Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.413/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_413/2016

Urteil vom 2. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 4. Mai 2016.

Sachverhalt:

A..
Die IV-Stelle Luzern sprach A.________ (geb. 1975) mit Verfügung vom 27.
Februar 2008 rückwirkend ab 1. Dezember 2007 bei einem Invaliditätsgrad von 100
Prozent eine ganze Invalidenrente zu. Dieser Anspruch wurde mit Mitteilung vom
13. März 2009 bestätigt. Im Rahmen einer materiellen Überprüfung des
Rentenanspruchs liess die IV-Stelle den Versicherten durch die Ärztliches
Begutachtungsinstitut GmbH (ABI), Basel, polydisziplinär begutachten (Expertise
vom 7. Juli 2014). Unter Hinweis auf die am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen
Schlussbestimmungen zur 6. IV-Revision hob sie die bisher ausgerichtete ganze
Invalidenrente mit Verfügung vom 24. November 2014 auf Ende des folgenden
Monats auf.

B. 
Das Kantonsgericht Luzern hiess die von A.________ dagegen eingereichte
Beschwerde mit Entscheid vom 4. Mai 2016 gut, hob die
Renteneinstellungsverfügung vom 24. November 2014 auf und verpflichtete die
IV-Stelle zur Weiterausrichtung der ganzen Invalidenrente.

C. 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, und die
verfügte Renteneinstellung sei zu bestätigen. Der Beschwerde sei aufschiebende
Wirkung zuzuerkennen.

A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Im Falle eines
Rückweisungsentscheids sei die IV-Stelle anzuweisen, bis zum Abschluss des
Revisionsverfahrens weiterhin eine ganze Invalidenrente auszurichten. Der
Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu entziehen. Überdies wird um
unentgeltliche Rechtspflege ersucht. Kantonales Gericht und Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.3. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit bzw. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es
sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches
gilt für die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E.
4.1, nicht publ. in: BGE 135 V 254, aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164).
Dagegen sind die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E.
3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil 8C_859/2015 vom 7. Juni 2016 E. 2.2 mit Hinweis).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht die Zulässigkeit
einer Neubeurteilung des Rentenanspruchs gestützt auf lit. a Abs. 1 der
Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes
Massnahmenpaket; nachfolgend SchlBest. IVG; AS 2011 5659) verneint hat.

Gemäss lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG werden Renten, die bei
pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren
nach Inkrafttreten dieser Änderung (am 1. Januar 2012) überprüft; sind die
Voraussetzungen nach Art. 7 ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt
oder aufgehoben, auch wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht
erfüllt sind. Diese Bestimmung ist verfassungs- und EMRK-konform (BGE 139 V 547
). Nach der Rechtsprechung ist die in lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG vorgesehene
Rentenherabsetzung oder -aufhebung nicht auf vor dem 1. Januar 2008
zugesprochene Renten beschränkt. Wurde indessen eine zu überprüfende
Invalidenrente bereits in Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung zu den
pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage gesprochen, bleibt kein Raum für ein
Rückkommen unter dem Titel der dargelegten Schlussbestimmung (BGE 140 V 8).

3.

3.1. Laut Austrittsbericht des Spital B.________ vom 9. /16. Juni 2006 wurde
der Beschwerdegegner am 8. Juni 2006 mit Verdacht auf Commotio cerebri
notfallmässig eingewiesen, nachdem ihm während der Arbeit als Metzger ein
Fleischhaken auf den Kopf gefallen war. Die Überwachung ergab durchgehend einen
Wert auf der Glasgow Coma Scale (GCS) von 15, was höchstens einer leichten
Commotio cerebri mit leichter Bewusstseinsstörung entspricht (vgl. Urteil
8C_236/2016 vom 11. August 2016 E. 5.2.2.). Die Röntgenaufnahme zeigten keine
Frakturen. Vom 18. August bis 6. September 2006 wurde der Versicherte im
Psychiatriezentrum am Spital C.________ stationär behandelt. Obwohl die
Kausalität nicht durch die erhobenen neurologischen, HNO-ärztlichen und
bildgebenden Untersuchungen bestätigt werden konnte, diagnostizierten die Ärzte
gemäss Austrittsbericht vom 18. September 2006 ein organisches Psychosyndrom
nach Schädel-Hirntrauma (ICD-10:F07.2). Dr. med. D.________,
Vertrauenspsychiater des Krankentaggeldversicherers E.________, ging gestützt
auf das in diesem Bericht geschilderte Krankheitsbild von einer somatoformen
Schmerzverarbeitungsstörung aus (Bericht vom 7. Dezember 2006). Zunächst nahm
laut Protokolleintrag der IV vom 4. Januar 2007 auch Frau Dr. med. F.________,
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom Regionalen Ärztlichen Dienst
(RAD), an, es liege eine beginnende somatoforme Schmerzstörung vor. Die
begleitende leichte depressive Symptomatik sei momentan in diesem Rahmen zu
sehen. Die Ärzte des Psychiatriezentrums am Spital C.________ hielten im
Bericht vom 11. Januar 2007 an der Diagnose eines organischen Psychosyndroms
nach Schädel-Hirntrauma fest und diagnostizierten zusätzlich eine
Anpassungsstörung (ICD-10:F43.2). Dr. med. G.________, FMH Allgemeine Medizin,
führte im Arztbericht vom 24. Oktober 2007 nebst dem Verdacht auf ein
organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirntrauma eine mittelgradige Depression
an. Der den Versicherten seit Oktober 2006 behandelnde Dr. med. H.________,
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, hielt im Arztbericht vom 24.
Oktober 2007 unter den Diagnosen ebenfalls ein organisches Psychosyndrom nach
Schädel-Hirntrauma und eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen
Symptomen (ICD-10:F32.11) fest. Gestützt auf die Beurteilungen der behandelnden
Ärzte, die Einschätzung des Psychologen der Interessengemeinschaft (IG)
I.________ und die eigenen Eindrücke vom Versicherten ging laut
Protokolleintrag der IV vom 7. November 2007 nunmehr auch Frau Dr. med.
F.________ (RAD) von einer mittelgradigen sich chronifizierenden Depression mit
somatischem Syndrom und einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirntauma
aus. Für sämtliche Erwerbstätigkeiten bestehe eine volle Arbeitsunfähigkeit.

3.2. Das kantonale Gericht hat erkannt, die ursprüngliche Rentenzusprache
gemäss Verfügung der IV-Stelle vom 27. Februar 2008 habe sich auf die von der
RAD-Ärztin im Protokolleintrag vom 7. November 2007 festgehaltenen Diagnosen
bezogen. Es erwog, die mittelgradige sich chronifizierende Depression mit
somatischem Syndrom (ICD-10:F32.11) sei als selbständiges Leiden zu
qualifizieren. In den medizinischen Unterlagen fänden sich zwar Anhaltspunkte
für eine Somatisierungsproblematik. Diese Einschätzung sei in der Folge jedoch
von den behandelnden Ärzten und der RAD-Ärztin nicht mehr aufgegriffen worden.
Ärztliche Angaben, wonach sich die Depression aus einer
Schmerzverarbeitungsstörung heraus entwickelt hätte, lägen nicht vor. Der
Versicherte habe wohl über Kopf- und Nackenbeschwerden berichtet. Im
Vordergrund hätten indessen die einer depressiven Episode inhärenten Kriterien
der raschen Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen,
Aggressivität, Nervosität und innere Unruhe gestanden. Selbst wenn gewisse
Beschwerden einem unklaren Beschwerdebild zuzuordnen wären, liessen sich diese
laut den Feststellungen der Vorinstanz hinsichtlich ihrer funktionellen Folgen
nicht eindeutig abgrenzen. Weiter hat das kantonale Gericht erwogen, dem
organischen Psychosyndrom seien einer organischen Ursache zugrunde liegende
psychische Veränderungen inhärent. Die entsprechende Diagnosestellung beim
Beschwerdegegner bezeichnete die Vorinstanz als nicht offensichtlich unrichtig,
liess die Frage jedoch letztlich offen. Eine dreimonatige Abklärung und ein
sechsmonatiges Arbeitstraining bei der IG I.________ im Jahre 2007 hätten
nämlich gezeigt, dass die Integration in die freie Wirtschaft nicht möglich sei
(vgl. Austrittsbericht des Berufsberaters vom 15. Februar 2008 zur beruflichen
Abklärung mit anschliessendem Arbeitstraining während der Zeit vom 22. März bis
24. Dezember 2007). Das kantonale Gericht kam zum Schluss, dass die
Voraussetzungen für eine Überprüfung der Rente in Anwendung von lit. a Abs. 1
SchlBest. IVG nicht erfüllt seien. Es verpflichtete daher die IV-Stelle zur
Weiterausrichtung einer ganzen Invalidenrente.

4.

4.1. Die IV-Stelle rügt eine offensichtlich unrichtige Feststellung des
Sachverhalts und eine Verletzung von lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG. Die
ursprüngliche Rentenzusprache sei aufgrund unklarer Beschwerden im Zusammenhang
mit einer Hirnerschütterung erfolgt. Zur Begründung verweist die
Beschwerdeführerin insbesondere auf den Austrittsbericht des
Psychiatriezentrums am Spital C.________ vom 18. September 2006. Aus diesem
ergebe sich, dass der Versicherte aufgrund einer Schmerzproblematik zugewiesen
worden sei. Die dort gestellte Diagnose eines organischen Psychosyndroms habe
nicht objektiviert werden können. Darauf habe Dr. med. D.________ am 7.
Dezember 2006 ausdrücklich hingewiesen. Im Rahmen der beruflichen Abklärung und
Arbeitserprobung habe der Beschwerdegegner hauptsächlich über Schmerzen
geklagt. Erst in den Berichten der behandelnden Ärzte vom 24. Oktober 2007 sei
eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen diagnostiziert
worden. Dieser Beurteilung habe sich die RAD-Ärztin angeschlossen. Insgesamt
präsentierte sich laut Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Beurteilung des
Rentenanspruchs das Bild eines Versicherten, der sich gemäss eigenen Angaben
mindestens zu gleichen Teilen durch organisch nicht klärbare Kopf- und
Nackenschmerzen und eine teils auch invaliditätsfremde Aspekte aufweisende
mentale Problematik in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gefühlt habe. Mit
Blick auf die gesamte Aktenlage waren nach Ansicht der Beschwerdeführerin die
unklaren Anteile im Beschwerdebild des Versicherten im Zeitpunkt der
Rentenzusprache genügend ausgeprägt, um im Sinne der Rechtsprechung gemäss BGE
140 V 197 den Rentenanspruch unter dem Gesichtspunkt von lit. a Abs. 1
SchlBest. IVG zu überprüfen.

4.2.

4.2.1. Mit BGE 140 V 197 E. 6.2.3 S. 200 klärte das Bundesgericht die Frage der
Anwendbarkeit der Schlussbestimmung in Fällen mit sowohl syndromalen wie
nichtsyndromalen Beschwerden. Danach findet lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG auf
"unklare" Beschwerden Anwendung, wenn sich diese von "erklärbaren" Beschwerden
trennen lassen. Laufende Renten sind von einer Überprüfung unter diesem
Rechtstitel nur ausgeschlossen, wenn und soweit sie auf "erklärbaren"
Beschwerden beruhen. Mit Blick auf den Zweck der Schlussbestimmung gilt es zu
vermeiden, dass Bezüger von Renten, die sowohl für unklare als auch für
objektivierbare Beschwerden zugesprochen wurden, besser gestellt werden als die
Bezüger laufender Renten, welche nur auf unklaren Beschwerden beruhen; sie
sollten auch nicht gegenüber Versicherten bevorteilt werden, welche neu eine
Rente sowohl für unklare als auch für "erklärbare" Beschwerden beantragen (BGE
140 V 197 a.a.O.). Damit präzisierte das Bundesgericht die in BGE 139 V 547
gemachten Ausführungen. Dort hatte es ausgeführt, die Revision einer
Invalidenrente nach lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG setze unter anderem voraus,
dass die Rentenzusprechung "ausschliesslich" aufgrund der Diagnose eines
unklaren syndromalen Beschwerdebildes erfolgt ist (E. 10.1.1 S. 568) und dass
im Revisionszeitpunkt "ausschliesslich" ein solches vorliegt (E. 10.1.2 S. 569;
SVR 2014 IV Nr. 39 S. 137, 9C_121/2014 E. 2.4.1).

4.2.2. Nach BGE 140 V 197 ist die Schlussbestimmung bei kombinierten
Beschwerden anwendbar, wenn die unklaren und die "erklärbaren" Beschwerden -
sowohl diagnostisch als auch hinsichtlich der funktionellen Folgen -
auseinandergehalten werden können. Ein organisch begründeter Teil der
Arbeitsfähigkeit kann bei Anwendbarkeit der Schlussbestimmung nur neu beurteilt
werden, sofern eine Veränderung im Sinne von Art. 17 ATSG eingetreten ist.
Insoweit wird im Anwendungsbereich der Schlussbestimmung vom Grundsatz
abgewichen, dass die Verwaltung im Rahmen einer materiellen Revision den
Rentenanspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend prüft (SVR
2014 IV Nr. 39 S. 137, 9C_121/2014 E. 2.4.2 mit Hinweisen).

4.2.3. In BGE 140 V 197 fielen die neu zu beurteilenden syndromalen Beschwerden
bei der Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit insgesamt weg. Die Invalidität war
demgemäss nur noch aufgrund der (rechtsprechungsgemäss nicht mehr
überprüfbaren) rheumatologischen Gesundheitsschädigung zu bemessen. Liegt
demgegenüber ein "Mischsachverhalt" vor, bei dem die Invalidenrente sowohl für
eine organisch objektivierbare ("erklärbare") Gesundheitsschädigung wie auch
für ein diffuses ("unklares") Beschwerdebild im Sinne von lit. a Abs. 1
SchlBest. IVG zugesprochen wurde und bei dem sich keine anteilsmässige
Zuordnung der darauf zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeit (en) vornehmen lässt,
fällt eine Herabsetzung oder Aufhebung unter dem Titel von lit. a Abs. 1
SchlBest. IVG ausser Betracht (Urteil 8C_34/2014 vom 8. Juli 2014 E. 4.2).
Besteht neben dem syndromalen Zustand eine davon unabhängige organische oder
psychische Gesundheitsschädigung, hängt die Anwendbarkeit der Schlussbestimmung
davon ab, dass die weitere ("nichtsyndromale") Gesundheitsschädigung die
anspruchserhebliche Arbeitsfähigkeit nicht mitverursacht, d.h. letztlich nicht
selbstständig zur Begründung des Rentenanspruchs beigetragen hat (SVR 2014 IV
Nr. 39 S. 137, 9C_121/2014 E. 2.6).

4.3. Die Beschwerdeführerin vermag mit ihren Vorbringen in tatsächlicher
Hinsicht nicht zu begründen, inwiefern die Tatsachenfeststellungen der
Vorinstanz offensichtlich unrichtig sein sollten und diese bei der konkreten
Beweiswürdigung das ihr zustehende erhebliche Ermessen missbraucht hätte. Die
Anwendbarkeit von lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG ergibt sich ausschliesslich aus
der Natur des Gesundheitsschadens, auf dem die Rentenzusprache beruhte (9C_379/
2013 vom 13. November 2013 E. 3.2.3). Eine Rentenaufhebung gestützt auf die
SchlBest. IVG ist nur zulässig, wenn die Anspruchsprüfung bei einer
Neuanmeldung gestützt auf die (damalige) Rechtsprechung zu den unklaren
Beschwerdebildern erfolgt wäre (Urteile 9C_843/2014 vom 4. September 2015 E.
5.2). Das ist hier nicht der Fall. Im Zeitpunkt der ursprünglichen
Rentenzusprache bestand als relevanter Gesundheitszustand eine mittelgradige,
sich chronifizierende Depression mit somatischem Syndrom (F32.11). Dabei
handelt es sich nicht um ein "unklares" Beschwerdebild im Sinne von lit. a Abs.
1 SchlBest. IVG. Beim Zusammentreffen einer diagnostizierten depressiven
Episode mit einer somatoformen Schmerzstörung ist in erster Linie die
fachärztliche Feststellung zur Beurteilung des Gesundheitszustandes und der
Arbeitsfähigkeit massgeblich (SVR 2014 IV Nr. 12 S. 47, 8C_251/2013 E. 3.1 und
4.2.2). Die RAD-Ärztin schloss auf eine vollständige Arbeitsunfähigkeit mit der
Begründung, diese sei auf eine reduzierte Belastbarkeit, Verlangsamung,
Lärmempfindlichkeit, Kommunikationsschwierigkeiten, neurovegetative Symptome,
erhöhte Schmerzempfindlichkeit, Konzentrationsstörungen, emotionale
Instabilität und Wechselhaftigkeit der Symptomatik zurückzuführen
(IV-Protokolleintrag vom 7. November 2007). Dass vom Beschwerdegegner geklagte
Kopf- und Nackenbeschwerden bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eine
gewichtige Rolle gespielt hätten, ist nicht ersichtlich. In seiner
psychiatrisch-neuropsychologischen Stellungnahme vom 4. Juni 2013 äusserte sich
RAD-Arzt Dr. med. J.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH,
DAS Neuropsychologie, dahingehend (vgl. Protokoll der IV S. 17), dass die
Invalidenrente nicht im Sinne von lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG aufgrund eines
dort umschriebenen Leidens zugesprochen worden sei. Vielmehr hätten Depression
und Psychosyndrom den Gesundheitsschaden in seiner Essenz determiniert. Eine
Schmerzstörung habe bei der Rentenzusprache keine Rolle gespielt. Daraus ist zu
schliessen, dass die depressive Störung mittelgradigen Ausmasses nicht als
Begleiterscheinung einer Schmerzfehlentwicklung eingeordnet wurde. Entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin liegt insgesamt kein medizinischer
Sachverhalt vor, bei dem unter den in BGE 140 V 197 E. 6.2.3 S. 200
vorgezeichneten Bedingungen eine getrennte Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von
unklaren und erklärbaren Beschwerden vorzunehmen wäre. Wenn die Vorinstanz zum
Schluss gelangte, die Voraussetzungen für eine Rentenüberprüfung gestützt auf
die SchlBest. IVG seien nicht gegeben, verstösst dies nicht gegen Bundesrecht.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

5. 
Mit dem Entscheid in der Sache ist der Antrag in der Beschwerde um Gewährung
der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.

6. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Versicherte hat Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wird damit gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdegegners für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Hofer

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