Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.556/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_556/2016

Urteil vom 23. November 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau, Langfeldstrasse 53a, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Einstellung in der Anspruchsberechtigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 6. Juli 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1975, war ab 4. August 2015 bei der B.________ AG als Arzt
angestellt. Ab 1. September 2015 war er Praxisleiter mit Apothekenbewilligung.
Noch während der Probezeit kündigte er am 29. September 2015 das
Arbeitsverhältnis fristlos und stellte in der Folge Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung. Am 17. Dezember 2015 stellte ihn die
Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau wegen selbstverschuldeter
Arbeitslosigkeit für 37 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Mit
Einspracheentscheid vom 14. März 2016 reduzierte sie die Einstellung auf 23
Tage.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hiess die dagegen erhobene
Beschwerde am 6. Juli 2016 teilweise gut und setzte die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung auf fünf Tage herab.

C. 
Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid
aufzuheben und ihr Einspracheentscheid zu bestätigen.
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. A.________ äussert sich
in seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2016 (Postaufgabe: 16. Oktober 2016)
zur Sache, ohne einen Antrag zu stellen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, da die Beschwerde unter Einhaltung
der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von einer
durch die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem schutzwürdigen
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG) eingereicht
wurde und sich das Rechtsmittel gegen einen von einer letzten kantonalen
Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in
einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) richtet und
keine der in Art. 83 BGG erwähnten Ausnahmen greift.

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

3. 
Vor Bundesgericht ist die grundsätzliche Einstellung des Versicherten in seiner
Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht mehr
strittig. Die Arbeitslosenkasse ist jedoch mit der Reduktion der
Einstellungstage von 23 auf fünf nicht einverstanden und rügt eine
rechtsfehlerhafte Ermessensausübung durch die Vorinstanz.

4.

4.1. Ermessensmissbrauch ist gegeben, wenn die Behörde zwar im Rahmen des ihr
eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der
massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt, oder allgemeine
Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür und von rechtsungleicher
Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 141 V 365 E. 5.1 S. 73 mit Hinweis). Dagegen
liegt Ermessensüberschreitung vor, wenn die Behörde Ermessen walten lässt, wo
ihr das Gesetz keines einräumt, oder wo sie statt zweier zulässiger Lösungen
eine dritte wählt. In diesem Zusammenhang ist auch die Ermessensunterschreitung
bedeutsam, die darin besteht, dass die entscheidende Behörde sich als gebunden
betrachtet, obschon sie nach Gesetz berechtigt wäre, nach Ermessen zu handeln,
oder dass sie auf Ermessensausübung ganz oder teilweise von vornherein
verzichtet (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 73; 116 V 307 E. 2 S. 310).

4.2. Die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung bemisst sich nach
dem Grad des Verschuldens und beträgt je Einstellungsgrund höchstens 60 Tage
(Art. 30 Abs. 3 AVIG). Der Bundesrat kann eine Mindestdauer der Einstellung
vorschreiben (Art. 30 Abs. 3bis AVIG). Die Einstellung dauert nach Art. 45 Abs.
3 AVIV bei leichtem Verschulden ein bis 15 Tage (lit. a), bei mittelschwerem
Verschulden 16 bis 30 Tage (lit. b) und bei schwerem Verschulden 31 bis 60 Tage
(lit. c). Letzteres liegt vor, wenn die versicherte Person ohne entschuldbaren
Grund eine zumutbare Arbeitsstelle ohne Zusicherung einer neuen Arbeitsstelle
aufgegeben hat (Art. 45 Abs. 4 lit. a AVIV).

4.3. Selbstverschulden ist gegeben, wenn und soweit der Eintritt oder das
Andauern der Arbeitslosigkeit nicht objektiven Faktoren zuzuschreiben ist,
sondern in einem nach den persönlichen Umständen und Verhältnissen vermeidbaren
Verhalten der versicherten Person liegt, für das die Arbeitslosenversicherung
die Haftung nicht übernimmt (ARV 2014 Nr. 7 S. 145 E. 3.2, 8C_42/2014; THOMAS
NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 835 mit
weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung). Für eine Abweichung vom schweren
Verschulden nach Art. 45 Abs. 4 AVIV müssen besondere Umstände im Einzelfall
gegeben sein (Nussbaumer, a.a.O., Rz. 864). Die tatsächliche Dauer der
Arbeitslosigkeit ist kein Kriterium bei der Bemessung der Einstellungsdauer, da
die versicherte Person die zur Arbeitslosigkeit führenden Gründe zu einem
Zeitpunkt setzt, in welchem sie nicht wissen kann, wie lange die
Arbeitslosigkeit dauert und wie hoch der von ihr verursachte Schaden ist (BGE
113 V 154 E. 3 S. 156; ARV 1999 Nr. 32 S. 184; bestätigt mit in BGE 139 V 164
nicht publizierter E. 4.1 des Urteils 8C_601/2012 vom 26. Februar 2013). Nach
Nussbaumer trägt diese Praxis dem Verhältnismässigkeitsprinzip, welches
ebenfalls zu berücksichtigen ist, zu wenig Rechnung; deshalb sei die Dauer der
Arbeitslosigkeit bei der Bemessung der Mitbeteiligung am Schaden
miteinzubeziehen; zu Recht werde in der Praxis die Zeit zwischen dem Ende des
Arbeitsverhältnisses und der Anmeldung zum Leistungsbezug bei der Festsetzung
der Einstellungsdauer mitberücksichtigt (a.a.O., Rz. 866).

4.4. Bei einer Selbstkündigung während der Probezeit ohne Zusicherung einer
neuen Stelle hat die Rechtsprechung etwa eine Einstellung von 26 Tagen (ARV
1999 Nr. 32 S. 184) resp. von 25 Tagen (Urteil des früheren Eidg.
Versicherungsgerichts C 296/05 vom 21. Dezember 2005 E. 3.3) als angemessen
beurteilt.

5.

5.1. Die Vorinstanz hat die Einstellungsdauer von 23 Tagen auf fünf Tage
reduziert. Sie begründet dies damit, dass auch das Verbleiben an der
Arbeitsstelle während der ordentlichen Kündigungsfrist des noch in der
Probezeit stehenden Arbeitsverhältnisses lediglich zu einer zusätzlichen
Lohnzahlung von sieben Tagen geführt hätte und im Rahmen des
Schadenersatzanspruchs wohl nur dieser Lohnanspruch einbringlich sei; der
Versicherte habe somit bloss auf einen Wochenlohn verzichtet, was fünf
Arbeitstagen entspreche, weshalb die Einstellungsdauer auf fünf Tage
herabzusetzen sei.
Die Arbeitslosenkasse rügt, die Vorinstanz habe die Frage der Zumutbarkeit der
Einhaltung der ordentlichen siebentägigen Kündigungsfrist unbeantwortet
gelassen und die Dauer der Einstellung einzig nach der Höhe des Schadens, nicht
aber nach dem Verschulden festgesetzt. Sie hält denn auch das Verbleiben an der
Stelle für zumutbar, da der Versicherte hätte zuwarten müssen, ob die von der
Arbeitgeberin eingeleiteten Massnahmen nicht eine Verbesserung gebracht hätten,
anstatt überstürzt zu kündigen und das unmittelbare Risiko der Arbeitslosigkeit
in Kauf zu nehmen.

5.2. Das alleinige Abstellen auf die Dauer des Lohnverzichts an der bisherigen
Stelle bei der Festsetzung der Einstellungstage ist rechtswidrig. Bei diesem
Vorgehen wird einerseits - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - nicht der
gesamte Schaden berücksichtigt. Denn dieser beschränkt sich aus Sicht der
Arbeitslosenversicherung nicht auf den entgangenen Lohn während der
Kündigungsfrist, sondern beinhaltet auch die infolge selbstverschuldeter
Arbeitslosigkeit auszurichtenden Entschädigungen. Andererseits wird so dem
primär massgebenden Kriterium für die Bemessung der Einstellungstage, dem
Verschulden, nicht Rechnung getragen. Namentlich legt die Vorinstanz nicht dar,
inwiefern besondere Umstände vorliegen, welche ein Abweichen vom Regelfall des
schweren Verschuldens nach Art. 45 Abs. 4 lit. a AVIV mit mindestens 31
Einstellungstagen auf ein leichtes Verschulden mit am unteren Ende der Skala
liegenden Mass von bloss fünf Einstellungstagen rechtfertigen. Somit ist der
vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und es hat beim Einspracheentscheid vom
14. März 2016 sein Bewenden (Art. 107 Abs. 1 BGG), da er das Ausmass des
Verschuldens nicht nur nachvollziehbar, sondern überzeugend begründet und sich
bezüglich der Sanktion im Rahmen der Rechtsprechung bewegt (E. 4.4). Eine
Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdegegner erwähnten Mailverkehr erübrigt
sich.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegende Versicherte hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 6. Juli 2016 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid
der Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau vom 14. März 2016 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. November 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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