Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.723/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_723/2016

Urteil vom 30. März 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jiri Mischa Mensik,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (vorinstanzliches Verfahren),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 21. September
2016.

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 18. August 2014 stellte die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (Suva) die A.________ (Jg. 1962) gewährten
Leistungen (Heilbehandlung und Taggelder) per 31. August 2014 ein, woran sie
mit Einspracheentscheid vom 21. November 2014 festhielt.

Das Kantonsgericht Luzern wies die dagegen erhobene Beschwerde ohne
Durchführung der gewünschten öffentlichen Verhandlung mit Entscheid vom 21.
September 2016 ab.

A.________ lässt mit Beschwerde ans Bundesgericht die Aufhebung dieses
Entscheides und die Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht zu neuem
Entscheid beantragen.

Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin sehen von einer materiellen
Stellungnahme zur Sache ab. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden.

2. 
Ihren Antrag auf Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht zu neuem
Entscheid begründet die Beschwerdeführerin - abgesehen von ihren
materiell-rechtlichen Einwänden - auch damit, dass dieses von der Anordnung
einer öffentlichen Verhandlung abgesehen hat, obschon sie in ihrer
Rechtsschrift eine solche für den Eventualfall beantragt hatte, dass ihrem
Rechtsbegehren in der Sache nicht ohne Weiteres entsprochen werden kann. Dies
betrachtet sie als Verfahrensmangel, dessen Behebung nur durch die nunmehr
beantragte Rückweisung zu neuem Entscheid bewerkstelligt werden könne.

2.1. Nach Art. 6 Ziff. 1 Satz 1 EMRK hat - unter Vorbehalt der in Satz 2
derselben Bestimmung genannten Ausnahmen - jedermann Anspruch darauf, dass
seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist
von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört
wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die
Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden
hat.

2.2. Die Öffentlichkeit des Verfahrens (Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 30 Abs. 3 BV,
Art. 61 lit. a ATSG) soll dazu beitragen, dass die Garantie auf ein "faires
Verfahren" tatsächlich umgesetzt wird (Urteil 8C_338/2016 vom 21. November 2016
E. 1.1 mit Hinweis auf BGE 142 I 188). Vorliegend sind zivilrechtliche
Ansprüche im Sinne dieser Norm streitig (BGE 122 V 47 E. 2a S. 50). Das
kantonale Gericht, welchem es primär obliegt, die Öffentlichkeit der
Verhandlung zu gewährleisten (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281; 122 V 47 E. 3 S. 54),
hat bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrages
grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (BGE 136 I 279 E. 1 S.
281; SVR 2014 UV Nr. 11 S. 37, Urteil 8C_273/2013 vom 20. Dezember 2013 E. 1.2
mit Hinweisen). Ein während des ordentlichen Schriftenwechsels gestellter
Antrag gilt dabei als rechtzeitig (BGE 134 I 331; vgl. zum Ganzen: Urteil
8C_338/2016 vom 21. November 2016 E. 1.1 mit Hinweisen).

2.3. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen
werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine
Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und
Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist.
Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung mit hinreichender
Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet
oder unzulässig ist. Als weiteres Motiv für die Verweigerung einer beantragten
öffentlichen Verhandlung fällt die hohe Technizität der zur Diskussion
stehenden Materie in Betracht, was etwa auf rein rechnerische,
versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zutrifft, wogegen
andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen materiell- oder
verfahrensrechtlicher Natur wie die Würdigung medizinischer Gutachten in der
Regel nicht darunterfallen. Schliesslich kann das kantonale Gericht von einer
öffentlichen Verhandlung absehen, wenn es auch ohne eine solche aufgrund der
Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen Rechtsbegehren der bezüglich
der Verhandlung Antrag stellenden Partei zu entsprechen ist (BGE 136 I 279 E. 1
S. 281 mit Hinweis auf BGE 122 V 47 E. 3b/ee und 3b/ff. S. 57 f.; vgl. zum
Ganzen: Urteil 8C_338/2016 vom 21. November 2016 E. 1.2 mit Hinweisen).

3. 

3.1. Ein Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinne der
EMRK wurde unbestrittenermassen rechtzeitig noch in der der Vorinstanz
eingereichten Beschwerdeschrift gestellt. Das kantonale Gericht entsprach
diesem Begehren nicht, weil die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung
einerseits nicht begründet worden sei und die gestellten Beweisanträge
andererseits nicht darauf schliessen liessen, dass eine konventionskonforme
Verhandlung im Sinne einer mündlichen Erörterung des Prozessstoffes vor Gericht
mit Publikums- und allenfalls Presseanwesenheit tatsächlich auch gewünscht
werde. Nachdem im Gerichtsverfahren kein Anlass zu weiteren Beweisabnahmen
bestehe, könne auf eine öffentliche Verhandlung verzichtet werden.

3.2. Von der - wenn auch nur im Sinne eines Eventualantrages ("evtl. im Rahmen
einer öffentlichen Hauptverhandlung") - beantragten öffentlichen Verhandlung
hätte das kantonale Gericht nur bei Vorliegen von in E. 2.2 hievor genannten
Gründen absehen dürfen. Dass ein solcher Grund gegeben wäre, hat die Vorinstanz
zu Recht nicht erwogen. Soweit das kantonale Gericht eine Begründung des
Antrages auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verlangt, wozu es sich
allenfalls auf BGE 122 V 47 E. 3a und b S. 55 ff. berufen könnte, kann ihm
nicht gefolgt werden. Eine entsprechende Begründungspflicht hat das
Bundesgericht im bereits erwähnten Urteil 8C_338/2016 vom 21. November 2016 E.
2 denn auch explizit verneint. Auch in BGE 122 V 47 wird lediglich ein klarer
und unmissverständlicher Antrag vorausgesetzt. Ein solcher muss hier anerkannt
werden, wurde doch mit genügender Bestimmtheit zum Ausdruck gebracht, dass eine
öffentliche Verhandlung erwartet wird. Aus den Ausführungen in der dem
kantonalen Gericht eingereichten Beschwerdeschrift mit einem Verzeichnis von
Beweismitteln wie Zeugenbefragung, Sachverständigengutachten und
Parteibefragung geht entgegen der vorinstanzlichen Auffassung auch nicht etwa
hervor, dass eine öffentliche Hauptverhandlung primär im Hinblick lediglich auf
eine Beweisabnahme angestrebt worden wäre, worauf der Öffentlichkeitsgrundsatz
tatsächlich keinen Anspruch einräumt (Urteil 8C_338/2016 vom 21. November 2016
E. 2.2). Hätte die Vorinstanz Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Antrages auf
eine öffentliche Verhandlung gehabt, wäre sie nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zu einer entsprechenden Rückfrage bei der Beschwerdeführerin
gehalten gewesen (BGE 127 I 44 E. 2e/bb S. 48 und Urteil 2C_370/2010 vom 26.
Oktober 2010 E. 2.7).

3.3. Es bestand somit für das kantonale Gericht keine Veranlassung und keine
Rechtfertigung, von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung ausnahmsweise abzuweichen. Indem die Vorinstanz
dennoch auf eine solche verzichtet hat, wurde der in Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht Rechnung getragen. Es ist daher
unumgänglich, die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es
diesen Verfahrensmangel behebt und die von der Beschwerdeführerin verlangte
öffentliche Verhandlung durchführt. Danach wird es über die Beschwerde
materiell neu befinden (vgl. BGE 136 I 279 E. 4 S. 284; SVR 2014 UV Nr. 11 S.
37 und bereits erwähntes Urteil 8C_273/2013 E. 4).

4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie
hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu entrichten
(Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichtes Luzern vom
21. September 2016 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt
für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. März 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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