Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.452/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_452/2016

Urteil vom 27. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch CAP Rechtsschutz-Versicherungsgesellschaft AG, Leistungen und
Services,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 25. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1959, arbeitete seit 1990 mit einem Vollzeitpensum als
Küchenangestellter bei der Stiftung B.________ (nachfolgend: Arbeitgeberin). Er
leidet unter anderem an beidseitiger Gonarthrose. Am 6. Februar 2014 musste er
sich einer Arthroskopie am linken Kniegelenk unterziehen. Seither blieb er zu
mindestens 50 % arbeitsunfähig. Durch eine Änderungskündigung reduzierte die
Arbeitgeberin das Arbeitspensum per 1. März 2015 auf 50 %. Am 16. Juni 2015
meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach
erwerblichen und medizinischen Abklärungen verneinte die IV-Stelle des Kantons
Zürich einen Rentenanspruch (Verfügung vom 16. Juli 2015).

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 25. Mai 2016).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, ihm sei unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheides und
der Verfügung der IV-Stelle vom 16. Juli 2015 ab Februar 2014 eine halbe
Invalidenrente zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG geltend
gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Trotzdem prüft es - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur
die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art.
105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig ist, ob der Versicherte Anspruch auf eine Invalidenrente hat. Vorweg
zu prüfen ist, ob Verwaltung und Vorinstanz bei gegebener Aktenlage
bundesrechtskonform auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und
Schlüssigkeit der Aktenbeurteilung des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom
7. April 2015 ausgeschlossen und folglich zu Recht auf weitere Abklärungen
verzichtet haben. Demgegenüber argumentiert der Beschwerdeführer, angesichts
der im Übrigen übereinstimmenden ärztlichen Beurteilungen seiner verbleibenden
Leistungsfähigkeit von 50 % in Bezug auf eine leidensangepasste Tätigkeit wären
die IV-Stelle und das kantonale Gericht praxisgemäss verpflichtet gewesen, eine
versicherungsexterne Begutachtung zu veranlassen. Durch das ausschlaggebende
Abstellen auf die reine Aktenbeurteilung des RAD-Arztes hätten Verwaltung und
Vorinstanz Bundesrecht verletzt.

3. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen gemäss Gesetz und Rechtsprechung
zutreffend dargelegt. Dies betrifft namentlich die Bestimmungen und Grundsätze
zu den Begriffen der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art.
8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zur Bemessung der
Invalidität (Art. 28a IVG und Art. 16 ATSG) sowie zum Beweiswert und zur
Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S.
232; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff. mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass der Beweiswert von RAD-Berichten nach Art. 49 Abs. 2 IVV
mit jenem externer medizinischer Sachverständigengutachten vergleichbar ist,
sofern sie den praxisgemässen Anforderungen an ein ärztliches Gutachten (BGE
134 V 231 E. 5.1 S. 232) genügen und die Arztperson über die notwendigen
fachlichen Qualifikationen verfügt (BGE 137 V 210 E. 1.2.1 S. 219). Allerdings
ist hinsichtlich des Beweiswerts wie folgt zu differenzieren: Bezüglich
Gerichtsgutachten hat die Rechtsprechung ausgeführt, das Gericht weiche "nicht
ohne zwingende Gründe" von den Einschätzungen des medizinischen Experten ab.
Hinsichtlich von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG
eingeholter, den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechender Gutachten
externer Spezialärzte wurde festgehalten, das Gericht dürfe diesen Gutachten
vollen Beweiswert zuerkennen, solange "nicht konkrete Indizien gegen die
Zuverlässigkeit" der Expertise sprechen. Auf das Ergebnis versicherungsinterner
ärztlicher Abklärungen - zu denen die RAD-Berichte gehören - kann allerdings
nicht abgestellt werden, und es sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen, wenn
auch nur geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen (
BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f. und E. 4.7 S. 471;
Urteil 8C_197/2014 vom 3. Oktober 2014 E. 4).

4.

4.1. Fest steht und unbestritten ist, dass der Versicherte an einer mit
implantiertem Cardioverter Defibrillator (ICD) behandelten koronaren
Herzkrankheit sowie an leichten degenerativen Veränderungen auf Höhe der
Lenden- und Brustwirbelsäule leidet. Zudem ist seine Geh- und Stehfähigkeit
durch zahlreiche arthrotische Veränderungen an den Knie- und Hüftgelenken
erheblich eingeschränkt. Gemäss vorinstanzlicher Sachverhaltsfeststellung haben
überdies eine aktivierte Akromioklavikulararthrose links und rechts sowie eine
Arthrose am rechten Handgelenk dauerhafte Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit. Gemäss RAD-ärztlicher Beurteilung des Dr. med. C.________,
auf welche Verwaltung und Vorinstanz ausschlaggebend abgestellt haben,
beeinträchtigen schliesslich auch die Arthrosen an den Fingergelenken zusammen
mit den übrigen Polyarthrosen die Arbeitsfähigkeit.

4.2. Strittig ist demgegenüber, welche konkreten Einschränkungen diese
Gesundheitsschäden hinsichtlich der Leistungsfähigkeit in Bezug auf die
angestammte bzw. eine leidensangepasste Tätigkeit zur Folge haben.

4.2.1. Gemäss angefochtenem Entscheid scheint auch das kantonale Gericht davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer infolge seiner gesundheitlichen
Beeinträchtigungen in der angestammten, vorwiegend stehend auszuübenden
Tätigkeit als Küchenhilfe seit Februar 2014 dauerhaft zu mindestens 50 %
arbeitsunfähig ist. Die Vorinstanz gelangte nach Würdigung der medizinischen
Aktenlage jedoch zur Auffassung, die versicherungsinterne reine
Aktenbeurteilung des RAD-Arztes Dr. med. C.________ vom 7. April 2015 sei
zuverlässig und schlüssig. Demnach sei der Versicherte in einer angepassten,
wechselbelastenden und hauptsächlich sitzenden Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig.
Die IV-Stelle habe den rechtserheblichen Sachverhalt hinreichend festgestellt.

4.2.2. Der Beschwerdeführer rügt unter anderem eine Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln (Art. 61 lit. c ATSG)
sowie eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung. Er macht
geltend, die Vorinstanz habe in pflichtwidriger Beweiswürdigung und in
Verletzung der Waffengleichheit nach Art. 6 EMRK dem RAD-Bericht zu Unrecht
vollen Beweiswert zuerkannt. Insbesondere habe das kantonale Gericht nicht die
praxisgemäss bereits ausreichenden geringen Zweifel an der Zuverlässigkeit und
Schlüssigkeit der RAD-ärztlichen Aktenbeurteilung genügen lassen, sondern
abweichend von BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229 (mit Hinweisen) den Nachweis von
hinreichend erheblichen Zweifeln gefordert. Der versicherungsinternen
RAD-ärztlichen Aktenbeurteilung komme nicht dieselbe Beweiskraft zu wie der
Expertise des Dr. med. D.________ vom 28. Januar 2015 (vgl. BGE 135 V 465 E.
4.4 S. 469 mit Hinweis). Letzterer habe den Versicherten persönlich eingehend
untersucht, eine Anamnese erhoben, sich mit den Vorakten auseinandergesetzt
sowie differenziert und begründet zur verbleibenden Leistungsfähigkeit in der
angestammten und in einer leidensangepassten Tätigkeit Stellung genommen. Es
handle sich bei der Beurteilung des Dr. med. D.________ nicht um ein
Parteigutachten, sondern um eine im Auftrag des zuständigen
Krankentaggeldversicherers erstellte fachärztliche Expertise. Demgegenüber habe
der RAD-Arzt im Auftrag der Beschwerdegegnerin Stellung genommen. Seine rein
aktenbasierte Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf 80 % unter alleiniger
Berücksichtigung vermehrter Ruhepausen äussere sich nicht hinlänglich
differenziert zum zumutbaren Belastungsprofil angesichts der zahlreichen
arthrotischen Gesundheitsschäden nicht nur an den unteren Extremitäten, sondern
auch an den Schulter-, Hand- und Fingergelenken. Seien an die Beweiswürdigung
unter den gegebenen Umständen praxisgemäss strenge Anforderungen zu stellen (
BGE 135 V 465 E. 4.4 i.f. S. 470 mit Hinweis), habe die Vorinstanz
bundesrechtswidrig einzig auf die versicherungsinterne Aktenbeurteilung des
RAD-Arztes abgestellt, ohne vorgängig eine ergänzende externe
fachärztlich-rheumatologische Begutachtung zu veranlassen.

4.2.3. In der Tat hat das kantonale Gericht den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61
lit. c ATSG) und die bundesrechtlichen Vorgaben an den Beweiswert
versicherungsinterner ärtzlicher Berichte verletzt, indem es unter den
gegebenen Umständen der reinen Aktenbeurteilung des Dr. med. C.________ volle
Beweiskraft zuerkannte und auf ergänzende versicherungsexterne Abklärungen
verzichtete. Die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit des RAD-Arztes unterscheidet
sich nicht nur deutlich von jener des Dr. med. D.________, sondern auch von
jenen der übrigen, aktenkundig involvierten Ärzte. Die soziale Arbeitgeberin
schuf für den Versicherten nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit per 1. März
2015 unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen eine
angepasste Arbeitsstelle. Dennoch ging Dr. med. D.________ angesichts der von
ihm selber erhobenen Befunde auch in Bezug auf eine leidensangepasste,
teilweise sitzend auszuübenden Tätigkeit trotz eines diesfalls zumutbaren
Pensums von mindestens 50 % von einem Rendement von nur 50 % aus. Dies ist
angesichts der Polyarthrosen auch in den oberen Extremitäten und der
Herzerkrankung jedenfalls nicht weniger plausibel als die reine
Akteneinschätzung des Dr. med. C.________.

4.3. Mit Blick auf die gesamte Aktenlage fehlt es demnach an einer praxisgemäss
den Anforderungen genügenden (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; vgl. auch E. 3
hievor), zuverlässigen und schlüssigen fachärztlich-rheumatologischen
Begutachtung mit Einschätzung der Arbeitsfähigkeit in Bezug auf eine
leidensangepasste Tätigkeit unter Berücksichtigung sämtlicher
Gesundheitsschäden des Versicherten. Das kantonale Gericht wird diese
ergänzenden Abklärungen im Sinne von Art. 44 ATSG veranlassen und hernach über
die vorinstanzliche Beschwerde neu entscheiden.

5. 
Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung oder an das kantonale Gericht zu
weiterer Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als
vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende Begehren im
Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271).
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten daher der
unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Sie hat dem Beschwerdeführer
überdies eine Parteientschädigung zu entrichten.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Mai 2016 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Hochuli

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