Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.331/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_331/2016 {T 0/2}     

Urteil vom 26. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 6. April 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1964, arbeitete als Kranführer bei der B.________ AG als er
am 24. Dezember 2010 in Slowenien einen Autounfall erlitt. Sein Auto, das von
einem Verwandten gelenkt wurde, kollidierte frontal mit einem Geisterfahrer.
A.________ zog sich dabei insbesondere eine Ruptur der Milz, welche in der
Folge vollständig entfernt werden musste (Splenektomie), sowie eine
Schulterverletzung zu. Seine Arbeitstätigkeit nahm er in der Folge nicht mehr
auf. Am 16. Mai 2011 meldete er sich unter Hinweis auf die seit dem Unfall
verbleibenden Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Die IV-Stelle des Kantons Thurgau klärte die medizinische und die erwerbliche
Situation ab und liess A.________ durch die PMEDA Polydisziplinäre Medizinische
Abklärungen, Zürich, untersuchen (Gutachten vom 15. Mai 2014). Gestützt darauf
sprach sie A.________ mit Verfügung vom 19. Oktober 2015 für die Zeit vom 1.
Dezember 2011 bis zum 30. Juni 2014 eine ganze Invalidenrente zu.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
mit Entscheid vom 6. April 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Anträgen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm ab dem
1. Juli 2014 weiterhin eine ganze Invalidenrente auszurichten und es seien
zusätzliche medizinische und erwerbliche Abklärungen zu treffen. Des Weiteren
ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und verzichtet auf
einen Schriftenwechsel.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es
kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

2. 
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer über den 30. Juni 2014 hinaus Anspruch
auf eine Invalidenrente hatte. Er rügt dabei die vorinstanzliche Beurteilung
seines Gesundheitszustandes und seiner Arbeitsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 sowie
Art. 6 und 7 ATSG).

3. 
Das kantonale Gericht hat erkannt, der Gesundheitszustand und die
Arbeitsfähigkeit seien anhand des in allen Teilen beweiskräftigen Gutachtens
der PMEDA vom 15. Mai 2014 zu beurteilen. Dabei seien insbesondere eine
koronare Herzkrankheit (Atheromatose ohne signifikante Stenosen der
Hauptgefässe), die nach dem Unfall erfolgte Entfernung der Milz, eine
Teilsteife des linken Schultergelenks, ein Verdacht auf Pseudarthrosen nach
Rippenserienfraktur links sowie eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver
Reaktion zu berücksichtigen. Nach der Konsensbeurteilung der Gutachter sei der
Beschwerdeführer in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Kranführer
beziehungsweise im Baugewerbe oder in vergleichbaren Tätigkeiten vor allem
wegen der Schultersteife nicht mehr arbeitsfähig. Auch die Befunde der
koronaren Herzerkrankung liessen körperlich schwere Arbeiten nicht mehr zu. Bei
körperlich leichten wechselbelastenden oder überwiegend sitzenden Tätigkeiten
bestehe hingegen eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Aus psychiatrischer
Sicht bestehe keine eigenständige Erkrankung mit namhaftem Einfluss auf die
Arbeitsfähigkeit. Die leichtgradige Depressivität sei mit einer
Arbeitstätigkeit vereinbar.

4. 
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag keine offensichtliche
Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Feststellungen zu begründen oder den
angefochtenen Entscheid als rechtswidrig erscheinen zu lassen.

4.1. Er beruft sich darauf, dass die gutachtliche Bescheinigung einer
100-prozentigen Arbeitsfähigkeit aus kardiologischer, orthopädischer und
psychiatrischer Sicht angesichts seiner Beschwerden nicht nachvollziehbar sei.
Er leide unter Kurzatmigkeit, die eine Belastung unmöglich mache. Er wohne in
einem Mehrfamilienhaus ohne Lift im dritten Stock. Beim Treppensteigen müsse er
trotz mehrerer Pausen immer schwer atmen. Durch das Unfallereignis vom Dezember
2010 sei er schwer traumatisiert und von den Folgen für seine eigene
Gesundheit, seine Arbeit und seine Familie schwer betroffen. Es sei für ihn
nicht ersichtlich, weshalb keine posttraumatische Belastungsstörung
diagnostiziert worden sei. Auch sei nicht geprüft worden, ob angesichts der
bestehenden chronischen Schulter- Nacken-, Thorax und Knieschmerzen eine
somatoforme Schmerzstörung vorliege. Die orthopädische Untersuchung sei nicht
umfassend gewesen. Zum Beispiel sei ein Knacken im linken Schultergelenk nicht
weiter untersucht worden. Insgesamt sei das Gutachten weder nachvollziehbar
noch in sich schlüssig. Auch seien die Abklärungen bei Verfügungserlass nicht
mehr aktuell und unvollständig gewesen.

Das kantonale Gericht hat dazu namentlich festgestellt, es sei die gutachtliche
Gesamtbeurteilung massgebend, wonach dem Beschwerdeführer nur noch leichte
adaptierte Tätigkeiten zumutbar seien. Dass die orthopädischen Diagnosen nicht
ICD-codiert worden seien, vermöge die Aussagekraft des Gutachtens nicht zu
schmälern, denn es sei ausschlaggebend, welche Auswirkungen eine Krankheit auf
die Arbeitsfähigkeit hätten. Den Schulter- wie auch den Herzbeschwerden sei
hinreichend Rechnung getragen worden. Der Beschwerdeführer habe seit Dezember
2013 keine psychiatrische Behandlung mehr in Anspruch genommen und anlässlich
der Begutachtung über keine entsprechenden Beschwerden geklagt. Schliesslich
seien die geklagten Schmerzen grundsätzlich durch den somatischen
Gesundheitszustand erklärbar.

Der Beschwerdeführer legt nicht dar, weshalb ihm die von den Gutachtern
bescheinigte Arbeitsfähigkeit bei leichten Tätigkeiten nicht zumutbar sei.
Insbesondere wird nicht geltend gemacht, dass bis zum Zeitpunkt der
Begutachtung im März 2014 beziehungsweise bis zur Einstellung der Rente am 30.
Juni 2014 von der Einschätzung der Experten abweichende Arztberichte vorliegen
würden, die konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit des Gutachtens zu
begründen vermöchten (BGE 137 V 210 E. 1.3.4 S. 227; 135 V 465 E. 4.4 S. 470;
125 V 351 E. 3b/bb S. 353). Mit dem kantonalen Gericht ist deshalb davon
auszugehen, dass damals eine volle Arbeitsfähigkeit in leidensangepassten
Tätigkeiten bestanden hat. Retrospektiv wollten sich die Gutachter mangels
eigener Vorbefunde und wegen den diesbezüglich nur unzureichend differenzierten
ärztlichen Stellungnahmen nicht äussern. Nach Art. 6 Satz 2 und Art. 7 ATSG ist
für die Ermittlung der Erwerbsunfähigkeit bei langer Dauer der
Arbeitsunfähigkeit allein die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf als
dem angestammten ausschlaggebend (RKUV 2005 Nr. KV 342 S. 356 E. 1.3; Urteil
8C_66/2007 vom 25. Oktober 2007 E. 4.2.2). Aufgrund der von den Gutachtern
eingehend dargestellten früheren Berichte ist davon auszugehen, dass die Ärzte
eine Wiederaufnahme der angestammten Tätigkeit als Kranführer schon bald nach
dem Unfall ausschlossen. Indessen äusserten sie sich nicht zur Arbeitsfähigkeit
in einer leidensangepassten Tätigkeit. Ob eine Arbeitsunfähigkeit auch für die
allein massgeblichen adaptierten Tätigkeiten bis Mitte 2014 überhaupt gegeben
war und die Voraussetzungen für die Gewährung einer ganzen Invalidenrente ab
dem 1. Dezember 2011 bis zum 30. Juni 2014 erfüllt waren, scheint deshalb
fraglich, ist mit Blick auf Art. 107 Abs. 1 BGG hier aber nicht weiter zu
prüfen. Immerhin vermag sich der Beschwerdeführer unter diesen Umständen auch
nicht darauf zu berufen, dass mit der gutachtlich bescheinigten vollen
Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit ab Mitte 2014 eine
Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht ausgewiesen und eine Rentenrevision
beziehungsweise Befristung der Rente bis zu diesem Zeitpunkt nicht
gerechtfertigt sei. Die Rentenaufhebung am 1. Juli 2014 ist deshalb nicht zu
beanstanden.

4.2. Die Vorinstanz hat des Weiteren die im Beschwerdeverfahren eingereichten
zahlreichen neueren ärztlichen Stellungnahmen eingehend gewürdigt. Sie hat
festgestellt, dass gestützt darauf eine rentenerhebliche Verschlechterung nach
der Begutachtung bis zum Erlass der Rentenverfügung vom 19. Oktober 2015,
welcher Zeitpunkt für die richterliche Überprüfungsbefugnis massgeblich ist (
BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220; 129 V 167 E. 1 S. 169), nicht ausgewiesen sei.
Soweit sie sich überhaupt begründet dazu äusserten, erachteten die behandelnden
Ärzte leichte Tätigkeiten als zumutbar. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür,
dass die Urolithiasis und die Probleme mit der Schilddrüse (aufgetreten im
Januar beziehungsweise im Februar 2015) zu einer längerdauernden erheblichen
Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, und wenn doch, hätte bezüglich dieser neuen
Leiden für die Begründung eines Rentenanspruchs jedenfalls zunächst ein
Wartejahr verstreichen müssen (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG). Der Einwand des
Versicherten, dass er nach dem 30. Juni 2014 wegen dieser neuen Beschwerden wie
auch wegen persistierender Schulter- beziehungsweise Thoraxschmerzen stetiger
ärztlicher Behandlung bedurft habe, vermag keine offensichtliche Unrichtigkeit
der vorinstanzlichen Feststellungen zu begründen.

5. 
Zusammengefasst bestand gestützt auf die für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen des kantonalen Gerichts ab dem 1. Juli 2014 bis zum Zeitpunkt
des Verfügungserlasses am 19. Oktober 2015 eine volle Arbeitsfähigkeit bei
Ausübung leichter Tätigkeiten. Dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente auch über den 30. Juni 2014 hinaus kann daher nicht gefolgt
werden. Weitere Abklärungen sind nicht angezeigt.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung
mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) kann gewährt werden, weil die
Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64
Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im
Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler wird als unentgeltliche Anwältin bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. August 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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