Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.38/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_38/2016

Urteil vom 18. März 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Friedrich Kramer,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10.
Dezember 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1970 geborene A.________ meldete sich im Mai 1996 bei der IV-Stelle Bern
zum Leistungsbezug an, nachdem er bei einem Sturz in einen Liftschacht ein
Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte. Die IV-Stelle zog die Akten der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) bei, tätigte medizinische und
berufliche Abklärungen und sprach A.________ mit Verfügung vom 19. Dezember
1996 ab 1. März 1996 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. In den
Jahren 1997, 2001, 2005 und 2009 wurde die ganze Rente revisionsweise
bestätigt. Anlässlich einer erneuten Revision im Dezember 2011 wurde ein
geltend gemachter Anspruch auf Hilflosenentschädigung mit Verfügung vom 5.
Februar 2013 verneint. Nachdem das Verwaltungsgericht des Kantons Bern in
Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde die Sache zwecks weiterer
Abklärungen an die IV-Stelle zurückgewiesen hatte (Entscheid vom 29. Juli
2013), veranlasste diese eine Untersuchung durch den Regionalen Ärztlichen
Dienst (RAD) und eine Observation im Zeitraum vom 18. Februar bis 27. Mai 2013.
Gestützt auf die Ergebnisse der Observation und einer erneuten Stellungnahme
des RAD vom 24. April 2014 verneinte die IV-Stelle rückwirkend auf den 31.
Januar 2013 mit Verfügungen vom 13. März 2015 einen Anspruch auf Invalidenrente
und auf Hilflosenentschädigung. Mit einer weiteren Verfügung vom 27. März 2015
forderte sie für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis 31. Januar 2015 zuviel
erbrachte Rentenleistungen im Betrag von Fr. 64'355.- zurück.

B. 
Die von A.________ gegen die drei Verfügungen erhobenen Beschwerden wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern nach Vereinigung der Verfahren mit
Entscheid vom 10. Dezember 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und lässt
beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, und es sei die Sache
zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Hinsichtlich der
Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs.
2 BGG; zum Ganzen: BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f. mit Hinweisen).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer auch nach dem 31. Januar
2013 Anspruch auf eine Invalidenrente hat. Der Beschwerdeführer bestreitet
ferner die Rechtmässigkeit des verneinten Hilflosenentschädigungsanspruchs und
der aus der rückwirkenden Rentenaufhebung resultierenden
Rückerstattungspflicht. Er erhebt indessen zu den beiden letzten Punkten keine
Einwände gegen die diesbezüglichen Darlegungen im kantonalen Entscheid, weshalb
sich Weiterungen hierzu erübrigen.

3.

3.1. Gestützt auf die RAD Berichte vom 29. Oktober 2013 und 24. April 2014
sowie in Würdigung der Ergebnisse der Überwachung vom 10. Juni 2013 ging die
Vorinstanz von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit
als Hilfsarbeiter auf dem Bau aus und verneinte nach Durchführung eines
unbestrittenen Einkommensvergleichs einen Rentenanspruch.

3.2. Beschwerdeweise wird eine Expertise durch eine Drittstelle verlangt, da
die Gesundheitsschädigung nicht psychischer, sondern physischer Natur sei. Der
Beschwerdeführer habe zu keinem Zeitpunkt an psychischen Beschwerden gelitten.
Sodann seien die Ergebnisse der Observation nicht repräsentativ, vielmehr sei
ein MRI anzuordnen, um das Ausmass eines Schleuder-Hirn-Traumas abzuschätzen.

4.

4.1. Gestützt auf den vorinstanzlichen Entscheid sowie die vom
Unfallversicherer getätigten medizinischen Abklärungen entbehren die
Ausführungen zu einer physischen Gesundheitsschädigung jeder Grundlage. Der
ursprünglichen Rentenzusprache lag gemäss den Feststellungen der Vorinstanz im
Wesentlichen eine pathologische Traumaverarbeitung mit Pseudodemenz, reaktiver
Depression und regressivem Verhalten zugrunde. Objektivierbare
Funktionsausfälle fanden sich keine. Ein Schädel-MRI vom 19. September 1995
fiel völlig unauffällig aus. Die Vorinstanz durfte deshalb in antizipierter
Beweiswürdigung auf weitere medizinische Abklärungen verzichten (BGE 122 V 157
). Angesichts der Aktenlage vermögen die Vorbringen auch keine geringen Zweifel
an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der RAD-Berichte zu begründen. Lege
artis erstellte RAD-Untersuchungsberichte haben nach der Rechtsprechung einen
mit Administrativexpertisen vergleichbaren Beweiswert (BGE 139 V 225 E. 5.2 S.
229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f. und E. 4.7 S. 471). Versicherungsinterne
Dokumente werden von Art. 44 ATSG betreffend Gutachten nicht erfasst; die in
dieser Norm vorgesehenen Verfahrensregeln entfalten daher bei Einholung von
RAD-Berichten keine Wirkung (BGE 135 V 254 E. 3.4 S. 258; Urteil 8C_385/2014
vom 16. September 2014 E. 4.2.1), weshalb der Einwand verletzter
Mitwirkungsrechte fehl geht. Weitere Beweismassnahmen sind nur angezeigt, falls
objektive Gesichtspunkte namhaft gemacht werden, die der RAD-Ärztin entgangen
sind (vgl. statt vieler Urteil 9C_495/2012 vom 4. Oktober 2012 E. 2.4 mit
Hinweisen, auszugsweise publ. in: plädoyer 2012/6 S. 67). In keiner Art und
Weise ist ersichtlich und wird seitens des Beschwerdeführers auch nicht
dargetan, weshalb das kantonale Gericht auf die RAD-Berichte nicht abstellen
durfte. Der Versicherte vermag nicht zu begründen, dass das kantonale Gericht
den rechtserheblichen medizinischen Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
namentlich unvollständig, oder anderweitig bundesrechtswidrig festgehalten
habe. Mit Untersuchungsbericht vom 29. Oktober 2013 diagnostizierte Frau Dr.
med. B.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, RAD, ein
postkommotionelles Syndrom, das durch nicht objektivierbare unspezifische
Symptome wie Kopfschmerzen und Schwindel definiert sei.
Differentialdiagnostisch hielt die Ärztin eine Verdeutlichung/Aggravation fest.
Nach Vorliegen der Observationsergebnisse schloss die Psychiaterin eine
psychische Diagnose aus und bestärkte den Verdacht auf Verdeutlichung/
Aggravation (Bericht vom 24. April 2014). Zwar wird beschwerdeweise die
Repräsentativität der Observation moniert, jedoch nicht die Tatsache, dass die
RAD Ärztin schliesslich eine psychiatrische Diagnose ausschloss und von einer
Verdeutlichung/Aggravation ausging. Nach BGE 131 V 49 liegt regelmässig keine
versicherte Gesundheitsschädigung vor, soweit die Leistungseinschränkung auf
Aggravation oder einer ähnlichen Erscheinung beruht. Hinweise auf solche und
andere Äusserungen eines sekundären Krankheitsgewinns (dazu BGE 140 V 193 E.
3.3 S. 197) ergeben sich namentlich, wenn: eine erhebliche Diskrepanz zwischen
den geschilderten Schmerzen und dem gezeigten Verhalten oder der Anamnese
besteht; intensive Schmerzen angegeben werden, deren Charakterisierung jedoch
vage bleibt; keine medizinische Behandlung und Therapie in Anspruch genommen
wird; demonstrativ vorgetragene Klagen auf den Sachverständigen unglaubwürdig
wirken; schwere Einschränkungen im Alltag behauptet werden, das psychosoziale
Umfeld jedoch weitgehend intakt ist (BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 51).

4.2. Vorliegend besteht Klarheit über die von der RAD-Ärztin (verdachtsweise)
festgestellte Verdeutlichung/Aggravation, welche durch die
Observationsergebnisse untermauert werden (vgl. hierzu Urteil 9C_338/2015 vom
12. November 2015 E. 4.2). Durch die Ausführungen in der Beschwerde, wonach
keine psychischen Beschwerden bestünden, werden diese auch nicht in Abrede
gestellt. Nachdem bereits die anlässlich des Untersuchungsberichts vom 29.
Oktober 2013 erhobenen testpsychologischen Befunde für eine Aggravation
sprachen, liess die Psychiaterin nach Sichtung der Observationsergebnisse -
unter Hinweis auf die zu den Beobachtungen im Rahmen der Beweissicherung vor
Ort deutlich diskrepanten subjektiven Angaben des Versicherten - sämtliche
Diagnosen fallen. Es liegen Ausschlussgründe vor, die die Annahme einer
Gesundheitsbeeinträchtigung verbieten, weshalb von vornherein keine Grundlage
für eine Invalidenrente besteht (vgl. Art. 7 Abs. 2 ATSG erster Satz). Die
Beschwerde ist demnach abzuweisen.

5. 
Dem Beschwerdeführer werden als unterliegende Partei die Gerichtskosten
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. März 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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