Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.445/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_445/2016

Urteil vom 7. Februar 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 13. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1983, ist seit 1. August 2003 bei der B.________ AG
angestellt. Im Februar 2009 meldete sie sich zum Leistungsbezug bei der
Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Schwyz teilte am 15. April
2009 mit, es seien keine beruflichen Massnahmen notwendig, und lehnte am 13.
November 2009 den Anspruch auf eine Invalidenrente ab. Anfang 2013 meldete sich
A.________ erneut zum Leistungsbezug an. Die nunmehr zuständige IV-Stelle des
Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) gewährte Frühinterventionsmassnahmen in
Form von Berufsberatung und Jobcoaching, die sie im April 2014 beendete. Weiter
veranlasste die IV-Stelle medizinische Abklärungen und verneinte am 22. Januar
2015 den Anspruch auf eine Invalidenrente. Die Pensionskasse der B.________ AG
richtete A.________ bereits von 1. Januar 2010 bis 31. März 2011 resp. ab 1.
September 2011 eine Rente bei einem Invaliditätsgrad von 25 % und ab 1. Januar
2014 eine solche bei einem Invaliditätsgrad von 50 % aus.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht das Kantons Zürich wies die gegen die Verfügung
vom 22. Januar 2015 erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 13. Mai 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr eine
Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, insbesondere zur Einholung eines Gutachtens einer auf ihre
Erkrankung spezialisierten Stelle.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) beantragt ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art.
97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach
Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage
geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung
einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge
Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt.
Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG
genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr
ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen
darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung
einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind.
Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den
Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt
werden. Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen (BGE 133 IV
286 E. 6.2 S. 288; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).

2. 
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente bzw. die Frage, ob Vorinstanz
und Verwaltung mit dessen Verneinung Bundesrecht verletzt haben.

3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG) und der
Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) sowie den Anspruch auf eine Invalidenrente
(Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG) zutrefffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Aufgabe
der Ärzte bei der Invaliditätsermittlung (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195; 132 V 93
E. 4 S. 99) und die beweisrechtlichen Anforderungen an medizinische Berichte (
BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.

4. 
Die Vorinstanz hat in E. 3 ihres Entscheid die massgebenden ärztlichen Berichte
zutreffend wiedergegeben. Darauf wird ebenfalls verwiesen.

5.

5.1. Die Versicherte wendet sich im Wesentlichen gegen das von der Verwaltung
veranlasste medizinische Gutachten, das im vorliegenden Fall als
Entscheidungsgrundlage diente. Es handelt sich dabei um ein bidisziplinäres
Gutachten, verfasst einerseits von Frau Dr. med. C.________, Fachärztin für
Innere Medizin, speziell Rheumaerkrankungen, vom 28. Mai 2014 sowie anderseits
von Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 2.
Juni 2014, beides ergänzt um die bidisziplinäre Zusammenfassung vom 2. Juni
2014.

5.2. Die Einwände der Versicherten erfolgen zunächst auf der formalen Ebene des
Verfahrens bzw. der personellen Auswahl der Gutachter. In dieser Hinsicht rügt
die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 44 ATSG, da sie als nicht
anwaltlich vertretene Versicherte von der IV-Stelle nicht auf die Möglichkeit
hingewiesen worden sei, dass sie andere Gutachter vorschlagen könne.
Entgegen der Ansicht der Versicherten bedeutet die einvernehmliche
Gutachterbestellung nicht, dass entsprechende Aufträge nur noch mit dem
Einverständnis der versicherten Person vergeben werden dürften; selbst bei
zulässigen begründeten Einwänden muss die IV-Stelle den Gegenvorschlägen der
versicherten Person nicht einfach folgen (BGE 139 V 349 E. 5.2.1 S. 354). Da
die Versicherte keine Einwände gegen die vorgesehenen Gutachter oder andere
zulässigen Einwendungen erhoben hat, kam kein konsensorientiertes Vorgehen zum
Zug (BGE 139 V 349 E. 5.2.2.3 S. 356; vgl. auch SVR 2015 IV Nr. 3 S. 6 E. 4,
9C_718/2013). Die Rechtsprechung verlangt denn auch nicht, die versicherte
Person sei explizit auf die Möglichkeit von Gegenvorschlägen hinzuweisen (BGE
139 V 349 E. 5.2.2.2 S. 355). Somit liegt keine Verletzung von Art. 44 ATSG
vor.

5.3. 
Die Versicherte macht sodann vor Bundesgericht erneut geltend, Frau Dr. med.
C.________ sei befangen, da sie sich in ihrem Gutachten vom 28. Mai 2014
parteiisch äussere und ausschliesslich für die Invalidenversicherung tätig sei.
Nach der Rechtsprechung begründet das Auftrags- und Honorarvolumen für sich
allein keine wirtschaftliche Abhängigkeit von den IV-Stellen, die als
Ausstandsgrund des einzelnen Experten zu qualifizieren wäre (BGE 137 V 210 E.
1.3.3 S. 226). Im Übrigen kann auf die zutreffenden vorinstanzlichen
Ausführungen in deren E. 4.5, die vom BSV in seiner Stellungnahme angeführte
Rechtsprechung (SVR 2016 IV Nr. 8 S. 23 E. 6.3 [8C_599/2014] sowie Urteile
8C_624/2015 vom 25. Januar 2016 E. 3.2.1, 8C_740/2015 vom 11. Februar 2016 E.
4.2 und 9C_793/2015 vom 19. August 2016 E. 4.2) sowie das kürzlich ergangene,
sich einlässlich mit den erhobenen Rügen auseinandersetzende Urteil 8C_354/2016
vom 25. Oktober 2016 E. 5 verwiesen werden. Das Bundesgericht hat dem nichts
beizufügen.

6.

6.1. Vorinstanz und Verwaltung haben sich bei der Prüfung des Anspruchs auf
eine Invalidenrente vollumfänglich auf die Gutachten der Frau Dr. med.
C.________ vom 28. Mai 2014 und des Dr. med. D.________ vom 2. Juni 2014 resp.
auf deren bidisziplinäre Zusammenfassung vom 2. Juni 2014 gestützt. Die
Versicherte bringt verschiedene Einwände vor, weshalb nicht auf die Beurteilung
durch Frau Dr. med. C.________ abgestellt werden könne.

6.2. Streitig sind namentlich die Diagnose eines Ehlers-Danlos-Syndroms III und
dessen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit.

6.2.1. Gestützt auf die Beurteilung von Frau Dr. med. E.________, Oberärztin
Stoffwechsel, Spital F.________, und entgegen der Ansicht von Frau Dr. med.
C.________ ist davon auszugehen, dass ein Beighton Score von 5/9 vorliegt. Es
kann diesbezüglich auf die vorinstanzlichen Feststellungen in ihrer E. 4.2
verwiesen werden.

6.2.2. Frau Dr. med. C.________ erwähnt, Dr. med. G.________, Facharzt für
Innere Medizin, habe im Rahmen seiner Begutachtung im Auftrag der Pensionskasse
am 5. November 2013 eine Skoliose - ein weiteres Indiz für das
Ehlers-Danlos-Syndrom III (vgl. etwa Harrisons Innere Medizin, 16. Aufl. 2005,
S. 2505) - konstatiert. Sie hält hingegen fest, eine ausgeprägte Skoliose mit
Beckenschiefstand sei nicht vorhanden. Wie sich aus dem Bericht des PD Dr. med.
H.________, Facharzt für Radiologie, Medizinisch Radiologisches Institut,
ergibt, konnte die Diagnose von Dr. med. G.________ bestätigt werden. Die
Vorinstanz trägt dieser Sachlage im Rahmen ihrer Beweiswürdigung jedoch nicht
Rechnung.

6.2.3. Weiter erachten sämtliche behandelnden Ärzte (vgl. dazu die
Stellungnahme vom 25. Juni 2014 des Dr. med. I.________, Facharzt für
Chirurgie, und Leitender Arzt, Schmerz- und Komplementärmedizin, Spital
K.________, sowie den Bericht der Frau Dr. med. E.________ vom 3. Januar 2014)
wie auch der im Auftrag der leistungserbringenden Pensionskasse begutachtende
Dr. med. G.________ die geltend gemachten Schmerzen als glaubhaft. Diese
Einschätzung stimmt mit der Schlussfolgerung des psychiatrischen Gutachters Dr.
med. D.________ überein, der eine primäre psychogene Ätiologie für die
geklagten Schmerzen und damit auch eine somatoforme Schmerzstörung
ausschliesst. Zudem verneint Dr. med. D.________ jegliche Hinweise auf
Verdeutlichungstendenz, Aggravation oder Begehrlichkeit. Frau Dr. med.
C.________ setzt sich hingegen mit den geltend gemachten Schmerzen und der
abweichenden Beurteilung zu deren Einfluss auf die zumutbare Arbeitsfähigkeit
durch die übrigen Ärzte nicht einlässlich auseinander. Sie greift diesen
massgebenden Aspekt zwar kurz auf, geht aber in ihrer Beurteilung der
Leistungsfähigkeit nicht eigentlich darauf ein, was mit den erwähnten Aussagen
des psychiatrischen Mitgutachters zu den Schmerzen nicht in Einklang gebracht
werden kann. Eine eingehendere Befassung mit der Schmerzproblematik wäre nicht
nur mit Blick auf die von den übrigen Ärzten als glaubhaft qualifizierten
subjektiven Angaben der Versicherten, sondern auch auf Grund des von Frau Dr.
med. C.________ selbst erhobenen Schmerzmittelkonsums geboten gewesen.

6.3. Nach dem Gesagten liegen mehrere Differenzen in der Beurteilung der
medizinischen Situation zwischen Frau Dr. med. C.________ und den übrigen
behandelnden (Frau Dr. med. E.________, Dr. med. I.________) oder
ausschliesslich begutachtenden (Dr. med. G.________; Dr. med. D.________)
Ärzten vor, welche die Erstere nicht überzeugend zu erklären vermag. Infolge
dieser Unvereinbarkeiten kann der Einschätzung der Frau Dr. med. C.________
gemäss Gutachten vom 28. Mai 2014 nicht gefolgt werden.

6.4. Da die bidisziplinäre Begutachtung durch Frau Dr. med. C.________ und Dr.
med. D.________ nicht als Grundlage zur Bestimmung des Invaliditätsgrades
dienen kann, ist die Sache unter Aufhebung des kantonalen Entscheids zur
Einholung eines Gerichtsgutachtens und anschliessendem neuen Entscheid an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende IV-Stelle hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Versicherte hat Anspruch auf
eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Vorinstanz wird
entsprechend dem Ausgang dieses Prozesses über die Kostenregelung im kantonalen
Verfahren mit ihrem erneuten Entscheid neu zu befinden haben (Art. 68 Abs. 5
BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. Mai 2016 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Februar 2017

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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