Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.594/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_594/2016

Urteil vom 4. November 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Saskia Lieb,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 11. August 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1954 geborene A.________ war seit 1988 bei der B.________ AG als Gussputzer
angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Laut
Schadenmeldung UVG vom 9. Juli 2015 fiel am 2. Juli 2015 beim Aufstellen von
neuen Lagerregalen ein Teil davon auf die (linke) Schulter des Versicherten.
Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld) und
klärte den Sachverhalt in beruflicher und medizinischer Hinsicht ab. Wegen
einer transmuralen Ruptur der Supraspinatussehne, pathologisch langer
Bizepssehne sowie hypertropher, partiell fusionierter Arthrose im AC-
(Acromioclavicular) -Gelenk nahm Dr. med. C.________, Leitender Arzt a.i.
Orthopädie, Spital D.________, am 25. August 2015 eine arthroskopisch
durchgeführte Rekonstruktion der RM (Rotatorenmanschette) sowie Resektion des
AC-Gelenks vor (Berichte vom 28. August sowie 22. September 2015). Anlässlich
einer elf Wochen postoperativ durchgeführten klinischen Verlaufskontrolle
diagnostizierte Dr. med. C.________ eine Schultersteifigkeit (frozen shoulder)
bei wechselhaftem Verlauf (Bericht vom 24. November 2015). Laut Auskünften des
Dr. med. E.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des
Bewegungsapparates, SUVA Versicherungsmedizin, vom 20. und 23. November 2015
stellte sich die Supraspinatussehne im MRI (magnetic resonance imaging) vom 13.
August 2015 um 2 cm retrahiert dar, weshalb aus medizinischer Sicht davon
auszugehen war, dass sie vor dem Unfall vom 2. Juli 2015 gerissen sein musste;
insgesamt war eine vorübergehende Verschlimmerung eines Vorzustandes
anzunehmen, die sechs bis acht Wochen nach dem Ereignis als abgeklungen zu
betrachten war. Mit Verfügung vom 27. November 2015 stellte die SUVA die bisher
erbrachten Leistungen auf den 30. November 2015 ein. Unter Vorlage des Berichts
des Dr. med. C.________ vom 24. November 2015 erhob der Versicherte mündlich
Einsprache, welche die SUVA mit Entscheid vom 17. Februar 2016 abwies.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern ab (Entscheid vom 11. August 2016).

C. 
Mit Beschwerde lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids seien ihm die gesetzlichen Leistungen auszurichten;
eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung (einschliesslich neuer Abklärung
tatsächlicher und/oder medizinischer Natur) an die SUVA, subeventuell an das
kantonale Gericht zurückzuweisen, wobei insbesondere ein ausführlicher Bericht
bei Dr. med. C.________ einzuholen sei.

Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder
Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung hingegen
ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3
BGG).

2.

2.1. Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1
UVG) und die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht vorausgesetzten
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod: BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181) im
Speziellen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.2. Zu wiederholen ist, dass dann, wenn die Unfallkausalität einmal mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, die Leistungspflicht des
Unfallversicherers erst entfällt, sobald der Unfall nicht mehr die natürliche
und adäquate Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur
noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann
zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor
dem Unfall bestanden hat (Status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er
sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch
ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht
ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss das
Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines
Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse
Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles
genügt nicht. Da es sich hiebei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt,
liegt aber die entsprechende Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein
leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim
Versicherten, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 326, U 180
/93 E. 3b).

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, dass zur Beurteilung der Frage, ob der
Versicherte über den 1. Dezember 2015 hinaus Anspruch auf Leistungen der
obligatorischen Unfallversicherung hatte, auf den in allen Teilen
beweiskräftigen kreisärztlichen Bericht des Dr. med. E.________ vom 23.
November 2015 abzustellen sei. Er lege überzeugend dar, dass der Unfall vom 2.
Juli 2015 (direktes Trauma) nicht geeignet gewesen sei, eine Ruptur der
Supraspinatussehne zu verursachen. Dies gelte umso mehr, als sich im MRI vom
13. August 2015, mithin erst rund sechs Wochen nach dem Ereignis, bereits eine
Retraktion der Sehne um 2 cm gezeigt habe, was gegen einen frischen Riss
spreche. Wenn der Versicherte demnach keine Rotatorenmanschettenruptur
erlitten, sondern sich lediglich eine Schulterkontusion zugezogen habe, müsse
mit den schlüssigen Auskünften des Dr. med. E.________ eine vorübergehende
Verschlimmerung eines Vorzustandes angenommen werden, die nach vier bis sechs
Wochen ausgeheilt gewesen sei. Soweit Dr. med. C.________ im Bericht vom 16.
Februar 2016 davon ausgehe, die Schultersteife (frozen shoulder) wäre ohne das
Trauma und die hierauf durchgeführte Operation nicht entstanden, sei zu
beachten, dass die Formel "post hoc ergo propter hoc" beweisrechtlich nicht
beachtlich sei. Unter diesen Umständen erübrige sich in antizipierender
Beweiswürdigung, von Dr. med. C.________ einen weiteren Bericht einzuholen.
Insgesamt sei die Einstellung der Versicherungsleistungen per 1. Dezember 2015
(recte: 30. November 2015) nicht zu beanstanden.

3.2.

3.2.1. Dr. med. E.________ erörterte im Bericht vom 23. November 2015, dass in
der medizinischen Literatur als geeignete Verletzungsmechanismen, die einen
Riss der Rotatorenmanschette verursachen können, verschiedene Abläufe, wie eine
passiv forcierte Aussen- oder Innenrotation bei anliegendem oder abgespreizten
Arm, eine starke Zugbelastung beim Abspreizen des Armes oder als
Begleitverletzung einer Ausrenkung (Luxation) des Schultergelenks genannt
werden; nicht geeignet sind - wie hier - unter anderem direkte
Schulterprellungen oder die willkürlich koordinierte Kraftentfaltung. Defekte
der Rotatorenmanschette werden in der Fachwelt als multifaktorielles Geschehen
angesehen, wobei die vor allem auch in Folge des Alterungsprozesses
entstandenen degenerativen Veränderungen im Vordergrund stehen.

3.2.2. Der Beschwerdeführer brachte erstmals im vorinstanzlichen Verfahren vor,
der in der Schadenmeldung UVG vom 9. Juli 2015 festgehaltene Sachverhalt treffe
nicht zu. Er habe am Unfalltag ein rundes, ungefähr 20 kg schweres Baugussteil
über Kopf aus einem zwei Meter hohen Container gehoben; dieses habe jedoch
wegen des Asphaltes mit anderen Stücken zusammen geklebt; die Teile seien ins
Rutschen geraten und er habe versucht, sie aufzufangen, wobei die linke
Schulter einer starken Belastung ausgesetzt worden sei. Das kantonale Gericht
verkenne die Bedeutung der von ihm angerufenen Beweismaxime "Aussage der ersten
Stunde". Deren Anwendbarkeit setze gemäss Rechtsprechung und Literatur voraus,
dass die Aussage präzise und vollständig aufgezeichnet worden sei, wobei die
allfällige Unbeholfenheit und beschränkte sprachliche Ausdrucksfähigkeit der
versicherten Person zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus dürfe die
Beweismaxime nicht angewendet werden, wenn auf Aussagen Dritter zurückgegriffen
werde, und überhaupt stelle sie keine förmliche Beweisregel, sondern lediglich
eine im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigende
Entscheidungshilfe dar. Das Formular "Schadenmeldung UVG" sei von einem
kaufmännischen Sachbearbeiter der Arbeitgeberin, der ihn nie zum Hergang des
Unfalles befragt habe, acht Tage später ausgefüllt worden. Daher sei
offensichtlich, dass der Sachverhalt nicht präzise ermittelt worden und zudem
von einer Drittperson geschildert worden sei, weshalb entgegen der Auffassung
der Vorinstanz keine echtzeitliche Aussage des Versicherten und damit auch kein
Wechsel in der Schilderung des Sachverhalts vorliegen könne. Das kantonale
Gericht habe sich in Verletzung des Anspruchs auf das rechtliche Gehör mit
diesen Vorbringen nicht auseinandergesetzt und davon abgesehen, den Sachverhalt
zusätzlich abzuklären.

3.2.3.

3.2.3.1. Der Beschwerdeführer untermauert seine im kantonalen Verfahren geltend
gemachte Schilderung des Unfallhergangs mit den von ihm eingeholten Auskünften
der B.________ AG vom 6. September 2016. Er übersieht, dass das Vorbringen von
Tatsachen oder Beweismitteln, die sich auf das vorinstanzliche Prozessthema
beziehen, jedoch erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden sind
(sogenannt "echte" Noven), von vornherein nicht durch den weitergezogenen
Entscheid veranlasst worden sein kann (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG) und somit im
bundesgerichtlichen Verfahren in jedem Fall unzulässig ist (Urteil 2C_94/2009
vom 16. Juni 2009 E. 2.2).

3.2.3.2. Was die Einwendungen zur vorinstanzlichen Beweiswürdigung im zu
diskutierenden Punkt betrifft, fällt auf, dass der im kantonalen Verfahren neu
geschilderte Ablauf des Unfallgeschehens denjenigen Verletzungsmechanismen
entsprach, die Dr. med. E.________ gestützt auf medizinische Literatur und
Lehrmeinungen als geeignet bezeichnete, eine Ruptur der Rotatorenmanschette zu
verursachen. Schon angesichts dieses Umstandes ist die Auffassung des
kantonalen Gerichts, dass der neu geschilderte Ablauf weniger wahrscheinlich
sei als der in der Unfallmeldung angegebene, nicht zu beanstanden. Sodann ist
wenig plausibel, dass der Versicherte die auf ihn zurutschenden (oder
heranfallenden), je 20 kg schweren und aneinander klebenden Baugussteile
aufzufangen versuchte; vielmehr ist davon auszugehen, dass er sich in
Sicherheit gebracht hatte. Dieses Verhalten steht auch in der Logik des
ärztlich festgestellten Hämatoms an der linken Schulter. Schliesslich übersieht
der Beschwerdeführer - auch dies ist der Vorinstanz nicht entgangen -, dass
sich die in der Unfallmeldung angegebene Schilderung des Unfallgeschehens ohne
Weiteres mit den klinischen und radiologischen Befunden (keine frischen
Läsionen; deutlich retrahierte Supraspinatussehne) in Übereinstimmung bringen
liess. Angesichts des Gesagten ist nicht ersichtlich, inwiefern das kantonale
Gericht den Unfallhergang in Verletzung der ihm obliegenden Pflicht, die
Beweise frei zu würdigen (vgl. Art. 61 lit. c ATSG), allein gestützt auf die
Beweismaxime der "Aussage der ersten Stunde" festgestellt haben und damit gegen
den geltend gemachten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV)
verstossen haben soll.

3.3. Hinsichtlich der weiter geltend gemachten Einwände zur Beurteilung der
Kausalität, die sich allein auf Frage des Unfallhergangs beziehen, wird im
Übrigen auf die nicht zu beanstandenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid
verwiesen, welchen nichts beizufügen ist.

4. 
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
aufzuerlegen (Art. 66. Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. November 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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