Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.561/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_561/2016

Urteil vom 23. Dezember 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Neuanmeldung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. Juni 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1960 geborene A.________ meldete sich im Februar 2000 unter Hinweis
auf Folgen zweier 1994 und 1998 erlittener Unfälle bei der
Invalidenversicherung (IV) zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich
zog die Akten des zuständigen Unfallversicherers, worunter das psychiatrische
Gutachten des PD Dr. med. B.________ vom 2. April 2001, bei. Mit Verfügungen
vom 13. August 2004 sprach sie dem Versicherten ab September 1999 eine halbe
Invalidenrente und ab Januar 2004 eine Dreiviertelsrente zu. Daran hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 9. Juni 2005 fest. Mit Beschwerdeentscheid vom 14.
Dezember 2006 hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den
Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Sachverhaltsergänzung und neuen
Verfügung an die Verwaltung zurück. Nach weiteren Abklärungen (u.a. Einholung
eines polydisziplinären Gutachtens des Medizinischen Zentrums C.________ vom
14. August 2008 mit Ergänzung vom 6. April 2009) verneinte die IV-Stelle mit
Verfügung vom 25. Juni 2009 einen Rentenanspruch, da keine leistungsbegründende
Invalidität vorliege. Mit einer weiteren Verfügung vom 26. Juni 2009
verpflichtete sie den Versicherten überdies, die ausgerichteten
Rentenleistungen, welche demnach zu Unrecht bezogen worden seien,
zurückzuerstatten. Beide Verfügungen wurden mit Beschwerdeentscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. März 2011 und
letztinstanzlich mit Urteil 8C_300/2011 des Bundesgerichts vom 30. Juni 2011
bestätigt.
Mit Verfügung vom 4. August 2009 und Einspracheentscheid vom 29. September 2009
hob der zuständige Unfallversicherer seinerseits die von ihm für die
verbleibenden Folgen der Unfälle von 1994 und 1998 ausgerichtete Invalidenrente
der Unfallversicherung (UV) revisionsweise auf den 1. Februar 2007 auf und
verlangte von A.________ die Rückerstattung der seit diesem Zeitpunkt bezogenen
UV-Rentenbetreffnisse. Das wurde mit Beschwerdeentscheid des
Sozialversicherungsgerichts vom 9. März 2011 und letztinstanzlich mit Urteil
8C_301/2011 des Bundesgerichts vom 30. Juni 2011 bestätigt.

A.b. Im Juli 2011 meldete sich A.________ erneut für eine Rente der IV an. Er
machte eine erhebliche Verschlimmerung des psychischen Gesundheitszustandes
geltend. Die IV-Stelle trat auf die Neuanmeldung ein und und holte u.a.
Berichte der behandelnden Psychiaterin, ein Gutachten des psychiatrischen
Facharztes D.________ vom 16. September 2014 (mit Ergänzung vom 15. Oktober
2014) und Stellungnahmen ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) ein. Mit
Verfügung vom 8. Dezember 2014 verneinte sie einen Rentenanspruch, da keine
dauerhafte Veränderung von Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit ausgewiesen
sei.

B. 
Beschwerdeweise beantragte A.________, die Verfügung vom 8. Dezember 2014 sei
aufzuheben und ihm sei rückwirkend ab Januar 2012 zumindest eine
Dreiviertelsrente der IV zuzusprechen. Das Sozialversicherungsgericht wies die
Beschwerde ab und gewährte ihm die unentgeltliche Rechtspflege (Entscheid vom
30. Juni 2016).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm
rückwirkend eine angemessene Invalidenrente zuzusprechen. Zudem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das letztinstanzliche Verfahren.
Es wird kein Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es den
mit Neuanmeldung geltend gemachten Anspruch auf eine Invalidenrente der IV
verneinte.
Die Neuanmeldung ist erfolgt, nachdem ein Rentenanspruch mangels genügenden
Invaliditätsgrades rechtskräftig verneint worden war. Die bei dieser
Konstellation zu berücksichtigenden Rechtsgrundlagen sind im angefochtenen
Entscheid zutreffend dargelegt. Ob nunmehr ein Rentenanspruch besteht,
beurteilt sich demnach in analoger Anwendung der für die Rentenrevision
geltenden Grundsätze. Massgeblich ist, ob eine wesentliche Änderung in den
tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, die geeignet ist, den
Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Dabei bildet in
zeitlicher Hinsicht der Erlass der letzten, auf einer materiellen Prüfung des
Rentenanspruchs beruhenden, rechtskräftigen Verfügung den Ausgangspunkt - hier
demnach der 25. Juni 2009 - und der Erlass der streitigen Verfügung den
Endpunkt - hier: 8. Dezember 2014 - für die Beurteilung, ob eine solche
Änderung eingetreten ist (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 133 V 263 und 108; 130
V 71).

3. 
Als gegebenenfalls massgebliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
steht eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes und damit
verbunden der Arbeitsfähigkeit zur Diskussion.

3.1. Die Vorinstanz hat zunächst erwogen, sie habe im Entscheid vom 9. März
2011 die Frage, ob sich der Gesundheitszustand zwischen der Eröffnung des
Vorbescheids vom 21. November 2008 und dem Erlass der Verfügung vom 25. Juni
2009 anspruchsrelevant verschlechtert habe, mangels hinreichender Informationen
über den weiteren Verlauf bis zum Entscheidszeitpunkt nur summarisch beurteilen
können. Sie habe sich daher mit der hypothetischen Feststellung begnügt, dass
eine Verschlechterung nach Erlass des Vorbescheids der IV-Stelle vom 21.
November 2008 zwar nicht ausgeschlossen werden könne. Diese Einschränkung hätte
aber bei Erlass der Verfügung vom 25. Juni 2009 jedenfalls noch nicht während
eines Jahres im Sinne von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG angedauert. Zudem wäre
damit auch noch nicht erstellt gewesen, dass die Einschränkung - unter
zumutbarer adäquater Therapie - nicht mehr überwindbar im Sinne von Art. 28
Abs. 1 lit. b IVG gewesen wäre. Das ist soweit nicht umstritten.

3.2.

3.2.1. Das kantonale Gericht hat weiter erwogen, die von Gutachter D.________
dokumentierte Verlaufsgeschichte bestätige nicht nur seine hypothetischen
Annahmen über die Entwicklung bis zum Entscheid vom 9. März 2011, sondern zeige
ebenso, dass auch im weiteren Verlauf keine nachhaltige Verschlechterung des
Gesundheitszustandes eingetreten sei. Sodann sei bereits aus der Diagnostik
gemäss Bericht der behandelnden Psychiaterin Dr. med. E.________ vom 12. Januar
2009 ersichtlich, dass die von dieser als invalidisierend gewertete Krankheit
nicht erst seit 2009 bestehe. Es werde auch durchwegs eine mehr oder weniger
starke depressive Symptomatik beschrieben. Symptomatik und Diagnostik im
Verlauf gäben auch keine Hinweise auf eine stetige und nachhaltige
Verschlechterung. Zwar habe der Beschwerdeführer zweimal wegen der Exazerbation
der depressiven Symptomatik hospitalisiert werden müssen. Zudem sei er in einer
Tagesklinik behandelt worden. Anschliessend sei er aber stets wieder in die
seit Jahren gleichgebliebenen psychosozialen Verhältnisse entlassen worden. Im
Zeitpunkt der Begutachtung durch den Experten D.________ sei der Versicherte
durch Dr. med. E.________ in Abständen von drei bis fünf Wochen ambulant
behandelt worden. Das Gutachten D.________ stelle denn auch eine fachärztliche
Beurteilung des im Wesentlichen gleich gebliebenen
versicherungsmedizinisch-psychiatrischen Zustandsbildes dar.

3.2.2. In der Beschwerde wird nichts vorgebracht, was diese
Sachverhaltsfeststellungen als offensichtlich unrichtig erscheinen liesse. Die
vorinstanzlichen Erwägungen, wonach die depressive Symptomatik bereits früher
bestand und es zu keiner dauerhaften Verschlechterung gekommen ist, werden
durch die Akten gestützt. Das kantonale Gericht hat die nach November 2008
phasenweise aufgetretene Verschlimmerung berücksichtigt und in Würdigung der
medizinischen Berichte nicht offensichtlich unrichtig als jeweils nur
vorübergehend beurteilt. Es hat hiebei auch die Angabe einer durchschnittlichen
Arbeitsunfähigkeit im Gutachten D.________ in nicht zu beanstandender Weise
gewürdigt. Aktenwidrige Erwägungen, welche die vorinstanzliche Beurteilung in
Frage stellten könnten, liegen nicht vor. In der Stellungnahme des RAD vom 8.
Dezember 2014 (richtig: 30. Oktober resp. 12. November 2014) wird ebenfalls
keine wesentliche Veränderung bestätigt. Sodann geben die medizinischen Akten
genügenden Aufschluss zur verlässlichen Beurteilung der Streitsache. Entgegen
der in der Beschwerde vertretenen Auffassung verletzte der Verzicht auf weitere
Abklärungen daher den Untersuchungsgrundsatz nicht.

3.2.3. Ein weiteres Vorbringen geht dahin, die IV-Stelle habe in der Verfügung
vom 8. Dezember 2014 mit der Behandelbarkeit/Therapierbarkeit und fehlenden
Chronifizierung einer psychischen Störung argumentiert. Die Verwaltung habe
diesbezüglich angedeutet, der Versicherte habe die Therapiemöglichkeiten nicht
ausgeschöpft. Sie halte ihm so eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im Sinne
von Art. 21 Abs. 4 ATSG vor. Ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss dieser
Bestimmung sei aber nicht durchgeführt worden. Damit sei die Verweigerung einer
Rente unzulässig. Dieser Einwand geht an der Sache vorbei. Das kantonale
Gericht hat die Rente nicht wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht
verweigert. Massgeblich war vielmehr, dass es eine relevante gesundheitliche
Veränderung für nicht ausgewiesen erachtete. Das ergab sich unabhängig von der
Frage einer allfälligen Therapierbarkeit und ist nach dem zuvor Gesagten
rechtmässig. Gleiches gilt für die Folgerung, dass demnach die Voraussetzungen
nicht erfüllt sind, um auf die Neuanmeldung hin eine Invalidenrente
zuzusprechen. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

4. 
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist,
die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später
dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Dr. André Largier wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Dezember 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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