Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.435/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_435/2016   {T 0/2}     

Urteil vom 21. Oktober 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Hugo Feuz, Luisenstrasse 46, 3005 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 19. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die 1964 geborene A.________ bezog gestützt auf die Verfügung der IV-Stelle
Bern vom 20. Januar 1994 ab 1. März 1993 bei einem Invaliditätsgrad von 100 %
eine ganze Invalidenrente der Invalidenversicherung. Im Rahmen eines
Revisionsverfahrens holte die IV-Stelle nebst anderen Abklärungen ein
polydisziplinäres Gutachten der MEDAS Zentralschweiz vom 19. November 2013 (mit
Ergänzung vom 13. Dezember 2013) ein. Hierauf absolvierte die Versicherte ein
Belastungs- und ein Aufbautraining. Mit Verfügung vom    4. Dezember 2014
eröffnete ihr die IV-Stelle, die Eingliederungsbemühungen würden abgeschlossen
und ein Anspruch auf berufliche Massnahmen werde verneint. Mit Verfügung vom
23. Dezember 2014 hob die IV-Stelle sodann die Invalidenrente revisionsweise
auf das Ende des der Verfügungszustellung folgenden Monats auf, da keine
Invalidität mehr vorliege.

B. 
Beschwerdeweise beantragte A.________, in Aufhebung der Verfügung vom 23.
Dezember 2014 sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei
diese Verfügung aufzuheben und die Sache für weitere medizinische Abklärungen
an die Verwaltung zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies
die Beschwerde mit Entscheid vom 19. Mai 2016 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache zur
Ergänzung des Sachverhalts und zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wird nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte,
indem es die von der Verwaltung verfügte revisionsweise Aufhebung der
Invalidenrente bestätigte.
Im angefochtenen Entscheid sind die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch
auf eine Invalidenrente und zu deren revisionsweiser Erhöhung, Herabsetzung
oder Aufhebung bei erheblicher Änderung des Invaliditätsgrades zutreffend
dargelegt. Gleiches gilt für die zu beachtenden Beweisregeln.

3. 
Gemäss dem vorinstanzlichen Entscheid beurteilt sich die Frage, ob eine
revisionsbegründende Änderung des Invaliditätsgrades eingetreten ist, durch
Vergleich der Sachverhalte im Zeitpunkt der Rentenverfügung vom 20. Januar 1994
einerseits und der Revisionsverfügung vom 23. Dezember 2014 anderseits. Das ist
nicht umstritten.

4. 
Das kantonale Gericht hat erkannt, die Rentenverfügung vom          20. Januar
1994 habe in medizinischer Hinsicht auf der Diagnose einer
konversionsneurotischen Störung mit Depression und chronischem Schulter-, Arm-
und Rückenschmerz sowie Verspannungen beruht.
Die Versicherte macht geltend, es hätten lediglich somatische Beschwerden
vorgelegen. Ihre Vorbringen vermögen die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung aber nicht als offensichtlich unrichtig oder in
anderer Weise bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Der Vororientierung der
Verwaltung an die Versicherte vom 5. November 1993 ist zu entnehmen, dass ein
gemischter Krankheitsbefund mit den Diagnosen "Konversionsneurotische Störung
mit Depression, chronischem Schmerz usw." als rentenbegründend erachtet wurde.
Mehrere bei der Rentenzusprechung vorgelegene Arztberichte diagnostizierten
denn auch psychische Leiden, denen ein - teilweise sogar entscheidender -
Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit zugeschrieben wurde und die Anlass für
psychotherapeutische Behandlung boten (Berichte des Spitals B.________ vom 18.
Oktober 1993 und 11. Mai 1992, mit psychiatrischem Konsilium vom 29. April
1992, sowie des Hausarztes vom 23. Mai 1993). Entgegen der in der Beschwerde
vertretenen Auffassung liegt somit nicht etwa nur eine rückblickende neue
Einschätzung der MEDAS-Gutachter vor. Die Krankengeschichte und die von der
Versicherten erwähnten ärztlichen Berichte rechtfertigen ebenfalls keine andere
Betrachtungsweise.

5. 
Die Vorinstanz hat weiter erwogen, im Zeitpunkt der Revisionsverfügung vom 23.
Dezember 2014 seien die weichteilrheumatischen Beschwerden gleich geblieben,
womit in somatischer Hinsicht von einem unveränderten Zustand auszugehen sei.
Hingegen sei eine Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes
eingetreten; damit liege eine revisionsrechtlich relevante Veränderung vor.
Diese Beurteilung ist nicht bundesrechtswidrig. Das kantonale Gericht hat
gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 19. November 2013 (mit Ergänzung vom 13.
Dezember 2013) in nicht offensichtlich unrichtiger Beweiswürdigung
festgestellt, dass keine psychischen Leiden mehr vorliegen, welche die
Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Es hat dabei auch zutreffend erkannt, dass
die in einem Arztbericht gestellte Diagnose einer mittelgradigen depressiven
Episode zu keinem anderen Ergebnis führt und von einer - gutachterlich
attestierten - uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit in einer angepassten
Tätigkeit auszugehen ist. Damit liegt entgegen der in der Beschwerde
vertretenen Auffassung eine anspruchsrelevante Änderung des Sachverhalts vor
und ist, im Sinne der weiteren vorinstanzlichen Erwägungen, der
Invaliditätsgrad neu und ohne Bindung an frühere Invaliditätsschätzungen zu
ermitteln (vgl. BGE 141 V 9).

6. 
Gestützt auf die nunmehr attestierte Arbeitsfähigkeit hat die Vorinstanz einen
Einkommensvergleich vorgenommen. Dieser hat einen Invaliditätsgrad von
höchstens 25 % ergeben. Damit wird der für einen Rentenanspruch erforderliche
Invaliditätsgrad von 40 % (Art. 28 Abs. 2 IVG) nicht mehr erreicht.
Die Beschwerdeführerin stellt dies nicht in Frage. Sie macht aber geltend, da
sie seit mehr als 15 Jahren eine Invalidenrente bezogen habe, sei deren
Aufhebung im Sinne der Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 5 E. 4.1 S. 7 (mit
Hinweis auf SVR 2011 IV Nr. 73 S. 220, 9C_228/2010) ohne Abklärung der
Notwendigkeit beruflicher Massnahmen nicht zulässig.

6.1. Das kantonale Gericht hat hiezu erwogen, zwar liege ein mehr als
15-jähriger Rentenbezug vor. Die Verwaltung habe aber, obschon die
MEDAS-Gutachter medizinische und berufliche Eingliederungsmassnahmen für nicht
erforderlich gehalten hätten, umfassende berufliche Massnahmen durchgeführt. So
sei während jeweils mehrerer Wochen ein Belastungs- und ein Aufbautraining
durchgeführt worden. Die berufliche Eingliederung sei wegen nicht erreichter
Zielvorgaben resp. aufgrund von der Beschwerdeführerin angegebener Schmerzen
eingestellt worden. Letztere seien nicht medizinisch objektivierbar, sondern
mit der sozio-kulturellen Belastung zu begründen, und vermöchten daher nicht,
weitere Eingliederungsmassnahmen und damit einhergehend die Weiterausrichtung
der Rente zu begründen. Die IV-Stelle habe die Rente daher ohne Gewährung
zusätzlicher beruflicher Massnahmen aufheben dürfen.

6.2. Die vorinstanzliche Beurteilung beruht auf einer nicht zu beanstandenden
Würdigung der Sach- und Rechtslage. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen
Auffassung wurden namentlich auch die Schmerzangaben richtig eingeordnet. Die
Versicherte verhält sich zudem gleich mehrfach widersprüchlich. Sie macht wie
dargelegt geltend, die Weiterführung der Eingliederungsmassnahmen sei ihr aus
gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Sodann hat sie, obwohl bereits
damals anwaltlich vertreten, auf Einwände gegen den - auf Abschluss der
Eingliederungsmassnahmen lautenden - Vorbescheid vom 17. Oktober 2014
verzichtet und die hierauf ergangene, den Vorbescheid bestätigende Verfügung
vom 4. Dezember 2014 nicht angefochten. Beides lässt sich kaum vereinbaren mit
ihrem Vorbringen, es hätten weitere berufliche Massnahmen durchgeführt werden
müssen. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, weshalb die verbindlich
festgestellte volle Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit nicht auf
dem Weg der Selbsteingliederung verwertbar sein soll (vgl. Urteil 8C_724/2015
vom 29. Februar 2016 E. 5.5 mit Hinweisen). Weiterer Abklärungen, wie
beantragt, bedarf es nicht. Die Beschwerde ist somit auch diesbezüglich
unbegründet, was zu ihrer Abweisung führt.

7. 
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist,
die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später
dazu im Stande ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Hugo Feuz wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Oktober 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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