen Massnahmen
eruiert.

5.2.1. Für die Invaliditätsbemessung ist nicht massgebend, ob eine invalide
Person unter den konkreten Arbeitsmarktverhältnissen vermittelt werden kann,
sondern einzig, ob sie die ihr verbliebene Arbeitskraft noch wirtschaftlich
nutzen könnte, wenn ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage nach
Arbeitsplätzen bestünde (ausgeglichener Arbeitsmarkt, Art. 16 ATSG; BGE 134 V
64 E. 4.2.1 S. 70 f.; 110 V 273 E. 4b S. 276). Gemäss MEDAS-Gutachten ist der
Versicherte in einer leichten und mittelschweren körperlichen Tätigkeit
vollumfänglich arbeitsfähig, soweit lange statische Wirbelsäulenbelastungen und
Überkopfarbeiten vermieden werden können. Stellen für Hilfsarbeiter, welche
diese Einschränkungen berücksichtigen, sind zahlreich. Die Frage, ob eine
Unverwertbarkeit der (Rest-) Arbeitsfähigkeit anzunehmen ist, stellt sich bei
einem so weiten Zumutbarkeitsprofil nicht.

5.2.2. Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Forderung nach beruflichen
Massnahmen die Schlussbestimmung zur 6. IV-Revision Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 8a IVG ansprechen möchte, bleibt festzuhalten, dass kein Fall der
Schlussbestimmung der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision,
erstes Massnahmenpaket) vorliegt (E. 3 hievor). Zudem ist die
Wiedereingliederung gemäss Art. 8a IVG für Rentenbezüger mit vermutetem
Eingliederungspotenzial vorgesehen, bei welchen der Gesundheitszustand oder die
erwerblichen Verhältnisse keine anspruchswesentliche Änderung erfahren haben.
Dies ist beim Beschwerdeführer, der infolge erheblicher Verbesserung des
Gesundheitszustands keine Invalidenrente mehr beanspruchen kann, nicht der Fall
(Urteile 9C_324/2015 vom 23. Dezember 2015 E. 5; 8C_344/2014 vom 27. August
2014 E. 6 mit Hinweisen). Da bei ihm auch ohne berufliche Massnahmen eine volle
Erwerbsfähigkeit gegeben ist, könnte eine solche mit
Wiedereingliederungsmassnahmen im Sinne von Art. 8a IVG nicht weiter erhöht
werden. Dem (sinngemässen) Antrag auf Eingliederungsmassnahmen ist damit nicht
zu folgen; ob es sich beim diesbezüglichen Antrag um ein neues Rechtsbegehren
(Art. 99 Abs. 2 BGG) handelt, kann dahingestellt bleiben.

5.3. Die Einwendungen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, die
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz als offensichtlich unrichtig oder
anderweitig bundesrechtswidrig (E. 1 hievor) erscheinen zu lassen. Ebenso wenig
hat das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt, indem es die
Revisionsvoraussetzungen bejaht hat. Gegen die Ermittlung des
Invaliditätsgrades gemäss kantonalem Entscheid erhebt der Beschwerdeführer zu
Recht keine Einwände. Damit bleibt es bei der vorinstanzlich bestätigten
revisionsweisen Rentenaufhebung.

6. 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. April 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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