Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.531/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_531/2016

Urteil vom 28. November 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Advokatin Monica Armesto,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
16. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1957 geborene A.________ war als Bauarbeiter tätig und über den Arbeitgeber
bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen
Unfallfolgen versichert, als er sich am 23. April 2010 bei einem Unfall am
rechten Knie verletzte. Er musste sich deshalb mehreren Operationen (u.a.
Versorgung mit einer Knie-Totalprothese) unterziehen. Die SUVA erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Mit Verfügung vom 8. Mai
2012 schloss sie den Fall ab, indem sie dem Versicherten für die verbleibenden
Unfallfolgen eine ab 1. April 2012 laufende Invalidenrente entsprechend einem
Invaliditätsgrad von 11 % und eine Integritätsentschädigung für eine
Integritätseinbusse von 18 % zusprach.
Im April 2013 meldete A.________ der SUVA einen Rückfall. Diese gewährte erneut
Heilbehandlung und richtete Taggeld aus. Sie leistete dabei auch
Kostengutsprache für den am 9. Oktober 2014 vorgenommenen Ersatz der
Knie-Totalprothese. Mit Verfügungen vom 2. und 30. Juli 2015 sprach die
IV-Stelle des Kantons Aargau A.________ ihrerseits eine abgestufte Rente der
Invalidenversicherung zu, von April 2011 bis Dezember 2014 bei einem
Invaliditätsgrad von 43 %, von Januar bis Juni 2015 bei einem Invaliditätsgrad
von 100 % und ab Juli 2015 bei einem Invaliditätsgrad von 58 %.
Mit Verfügung vom 8. September 2015 eröffnete die SUVA dem Versicherten, nach
dem medizinischen Befund liege am rechten Knie wieder der Endzustand vor und
sei keine erhebliche Verschlimmerung der Unfallfolgen gegeben. Der nach
Unfallversicherungsrecht bestehende Invalidenrentenanspruch könne somit nicht
erhöht werden. Weitere Behandlungsmassnahmen seien nicht angezeigt. Die
Taggeld- und Heilbehandlungsleistungen endeten daher am 30. September 2015.
A.________ erhob Einsprache. Er beantragte, ihm seien ab 1. Oktober 2015 eine
Invalidenrente nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von 58 % und eine
Integritätsentschädigung nach Massgabe einer Integritätseinbusse von 25 %
zuzusprechen. Mit Entscheid vom 12. Februar 2016 wies die SUVA die Einsprache
im Rentenpunkt ab und trat bezüglich Integritätsentschädigung nicht auf sie
ein.

B. 
Beschwerdeweise erneuerte A.________ die mit Einsprache gestellten Anträge. Das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau gewährte ihm die unentgeltliche
Rechtspflege. Mit Entscheid vom 16. Juni 2016 wies es die Beschwerde bezüglich
Rente ab und trat bezüglich Integritätsentschädigung nicht darauf ein.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten stellt A.________
wieder die gleichen Rechtsbegehren zu Rente und Integritätsentschädigung. Zudem
beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege für das letztinstanzliche
Verfahren.

Die SUVA beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu
äussern. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).

Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Streitig ist zunächst, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es
einen Anspruch aus dem 2013 gemeldeten Rückfall auf Erhöhung der seit April
2012 laufenden Invalidenrente nach Art. 18 UVG verneinte.

2.1. Rückfälle und Spätfolgen sind besondere revisionsrechtliche Tatbestände
(Art. 11 UVV; BGE 127 V 456 E. 4b S. 457; 118 V 293 E. 2d S. 297; Urteil 8C_747
/2013 vom 18. März 2014 E. 3.1). Im angefochtenen Entscheid sind die Bestimmung
(Art. 17 Abs. 1 ATSG) und die Rechtsprechung zur revisionsweisen Erhöhung,
Herabsetzung oder Aufhebung einer Invalidenrente wegen erheblicher Änderung des
Invaliditätsgrades zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die Grundsätze zu
den Anforderungen an beweiswertige ärztliche Berichte und Gutachten. Darauf
wird verwiesen.

2.2. Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, seit Erlass der
rentenzusprechenden Verfügung der SUVA vom 8. Mai 2012 sei keine massgebliche
Veränderung eingetreten. Es liege immer noch eine 100%ige Arbeitsfähigkeit in
angepasster Tätigkeit vor. Das Tätigkeitsprofil sei auch nicht weiter
limitiert. Von zusätzlichen medizinischen Abklärungen sei in antizipierter
Beweiswürdigung abzusehen.

2.2.1. Die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen beruhen auf einer
sorgfältigen Würdigung der medizinischen Akten. Das kantonale Gericht hat
überzeugend dargelegt, weshalb es insbesondere auf den orthopädischen
Untersuchungsbericht des Kreisarztes vom 27. August 2015 (mit Ergänzung vom 19.
Oktober 2015) abstellt und sich durch die weiteren medizinischen Akten,
namentlich durch den Untersuchungsbericht eines orthopädischen Chirurgen und
Traumatologen vom Regionalen Ärztlichen Dienst der Invalidenversicherung (RAD)
vom 27. März 2015, zu keiner anderen Beurteilung veranlasst sieht.

2.3. Was der Beschwerdeführer vorbringt, rechtfertigt keine andere
Betrachtungsweise. Der RAD-Arzt hat im Bericht vom 27. März 2015 zunächst eine
Arbeitsunfähigkeit aufgrund des rechten Knies bestätigt. Er hat sodann
Beschwerden am linken Knie erwähnt und ausgeführt, dieses bislang nicht
operierte Kniegelenk werde "im Schonraum der einschränkten Arbeitsfähigkeit
nicht zusätzlich beansprucht, so dass Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit
nicht vorhanden" seien. Das kann durchaus so verstanden werden, dass ohne
rechtsseitige Knieproblematik eine eigenständige Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit am linken Knie bestünde. Wenn die Vorinstanz geschlossen hat,
der RAD-Arzt habe auch unfallfremde Beschwerden berücksichtigt, ist dies daher
nicht bundesrechtswidrig. Das gilt erst recht, wenn mit dem kantonalen Gericht
erwogen wird, dass der RAD-Arzt bei der Umschreibung des Zumutbarkeitsprofils
auch den "durch jahrzehntelange harte Arbeit auffallend groben Händen" Rechnung
getragen hat. Der RAD-Arzt hatte denn auch für die Belange der
Invalidenversicherung Bericht zu erstatten. Diese ist als finale Versicherung
leistungspflichtig, unabhängig davon, ob ein invalidisierender
Gesundheitsschaden auf einen Unfall zurückzuführen ist oder nicht. Der RAD-Arzt
hatte daher auch nicht zwischen unfallbedingten und unfallfremden Beschwerden
zu unterscheiden, sondern den gesamten Gesundheitszustand und dessen
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit zu würdigen. Das kantonale Gericht hat
sodann zutreffend erkannt und gewürdigt, dass sich die Belastbarkeit des
Versicherten nach dem RAD-Bericht vom 27. März 2015 schon bis zum
Austrittsbericht der Rehaklinik B.________ vom 21. Mai 2015 und in der Folge
noch weiter verbessert hatte. Der Beschwerdeführer bestätigt auch selber, dass
eine Besserung eintrat. Er vertritt zwar die Auffassung, dies sei nicht im von
der Vorinstanz angenommenen Mass erfolgt. Damit vermag er aber keine Zweifel an
der aufgrund der medizinischen Akten überzeugenden Beurteilung des kantonalen
Gerichts zu begründen. Nicht nachvollziehbar ist auch, weshalb die vom
Beschwerdeführer geltend gemachte Beschränkung der Gehstrecken ohne Gehstöcke
auf 100 m entgegen der kreisärztlichen Einschätzung die Verrichtung angepasster
leichter bis mittelschwerer Tätigkeiten ausschliessen soll. Mit dem kantonalen
Gericht ist schliesslich die Notwendigkeit weiterer medizinischer Abklärungen
zu verneinen. Die vorhandenen Akten geben genügend Aufschluss, um eine
verlässliche Beurteilung zu ermöglichen. Insbesondere bestehen keine auch nur
geringen Zweifel am Beweiswert der kreisärztlichen Einschätzung. Die Beschwerde
ist demnach im Rentenpunkt abzuweisen.

3. 
Das kantonale Gericht ist auf die bei ihm erhobene Beschwerde nicht
eingetreten, soweit darin eine höhere Integritätsentschädigung beantragt wurde.
Es begründet dies damit, die Beschwerdegegnerin habe noch nicht über den
Anspruch auf Integritätsentschädigung nach Abschluss des Rückfalles
entschieden. Deshalb liege kein Anfechtungsgegenstand vor.

3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die SUVA habe in der Verfügung vom 8.
September 2015 den Anspruch auf Integritätsentschädigung mitbehandelt. Im
Einspracheentscheid habe sie sich dann aber trotz des von ihm gestellten
Antrages nicht dazu geäussert und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt.

Die Rügen sind unbegründet. Die SUVA hat die Integritätsentschädigung in der
Verfügung vom 8. September 2015 nicht erwähnt. Sie ist sodann bezüglich
Integritätsentschädigung nicht auf die Einsprache eingetreten. Das ergibt sich
klar und unmissverständlich aus dem Einspracheentscheid vom 12. Februar 2016.

Weiterungen dazu wie auch zu der überdies geltend gemachten Rüge, das kantonale
Gericht habe den Gehörsanspruch des Versicherten ebenfalls verletzt, erübrigen
sich indessen. Denn abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer die Frage des
Anfechtungsgegenstandes weder in der Einsprache noch im vorinstanzlichen
Verfahren in irgendeiner Weise thematisierte, macht er nunmehr ausdrücklich
geltend, die Sache sei aus verfahrensökonomischen Gründen nicht an das
kantonale Gericht zurückzuweisen. Dem kann unter den gegebenen Umständen
ausnahmsweise entsprochen werden. Die Akten gestatten die Beurteilung des
Leistungsanspruchs und die SUVA opponiert diesem Vorgehen nicht.

3.2. Laut Art. 24 UVG hat der Versicherte, der durch den Unfall eine dauernde,
erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität
erleidet, Anspruch auf eine angemessene Integritätsentschädigung (Abs. 1).
Diese wird mit der Invalidenrente festgesetzt oder, falls kein Rentenanspruch
besteht, bei der Beendigung der ärztlichen Behandlung gewährt (Abs. 2). Gemäss
Art. 36 Abs. 4 UVV sind Revisionen von rechtskräftig zugesprochenen
Integritätsentschädigungen nur im Ausnahmefall möglich, wenn die
Verschlimmerung von grosser Tragweite ist und nicht voraussehbar war (vgl.
auch: Urteil 8C_408/2009 vom 25. Mai 2010 E. 3, nicht publ. in: BGE 136 V 113,
aber in: SVR 2010 UV Nr. 27 S. 109; Urteile 8C_885/2014 vom 17. März 2015 E.
2.2.1 und 8C_244/2012 vom 14. Januar 2013 E. 4.2).

Eine derartige Verschlimmerung ist hier nach Lage der Akten nicht eingetreten.
Zwar war aufgrund zunehmender Beschwerden ein Ersatz der Knie-Prothese nötig.
Die Verschlimmerung der Integritätseinbusse war aber nicht dauerhaft und von
grosser Tragweite. Die geklagten Beschwerden zeigten denn auch nach dem Ersatz
der Prothese und gleichermassen nach der RAD-Untersuchung eine stetige
Besserungstendenz. Sodann bestand im Herbst 2015 wieder eine Arbeitsfähigkeit
wie im Zeitpunkt der Rentenzusprache. Dementsprechend kann auch hier dem
Kreisarzt gefolgt werden, welcher im Bericht vom 27. August 2015 zum Ergebnis
gelangte, der Integritätsschaden habe sich nicht geändert. Die Beschwerde ist
daher bezüglich Integritätsentschädigung ebenfalls abzuweisen.

4. 
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist,
die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später
dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokatin
Monica Armesto wird als unentgeltliche Anwältin bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. November 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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