Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.443/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_443/2016

Urteil vom 11. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Bohren,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Taggeld; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 3. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1965 geborene A.________ war als Bauarbeiter der B.________ AG bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert, als er am 21. Oktober 2012 von einem Gerüst stürzte. Die SUVA
anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und
erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Mit Schreiben vom 12. August 2014
stellte die SUVA ihre Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen per 31. August
2014 ein. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2014 sprach sie dem Versicherten eine
Entschädigung für eine Integritätseinbusse von 25,5 % zu, verneinte aber
gleichzeitig einen Rentenanspruch, da die unfallbedingte Erwerbseinbusse nicht
mindestens 10 % betrage. Die dagegen erhobenen Einsprachen wies die SUVA mit
Entscheid vom 11. März 2015 ab.

B. 
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 3. Mai 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde beantragt A.________, ihm sei unter Aufhebung des Einsprache-
und des kantonalen Gerichtsentscheides für die Zeit vom 1. September bis 31.
Dezember 2014 ein Taggeld auszurichten. Zudem sei - bezüglich des Anspruchs auf
eine Invalidenrente - die Sache zur Einholung eines Sachverständigengutachtens
an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Gleichzeitig stellt er ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht zieht die vorinstanzlichen Akten bei, verzichtet aber auf
einen Schriftenwechsel.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Streitig ist zunächst der Taggeldanspruch in der Zeit vom 1. September bis zum
31. Dezember 2014.

2.1. Ist der Versicherte infolge des Unfalles voll oder teilweise
arbeitsunfähig, so hat er gemäss Art. 16 Abs. 1 UVG Anspruch auf ein Taggeld.
Arbeitsunfähigkeit ist nach Art. 6 ATSG die durch eine Beeinträchtigung der
körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder
teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare
Arbeit zu leisten. Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem
anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt.
Will sich der Versicherungsträger auf Art. 6 Satz 2 ATSG berufen, so hat er die
versicherte Person rechtsprechungsgemäss zuvor zu einem Berufswechsel
aufzufordern und ihm eine angemessene Übergangsfrist einzuräumen (vgl. Urteil
8C_173/2008 vom 20. August 2008 E. 2.3).

2.2. Praxisgemäss folgt aus Art. 19 Abs. 1 UVG, dass dann, wenn von der
Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des
Gesundheitszustandes der versicherten Person mehr zu erwarten ist,
Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen einzustellen sind und der Anspruch auf
Invalidenrente und Integritätsentschädigung zu prüfen ist (vgl. BGE 134 V 109
E. 4.1 S. 114).

2.3. Der Beschwerdeführer rügt, ihm sei seine bisherige Tätigkeit nicht mehr
zumutbar; die SUVA habe aber die Taggelder eingestellt, ohne ihm eine
angemessene Übergangsfrist einzuräumen. Mit dieser Argumentation übersieht er
jedoch, dass ihm nicht etwa die Taggelder gestützt auf Art. 6 Satz 2 ATSG
gekürzt wurden, sondern dass der Anspruch auf ein Taggeld gestützt auf Art. 19
Abs. 1 UVG untergegangen ist. Da - was vom Versicherten nicht bestritten wird -
von einer Fortsetzung der ärztlichen Behandlung über den 31. August 2014 hinaus
keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr zu erwarten war, durfte
die Beschwerdegegnerin somit die Taggeldleistungen einstellen, ohne ihn
zunächst zu einem Berufswechsel aufzufordern und eine Übergangsfrist zu
gewähren.

3. 
Streitig ist im Weiteren, ob dem Versicherten ab 1. September 2014 eine
Invalidenrente der Unfallversicherung zusteht und ob es in diesem Zusammenhang
weitere Abklärungen braucht.

4.

4.1. Ist eine versicherte Person infolge des Unfalles mindestens zu 10 %
invalid, so hat sie gemäss Art. 18 Abs. 1 UVG Anspruch auf eine Invalidenrente.
Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades wird gemäss Art. 16 ATSG das
Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der unfallbedingten
Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch
eine zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte
(sog. Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie
erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (sog. Valideneinkommen).

4.2. Für die Festsetzung des Invalideneinkommens ist nach der Rechtsprechung
primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die
versicherte Person konkret steht. Übt sie nach Eintritt der Invalidität eine
Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile
Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass sie die ihr
verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und
erscheint zudem das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht
als Soziallohn, gilt grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verdienst als
Invalidenlohn. Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben,
namentlich weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens
keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit
aufgenommen hat, so können nach der Rechtsprechung entweder Tabellenlöhne
gemäss den vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen
Lohnstrukturerhebungen (LSE) oder die Lohnangaben aus der Dokumentation von
Arbeitsplätzen der SUVA (sog. DAP-Zahlen) herangezogen werden (BGE 129 V 472 E.
4.2.1 S. 475 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 139 V 592).

5. 

5.1. Der Versicherte rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da
sich entgegen den Angaben der SUVA die fünf für seinen Einzelfall ausgewählten
DAP-Profile nicht bei den ihm im Einspracheverfahren vorgelegten Akten befunden
hätten. In seiner Einspracheergänzung vom 4. März 2015 setzte er sich jedoch
ausführlich mit der (grundsätzlichen) Zulässigkeit einer Bemessung des
Invalideneinkommens nach der DAP-Methode auseinander. Demnach war er sich
damals schon bewusst, dass die SUVA das Invalideneinkommen gestützt auf die DAP
zu bemessen gedenkt. Somit hätte er, so die entsprechenden Profile in den Akten
tatsächlich gefehlt haben sollten, hinreichend Gelegenheit gehabt, diese von
der Beschwerdegegnerin nachzufordern. Anzufügen bleibt, dass er auch im
weiteren Verfahren zu keinem Zeitpunkt Einwände gegen die konkrete Auswahl der
Profile erhoben hat. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs seitens der
Beschwerdegegnerin ist somit zu verneinen.
Richtig ist andererseits, dass sich die Vorinstanz mit keinem Wort zu den
entsprechenden Einwänden geäussert und dadurch ihrerseits eine Gehörsverletzung
begangen hat. Dieser Mangel lässt sich im Rahmen des vorliegenden Verfahrens
mit den soeben erfolgten Erwägungen heilen und führt jedenfalls nicht dazu,
dass anstelle der DAP-Zahlen die Tabellenlöhne gemäss LSE anwendbar wären.

5.2. Soweit der Versicherte die Zulässigkeit einer Bemessung des
Invalideneinkommens gestützt auf die DAP bestreitet, ist auf die gefestigte
Rechtsprechung des Bundesgerichts hinzuweisen, wonach die Verwendung der DAP
auch mit Blick auf die EMRK zulässig ist (BGE 139 V 592). Der Beschwerdeführer
bringt keine neuen Gesichtspunkte vor, welche eine erneute oder vertiefende
Überprüfung dieser Praxis rechtfertigen würden.

5.3. Entgegen den Ausführungen des Versicherten ist die SUVA nicht frei, in
welchen Fällen sie das Invalideneinkommen nach der DAP-Methode, und in welchen
sie es gestützt auf die Tabellenlöhne der LSE bemisst. Vielmehr hat die SUVA
die DAP-Methode stets dann zur Anwendung zu bringen, wenn sie im Einzelfall die
bundesgerichtlichen Vorgaben einhalten kann (vgl. BGE 139 V 592 E. 6.2 S. 595).
Dass diese (vgl. BGE 129 V 472 E. 4 S. 480 f.) hier eingehalten sind, wurde vom
Beschwerdeführer in keinem Zeitpunkt substanziiert bestritten. Somit erübrigen
sich auch weitere Abklärungen zu seiner Leistungsfähigkeit.

5.4. Ist somit für die Invaliditätsbemessung von dem gestützt auf die
DAP-Methode bemessenen Invalideneinkommen von Fr. 56'638.- auszugehen, so
ergibt sich bei einem unbestritten gebliebenen Valideneinkommen von Fr.
59'358.- kein rentenbegründender Invaliditätsgrad. Die Beschwerde ist somit
auch im Rentenpunkt abzuweisen.

6. 
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist,
die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später
dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Daniel Bohren wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. August 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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