Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.523/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_523/2016

Urteil vom 27. Oktober 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
handelnd durch ihre Eltern,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (medizinische Massnahme),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
31. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________ kam 2013 als Frühgeburt in der 30. Schwangerschaftswoche mit
verschiedenen Geburtsgebrechen (Ziff. 247, 395 und 494 des Anhanges zur
Verordnung über Geburtsgebrechen [GgV Anhang]) zur Welt und wurde deshalb noch
im selben Monat von ihren Eltern bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug angemeldet. Für medizinische Massnahmen im Zusammenhang mit
diesen Geburtsgebrechen erteilte die IV-Stelle des Kantons Aargau im Mai 2014
Kostengutsprache. Am 31. August und 22. Oktober 2014 ersuchten die Eltern von
A.________ jeweils um Erstattung der Kosten für mehrere Synagis®-Impfungen im
Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziff. 247 GgV Anhang (Syndrom der
hyalinen Membranen). Diesen Begehren entsprach die IV-Stelle - nach
durchgeführtem Vorbescheidverfahren - mit Verfügung vom 19. November 2015
zumindest teilweise. Für Synagis®-Impfungen für den Winter 2014/2015 lehnte sie
in dieser Verfügung jedoch - nach Rücksprache mit ihrem Regionalen Ärztlichen
Dienst (RAD) - eine Kostengutsprache ab.

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies eine von der durch ihre Eltern
vertretenen A.________ erhobene Beschwerde gegen die Ablehnung der
Kostenübernahme bezüglich der Synagis®-Impfungen für den Winter 2014/2015 mit
Entscheid vom 31. Mai 2016 ab.

C. 
A.________, weiterhin vertreten durch ihre Eltern, lässt dagegen Beschwerde am
Bundesgericht erheben mit dem Begehren, die Kosten für die in der Wintersaison
2014/2015 verabreichten Synagis®-Impfungen seien von der Invalidenversicherung
zu übernehmen.

Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel findet nicht
statt.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Eine - für den
Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) -
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann das Bundesgericht nur berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

1.2. Das Gericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG),
prüft indessen - unter Beachtung der Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren
(Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen,
sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind
(BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden Fragen zu untersuchen, also auch
solche, die vor Bundesgericht nicht mehr aufgeworfen werden (BGE 133 II 249 E.
1.4.1 S. 254).

1.3. Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrer Rechtsschrift Belege einreicht,
die ihre Standpunkte bekräftigen sollen, finden solche im bundesgerichtlichen
Beschwerdeverfahren grundsätzlich nur Beachtung, wenn sie bis anhin schon
aktenkundig waren. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nach Art. 99 Abs. 1
BGG nämlich nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gibt.

2. 

2.1. Richtig dargestellt hat das kantonale Gericht die gesetzlichen
Bestimmungen, die für die Beurteilung der streitigen Kostenübernahme für
medizinische Massnahmen in Form von Synagis®-Impfungen erforderlich sind (Art.
3 Abs. 2 ATSG, Art. 8 Abs. 1, Art. 12, 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 IVG, Art.
4bis IVV, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 3 GgV, Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG, Art.
64 ff. und Art. 71a Abs. 1 KVV). Dasselbe gilt für hiezu ergangene
Rechtsprechung (vgl. BGE 136 V 395 E. 5.2 S. 399 f., 124 V 108 E. 2a S. 110,
123 V 53 E. 2b/aa S. 58, Urteile 9C_190/2013 vom 23. April 2013 E. 3, 8C_590/
2011 vom 13. Juni 2012 E. 2.4, 9C_530/2010 vom 31. Mai 2011 E. 5.2, publiziert
in: SVR 2011 IV Nr. 80 S. 243]) und erlassene Verwaltungsweisungen (vgl. Rz.
1023, 1205, 1208 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherungen
(BSV) über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung
[KSME]).

2.2. Eine Behandlungsart entspricht bewährter Erkenntnis der medizinischen
Wissenschaft, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen
Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Das Schwergewicht liegt auf der
Erfahrung und dem Erfolg im Bereich einer bestimmten Therapie (BGE 123 V 53 E.
2b/aa S. 58; vgl. BGE 115 V 191 E. 4b S. 195 f., je mit Hinweisen). Die für den
Bereich der Krankenpflege entwickelte Definition der Wissenschaftlichkeit
findet prinzipiell auch auf die medizinischen Massnahmen der
Invalidenversicherung Anwendung (Urteile 9C_190/2013 vom 23. April 2013 E.
2.2.1, 8C_590/2011 vom 13. Juni 2011 E. 2.4).

2.3. In die durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erstellte Liste der
pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel
(Spezialitätenliste; Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 64 KVV [SR 832.102])
werden Arzneimittel aufgenommen, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und
Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist (vgl. Art. 65 ff. KVV; Art. 30 der
Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung [KLV; SR 832.112.31]). Die Liste kann
Limitierungen, insbesondere bezüglich Menge oder medizinische Indikationen,
enthalten (Art. 73 KVV). Synagis® (Palivizumab), ein antivirales Präparat zur
Prophylaxe von bestimmten Lungeninfektionen, ist seit dem 1. Oktober 2000 unter
Ziff. 08.03 in der Spezialitätenliste enthalten. Es unterliegt Limitierungen
und ist namentlich für die Behandlung von Kindern bis zum Alter von einem Jahr
mit vorbestehender und bereits behandelter broncho-pulmonaler Dysplasie (BPD)
angezeigt.

2.4. Zwar hat die Invalidenversicherung grundsätzlich nicht für prophylaktische
Massnahmen aufzukommen (vgl. Ziff. 1023 KSME). Indessen fallen Heilmittel, mit
welchen das geburtsgebrechensbedingte Risiko anderweitiger Krankheiten
vermindert wird, in ihren Leistungsbereich. Ist eine Behandlung wegen eines
Geburtsgebrechens notwendig, ist sie sowohl für die Behandlung des
Geburtsgebrechens selbst als auch für die geburtsgebrechensbedingte Prävention
zuständig; es findet keine Aufteilung der medizinischen Behandlung zwischen
Invaliden- und Krankenversicherung statt (SVR 2011 IV Nr. 80 S. 243, 9C_530/
2010 vom 31. Mai 2011 E. 5.2; Urteil 8C_590/2011 vom 13. Juni 2012 E. 4).

3. 

3.1. Nach Darlegung der für die Beurteilung der Streitsache massgebenden
rechtlichen Grundlagen (E. 2.1 hievor) hat sich das kantonale Gericht eingehend
der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die medizinischen
Auswirkungen von Synagis®-Impfungen seit Aufnahme dieses Arzneimittels in die
vom BAG geführte Spezialitätenliste am 1. Oktober 2000 bis zum vorliegend
interessierenden Zeitraum ab 2014 gewidmet.

3.2. Diese vertiefte Auseinandersetzung ergab zusammengefasst, dass bei
Vorliegen einer - beim Beschwerde führenden Mädchen bereits behandelten - BPD
zwar auch im zweiten Lebensjahr eine erhöhte Gefahr einer Infektion mit dem
Respiratory Syncytial Virus (RSV-Infektion) besteht, was eine entsprechend
höhere Hospitalisationsrate zur Folge hat. Im Vergleich zu Kindern im ersten
Lebensjahr aber liegt diese deutlich tiefer. Umfassende Studien allerdings, die
sich sowohl mit der Infektions- und Hospitalisationsrate als auch gleichzeitig
mit der Wahrscheinlichkeit einer Prophylaxe durch Verabreichung von Synagis® im
zweiten Lebensjahr bei behandelter schwerer BPD befassen, lägen - so die
Vorinstanz weiter - jedoch nicht vor. Wegen fehlender fundierter
wissenschaftlicher Erkenntnisse kann der Synagis®-Impfung nach Ansicht des
kantonalen Gerichts deshalb in diesem Alter kein grosser therapeutischer Nutzen
attestiert werden, auch wenn bei einer RSV-Infektion ein tödlicher Verlauf oder
schwere und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie eine mögliche
Prophylaxe mittels Synagis®-Impfungen nicht auszuschliessen seien.

3.3. Aufgrund dieser Ergebnisse ihrer Nachforschungen erwog die Vorinstanz, für
die Zulassung eines so genannten off-label-use könne nicht jeglicher
therapeutische Nutzen genügen, da die Beurteilung des Nutzens sonst in jedem
Einzelfall an die Stelle der heilmittelrechtlichen Zulassung treten könnte,
wodurch das "gesetzliche System der Spezialitätenliste" unterwandert würde. Es
müsse vermieden werden, dass durch eine extensive Praxis der ordentliche Weg
der Listenaufnahme durch Einzelfallbeurteilungen ersetzt wird, würde dadurch
doch die mit der Spezialitätenliste verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle
umgangen. Aus der Überlegung heraus, dass die Nachachtung der in der
Spezialitätenliste angeführten Limitatio genau wegen der beim Beschwerde
führenden Mädchen vorhandenen Komorbiditäten und Risikofaktoren noch die
Ausnahme für die Übernahme der Kosten der Synagis®-Impfungen für den Winter
2013/2014 darstellte, zog das kantonale Gericht den Schluss, eine -
altersbedingt - über die Limitatio hinausgehende Kostentragungspflicht
rechtfertige sich für den folgenden Winter 2014/2015 nicht mehr.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin beruft sich zur Begründung ihres Begehrens auf Art.
71a Abs. 1 lit. b KVV. Art. 71a KVV sieht die Übernahme der Kosten eines in die
Spezialitätenliste aufgenommenen Arzneimittels für eine Anwendung ausserhalb
der genehmigten Fachinformationen oder ausserhalb der in der Spezialitätenliste
festgelegten Limitierung vor. Der in Abs. 2 lit. b dieser Norm geregelte
Tatbestand ist gegeben, wenn vom Einsatz des Arzneimittels ein grosser
therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit erwartet wird, die für die
versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische
gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen kann, und wegen fehlender
therapeutischer Alternativen keine andere wirksame und zugelassene
Behandlungsmethode verfügbar ist.

4.2. Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 9C_667/2015 vom 7. Juni 2016 (E.
2.3.2.2 mit Hinweisen) hat das Bundesgericht ausgeführt, die Frage, ob der für
eine Kostenübernahme vorausgesetzte grosse therapeutische Nutzen vorliegt, sei
sowohl in allgemeiner Weise als auch bezogen auf den konkreten Einzelfall zu
beurteilen (BGE 136 V 395 E. 6.4 und 6.5 S. 401 f.). Der Nachweis der
allgemeinen Eignung, den angestrebten therapeutischen Nutzen zu erzielen, müsse
nach wissenschaftlichen Methoden erbracht werden (BGE 136 V 395 E. 6.5 S. 401
f. mit Hinweisen; Urteil 9C_572/2013 vom 27. November 2013 E. 4.3). Der Begriff
des hohen therapeutischen Nutzens orientiere sich grundsätzlich an der
gleichlautenden Voraussetzung für eine befristete Bewilligung nicht
zugelassener Arzneimittel im Sinne von Art. 9 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 15.
Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz [HMG]; SR
812.21). Eine solche Zulassung setze nach Art. 19 Abs. 1 lit. c der Verordnung
des Schweizerischen Heilmittelinstituts vom 22. Juni 2006 über die vereinfachte
Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im
Meldeverfahren (VAZV; SR 812.212.23) voraus, dass zumindest Zwischenergebnisse
von (publizierten) klinischen Studien vorliegen, die darauf hinweisen, dass von
der Anwendung ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist (BGE 136 V 395
E. 6.5 S. 402 mit Hinweisen; Urteil 9C_785/2011 vom 25. April 2012 E. 2.1.2.2,
in: SVR 2012 KV Nr. 20 S. 71). Es würden sodann auch anderweitige
veröffentlichte Erkenntnisse ausreichen, die wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen über die Wirksamkeit des in Frage stehenden Arzneimittels im neuen
Anwendungsgebiet zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen
Konsens über einen voraussichtlich hohen therapeutischen Nutzen besteht (vgl.
Gebhard Eugster, Die obligatorische Krankenpflegeversicherung, in: Soziale
Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 535 Rz. 420). Es müssten in
rechtlicher Hinsicht somit nicht bereits die (höheren) Voraussetzungen für eine
Aufnahme in die Spezialitätenliste erfüllt sein (BGE 136 V 395 E. 6.5 S. 402;
Urteil 9C_550/2011 vom 23. März 2012 E. 6.1). Liegen keine derartigen
klinischen Studien bzw. anderweitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die
eine therapeutische Wirksamkeit nachweisen, so könne eine solche mit dem
blossen Hinweis darauf, dass im Einzelfall eine Wirkung eingetreten sei, nicht
bejaht werden. Dies würde auf die blosse Formel "post hoc ergo propter hoc"
hinauslaufen, was nicht angehe; denn eine Besserung könne auch spontan bzw. aus
anderen Gründen eintreten (BGE 136 V 395 E. 6.5 S. 402; 130 V 299 E. 5.2 S.
303). Entscheidend sei, dass für die Zulassung eines off-label-use nicht
jeglicher therapeutische Nutzen genügen kann, könnte doch sonst in jedem
Einzelfall die Beurteilung des Nutzens an die Stelle der heilmittelrechtlichen
Zulassung treten; dadurch würde das gesetzliche System der Spezialitätenliste
unterwandert (Urteil 9C_56/2008 vom 6. Oktober 2008 E. 2.3 mit Hinweisen, in:
SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1).

4.3. Diese Rechtsprechung zeigt, dass für die Übernahme der Kosten eines in der
Spezialitätenliste aufgelisteten Arzneimittels für eine Indikation, für die es
dort nicht vorgesehen ist (off-label-use), strenge Anforderungen an den nach
wissenschaftlichen Methoden zu erbringenden Nachweis eines grossen
therapeutischen Nutzens gestellt werden. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe,
dass das kantonale Gericht in Anlehnung an die in vorstehender E. 4.2
wiedergegebene Rechtsprechung zur näheren Umschreibung des "grossen
therapeutischen Nutzens", wie er in Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV für die
Kostenübernahme bei einem ausserhalb der zugelassenen Indikation zur Anwendung
gebrachten Medikament verlangt wird, eine Leistungspflicht der
Invalidenversicherung für eine von ihr zu gewährende Massnahme verneint hat.
Die für den Bereich der Krankenpflege entwickelte Definition der
Wissenschaftlichkeit findet nämlich - wie in vorstehender E. 2.2 bereits
erwähnt - prinzipiell auch auf medizinische Massnahmen der
Invalidenversicherung Anwendung (BGE 123 V 53 E. 2b/cc S. 60 mit Hinweisen).
Das kantonale Gericht hat sich eingehend mit den wissenschaftlichen
Erkenntnissen zum Einsatz von Synagis® befasst, aber zur hier interessierenden
Synagis®-Impfung bei Kindern im zweiten Lebensjahr, welche - wie die
Beschwerdeführerin - eine BPD aufweisen, keine einschlägige wissenschaftliche
Studien gefunden.

5.

5.1. Dass solche Studien entgegen der vorinstanzlichen Annahme vorhanden wären,
wird in der Beschwerdeschrift nicht belegt. Es wird zur Hauptsache lediglich
auf das Kostengutsprachegesuch des Dr. med. B.________, Leitender Arzt
Pneumologie am Universitäts-Kinderspital C.________, vom 19. Dezember 2014
verwiesen. Allein daraus, dass dieser Mediziner nicht nur praktizierender Arzt,
sondern darüber hinaus auch wissenschaftlich auf dem Gebiet der pädiatrischen
Pneumologie tätig sei, kann nicht abgeleitet werden, dass irgendwelche
wissenschaftliche Abhandlungen von ihm stammen würden, welche als allgemein
anerkannte - publizierte - wissenschaftliche Erkenntnis gelten könnten. Solche
werden in der Beschwerdeschrift denn auch nicht genannt und sind auch sonst
nirgends ersichtlich. Dass Dr. med. B.________ seine ärztliche Tätigkeit in
Kenntnis und in Anwendung des aktuellen Standes der Forschung ausübt, ersetzt
das Fehlen selber erarbeiteter und allgemein anerkannter Studien nicht.
Aufgrund der Vorbringen in der Beschwerdeschrift besteht daher kein Anlass, die
vorinstanzliche Verneinung aktueller wissenschaftlicher Beiträge, welche
Synagis®-Anwendungen ausserhalb der Limitatio begründen würden, in Frage zu
stellen. Dr. med. B.________ führt laut Ausführungen in der Beschwerde beim
versicherten Mädchen zwar periodisch - in halbjährlichem Rhythmus -
medizinische Verlaufskontrollen durch. Deren Ergebnisse - auch unter
Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände des untersuchten Kindes -
bilden indessen lediglich Grundlage einer individuellen Einzelfallprüfung und
können als solche nicht als allgemein gültige Erkenntnisse der medizinischen
Wissenschaft gelten (vgl. E. 4.2 hievor, in fine).

5.2.

5.2.1. Im Einzelnen spricht Dr. med. B.________ nur davon, dass ein RSV-Infekt
sehr wahrscheinlich eine komplikationsreiche (und damit kostspielige)
Hospitalisation nach sich ziehen würde, weshalb eine Prophylaxe auch unter
gesundheitsökonomischen Aspekten sinnvoll wäre. Damit äussert er sich aber
nicht zur Gefahr einer RSV-Infektion an sich, sondern lediglich zur allenfalls
möglichen Vorbeugung mittels Synagis® und zu bei einer tatsächlichen Infektion
zu erwartenden (kostenmässigen) Konsequenzen. Dies genügt auch für den konkret
besprochenen Einzelfall nicht zur Kostentragung durch die Invalidenversicherung
für Synagis®-Impfungen ausserhalb der vorgesehenen Limitatio. Diese sieht deren
Anwendung nur bei Kindern mit BPD bis zum vollendeten ersten Lebensjahr vor und
steht damit einer Kostengutsprache bei der Beschwerdeführerin bezüglich
Synagis®-Impfungen für den Winter 2014/2015 unbestrittenermassen entgegen.
Daran ändert nichts, dass Dr. med. B.________ eine solche Behandlung - eine
"passive Immunisierung mit Palivizumab" - dringlichst empfiehlt. Die nur
ausnahmsweise in Betracht fallende Anwendung eines Arzneimittels ausserhalb der
Indikation, die in der Spezialitätenliste vorgesehen ist, bedingt, dass das
Vorhandensein der aus Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV hervorgehenden Faktoren wie
eine gefährliche, allenfalls gar lebensbedrohliche Krankheit oder eine wirksame
Prophylaxe nicht nur als allfällige Möglichkeit erscheint, sondern mit deren
Verwirklichung aufgrund der konkreten Umstände tatsächlich ernsthaft zu rechnen
ist. Weil dies aufgrund der Stellungnahme des Dr. med. B.________ vom 19.
Dezember 2014 nicht zutrifft, ist die Berufung auf Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV
hier unbegründet. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist ausdrücklich ein
therapeutischer Nutzen gegen eine Krankheit verlangt, die tödlich verlaufen
kann. Zur Wahrscheinlichkeit einer solchen Erkrankung wie auch zu einer
wirksamen Prophylaxe mittels Synagis®-Impfungen äussert sich Dr. med.
B.________ jedoch nicht. Gerade die Erregung einer solchen Krankheit durch eine
RSV-Infektion wie auch die Wirksamkeit einer Synagis®-Behandlung werden nach
den Äusserungen des Dr. med. B.________ nur als Möglichkeit in Betracht
gezogen. Damit können die Voraussetzungen für einen off-label-use von Synagis®
im Sinne einer Ausnahme nach Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV nicht als erstellt
gelten.

5.2.2. In diesem Zusammenhang ist der Vorinstanz des Weiteren auch darin
beizupflichten, dass die Beurteilung des Nutzens im Einzelfall nicht dazu
führen darf, dass diese an die Stelle der (generellen) heilmittelrechtlichen
Zulassung tritt, würde dies doch zu einer Unterwanderung des mit der
Spezialitätenliste geschaffenen gesetzlichen Systems führen, indem die mit
dieser verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle entfällt. Daraus ergibt sich,
dass der gegenüber der Vorinstanz erhobene Vorwurf einer Verletzung des
rechtlichen Gehörs zufolge fehlender Auseinandersetzung mit dem ärztlichen
Zeugnis des Dr. med. B.________ vom 19. Dezember 2014 unbegründet ist. Ebenso
wenig kann von einem widerrechtlichen Verstoss gegen Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV
gesprochen werden, sind die dort vorgesehenen Bedingungen für eine nur
ausnahmsweise in Betracht fallende, über die angegebene Indikation
hinausgehende Anwendung von Synagis® nach dem Gesagten hier doch nicht
ausgewiesen.

5.3. Ebenso wenig kann von einer willkürlichen Relativierung der von der
Vorinstanz erwähnten Impact-Studie gesprochen werden, welche die
prophylaktische Wirksamkeit von Synagis® als auch unter Filterung nach Alter,
Gewicht, Geschlecht und BPD statistisch signifikant geblieben beschreibt. Indem
das kantonale Gericht hier bemängelt, dass die zu diesem Ergebnis führenden
Messgrössen unklar blieben, von welchen die Studienleiter genau ausgingen,
bringt es lediglich seine Bedenken hinsichtlich der Aussagekraft dieser Studie
zum Ausdruck. Dies ist insofern nicht als willkürlich zu betrachten, als damit
eine ausreichende Begründung für eine Synagis®-Anwendung ausserhalb der
vorgesehenen Limitatio verneint wird.

5.4. Nicht ersichtlich ist schliesslich, was die Beschwerdeführerin aus zwei
Vorfällen, die während ihrer Behandlung zu Unterbrechungen der
Sauerstoffversorgung geführt haben sollen, bezüglich des geltend gemachten
off-label-use von Synagis® ableiten könnte. In ihrer Beschwerde fehlt eine
diesbezüglich hinreichend spezifizierte Begründung.

6. 
Sind nach dem Gesagten die Voraussetzungen für die Anwendung der
Ausnahmeregelung in Art. 71a Abs. 1 lit. b KVV nicht gegeben, ist die
Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind die
Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) von der
Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. Oktober 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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