Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.459/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_459/2016   {T 0/2}     

Urteil vom 16. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine,
Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Serge Flury,
Beschwerdeführer,

gegen

Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 78, 5000
Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Rückerstattung; Verwirkungsfrist),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 24. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1982 geborene A.________ war bis 30. September 2014 bei der B.________ AG
angestellt. Ab 1. Oktober 2014 richtete ihm die Öffentliche Arbeitslosenkasse
des Kantons Aargau (nachfolgend Kasse) Arbeitslosentaggelder aus. Mit
unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 29. Juli 2015 verneinte
sie diesen Anspruch rückwirkend ab 1. Oktober 2014. Am 18. November 2015 holte
die Kasse bei der Sozialversicherungsanstalt (SVA) Aargau den IK-Auszug des
Versicherten ein, der bei ihr am 7. Dezember 2015 einging. Mit Verfügung vom
11. Januar 2016 forderte die Kasse vom Versicherten die ab 1. Oktober 2014 bis
Ende März 2015 bezogenen Arbeitslosentaggelder in Höhe von Fr. 21'143.15
zurück. Seine Einsprache wies sie mit Entscheid vom 1. März 2016 ab.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 24. Mai 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei der
Rückforderungsanspruch der Arbeitslosenkasse im Umfang von       Fr. 21'143.15
abzuweisen.
Die Kasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung. Mit Eingabe vom 31.
August 2016 hält der Versicherte an den Beschwerdeanträgen fest.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1
S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von   Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art.
97 Abs. 1, Art. 105    Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige
Feststellung erheblicher Tatsachen sowie die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes bzw. der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG. Die konkrete Beweiswürdigung ist Sachverhaltsfrage (nicht publ. E. 1 des
Urteils BGE 141 V 585; SVR 2009 IV Nr. 30 S. 85 E. 3.2 [9C_431/2008]).

2. 
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen der Rückerstattung unrechtmässig
bezogener Leistungen (Art. 25 Abs. 1 f. ATSG) und des Beginns der einjährigen
relativen Verwirkungsfrist (vgl. BGE 139 V 6 E. 4.1 S. 8; Urteile 8C_642/2014
vom 23. März 2015 E. 3.2 und 9C_478/2013 vom 24. Juli 2013 E. 2) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Die rückwirkende Leistungseinstellung ab 1. Oktober 2014 bis Ende März 2015
gemäss Verfügung der Kasse vom 29. Juli 2015 ist rechtskräftig und nicht zu
hinterfragen.

4. 
Strittig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin bei Erlass der
Rückforderungsverfügung vom 11. Januar 2016 die einjährige relative
Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG eingehalten hat.
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, mit Schreiben vom 9. April 2015 habe die
Kasse von der Staatsanwaltschaft einen Schlussbericht der Kantonspolizei vom
15. Oktober 2014 betreffend Sozialversicherungsbetrug erhalten, worin auch der
Versicherte als Beschuldigter aufgeführt gewesen sei. Indem die Kasse ihn nach
Erhalt dieses Schlussberichts am 7. Mai und 26. Juni 2015 zur Einreichung
weiterer Unterlagen aufgefordert, danach das Vorliegen einer
beitragspflichtigen Beschäftigung während der Rahmenfrist für die Beitragszeit
geprüft und am 11. Januar 2016 die Rückforderungsverfügung erlassen habe, habe
sie die einjährige Verwirkungsfrist gewahrt. Der Versicherte bringe vor, sie
habe bereits am 12. November 2014 bei der SVA Luzern ein Amtshilfegesuch
gestellt und um Mitteilung seiner deklarierten Lohnsumme im Zeitpunkt des
Konkurses seiner ehemaligen Arbeitgeberin ersucht. Diese Unterlagen befänden
sich jedoch nicht bei den Akten - so die Vorinstanz -, weshalb auf diese
Behauptung nicht abgestellt werden könne. Selbst wenn die Kasse dieses
Amtshilfegesuch am 12. November 2014 gestellt hätte, hiesse dies, dass sie in
diesem Zeitpunkt Zweifel an der Rechtmässigkeit der Leistungsausrichtung
gehegt, nicht jedoch, dass sie bereits Kenntnis vom Rückforderungsanspruch
gehabt hätte. Diese Kenntnis hätte sie bei Anwendung der ihr gebotenen
Aufmerksamkeit erst bei Eingang der ersuchten Informationen und nach weiteren
Abklärungen haben können. Demnach hätte sie überwiegend wahrscheinlich erst
zwei Monate nach dem Amtshilfegesuch - und damit nach dem 12. Januar 2015 -
Kenntnis vom Rückforderungsanspruch haben können. Auch diesfalls wäre die
einjährige relative Verwirkungsfrist mit der Rückforderungsverfügung vom 11.
Januar 2016 gewahrt.

5.

5.1. Die Vorinstanz traf hinsichtlich des Amtshilfegesuchs vom 12. November
2014 eine offensichtlich unrichtige Feststellung. Diesbezüglich kann das
Bundesgericht den Sachverhalt entsprechend ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG) :
Dieses Gesuch liegt nämlich bei den Akten der Beschwerdegegnerin. Keinen
Hinweis enthalten diese jedoch bezüglich der Behauptung der Letzteren, die SVA
habe ihr auf entsprechende Nachfrage hin telefonisch mitgeteilt, bei der
ehemaligen Arbeitgeberin des Versicherten (B.________ AG) sei niemand
anzutreffen gewesen; deshalb sei es ihr nicht möglich gewesen, zu überprüfen,
ob ihre Angaben gegenüber der SVA zur AHV-Beitragspflicht mit den Angaben
gegenüber der Beschwerdegegnerin übereingestimmt hätten.
Dass die B.________ AG in Liquidation stand, ergibt sich aus den Akten. Die
Beschwerdegegnerin verfügte über eine Arbeitgeberbescheinigung vom 29.
September 2014 mit dem Arbeitsvertrag des Versicherten vom 2. September 2013
und ihn betreffenden Lohnblättern für die Zeit ab Februar 2013 bis September
2014. Am 24. Oktober 2014 fasste sie beim Beschwerdeführer nach und verlangte
von ihm die Zustellung weiterer Unterlagen zwecks Überprüfung seines Anspruchs
auf Arbeitslosenentschädigung. Am 12. November 2014, also zeitgleich zum
Amtshilfegesuch, forderte die Kasse ihn nochmals auf, ihr weitere Unterlagen
zuzustellen. Am 19. November 2014 ging bei ihr die Antwort des
Beschwerdeführers ein, worauf sie die Beitragszeiten ermittelte und den
versicherten Verdienst berechnete. Die Verwaltung ist in der fraglichen Zeit
mithin nicht untätig geblieben. Grund für Zweifel oder Argwohn musste sie
damals nicht haben. Dass sie das Verfahren vor Kenntnisnahme des
Schlussberichts der Kantonspolizei vom 15. Oktober 2014 am 10. April 2015 nicht
schneller voran trieb, ist nicht zu beanstanden. Die Beschwerdegegnerin war
damals mit dem Zwischenverdienst des Beschwerdeführers befasst und monierte
verschiedentlich dessen unvollständige Angaben. Schliesslich stellte sie dann
ihre Leistungen mit Schreiben vom 24. April 2015 ab April 2015 bzw. mit
Schreiben vom 7. Mai 2015 ab Mai 2015 ein.

5.2. Dass die Beschwerdegegnerin nicht schon Mitte November 2014 einen
IK-Auszug einholte, ist unter den gegebenen Umständen nicht zu bemängeln. Dazu
bestand kein besonderer Anlass. Insofern kann offen bleiben, ob die
gegenteilige, letztinstanzlich neue Argumentation des Beschwerdeführers
betreffend den IK-Auszug im Lichte von      Art. 99 Abs. 1 BGG (hierzu vgl.
nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ Nr. 3 S. 7 [8C_690
/2011]; Urteil 8C_78/2016 vom 22. Juli 2016 E. 5.2) überhaupt zu hören ist. Der
IK-Auszug hätte wohl weitere Diskrepanzen zutage gebracht, aber noch keine
endgültige Klärung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung bewirkt. Zudem
hätten sich über den Jahreswechsel 2014/15 zwangsläufig Verzögerungen ergeben.
Selbst wenn die Verwaltung zu einem früheren Beizug des IK-Auszugs gehalten
gewesen wäre, hätte sie nicht vor Mitte Januar 2015 Aufschluss über Bestand und
Umfang der Rückforderung erlangen können. Demnach hätte sie auch diesfalls mit
der Rückforderungsverfügung vom 11. Januar 2016 die einjährige relative
Verwirkungsfrist gewahrt.

6. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und
Arbeit (AWA) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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