Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.591/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_591/2016

Urteil vom 20. Dezember 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jan Herrmann,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 6. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1966, war ab 19. September 2005 bei der B.________ AG,
Hoch- & Tiefbau, als Polier angestellt und in dieser Eigenschaft bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 4. Oktober 2005 rutschte er bei der Arbeit aus und verletzte
sich am linken Fuss. In der Folge unterzog er sich verschiedenen Operationen am
Fuss. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Am 9. März 2006 meldete
er sich bei der Invalidenversicherung an und bezog vom 1. Oktober 2006 bis 31.
Januar 2007 und vom 1. Februar bis 31. August 2009 eine ganze Invalidenrente.
Ab 12. Oktober 2009 arbeitete er bei der C.________ AG. Er war ab 18. Februar
2010 aus psychischen Gründen voll arbeitsunfähig und bezog vom 20. März 2010
bis 31. Mai 2011 Krankentaggelder. Am 24. Juni 2010 meldete er sich erneut bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Basel-Stadt
sprach ihm am 15. Februar 2012 ab 1. Dezember 2010 eine ganze Invalidenrente
zu. Mit Schreiben vom 7. März 2012 liess A.________ bei der SUVA geltend
machen, sie habe ab 19. März 2012 Taggelder zu erbringen. Die SUVA verneinte
dies mit Verfügung vom 13. März 2012, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 18.
Juli 2012. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die
dagegen erhobene Beschwerde am 28. Mai 2013 gut und wies die Sache zu weiteren
Abklärungen an die SUVA zurück. Das Bundesgericht trat auf die dagegen erhobene
Beschwerde mit Urteil 8C_565/2013 vom 14. November 2013 nicht ein.
Gestützt auf das psychiatrische Gutachten der Frau Dr. med. D.________,
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie, vom 30. Mai
2014 verneinte die SUVA mit Verfügung vom 30. Juli 2014 einen Anspruch auf
Taggeldleistungen ab 19. März 2012 und bestätigte dies mit Einspracheentscheid
vom 7. September 2015.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die dagegen
erhobene Beschwerde am 6. Juni 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der kantonale Entscheid aufzuheben und die SUVA zu
verpflichten, ihm die gesetzlichen Leistungen auszurichten; eventualiter seien
der kantonale Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen mit der Verpflichtung, ein gerichtliches psychiatrisches
Gutachten einzuholen und neu zu entscheiden. Zudem ersucht er um unentgeltliche
Rechtspflege.

Erwägungen:

1. 
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, da die Beschwerde unter Einhaltung
der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von einer
durch die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem schutzwürdigen
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG) eingereicht
wurde und sich das Rechtsmittel gegen einen von einer letzten kantonalen
Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in
einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) richtet und
keine der in Art. 83 BGG erwähnten Ausnahmen greift.

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

2.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

3. 
Streitig ist, ob zwischen den geltend gemachten psychischen Beschwerden und dem
Unfall vom 4. Oktober 2005 eine (Teil-) Kausalität besteht und der Versicherte
Anspruch auf Leistungen der SUVA nach dem 19. März 2012 hat.

4. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die
Leistungsvoraussetzungen des natürlichen (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit
Hinweisen) und des adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181
mit Hinweis), namentlich bei organisch nicht ausgewiesenen Beschwerden (BGE 134
V 109 E. 2.1 S. 112; BGE 115 V 133 E. 6 S. 138), sowie die allgemeinen
beweisrechtlichen Anforderungen an einen ärztlichen Bericht (BGE 134 V 231 E.
5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352), insbesondere bei begutachtenden
unabhängigen Fachärzten und bei Hausärzten (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 469 und E.
4.5 S. 470), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

5. 
Frau Dr. med. D.________ diagnostiziert in ihrem Gutachten vom 30. Mai 2014
eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60.31) mit der
Differentialdiagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit
emotional-instabilen und narzisstischen Anteilen (ICD-10: F 61). In der
Biografie seien Tendenzen erkennbar, gültige soziale Normen und gesetzliche
Regeln zu missachten. Wie ausgeprägt dieses dissoziale Verhaltensmuster sei,
könne mangels Strafregisterauszügen nicht hinreichend beurteilt werden. Andere
psychische Störungen seien nicht feststellbar. Der Krise im Februar 2010 sei
wiederum eine gravierende Situation am Arbeitsplatz vorausgegangen und habe im
Eklat geendet. Die behandelnde Psychiaterin habe zeitnah dokumentiert, dass der
Versicherte den Arbeitsplatz verliess, weil er Angst hatte, gegenüber dem
Vorgesetzten tätlich zu werden; dies habe sich in der aktuellen Untersuchung
bestätigt. Die Schmerzen im Fussgelenk würden ähnlich geschildert wie
anlässlich der Untersuchung beim Kreisarzt im August 2013. Die Verletzung von
2005 mit den zahlreichen Operationen und Schmerzen bedeute eine schwere
Belastung. Der Versicherte zeige aber kein depressives Syndrom und es fänden
sich auch keine Hinweise für eine besondere Störung der Schmerzverarbeitung.
Dass er sämtliche seiner Probleme seit 2005 mit dem Unfall in Verbindung
bringe, habe für ihn eine entlastende Funktion. So könne er seine schwierige
Lebenssituation auf ein äusseres, schicksalhaftes Ereignis beziehen, was
leichter sei als das Eingeständnis, dass die Probleme massgeblich mit
dysfunktionalen Erlebens- und Verhaltensmustern der eigenen Person
zusammenhingen. Der Versicherte sei 1993 wegen einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung (ICD-10: F 45.7) stationär psychotherapeutisch behandelt worden;
zu den damals beschriebenen, seit zwölf Jahren bestehenden Rückenschmerzen habe
er in der aktuellen Untersuchung nichts sagen können. Die Rückenschmerzen seien
auch anamnestisch kein Thema. 2010 bis 2012 sei er in ambulanter
psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung gewesen; die Psychiaterin sei
seiner Ansicht nach zu wenig auf die Verletzung am Sprunggelenk, die
Operationen und Schmerzen eingegangen. Für Frau Dr. med. D.________ ist es
wahrscheinlich, dass er angesichts des ausführlichen Therapieberichts von 2012
und der detaillierten Problemschilderung die Behandlung aus einem Gefühl der
Kränkung beendete. Auch als aktuell die Diagnose "Persönlichkeitsstörung"
besprochen worden sei, habe er sie nicht geteilt und sei verärgert gewesen.

6.

6.1. Das Gutachten der Frau Dr. med. D.________ vom 30. Mai 2014 ist umfassend,
beruht auf allseitigen Untersuchungen, berücksichtigt die geklagten
Beschwerden, ist in Kenntnis der Vorakten ergangen, leuchtet bezüglich der
Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und Situation ein und die
Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar begründet. Demnach kommt ihm volle
Beweiskraft zu, sofern nicht konkrete Indizien dagegen sprechen (BGE 134 V 231
E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3b/bb S. 353).

6.2. Der Versicherte stützt seine abweichende Meinung, wonach die psychischen
Beschwerden zumindest teilweise auf den Unfall vom 4. Oktober 2005
zurückzuführen seien, vornehmlich auf die Berichte der Frau Dr. med.
E.________, Klinik F.________ für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 12.
August 2015 und der Frau Dr. phil. G.________, Fachpsychologin für
Psychotherapie FSP, Klinik H.________, vom 23. März 2015. Beide Berichte
vermögen jedoch die Schlussfolgerungen der Frau Dr. med. D.________ nicht in
Zweifel zu ziehen; sie setzen sich mit deren Gutachten nicht direkt
auseinander, sind offensichtlich nicht in Kenntnis der Vorakten ergangen und
enthalten - wenn überhaupt - eine nur knappe Begründung ihrer Einschätzungen.

6.3. Unbehelflich ist auch der Einwand, Frau Dr. med. D.________ habe bloss die
unbestrittenermassen vorliegende Persönlichkeitsstörung im Auge, berücksichtige
aber nicht die geltend gemachten Schmerzen und deren Auswirkungen. Einerseits
setzt sich Frau Dr. med. D.________ mit den Schmerzen und der Belastung infolge
der Fussbeschwerden einlässlich auseinander, kommt aber mit überzeugender
Begründung zum Schluss, der Versicherte zeige keine Anhaltspunkte für ein
depressives Syndrom und es fänden sich keine Hinweise für eine besondere
Störung der Schmerzverarbeitung. Andererseits steht ihre Einschätzung, wonach
die psychischen Beschwerden nicht durch die somatische Belastungssituation als
Folge des Unfalles vom 4. Oktober 2005 verursacht sind, in Einklang mit den
übrigen psychiatrischen Experten (vgl. etwa das Gutachten des Dr. med.
I.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 13. Mai 2010).
Namentlich diagnostizierte auch Dr. med. J.________, Facharzt für Psychiatrie
und Psychotherapie, im Wissen um den Unfall, die dadurch verursachten
somatischen Folgen und die geklagten Schmerzen in seinem Gutachten vom 13.
Dezember 2010 nebst einer leichten depressiven Episode (ICD-10: F 32.0) eine
emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ (ICD-10: F 60.31)
und eine ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60.6), nicht
aber ein in Zusammenhang mit den Folgen des Unfalles vom 4. Oktober 2005
stehendes psychisches Leiden. Selbst Frau Dr. med. K.________, Fachärztin für
Psychiatrie und Psychotherapie, bei welcher der Versicherte von 2010 bis 2012
in Behandlung war, bezeichnet in Kenntnis der somatischen Situation alleine die
Persönlichkeitsstörung als Ursache für seine psychisch bedingte
Arbeitsunfähigkeit (vgl. etwa ihren Bericht vom 17. Januar 2012).

6.4. Nach dem Gesagten haben SUVA und Vorinstanz für die Beurteilung des
Leistungsanspruchs zu Recht auf das Gutachten der Frau Dr. med. D.________
abgestellt und gestützt darauf in Anwendung der Rechtsprechung von BGE 140 V
356 E. 5.3 S. 360 die Notwendigkeit einer Überprüfung der Adäquanz verneint, da
ein leichter Unfall vorgelegen hat.

7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegende Versicherte hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Infolge Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG) werden diese jedoch
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen und seinem Anwalt wird eine
Entschädigung aus der Gerichtskasse bezahlt. Der Versicherte hat jedoch Ersatz
zu leisten, wenn er später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Jan Herrmann wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Dezember 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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