Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.483/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_483/2016   {T 0/2}     

Urteil vom 27. Oktober 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern 3,
Beschwerdeführer,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller,
Beschwerdegegner,

IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 1. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 23. Januar 2013 verneinte die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen einen Anspruch des 1953 geborenen A.________ auf eine Invalidenrente der
Invalidenversicherung, da keine Invalidität vorliege.

B. 
A.________ erhob hiegegen Beschwerde. Das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen holte ein polydisziplinäres medizinisches Gutachten der MEDAS
Zentralschweiz vom 12. Februar 2016 ein. Mit Entscheid vom 1. Juni 2016 hiess
es die Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 23. Januar 2013 auf, sprach dem
Versicherten eine halbe Invalidenrente zu und auferlegte der IV-Stelle eine
Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.- sowie (in Dispositiv-Ziffer 3) die von der MEDAS
Zentralschweiz in Rechnung gestellten Gutachtenskosten von Fr. 13'931.15.

C. 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, Dispositiv- Ziffer 3 des
vorinstanzlichen Entscheids sei dahingehend abzuändern, dass der IV-Stelle die
Kosten des Gerichtsgutachtens nur bis zur Höhe von Fr. 11'432.35 überbunden
würden.
Das Versicherungsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. A.________ und
die IV-Stelle verzichten je auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht hinsichtlich der Höhe der
Gutachtenskosten, welche es der IV-Stelle auferlegte, Bundesrecht verletzte.
Die Vorinstanz hat diese Kosten gestützt auf die Rechnung der MEDAS
Zentralschweiz auf Fr. 13'951.15 festgesetzt. Das Beschwerde führende BSV rügt
dies als bundesrechtswidrig. Die der IV-Stelle aufzuerlegenden Gutachtenskosten
seien auf Fr. 11'432.35 anzusetzen.

2.1. Die Differenz zwischen den beiden Kostenansätzen beruht darauf, dass
unterschiedliche Tarife angewendet wurden. Die MEDAS Zentralschweiz hat ihre
Rechnung gemäss eigener Angabe nach den Ansätzen der Tarifstruktur TARMED
erstellt. Das kantonale Gericht ist dem gefolgt. In der Beschwerde wird
eingewendet, massgeblich für die Festsetzung der der IV-Stelle aufzuerlegenden
Gutachtenskosten sei nicht der TARMED, sondern in Nachachtung von BGE 137 V 210
die am 2./4. April 2012 zwischen dem BSV und der MEDAS Zentralschweiz
abgeschlossene "Vereinbarung betreffend Durchführung von polydisziplinären
Gutachten zur Beurteilung von Leistungsansprüchen in der Invalidenversicherung
(gestützt auf Art. 72bis IVV) " mit Anhängen, u.a. zum anwendbaren Tarif
(nachfolgend: Vereinbarung 2012).

2.2. Das Bundesgericht hat in BGE 137 V 210 E. 4.4.2 S. 265 f. erkannt, in
Fällen, in welchen zur Durchführung der vom Gericht als notwendig erachteten
Beweismassnahme an sich eine Rückweisung an die Verwaltung in Frage käme, eine
solche indessen mit Blick auf die Wahrung der Verfahrensfairness entfalle,
seien die Kosten der Begutachtung durch eine MEDAS den IV-Stellen aufzuerlegen
und nach der gemäss E. 3.2 zu modifizierenden tarifvertraglichen Regelung zu
berechnen. Die Vergütung der Kosten von MEDAS-Abklärungen als Gerichtsgutachten
durch die IV-Stelle sei mit Art. 45 Abs. 1 ATSG vereinbar. Danach übernehme der
Versicherungsträger die Kosten der Abklärung, soweit er die Massnahmen
angeordnet habe. Habe er keine Massnahmen angeordnet, so übernehme er deren
Kosten dennoch, wenn die Massnahmen für die Beurteilung unerlässlich gewesen
seien oder Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen bildeten. In der
besagten E. 3.2 S. 244 f. hat das Bundesgericht dem Bundesamt aufgetragen, für
die Gutachtensaufträge, welche der Versicherungsträger nach Art. 43 Abs. 1 ATSG
an externe Abklärungsstellen vergibt, ein differenziertes Entschädigungssystem
auszuarbeiten und mit den MEDAS neu auszuhandeln.
In den Fällen, in welchen nach BGE 137 V 210 E. 4.4.2 S. 265 f. anstelle einer
Rückweisung gerichtlich ein MEDAS-Gutachten eingeholt wird, sind die hiefür der
Verwaltung zu überbindenden Kosten mithin nach dem gemäss BGE 137 V 210 E. 3.2
S. 244 f. für das Verwaltungsverfahren zu erarbeitenden Entschädigungssystem
festzusetzen. In BGE 139 V 496 E. 4.3 S. 501 f. hat das Bundesgericht denn auch
präzisiert, unter den genannten Bedingungen stellten die Kosten des Gutachtens
keine Gerichtskosten im Sinne von Art. 69 Abs. 1bis IVG, sondern sich auf das
Verwaltungsverfahren im Sinne von Art. 45 ATSG beziehende Kosten dar (vgl. auch
BGE 139 V 225 E. 4.2 f.      S. 226 f.; Urteil 8C_301/2016 vom 7. Juli 2016 E.
2.2). In Nachachtung von BGE 137 V 210 E. 3.2 S. 244 f. hat das BSV
entsprechende Tarifvereinbarungen mit den MEDAS abgeschlossen, darunter die
erwähnte Vereinbarung 2012 mit der MEDAS Zentralschweiz.

2.3. Im vorliegenden Fall hat das kantonale Gericht erkannt, die Kosten des
MEDAS-Gutachtens seien aufgrund BGE 137 V 210 E. 4.4.2 S. 265 f. von der
IV-Stelle zu tragen. Damit liegt die erwähnte Konstellation vor. Im Lichte der
dargelegten Praxis postuliert das BSV daher zu Recht, die der IV-Stelle
aufzuerlegenden Kosten des Gutachtens der MEDAS Zentralschweiz vom 12. Februar
2016 seien nach der Vereinbarung 2012 zu bestimmen. Gleich hat das
Bundesgericht denn auch - jeweils nach Massgabe der dort zugrunde gelegenen
Vereinbarungen - in den Urteilen 9C_253/2016 vom 22. September 2016 und 9C_217/
2016 vom 2. Dezember 2014 entschieden.

2.4. Die Einwände der Vorinstanz rechtfertigen keine andere Betrachtungsweise.
Hier geht es nicht um die in Art. 61 ATSG und darauf gestütztes kantonales
Recht enthaltenen Regeln zum Gerichtsverfahren, sondern um nach den Ansätzen
des Verwaltungsverfahrens festzusetzende Gutachtenskosten. Dass der TARMED
allenfalls differenziertere Ansätze enthält als die Vereinbarung 2012 und dass
eigentliche Gerichtsgutachten je nachdem aufwändiger sein können als von der
Verwaltung eingeholte Expertisen, vermag sodann kein Abweichen von der
dargelegten Rechtsprechung zu begründen.

2.5. Die der IV-Stelle bei Anwendung der Vereinbarung 2012 aufzuerlegenden
Gutachtenskosten betragen unstreitig Fr. 11'432.35. Die Beschwerde ist
gutzuheissen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen, Abteilung I, vom 1. Juni 2016 wird insoweit abgeändert, als
die von der IV-Stelle des Kantons St. Gallen zu bezahlenden Gutachtenskosten
auf Fr. 11'432.35 festgesetzt werden.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons St. Gallen und dem
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung I, schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 27. Oktober 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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