Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.415/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_415/2016

Urteil vom 30. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christos Antoniadis,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Neuanmeldung; Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 2. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1955 geborene A.________ meldete sich am 13. Mai 2009 wegen eines
Augenleidens sowie Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte den Sachverhalt in
medizinischer und beruflicher Hinsicht ab. Mit Verfügung vom 29. November 2012
sprach sie dem Versicherten eine befristete Dreiviertelsrente für den Monat
November 2009 zu.

Auf das Neuanmeldegesuch vom 5. Februar 2013 trat die Verwaltung nicht ein
(Verfügung vom 5. September 2013).

Am 22. August 2014 meldete sich der Versicherte - unter Auflage eines Auszugs
der Krankengeschichte des Dr. med. B.________, Praxis C.________ für die Zeit
von Februar bis August 2014 - erneut zum Leistungsbezug an. Mit Vorbescheid vom
17. November 2014 stellte die IV-Stelle in Aussicht, sie beabsichtige, auf das
Leistungsbegehren nicht einzutreten. Im Laufe des weiteren Verfahrens liess der
Versicherte den Bericht des Dr. med. B.________ vom 18. Februar 2015
einreichen. Gestützt auf die Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes
(RAD) vom 12. März 2015 verfügte die Verwaltung im Sinne des Vorbescheids
(Verfügung vom 23. März 2015).

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 2. Mai 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, auf das
Leistungsbegehren einzutreten. Ferner wird um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG)
und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente
noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f.,
134 V 250 E. 1.2 S. 252, je mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315, 65 E. 1.3 S. 67 f.,
je mit Hinweisen).

2. 
Die Neuanmeldung wird - wie auch das Gesuch um Leistungsrevision - nur
materiell geprüft, wenn die versicherte Person glaubhaft macht, dass sich die
tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten, rechtskräftigen Entscheidung in
einem für den Rentenanspruch erheblichen Mass verändert haben (Art. 87 Abs. 3
in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 130 V 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen). Gelingt
ihr dies nicht, so wird auf das Gesuch nicht eingetreten. Ist die
anspruchserhebliche Änderung glaubhaft gemacht, ist die Verwaltung
verpflichtet, auf das neue Leistungsbegehren einzutreten und es in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen (vgl. BGE 117 V 198
E. 4b S. 200). Mit dem Beweismass des Glaubhaftmachens sind herabgesetzte
Anforderungen an den Beweis verbunden; die Tatsachenänderung muss also nicht
nach dem im Sozialversicherungsrecht sonst üblichen Grad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360) erstellt sein. Es genügt, dass
für das Vorhandensein des geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstandes
wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der
Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete
Änderung nicht erstellen lassen. Erheblich ist eine Sachverhaltsänderung, wenn
angenommen werden kann, der Anspruch auf eine Invalidenrente (oder deren
Erhöhung) sei begründet, falls sich die geltend gemachten Umstände als richtig
erweisen sollten (SVR 2003 IV Nr. 25 S. 76, I 238/02 E. 2.2 und 2.3, 2002 IV
Nr. 10 S. 25, I 724/99 E. 1c/aa).

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat zunächst festgestellt, von lumbalen Beschwerden
mit Ausstrahlung in das linke Bein sei bereits im April 2009 die Rede gewesen.
Aus dem Auszug der Krankengeschichte des Dr. med. B.________ ergebe sich eine
Verschlimmerung der Rückenproblematik; neu sei die Symptomatik im rechten Bein.
Zudem diagnostiziere Dr. med. B.________ neu ein schweres obstruktives
Schlafapnoesyndrom. Laut Auskünften des RAD-Arztes könne aufgrund klinischer
Erfahrung keine Arbeitsunfähigkeit in einer optimal angepassten
Erwerbstätigkeit ausgewiesen werden; zu beachten sei das Belastungsprofil:
körperlich sehr leichte und in Wechselbelastung ausübbare Tätigkeiten, ohne
Heben von Lasten, einfach, ruhig und geordnet, ohne vorwiegenden Kundenkontakt.

3.2. Weiter hat die Vorinstanz erwogen, auffallend sei die Summe
verschiedenartiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen (seit Jahren bestehende
Rückenbeschwerden; eingeschränkte Sehfähigkeit; depressive Episoden;
Vorhofflimmern des Herzens; schweres obstruktives Schlafapnoesyndrom).
Anlässlich der ersten Anmeldung zum Leistungsbezug seien die psychischen
Beschwerden im Vordergrund gestanden, die aktuell nicht mehr vorlägen. Indessen
bestünden Hinweise, dass sich die Rückenprobleme verschlimmert hätten. Das
Schlafapnoesyndrom sei zudem bei der ersten Prüfung des Rentenanspruchs nicht
bekannt gewesen. Insofern hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem
29. November 2012 (letzte Verfügung, die auf einer materiellen Prüfung des
Rentenanspruchs beruhte) verändert.

3.3. Abschliessend hat das kantonale Gericht erkannt, eine anspruchserhebliche
Verschlechterung des Gesundheitzustands sei nicht glaubhaft gemacht worden. Aus
somatischer Sicht ergäben sich wohl zusätzliche Anforderungen an eine
angepasste Erwerbstätigkeit. Von einer wesentlichen Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit könne indessen auch mit Blick auf die neuen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen nicht ausgegangen werden. Hinsichtlich des
Schlafapnoesyndroms sei im Übrigen die Atemunterstützung laut Angaben des Dr.
med. B.________ noch nicht optimal eingestellt gewesen, weshalb diesbezüglich
nicht von einem stabilen Gesundheitszustand gesprochen werden könne.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer bringt zu Recht vor, dass die vorinstanzlichen
Erwägungen in sich widersprüchlich sind und im Ergebnis einer vorweggenommenen
materiellen Prüfung des rechtserheblichen Sachverhalts gleichkommen (vgl. BGE
109 V 114 E. 2b S. 115). Gemäss Abschlussbericht des Gutachten-Zentrums
D.________ vom 1. April 2009 lag unter anderem ein lumbospondylogenes
Schmerzsyndrom - entgegen den Erwägungen der Vorinstanz - ohne radikuläre
Symptomatik vor; der Versicherte war aus somatischer Sicht für körperlich
leichte Arbeiten in wechselnden Positionen ohne schweres Heben von Lasten und
ohne repetitives Beugen oder Rotieren des Rückens zu 50 % arbeitsfähig. Laut
Stellungnahme des RAD-Arztes vom 12. März 2015 zum Bericht des Dr. med.
B.________ vom 18. Februar 2015 war neu ein lumboradikuläres Schmerzsyndrom
(beidseits) festzustellen; eine vollständige Arbeitsfähigkeit konnte nur unter
strikter Beachtung des Belastungsprofils (körperlich sehr leichte
wechselbelastende Tätigkeit, ohne Lastenheben, einfach, ruhig und geordnet,
ohne vorwiegenden Kundenkontakt) angenommen werden. Der Vergleich dieser
ärztlichen Angaben, welche konkreten Arbeiten dem Versicherten noch zumutbar
waren, zeigt, dass er glaubhaft machte, selbst bei gleich gebliebenem
Gesundheitszustand hätten sich die erwerblichen Auswirkungen des
Gesundheitszustands revisionsrechtlich erheblich verändert (vgl. dazu BGE 134 V
131 E. 3 S. 132; 133 V 545 E. 6.1 S. 546; 130 V 343 E. 3.5 S. 349 f. mit
Hinweisen). So vermochte er nur noch sehr leichte Tätigkeiten auszuüben und das
Heben und Tragen selbst leichter Lasten war ihm nicht mehr zumutbar. Im Übrigen
weist der Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, dass der RAD-Arzt bei der
Einschätzung des zeitlichen Umfangs einer möglichen Arbeitsgelegenheit auf
klinische Erfahrung abstellte, ohne medizinische Literatur zu vergleichbaren
Fällen zu zitieren; seine Annahme einer vollständigen Arbeitsfähigkeit ist
daher nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.

4.2. Nach dem Gesagten hat die IV-Stelle entgegen der Auffassung des kantonalen
Gerichts auf das neue Leistungsgesuch des Versicherten vom 22. August 2014
einzutreten, und sie hat die geltend gemachten Ansprüche in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen.

5. 
Die IV-Stelle hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen (Art.
66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist somit
gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 2. Mai 2016 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons
Zürich vom 23. März 2015 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle
zurückgewiesen, damit sie über die Ansprüche des Beschwerdeführers neu verfüge.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. August 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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