Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.541/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_541/2016

Urteil vom 9. November 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 22. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (Jg. 1968) bezog seit dem 1. Februar 2004 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung, welche im Jahr 2015 rückwirkend auf den 1. Juni 2007 hin
revisionsweise auf eine Dreiviertelsrente herabgesetzt wurde. Bis dahin (in den
letzten fünf Jahren) zu viel ausbezahlte Rentenbetreffnisse wurden in Höhe von
Fr. 28'122.- zufolge Meldepflichtverletzung seitens der Versicherten mit
unangefochten gebliebener Verfügung vom 20. März 2015 zurückgefordert. Am 14.
Oktober 2015 verfügte die IV-Stelle des Kantons Thurgau eine Verrechnung von
monatlich Fr. 500.- dieser Forderung mit der laufenden Invalidenrente.

B. 
Die gegen die Verrechnungsverfügung vom 14. Oktober 2015 erhobene Beschwerde
wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit
Entscheid vom 22. Juni 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde am Bundesgericht führen mit dem Begehren um
ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Entscheides vom 22. Juni 2016 und damit
der dort bestätigten Verrechnungsverfügung vom 14. Oktober 2015.
Das kantonale Gericht und die IV-Stelle enthalten sich einer materiellen
Stellungnahme zur Sache. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Eine - für den
Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) -
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann das Bundesgericht nur berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der streitigen
Verrechnungsweise massgebenden gesetzlichen Bestimmungen sowie die dazu von der
Rechtsprechung weiter konkretisierten Grundlagen zutreffend dargelegt. Darauf
wird verwiesen.

3. 
Aufgrund der Vorbringen der Beschwerdeführerin ist die Bestimmung des für sie
geltenden betreibungsrechtlichen Existenzminimums streitig, welches für die
Höhe der zulässigen monatlichen Verrechnung massgebend ist (Art. 20 Abs. 2 lit.
a AHVG in Verbindung mit Art. 50 Abs. 2 IVG).

3.1. In wortgetreuer Anwendung der von der Konferenz der Betreibungs- und
Konkursbeamten der Schweiz herausgegebenen Richtlinien für die Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums (Notbedarf) nach Art. 93 SchKG vom 1.
Juli 2009 (vgl. BGE 131 V 249 E. 1.2 S. 252; BlSchK 65/2001 S. 14 ff.) hat die
Vorinstanz aufgezeigt, dass der monatliche Einnahmenüberschuss der
Beschwerdeführerin nicht - wie von der IV-Stelle noch angenommen Fr. 625.- -
sondern lediglich Fr. 592.- ausmacht. Einer monatlichen Verrechnung mit jeweils
Fr. 500.- der zurückgeforderten Rentenbetreffnisse steht ihrer Ansicht nach
aber auch bei diesem leicht geringfügigeren Betrag nichts entgegen.

3.2.

3.2.1. Die Beschwerdeführerin ist zunächst nicht damit einverstanden, dass im
Rahmen der Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums auf der
Auslagenseite von den Krankenkassenkosten nur die Grundversicherungsprämien,
nicht aber auch die Prämien für die Zusatzversicherung berücksichtigt werden.
Dazu macht sie geltend, dass sie zum Erhalt ihrer Restarbeitsfähigkeit auf
ärztliche Leistungen angewiesen ist, welche sie nur über ihre
Zusatzversicherung vergütet erhält.

3.2.2. Schon in ihrer im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Replik vom
22. Dezember 2015 anerkannte die Beschwerdeführerin indessen selbst, dass bei
der Berechnung des Existenzminimums grundsätzlich lediglich
Krankenkassenprämien für die (obligatorische) Grundversicherung
Berücksichtigung finden. Dies entspricht dem klaren Wortlaut der in E. 3.1
hievor erwähnten Richtlinien für die Notbedarfsberechnung und es besteht auch
aufgrund der Argumentation der Beschwerdeführerin kein Anlass, in ihrem Fall
davon abzuweichen (vgl. auch BGE 134 III 323 E. 3 S. 325 f. mit Hinweisen).
Daran ändert nichts, dass regelmässig ärztliche Betreuung in Anspruch genommen
werden muss, deren Kosten nur über eine Zusatzversicherung gedeckt werden. Eine
diesbezügliche Bestätigung der behandelnden Ärztin wäre ohne Belang, weshalb
die Vorinstanz mit Recht von einer entsprechenden Zeugenbefragung abgesehen
hat, obschon eine solche ausdrücklich beantragt worden ist. Dass wegen
fehlender Zusatzversicherung höhere wiederkehrende Gesundheitskosten entstehen
könnten oder - bei einem Verzicht auf einen überobligatorischen
Versicherungsschutz - wegen sinkenden Leistungsvermögens letztlich sogar eine
Erwerbseinbusse in Kauf genommen werden müsste, könnte zwar allenfalls bei der
Bestimmung des Existenzminimums Berücksichtigung finden, wäre dann aber - zu
gegebener Zeit - spezifiziert geltend zu machen, wozu die blosse Einreichung
bisheriger Leistungsabrechnungen der Krankenkasse nicht genügt. Eine
Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 43 Abs. 1 ATSG kann der
Vorinstanz - solange solche Entwicklungen nicht als tatsächlich eingetreten
behauptet werden - in diesem Zusammenhang ebenso wenig vorgeworfen werden wie
eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV.

3.3. Als willkürlich und damit gegen Art. 9 BV verstossend bezeichnet die
Beschwerdeführerin des Weiteren, dass das kantonale Gericht bei der
Existenzminimumberechnung Kosten für Kleider, die sie bei ihrem Arbeitgeber
kaufen und während der Arbeit tragen muss, mit der Begründung, diese könnten
auch in der Freizeit benutzt werden, nicht als zum Grundbedarf zu zählende
Auslagen gewertet hat. Gemäss den anwendbaren Richtlinien für die
Notbedarfsberechnung (E. 3.1 hievor) ist indessen der Kleiderbedarf bei der
Arbeit nur als Grundbedarf anzurechnen, wenn der Kleider- und Wäscheverbrauch
überdurchschnittlich ist. Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend
gemacht, weshalb es sich nicht als willkürlich beanstanden lässt, dass im
angefochtenen Entscheid unter diesem Titel keine Auslagen berücksichtigt
wurden.

3.4. Ebenso sind gemäss den erwähnten Richtlinien (E. 3.1 hievor) Steuern bei
der Berechnung des Notbedarfs nicht zu berücksichtigen. Dies ist in konstanter
Rechtsprechung wiederholt bestätigt worden (vgl. BGE 140 III 337 E. 4.4 S. 340
f. mit zahlreichen Hinweisen), woran auch unter dem von der Beschwerdeführerin
aufgegriffenen Aspekt des Verhältnismässigkeitsprinzips festzuhalten ist.

3.5.

3.5.1. Schliesslich wird in der Bescherdeschrift bemängelt, dass das kantonale
Gericht beim Grundbedarf keine Kosten für auswärtige Verpflegung berücksichtigt
hat. Auch hier hält sie der Vorinstanz vor, den Untersuchungsgrundsatz
missachtet zu haben, indem auf eine vor Jahren abgegebene Arbeitgeberauskunft
abgestellt wurde, ohne die aktuellen Verhältnisse am Arbeitsplatz, namentlich
die dortigen Arbeitszeiten, näher abgeklärt zu haben.

3.5.2. Das kantonale Gericht ist von den Arbeitszeitangaben gemäss Auskünften
der Arbeitgeberin vom 10. Juli und 4. November 2014 ausgegangen. Am 4. November
2014 hat diese auf Rückfrage hin ausdrücklich bestätigt, dass die
Beschwerdeführerin "jeweils ca. 4 bis 5 Stunden nur nachmittags" arbeite.
Nachdem die zur Diskussion stehende Verrechnung indessen erst ab September 2015
erfolgt ist und bereits in der der Vorinstanz eingereichten Beschwerde
ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführerin während drei Tagen (pro Woche)
über Mittag im Betrieb sei und auswärts essen müsse, welche Behauptung in der
Replik ihre Wiederholung fand, erscheint die bezüglich Notwendigkeit
auswärtiger Verpflegung erhobene Rüge einer Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes in der Tat als berechtigt. Es ist nicht einzusehen,
weshalb bei der Berechnung des ab September 2015 massgebenden Existenzminimums
trotz gegenteiliger Behauptung der Beschwerdeführerin unbesehen auf
Arbeitgeberangaben vom 10. Juli und 4. November 2014 sollte abgestellt werden
können. Da nicht auszuschliessen ist, dass sich ihre Arbeitszeiten seither
verändert haben, ist die Sache in diesem Punkt an die Verwaltung
zurückzuweisen, damit diese insoweit die noch erforderlichen genaueren
Abklärungen trifft und anschliessend über das massgebende Existenzminimum und
damit die Zulässigkeit der angefochtenen Verrechnung neu befindet. Könnte der
für auswärtige Verpflegung geltend gemachte Betrag von monatlich Fr. 130.-
Berücksichtigung finden, würde sich das der Beschwerdeführerin zu belassende
Existenzminimum so weit reduzieren, dass die streitige Verrechnung der
Invalidenrente mit einer Schuld von Fr. 500.- monatlich nicht mehr
vollumfänglich anginge.

4. 
Die Parteien haben die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG)
nach Massgabe ihres Unterliegens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die
Beschwerdeführerin obsiegt mit den von ihr vertretenen Standpunkten nur
teilweise. Es rechtfertigt sich daher, ihr drei Viertel und der
Beschwerdegegnerin einen Viertel der Gerichtskosten zu überbinden (Art. 66 Abs.
1 Satz 1 BGG). Aufgrund des teilweisen Obsiegens steht der anwaltlich
vertretenen Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung zu (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. Juni 2016 und die Verfügung der
IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 14. Oktober 2015 werden aufgehoben. Die Sache
wird im Sinne der Erwägungen zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons
Thurgau zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 800.- werden Fr. 600.- der Beschwerdeführerin
und Fr. 200.- der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 700.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. November 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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