Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.548/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_548/2016

Urteil vom 4. Januar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 15. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 3. Juni 2004 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich der 1977
geborenen A.________ rückwirkend ab 1. Juni 2003 bei einem Invaliditätsgrad von
56 Prozent eine halbe Invalidenrente zu. Ein Gesuch um Rentenerhöhung wies sie
mit Verfügung vom 27. Oktober 2006 ab. Nach einer von Amtes wegen eingeleiteten
Überprüfung hob die IV-Stelle die Invalidenrente am 14. August 2012
verfügungsweise auf. Auf Beschwerde hin wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Sache mit Entscheid vom 3. Dezember 2012 zu ergänzenden
medizinischen Abklärungen unter Weiterausrichtung der bisherigen Invalidenrente
an die Verwaltung zurück. Die IV-Stelle veranlasste das Gutachten der PMEDA
Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen (nachfolgend: PMEDA) vom 6. Mai 2015.
Mit Verfügung vom 4. Februar 2016 hob sie die Invalidenrente wiederum auf.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht mit
Entscheid vom 15. Juni 2016 ab.

C. 
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu
verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen nach dem
Invalidenversicherungsgesetz zuzusprechen. Es sei ihr die halbe Invalidenrente
ab deren Einstellung weiterhin auszurichten. Eventualiter seien kantonales
Gericht oder Verwaltung zu verpflichten, ein neues medizinisches Gutachten
einzuholen.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG beruht und wenn die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs.
1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Streitig und unter dem Blickwinkel der eingeschränkten Kognition im
Sachverhalt zu prüfen ist die Rechtmässigkeit der am 4. Februar 2016 verfügten
Aufhebung der bisherigen halben Invalidenrente der Beschwerdeführerin.

2.2. Die Vorinstanz hat lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen zur 6.
IV-Revision (nachfolgend: SchlB IVG) betreffend die Überprüfung von Renten, die
bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, unter Hinweis auf die
hiezu ergangene Rechtsprechung (BGE 139 V 547 E. 10.1 S. 568) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Das kantonale Gericht stellte zunächst fest, die vorliegend in Frage
stehende Rente sei im Wesentlichen gestützt auf das vom Unfallversicherer
eingeholte polydisziplinäre Gutachten des Medizinischen Zentrums Römerhof (MZR)
vom 4. Dezember 2003 zugesprochen worden. Als Diagnosen mit Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit hielten die Gutachter fest: chronisches zervikovertebrales bis
zervikozephales Schmerzsyndrom bei Haltungsinsuffizienz, muskulärer
Dekonditionierung und möglicher myofascialer Komponente; Somatisierungsstörung
(ICD-10:F45.0); neuropsychologisch kognitive Minderleistungen im Bereich des
Strukturierungs- und Umstellungsvermögens und der komplexeren Handlungsplanung.
Als ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit diagnostizierten sie eine vegetative
Dystonie und eine Bandlaxizität. Die spärlichen klinischen Befunde konnten laut
den Gutachtern das subjektive Beschwerdeausmass nicht erklären. Aufgrund der
rein objektivierbaren Befunde habe eine normale Arbeitsfähigkeit für eine
wechselbelastende, leichtere körperliche Tätigkeit bestanden, wie sie für eine
Büroangestellte üblich sei. Aus psychischen bzw. neuropsychologischen Gründen
attestierten sie eine Verminderung der Arbeitsfähigkeit von 40 Prozent. Sie
empfahlen eine schrittweise Wiedereingliederung in die Arbeitstätigkeit unter
psychologischer Begleitung. Daraus schloss das kantonale Gericht, dass eine
Rentenüberprüfung gemäss lit. a Abs. 1 SchlB IVG möglich sei.

3.2. Die Gutachter der PMEDA konnten gemäss kantonalem Gericht gestützt auf
internistische, neurologische, orthopädische und psychiatrische Untersuchungen
keine sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirkenden Diagnosen stellen (Expertise
vom 6. Mai 2015). Anders als die Vorgutachter des MZR stellten sie - mangels
Erfüllung der dafür erforderlichen diagnostischen Kriterien - kein chronisches
zervikovertebrales bis zervikozephales Schmerzsyndrom und keine
Somatisierungsstörung fest. Aus psychiatrischer Sicht diagnostizierten sie eine
Dysthymie (ICD-10:F34.1), welcher sie aber keine Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit zumassen. Die Vorinstanz erwog, bei der Dysthymie handle es
sich definitionsgemäss um eine bloss leichtgradige Beeinträchtigung, welcher
praxisgemäss für sich allein nicht die Bedeutung eines invalidisierenden
Gesundheitsschadens zukomme. Es handle sich dabei um eine chronische depressive
Verstimmung, die nach Schweregrad und Dauer die Kriterien für eine leichte oder
mittelgradige rezidivierende depressive Störung nicht erfüllten. Auch der
diagnostizierten Migräne ohne Aura schrieben die Gutachter keinen Einfluss auf
die Arbeitsfähigkeit zu. Sie attestierten der Versicherten sowohl in der
angestammten als auch in angepassten Tätigkeiten eine volle Arbeitsfähigkeit.
Da laut Gutachten bei der Beschwerdeführerin keine Anhaltspunkte für eine
somatoforme Schmerzstörung oder vergleichbare psychosomatische Leiden gefunden
wurden, liegt laut Vorinstanz kein unklares Beschwerdebild (mehr) vor, welches
nach den Indikatoren gemäss der mit BGE 141 V 281 vorgenommenen Praxisänderung
zu beurteilen wäre. Ein invalidisierender Gesundheitsschaden sei nicht gegeben,
so dass die verfügte Rentenaufhebung grundsätzlich nicht zu beanstanden sei.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das PMEDA-Gutachten sei wegen
Befangenheit der daran beteiligten Gutachter med. pract. B.________ (Allgemeine
Innere Medizin), Dr. med. C.________ (Neurologie FMH), Dr. med. D.________
(Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH) und Dr.
med. E.________ (Psychiatrie und Psychotherapie FMH) sowie des Institutsleiters
Prof. Dr. med. F.________ nicht verwertbar. Sie erneuert ihre Einwände gegen
die Fachärzte unter Hinweis auf die generell ablehnende Haltung des Prof. Dr.
med. F.________ gegenüber Schleudertraumata der Halswirbelsäule, den von diesem
verfassten Anhang zum Gutachten und die von ihm unterzeichnete Einladung zu
einer Vortragsveranstaltung der PMEDA zum Thema "Vermeidung ungerechtfertigter
Krankentaggeld-, IV- und UV-Leistungen" vom 19. Juni 2014. Die vorgebrachten
Einwände wurden vom kantonalen Gericht mit überzeugender Begründung verworfen.
Prof. Dr. med. F.________ hat das Gutachten vom 6. Mai 2015 mitunterzeichnet,
ohne dass er - im Gegensatz zu den angeführten Gutachtern - die Versicherte
untersucht und bei der Exploration aktenkundig einen Teilbereich selbstständig
übernommen hätte. Er bestätigte lediglich, das Gutachten geprüft und sich ein
eigenes Urteil dazu gebildet zu haben. Die Expertise beruht auf einer
Konsensbeurteilung, welcher sämtliche Teilgutachter zugestimmt haben. Es ist
kein konkreter Anhaltspunkt ersichtlich, der auf Voreingenommenheit oder
Befangenheit der Gutachter oder auf Verfälschung der Abklärungsergebnisse durch
Prof. Dr. med. F.________ schliessen lässt. Auch der pauschale Hinweis der
Beschwerdeführerin auf den allgemein gehaltenen Anhang zum Gutachten lässt
solches nicht vermuten. Diesbezüglich fragt sich zwar, was mit diesem Anhang
zum Gutachten unter dem Titel "Assoziation von leichtgradigen
HWS-Schleudertraumen (ohne Nachweis struktureller Läsionen) mit Kopf- und
Nackenschmerzsyndromen" gewonnen werden soll. Die darin enthaltene Empfehlung
einer "grundsätzlich kritischen" Prüfung und die zu Belegzwecken angeführte
Literatur, die bis auf ganz wenige Ausnahmen allesamt aus der Zeit deutlich vor
2000 stammt, sind der Akzeptanz hinsichtlich des Abklärungsergebnisses seitens
der betroffenen Versicherten jedenfalls kaum förderlich. Insofern erstaunt es
denn auch nicht, wenn von dieser Seite Zweifel an der gebotenen
Unvoreingenommenheit bekundet werden. Massgebend für die Annahme eines
Befangenheitsanscheins ist hingegen nicht die subjektive Sicht der betroffenen
Parteien, sondern eine objektive Beurteilung (vgl. BGE 132 V 93 E. 7.1 S. 110;
119 V 456 E. 5b S. 465). Und mit Blick darauf verhält es sich mit dem Anhang
nicht wesentlich anders als mit einer Meinung, die im Rahmen einer
wissenschaftlichen Publikation geäussert wird (vgl. dazu Urteil des früheren
Eidg. Versicherungsgerichts U 305/05 vom 26. Mai 2006 E. 5.1 mit Hinweisen).
Selbst wenn der Bezug zum konkreten Fall durch die Platzierung als Anhang zum
Gutachten enger sein mag als bei einem sonst wo veröffentlichten
Forschungsbeitrag, ist der betreffende Text immerhin so abgefasst, dass das
Ergebnis der konkreten Begutachtung nicht schon vorweg genommen wird.

4.2. Unerheblich ist weiter, welche Gutachter nebst Prof. Dr. med. F.________
an der erwähnten Vortragsveranstaltung vom Juni 2014 mitgewirkt haben. Der
Umstand, dass ein Gutachter seine persönliche Meinung zur Vermeidbarkeit von
ungerechtfertigten Versicherungsleistungen öffentlich bekannt macht oder im
Rahmen einer Publikation eine von der Rechtsprechung abweichende Meinung
vertritt, lässt für sich allein noch nicht auf Voreingenommenheit in einem
konkret zu beurteilenden Fall schliessen. Wenn die Vorinstanz in antizipierter
Beweiswürdigung ohne Weiteres davon absah, die Referenten und Mitwirkenden der
Veranstaltung auszumachen, liegt darin keine Rechtsverletzung (Verletzung des
rechtlichen Gehörs; Verweigerung des Rechts auf Beweis; Art. 29 BV; Art. 6
EMRK) begründet. Unbehelflich ist zudem der Hinweis auf den
Einzelrichterentscheid des Versicherungsgerichts St. Gallen vom 8. Februar
2016, wie bereits die Vorinstanz mit Recht festgehalten hat. Es ist demnach
nicht zu beanstanden, dass sich das kantonale Gericht auf das Gutachten der
PMEDA gestützt hat.

5.

5.1. Die durch das kantonale Gericht getroffenen Tatsachenfeststellungen,
namentlich die aus den medizinischen Unterlagen gewonnenen Erkenntnisse, sind
im letztinstanzlichen Prozess grundsätzlich verbindlich (vgl. E. 1 hiervor). Im
Rahmen der eingeschränkten Sachverhaltskontrolle (Art. 97 Abs. 1 BGG) ist es
nicht Aufgabe des Bundesgerichts, die schon im vorangehenden Verfahren
vorliegenden ärztlichen Berichte neu zu beurteilen und die rechtsfehlerfreie
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz hinsichtlich der medizinisch
begründeten Verminderung des Leistungsvermögens und des Ausmasses der trotz
gesundheitlicher Beeinträchtigungen verbleibenden Arbeitsfähigkeit zu
korrigieren.

5.2. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin vermögen an den vorinstanzlichen
Schlussfolgerungen nichts zu ändern. Ist eine Prüfung entsprechend den SchlB
IVG zulässig, was von der Versicherten grundsätzlich nicht in Frage gestellt
wird, findet eine allseitige Prüfung des Rentenanspruchs statt. Gemäss den auf
einem beweiskräftigen Gutachten beruhenden vorinstanzlichen Feststellungen
fehlt es bei der Beschwerdeführerin nicht nur an einem Krankheitsbild, das
unter die Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 281 E. 4.2 fällt, sondern darüber
hinaus auch an Hinweisen auf eine Arbeitsunfähigkeit, die nach Massgabe der
betreffenden Indikatoren zu erheben wäre. Damit besteht im vorliegenden Fall
auch kein Anlass, die Auswirkungen der präzisierten Rechtsprechung mit Blick
auf BGE 136 V 279 bei organisch nicht nachweisbaren Funktionsausfällen nach
einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule zu hinterfragen. Die vorinstanzliche
Beweiswürdigung hält in allen Teilen vor Bundesrecht stand. Damit bleibt es
beim angefochtenen Entscheid.

6. 
Das kantonale Gericht ging weiter davon aus, dass kein Anspruch auf
Wiedereingliederungsmassnahmen gemäss Art. 8a IVG und damit auch kein
akzessorischer Anspruch auf Weiterausrichtung der bisherigen Invalidenrente
während maximal zwei Jahren bestehe (lit. a Abs. 2 und 3 SchlB IVG). Anlässlich
des persönlichen Informationsgesprächs vom 1. Juni 2012 habe die
Beschwerdeführerin auf Massnahmen zur Wiedereingliederung verzichtet.
Aktenkundig sei sie in einem 50 Prozent-Pensum als Büroangestellte beschäftigt.
Die Beschwerdeführerin erhebt dagegen keine Einwände. Damit bleibt es bei der
bestätigten Verneinung eines Anspruchs auf Invalidenrente.

7. 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Januar 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Hofer

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