Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.552/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_552/2016

Urteil vom 8. Februar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Dienststelle Wirtschaft und Arbeit (wira), Arbeitslosenkasse des Kantons
Luzern, Bürgenstrasse 12, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Arbeitslosenentschädigung; Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern
vom 1. Juli 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1979 geborene A.________ meldete sich am 10. Juni 2014 beim Regionalen
Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) B.________ zur Arbeitsvermittlung an.
Gleichzeitig beantragte er die Ausrichtung von Taggeldern der
Arbeitslosenversicherung. Bereits am 25. März 2014 hatte er die C.________
GmbH, welche er zusammen mit einem Geschäftspartner gegründet hatte, ins
Handelsregister eintragen lassen. Am 23. Februar 2015 verlegte er seinen
Wohnsitz nach D.________. Im Fragebogen zur selbstständigen Erwerbstätigkeit
während der Arbeitslosigkeit vom 12. März 2015 gab er an, trotz seiner
selbstständigen Erwerbstätigkeit bereit und in der Lage zu sein, in einem
Teilzeitpensum eine Arbeit als Arbeitnehmer aufzunehmen. Am 15. Juni 2015
meldete er sich per 31. Mai 2015 von der Arbeitsvermittlung ab. Bereits am 5.
Juni 2015 hatte das - nach dem Umzug des A.________ neu zuständige - RAV Luzern
bei der Dienststelle Wirtschaft und Arbeit Luzern (wira) die Überprüfung der
Vermittlungsfähigkeit beantragt. Diese verneinte die Vermittlungsfähigkeit mit
Verfügung vom 21. Juli 2015, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 6. Oktober
2015, rückwirkend ab 15. März 2015. Das Kantonsgericht Luzern wies die dagegen
erhobene Beschwerde mit - unangefochten in Rechtskraft erwachsenem - Entscheid
vom 28. Januar 2016 ab. Zur Begründung wurde angegeben, spätestens ab 15. März
2015 habe die Tätigkeit des A.________ für sein Startup-Unternehmen ein Ausmass
erreicht, welches die Ausübung einer Arbeitnehmertätigkeit zu den üblichen
Arbeitszeiten als ausgeschlossen erscheinen lasse.

A.b. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern forderte daraufhin die in der
Zeit von 15. März bis 31. Mai 2015 bereits geleisteten Taggelder in der Höhe
von Fr. 8'768.45 zurück (Verfügung vom 17. November 2015). Daran hielt sie auf
Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 21. März 2016).

B. 
Das Kantonsgericht Luzern wies die gegen den Einspracheentscheid vom 21. März
2016 erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 1. Juli 2016).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, in Aufhebung des kantonalgerichtlichen Entscheids vom 1. Juli 2016 und
des Einspracheentscheids der Kasse vom 21. März 2016 sei von der Rückforderung
in der Höhe von Fr. 8'768.45 abzusehen.
Es wird kein Schriftenwechsel durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist der vorinstanzliche Entscheid vom 1. Juli 2016 betreffend
Rückforderung. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, das kantonale Gericht
hätte die Vermittlungsfähigkeit nicht ohne nähere Abklärungen rückwirkend auf
den Zeitpunkt des 15. März 2015 verneinen dürfen und es sei in diesem
Zusammenhang das rechtliche Gehör verletzt worden, ist auf das Rechtsmittel
nicht einzutreten. Denn die Vermittlungsfähigkeit wurde im
kantonalgerichtlichen Entscheid vom 28. Januar 2016 für die Zeit vom 15. März
bis 31. Mai 2015 bereits rechtskräftig verneint. Diesen Entscheid hätte der
Versicherte anfechten müssen, wenn er damit nicht einverstanden gewesen sein
sollte. Darauf kann im vorliegenden Prozess nicht mehr zurückgekommen werden.
Die in der entsprechenden Zeit ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung gilt
folglich zufolge fehlender Vermittlungsfähigkeit als unrechtmässig bezogen
(vgl. Urteil C 169/06 vom 9. März 2007 E. 2.2).

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht in
Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG), und kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art.
97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht bestätigt hat, dass der
Versicherte aufgrund nachträglich festgestellter fehlender
Vermittlungsfähigkeit unrechtmässig bezogene Arbeitslosenentschädigung in der
Höhe von Fr. 8'768.45 zurückzuerstatten hat.

3.1. Nach Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 ATSG sind
unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten. Zu Unrecht bezogene
Geldleistungen, die auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhen,
können, unabhängig davon, ob die zur Rückforderung Anlass gebenden Leistungen
förmlich oder formlos verfügt worden sind, nur zurückgefordert werden, wenn
entweder die für die Wiedererwägung (wegen zweifelloser Unrichtigkeit und
erheblicher Bedeutung der Berichtigung) oder die für die prozessuale Revision
(wegen vorbestandener neuer Tatsachen oder Beweismittel) bestehenden
Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 53 ATSG; BGE 130 V 318 E. 5.2 in fine S.
320; 129 V 110 E. 1.1).

3.2. Die Vorinstanz bejaht die Rückkommensvoraussetzung der Wiedererwägung mit
der Begründung, spätestens ab 15. März 2015 sei der Auf- und Ausbau der
C.________ GmbH bereits so weit fortgeschritten gewesen, dass die Annahme einer
unselbstständigen Tätigkeit nicht oder kaum mehr möglich gewesen sei. Bei
dieser Aktenlage und in Anbetracht der klaren Rechtslage sei die Annahme der
Vermittlungsfähigkeit zweifellos unrichtig gewesen. Zudem wird im angefochtenen
Gerichtsentscheid festgehalten, dass, selbst wenn die Vermittlungsunfähigkeit
am 15. März 2015 "noch nicht bewiesen" gewesen wäre, eine Rückforderung
erfolgen könne, weil diesfalls die Voraussetzungen der prozessualen Revision zu
bejahen wären. Demgegenüber ist der Beschwerdeführer der Ansicht, die
echtzeitliche Annahme einer Vermittlungsfähigkeit in Bezug auf ein 60 %-Pensum
für die Zeit ab 15. März 2015 sei nicht offensichtlich unrichtig gewesen,
weshalb die Wiedererwägungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Soweit die
Rückforderung vorinstanzlich eventualiter mit dem Rückkommenstitel der Revision
argumentiert, wendet der Versicherte ein, es gehe nicht an, dass die
Vermittlungsbereitschaft rückwirkend auf den 15. März 2015 verneint werde, da
er sich erst im Juni 2015 für die Zukunft entschieden habe, voll auf die
Tätigkeit für die GmbH zu setzen.

3.3. Der die fehlende Vermittlungsfähigkeit bestätigende, unangefochten
gebliebene kantonale Gerichtsentscheid vom 28. Januar 2016 ist für die
Arbeitslosenkasse bindend; damit liegt ein Rechtstitel für die Rückforderung
der unrechtmässig erbrachten Taggeldleistungen vor. Der Beschwerdeführer macht
aber zu Recht geltend, dass eine zweifellose Unrichtigkeit der
Taggeldausrichtung gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG im Zeitpunkt des 15. März 2015 -
entgegen der Ansicht der Vorinstanz - nicht zu bejahen ist. Deswegen kann die
erbrachte Arbeitslosenentschädigung nicht wiedererwägungsweise zurückgefordert
werden. Der Versicherte übersieht allerdings, dass das kantonale Gericht in
seiner Eventualbegründung, für den Fall, dass keine Wiedererwägung in Frage
kommen sollte, die Rückkommensvoraussetzungen der prozessualen Revision (Art.
53 Abs. 1 ATSG) als gegeben erachtet. Tatsächlich kann die vorinstanzliche
Feststellung, wonach erst im Nachhinein bekannt geworden sei, dass der
Beschwerdeführer (im Zeitraum vom 15. März 2015 bis 31. Mai 2015) gar nicht
mehr bereit und der Lage gewesen sei, eine dauerhafte Stelle anzunehmen, nicht
als offensichtlich unrichtig qualifiziert werden (vgl. E. 2 hiervor). Denn erst
aus der im Rahmen des Prüfverfahrens betreffend Vermittlungsfähigkeit
gewonnenen Gesamtsicht konnte sich die Erkenntnis ergeben, dass die
Bereitschaft für eine Festanstellung nach Aufnahme der Funktion als
Geschäftsführer im eigenen Betrieb per 15. März 2015 (zunächst, nach Angaben
des Versicherten, zu 40 % und ab 1. Juni 2015 zu 100 %) gar nicht mehr
vorhanden war. Im Zeitpunkt der Leistungsausrichtung waren der
Arbeitslosenkasse somit wesentliche Tatsachen nicht bekannt, welche sich erst
später, im am 5. Juni 2015 beim wira eingeleiteten Abklärungsverfahren
betreffend Vermittlungsfähigkeit, eruieren liessen. Das nachträglich
festgestellte Fehlen der Vermittlungsfähigkeit gilt unter diesen Umständen als
erhebliche neue Tatsache, welche ein Zurückkommen auf die zugesprochenen
Leistungen unter dem Titel der prozessualen Revision erlaubt (vgl. SVR 2015 ALV
Nr. 15 S. 45, Urteil 8C_789/2014 E. 3.1.3). Dies zieht eine uneingeschränkte
materielle Neuprüfung nach sich, wobei auch eine rückwirkende Korrektur (ex
tunc) möglich ist (vgl. Urteil 8C_626/2014 vom 6. Januar 2014 E. 3.4 und UELI
KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 25 f. zu Art. 53 ATSG). Die
Arbeitslosenkasse hatte demzufolge das Recht und die Pflicht, die zu Unrecht
ausbezahlten Taggelder auf dem Weg der prozessualen Revision zurückzufordern.

4. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Februar 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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